Alles, was Sie schon immer
über Antisemitismus wissen wollten...Aus dem 1.
Kapitel des Romans "Trümmerkind"
IV. Teil
Die Männer redeten sich schnell in Wut an den rohen
Wirtshaustischen im benachbarten »Bräu-Roserl«. Oft aßen sie ein paar Wiener
dazu, denn der Wirt, der Schullerer Beni, war berühmt für seine guten
Wiener.
In der Regel begann es damit, dass sie sich die
Einsatzorte ihrer Kriegszeit berichteten.
»Wo warst nachert du?«
»Mei, erst war i beim Franzos, Cherbourg, net...«
»Cherbourg, beim Franzos, aha.«
»Nachert, wie mir zum Russen nüber sind, war i erst am Donezk, nachert
Kursk, net wahr...«
»An sich, der Russ', net wahr, also i sag amal, er is net von vornherein an
Asiate, net. Da muss ma' sehr an Unterschied machen, net ...«
Et cetera. Et cetera.
Nachdem sie sich auf diese Weise aneinander herangetastet
hatten, einigten sie sich bald darauf, »dass mir den Krieg schon gewonnen
hätten, wenn uns der Jud' nicht verraten und verkauft hätt«. Und schließlich
verständigte man sich darauf, dass unsereiner die Flüchtlinge heute nicht am
Hals hätte, wenn der Hitler nicht so blöde gewesen wäre, mit Russland einen
Krieg anzufangen. »Gerade der Russ, der dem Deutschen an sich doch viel
näher steht als der Amerikaner!« Das sei ein Blödsinn gewesen, die
Autobahnen gingen ja in Ordnung, aber das mit den Flüchtlingswohnungen
jetzt, das sei eine Sauerei, die man nicht verdient habe. Der Krieg hätt'
wirklich nichts gebracht. »Aber was hätten mir selber damals denn schon
machen sollen, net? Zum Machen war gar nix. Wenn der Krieg kimmt, dann
machst du als Einzelner gar nix.«
Das Gerede über die Juden wurde weniger. In einer
Schublade bewahrte mein Vater eine alte Schellackplatte auf mit dem
Horst-Wessel-Lied auf der einen und dem Badenweiler Marsch auf der anderen
Seite. Beides spielte ich gerne ab, weil es so schön schneidig war. Doch
mein Vater machte jedesmal hektisch das Wohnzimmerfenster zu, weil man das
jetzt nicht mehr spielen dürfe, und das ärgerte ihn sehr. Überhaupt waren
der Adolf und derJud' und der Amerikaner keine Themen mehr, über die man
sich offen unterhielt. Vielmehr tastete man sich im kleinen Kreis an sein
Gegenüber heran, um zu sehen, ob er mitzog. Tat er das, was meistens der
Fall war, dann tauschte man seine Meinungen aus und seufzte bedauernd, dass
man das heute ja leider alles nicht mehr sagen dürfe, sonst werde man
abgeholt, und im Prinzip sei es heute ja auch nicht anders als bei den
Nazis. Letztlich habe man das alles dem Amerikaner zu verdanken mit seiner
Scheißdemokratie, die er einem eh nur aufgezwungen habe. Dabei sei doch
jedem klar, dass der Deutsche nicht taugt zur Demokratie: »Der Deutsche muss
geführt werden, weil, er braucht einen, der wo anschafft!« Zustimmendes
Nicken allseits.
Irgendeiner fragte mit giftigem Schmelz in der Stimme:
»Ja, und wer steckt eigentlich hinterm Amerikaner?«
Verständnisinniges Nicken überall: »Sehr richtig. Das wissen mir ja, wer
dahinter steckt. Wissen täten mir's schon genau, aber mit der
Scheißdemokratie da darf ma' so was ja nicht mehr sagen, heutzutag. Und
machen kann ma' erst recht nichts. Gar nichts!«
Aus der unverfrorenen Offenheit der frühen fünfziger Jahre
war selbstmitleidige Verschlagenheit geworden. Und ich, inzwischen sieben
oder acht Jahre alt, bemerkte es. Jedoch, da ich in dieser Welt aufgewachsen
war, vermochte ich ihr nicht zu entrinnen.
Andererseits, den Opa, das wusste ich, hatten sie zur
Kreisleitung zitiert. Da der Vater meiner geflohenen Mutter gerne und viel
trank, verlor er immer schnell die Kontrolle über sein Mundwerk und hatte
seinerzeit einmal im »Pullacher Hof« rauflustig geschrien: »Der Saubär, der
g'hört aufg'hängt!« Ob es ihm tatsächlich um den Adolf ging oder nur um eine
schöne Rauferei, war unklar. Wer hingegen gemeint gewesen war, das wusste
damals jeder. Und der Heißfelder, der alte Nazi, hatte ihn sofort
hingehängt. Sie erklärten dem Opa also auf der Kreisleitung, sage er so
etwas noch einmal, dann käme er nach Dachau und würde erschossen. Er sagte
ihnen, dass er sich überhaupt nix drum scheißt, »obts ihr mich daschiaßts
oder nicht«, aber von da an war er doch vorsichtiger. Trotzdem war seiner
Meinung nach nicht der Hitler daran schuld, sondern der Heißfelder, mit dem
er fortan nicht mehr redete. Ohne den Hitler und seine Autobahnen, sagte er
immer wieder, hätte es damals schlecht gestanden um den deutschen Arbeiter,
das sei schon nicht falsch gewesen. Nur, dass er diesen saudummen Krieg mit
dem Russ angefangen habe...
>> Fortsetzung...
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24-06-2002
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