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Aus dem 1. Kapitel des Romans "Trümmerkind"

V. Teil

Inzwischen redete man vom Wirtschaftswunder. Nur bei uns gab es keines. Mein Vater zahlte weiterhin verzweifelt seine Schulden ab, die ihn zusammen mit seinen Kriegserinnerungen so sehr bedrückten, dass er Herzbeschwerden und Asthmaanfälle bekam. Mit meinen Großeltern, immerhin die Eltern meiner leiblichen Mutter, die nach wie vor im selben Haus mit uns lebten, gab es fortwährend Streit, und bisweilen kam es zu Gewalttätigkeiten mit Opa, weil er von meinem Vater Geld wollte, und der hatte keines. Opa brachte mir manchmal eine Hose mit oder eine Joppe oder auch ein paar Schuhe, die ihm die Leute auf seinen Baustellen geschenkt hatten. Er arbeitete als Dachdeckergehilfe, was ihm einen Haufen Spaß machte, weil er vom Gerüst herab den Weibern morgens beim Anziehen zusehen konnte. Ich trug die mitgebrachten Sachen gerne auf, denn verwöhnt war man damals nicht.

Mein Vater musterte sie mit einem eigenen Gesichtsausdruck, und erst später begriff ich, wie sehr es ihm zu schaffen machte, dass er dem eigenen Sohn keine Kleidung kaufen konnte. Ich selber dachte mir weniger dabei und erzählte jedem voller Stolz, wo ich die Stücke herhatte. Einmal war ein Paar Schuhe des Stadtpfarrers von München darunter, an die ich mich heute noch mit Wohlgefallen erinnere: Sie waren lang und hatten dolchartig zulaufende Spitzen, die mit zunehmendem Alter nach oben wegknickten, bis die Schuhe irgendwann aussahen wie chinesische Schnabelschuhe. Der Anblick führte zu verschiedenen Bemerkungen meiner Freunde. Reiner Neid.

Dennoch: Einmal im Jahr, meist während seiner Tasse Kaffee nach dem Mittagessen, musterte mein Vater mich missmutig und sah, mit sich ringend, an mir herab: »So«, kam es halb grollend, halb wohlwollend: »I mein allweil, heut kaufen mir dir a neue Hosen!« Kaum gesagt, verfinsterten sich seine Züge weiter. Aber, im jährlich sich wiederholenden Ritual, erhielt ich dann meine neue Hose, damit ich in der Schule »g'scheit anzogen« sei. Das klang gut, war aber praktisch wertlos, da meine Stiefmutter mir kurz nach dem Erwerb des Kleidungsstückes barsch zu erklären pflegte, so ein gutes Stück sei für die Schule zu schade, und ohnehin hätte ich keinerlei Anlass, den feinen Herrn zu spielen, während man immer noch die Schulden meiner feinen Frau Mutter abbezahle. So steckte ich weiter in meinen geflickten Blue Jeans, und die Hose blieb im Schrank. Nur an den Sonntagen, an denen wir essen gingen in der Wirtschaft der Frau Kesselmeier, der wir die Woche über Semmeln und Brezen lieferten, durfte ich meine Hose anziehen. Nach einem Jahr war sie mir zu klein und wurde jemandem aus der Verwandtschaft geschenkt. Immer noch war sie wie neu, und das kränkte mich oft.

Heute war es also wieder so weit: Mit nachdenklichem Blick prüfte mein Vater den Inhalt seiner Brieftasche, winkte mir, ihm zu folgen, und ging treppab in den Laden. Dort nahm er zur Sicherheit noch zwanzig Mark aus der Kasse und stritt mit Traudi, wie die Entnahme zu verbuchen sei. Schließlich unterschrieb er leise meuternd einen Eigenbeleg, der statt des Geldscheins ins Fach gelegt wurde.

Damit war ihm die Stimmung schon verdorben. Grantig schob er mich in unseren Kastenwagen und startete die spotzende Zweitaktermaschine, die unseren Hof augenblicklich in eine Gestankwolke hüllte. Wir knatterten die Landsberger Straße hinab, vorbei an der kleinen Anlage mit dem Stadterhebungsdenkmal. Die Stiefoma hatte mir oft erzählt, welch schöne Feier die Nazis 1936 anlässlich der Stadterhebung veranstaltet hatten. Und dass so was heute ja auch keiner mehr macht, was ebenfalls stark gegen die Demokratie spreche.

Es ging die Schöngeisinger Straße entlang, vorbei am Haus der Stiefoma bis zur Kreuzung am Hauptplatz. Dort stand nicht etwa eine Ampel, sondern ein leeres Holzpodest in der Mitte, auf dem nur selten ein Schutzmann Dienst tat. Rechts ab also und über die Amperbrücke. Irgendwo bei der Leonhardi-Kirche parkten wir. Das Ladenschild über der gläsernen Eingangstür prangte in schönstem Sütterlin:

Joszef Matusowicz Herren- und Knabenbekleidung

Der war anders, das merkte ich schon beim Eintreten. Er stand verloren zwischen seinen Ständern mit den Hosen, und eine seltsame Traurigkeit, eine Art entschwebter Verlassenheit ging von ihm aus.

So jung ich war, an diese erste Wahrnehmung erinnere ich mich heute noch. Ein stattlicher Mann Ende der fünfzig. Ein mächtiger Kopf mit einer fleischigen Nase im Gesicht und kräftigen Tränensäcken unter den wachen und doch in die Ferne gerichteten Augen. Irgendwie sah er total anders aus, und er redete auch anders. Als er mir die Hand schüttelte, ging Güte von ihm aus. Wenn er redete, klang es so ähnlich wie bei den Flüchtlingen und doch wieder anders: Weniger hektisch, weniger eifrig, mit einer für mich kaum verständlichen Gelassenheit.

Polack, dachte ich mir. Und wir zahlen ihm sein Bad. Er schenkte mir ein Papierfähnchen und ich beschloss augenblicklich, dass ich ihn mochte.

Fürstenfeldbruck war klein, damals. Jeder begegnete jedem auf der Straße, und das ziemlich häufig. Und auch dem Herrn Matusowicz begegnete ich später oft, und jedesmal grüßte ich ihn mit einem respektvollen »'s Gott, Herr Matusowicz!«, das nickend erwidert wurde. Oft stand ich auch vor seinem Laden und guckte mir die Joppen und Hosen an. Wenn er mich dann erkannte, hellte sein trauriges Gesicht sich für einen Moment auf, er nickte freundlich und versank sofort wieder in seine melancholischen Gedanken, die immer um ihn waren wie ein Nebelschleier, egal wo man ihn traf.

Jetzt aber kauften wir erst einmal meine Hose. Sie war marineblau und elegant und man konnte sie - darauf legte Traudi Wert - in der inzwischen erworbenen Waschmaschine waschen, einem Ungetüm Marke Zanker. Mein Vater bezahlte die Rechnung, erhielt seine gekritzelte Quittung, und Matusowicz verabschiedete uns beide mit einem freundlichen Handschlag.

Auf der Heimfahrt stoppten wir am Haus der Großeltern. Schließlich musste der Neuerwerb präsentiert und bewundert werden, eine neue Hose gab es nicht jeden Tag. So einen Zugewinn allerdings zog man nicht einfach aus der Tüte und reichte ihn herum, das wäre angesichts der Bedeutung des Ereignisses zu flach gewesen. Vielmehr gab es erst einmal ein großes Willkommensgeschrei auf dem Korridor vom Windfang zum Wohnbereich. Jahre später las ich bei Konrad Lorenz über das Triumphgeschrei von Graugänsen - es kam mir sehr bekannt vor.

»Heut hat er a Hosn kriegt!«, berichtete mein Vater gnädig.

»Ja, um Gottes willen, a Hosn, a Hosn!«, schrie Oma aufgeregt. Die Abeles, die mit ihren beiden Töchtern für achtundzwanzig Mark Monatsmiete im Obergeschoss wohnten, wussten es damit auch bereits.

»Ja, eine Hos, eine Hos, der feine junge Herr!«, rief der Opa, ein preußischer Postobersekretär aus Magdeburg, wohlwollend aus der Küche. (Er selber sagte allerdings immer: Machdeburrch.)

Nun strahlte auch ich voller Stolz.

»Ja, um Gottes Himmels willen, a neue Hosn, a neue Hosn, ja, was is denn dös!«, steigerte Oma sich in eine frühe Form heutigen Konsumrausches hinein.

»Eine blaue!«, schrie nun auch ich begeistert. »Eine blaue Hosn!« »Ein richticher feiner junger Herr! Mit blauer Hose!«, sagte der Opa freundlich-zackig. »So was hat man nicht jeden Tach!«

Als der Begeisterungssturm sich gelegt hatte, gab es Kaffee und Rohrnudeln. Die Hose blieb immer noch eingepackt. Man redete über das Geschäft, über die Verwandtschaft und dass es Gott sei Dank wieder aufwärts gehe mit dem Land.

»Den Krieg ham mir zwar verlorn, aber jetzt zeigen mir's ihnen!«, brummte mein Vater grimmig. »Und wenn mir keine so guten Soldaten g'wesen wären, dann hätten mir eh nicht vorher die halbe Welt erobert.«

»Richtich!«, sagte der Opa. »Den Deutschen krichst du nicht kaputt! Wenn man dem Deutschen eine Arbeit gibt, dann macht er sie auch. Deshalb geht es wieder aufwärts bei uns!«

»Und der Engländer mit seinem Weltreich, mit seinem saubernen, mit seinem Empire, net, der schaugert inzwischen sauber aus!«, triumphierte mein Vater. Den Engländer mochte er nämlich auch nicht, weil der ihn in der Gefangenschaft schwer misshandelt hatte.

»Ja mei, England«, sagte die Oma.

»Das haben s' jetzt von ihrem Scheißkrieg«, freute sich mein Vater. »Sie haben ihn ja unbedingt wollen.«

Opa, der seine Weichselpfeife mit ungarischem Landtabak gefüllt und sie jetzt glimmend im Mundwinkel hängen hatte, nickte zufrieden. Er trug einen ganz kurzen grauen Bürstenhaarschnitt und einen kleinen Schnauzer auf der Oberlippe. Seine Augen blitzten schelmisch: »Das hat Hitler schon gesacht: Wenn England in diesen Krich eintritt, dann wird es sein Weltreich verlieren. Hat Hitler schon vor dem Krich gesacht. Und Recht hatte er.«

Ich saß unruhig auf dem klobigen Sofa, in dessen Sprungfedernpolster man so wunderschön versinken konnte. Auf einem nussfarbenen Brett über meinem Kopf stand der alte Volksempfänger mit dem Hakenkreuz auf der schwarzen Frontseite. Der Zucker auf den Rohrnudeln verklebte mir Mundwinkel und Finger, so sehr schmeckte es.

»So, jetzt waschst dir schön deine Hand und dein Mund, und dann zeigst uns deine Hosn!«, wandte Oma sich erwartungsfroh an mich. Folgsam ging ich zu dem gusseisernen Waschbecken an der Wand. Es war die einzige Wasserquelle in der Wohnung, Kaltwasser selbstverständlich. Darüber befand sich ein Spiegel mit Glasablage, auf der die beiden Zahnputzbecher, die Zahnbürsten und eine irdene Schale für Omas Gebiss standen. Daneben hing ein kleines schwarzes Weihwasserbecken. Mit Wasser und Kernselfe wusch ich mir Mund und Hände und trocknete mich an dem Gemeinschaftshandtuch ab, das an einem Bakelithaken neben dem Becken hing und wöchentlich gewechselt wurde. Zitternd vor Begeisterung holte ich die Hose aus der Papiertüte, entfaltete sie vor meinem Körper und erntete einen Aufschrei der Verzückung. Das Ritual begann von vorne: »Ja, um Gottes Himmels willen, so eine schöne neue Hosn! Und blau auch noch! Eine richtige blaue Hosn!«

Es ging eine ganze Zeit lang so weiter. Schließlich wurde mir befohlen sie anzuziehen, das tat ich natürlich gerne. Die üblichen Kommentare wurden geschmettert, wie gut dem Buben die Hos doch stehe und dass man so eine schöne Hosn bisher selten gesehen habe. Abwechselnd schlugen Oma und Opa die Hände vor der Brust zusammen.

»Jetzt ziehst aber deine Schuh schon auch noch an!«, bestand Oma auf der korrekten Durchführung der Modenschau. Während ich den blechernen Schuhlöffel ergriff, klopfte es leise an der Küchentür. Frau Abele war von oben heruntergekommen, da sie den Lärm gehört hatte: Die Holzbohlendecke, notdürftig verputzt mit Strohmatten und Mörtel, war nicht gerade schallisolierend. Ohne Verzögerung wurde Frau Abele, die verhuscht schwäbelnd im Türrahmen stand, um ihre Bewertung gebeten. Auch sie stieß kreischende Verzückungsschreie über »A so a scheens Hosla!« aus und zog sich so verhuscht zurück, wie sie eingetreten war.

Ich war glücklich. Schließlich braucht der Mensch soziale Akzeptanz in jeder Phase seines Lebens. Und ich stellte mir vor, wie ich ab jetzt diese marineblaue Hose tragen würde. Und dass ich mich diesmal gegen Traudi durchsetzen würde. Nein, diese Hose würde nicht im Schrank verschwinden. Und endlich würde auch ich stolz in meiner Bank sitzen und müsste nicht mehr den Niethammer Peter beneiden, der immer die schönsten Pullover der Klasse trug. Und den Zakosek Nicki, der ein Fahrrad besaß mit VDO-Tachometer und Uhr. Schnell und heimlich würde ich die geflickte alte Nietenhose in die blecherne Aschetonne hinter unserer Backstube werfen und aus dem kalten Backofen eine Schaufel Asche holen, um sie darüber zu werfen, sodass man meine abgeworfene Haut nicht mehr finden würde. Vielleicht würde ab jetzt einiges anders werden.

»Ja, wo habts jetzt die kauft?«, fragte Oma.
»Beim Matusowicz«, sagte mein Vater beiläufig.

Opa schwieg und saugte an seiner Pfeife. Er hatte den Gummiring eines Bierflaschenverschlusses über das Mundstück gezogen, weil ihm vorne zwei Zähne fehlten.

»Ja, beim Matusowicz!«, bestätigte ich stolz.

»Matusowicz«, sagte Oma gedehnt. »Matusowicz, Matusowicz ... - is jetzt des a Jud'?«

»Jaja, des is a Jud'«, sagte Paps schnell.

Man schwieg.

Ich begriff nicht ganz, was geschehen war, es war mir einfach zu schnell gegangen. Dann, plötzlich, kapierte ich.

Jesusmarjandjosef, das war er also, der Jud'.

Verwirrt schaute ich an dem marineblauen Tuch hinab. Die schwarzen Schuhe hatte ich mir längst gebunden.

»Das is ein Jud'?«, fragte ich ungläubig. »Ein richtiger Jud'?«

Mein Vater nickte verhalten.

»Ein richtiger Jud'? Einer von denen, wo du sonst immer so redst?«, fragte ich verwirrt.

»Ah jaa, der net«, brummte mein Vater unwirsch. »Der Matusowicz grad weniger.«

»Nicht?«, piepste ich kleinlaut. Ich verstand nichts mehr. Dass man sich so in einem täuschen konnte!

»Aber der war doch so nett«, sagte ich hilflos. »Richtig nett!«

»Ja mei«, sagte die Oma nachdenklich. »Der Jud' halt!«

Opa zog unbeteiligt an seiner Pfeife. Mein Vater nickte düster. Der Raum hatte sich gefüllt mit dem süßlich-würzigen Duft von ungarischem Landtabak, der in einer langen Weichselpfeife mit Porzellankopf geraucht wurde, auf dem das Herzjesulein abgebildet war, obwohl Opa ein Protestant war, aber Oma hatte ihm den neuen Pfeifenkopf geschenkt.

Ich stand sprachlos, und in meinem Gehirn ging es durcheinander. Wenn das der Jud' gewesen war, also wenn der Jud' jetzt so... also wenn ein derartiger Jud' mitten bei uns... Unmerklich wuchs eine Distanz zwischen mir und den anderen. Viel verstand ich noch nicht vom Leben, aber dass der traurige Herr Matusowicz nur für seine Hosen lebte und keine Amerikaner aufhetzte, damit sie Bomben auf uns schmissen und wir keine Hosen mehr kaufen konnten, das müsste auch dem größten Einfaltspinsel klar sein.

Ich fühlte mich vorgeführt.

»Ja, macht das jetzt nichts, wenn mir die Hosn bei einem Jud' kaufen?«, fragte ich, nach Halt suchend.

»Mei«, sagte mein Vater knapp. »Sind eh schon wieder überall drin.«

»Für mich war's mein erster«, sagte ich. »Für mich war's mein erster richtiger Jud'.«

Mehr und mehr beschäftigte mich, warum er so traurig gewesen war. Wieso dieser Schleier von Melancholie um ihn gelegen hatte und warum keiner der anderen davon zu wissen schien.

»Ja, kann ich die Hosn jetzt also tragen?«, fragte ich.

»Jaja, freilich«, sagten Oma, Opa und mein Vater fast gleichzeitig.

»Schöne Sachen hat er ja«, sagte Opa anerkennend. »Sacht jeder hier.«

»Ein sehr reelles Geschäft.«

Ich zog die Hose vorsichtshalber aus und schlüpfte in meine Blue Jeans zurück. Auch so was, was der Amerikaner uns aufgezwungen hatte! Dann aß ich noch eine Rohrnudel, trank noch eine Tasse Caro-Kaffee und schwieg.

»Matusowicz, Matusowicz...«, überlegte die Oma. »Das is jetzt aber nicht der Matusowicz von drüben, vom "Pullacher Hof", der Viehhändler?«

Schräg über die Straße lag die Wirtschaft. Vor dem Krieg war auch ein Bauernhof dabei gewesen, jetzt waren die Stallungen leer.

»Naa, naa«, sagte mein Vater schnell. »Der ist das nicht.«

Allmählich verstand ich gar nichts mehr. »Ja, war da auch einer? Noch ein Matusowicz?«

»Jaaa«, sagte mein Vater gedehnt, »das war aber ein anderer.«

»Aber auch Matusowicz?«, beharrte ich.

»Ja mei«, sagte die Oma. »Juden hamma damals ja auch g'habt.«

Opa blinzelte wohlwollend durch seine Qualmwolken.

»Jaaa... und wo ist der jetzt? Wo ist der jetzt, der andere Matusowicz?«

»Ja mei«, sagte die Oma freundlich und seltsam unbeteiligt. »Den haben s' damals auch abg'holt. Da weiß ma' nix!«

Meine Verwirrung nahm zu.

»Abg'holt«, sagte ich. »Abg'holt. Wer hat ihn denn abg'holt?«

»Ja weißt«, sagte die Oma, »den haben s' halt damals abg'holt, die Nazi. Des haben s' halt damals so g'macht.«

Ich kam immer noch nicht damit zurecht.

»Ja, schon...«, entgegnete ich zaghaft. »Aber wo ist er jetzt?«

Opa zog an seiner Pfeife. Mein Vater schwieg mit zusammengekniffenen Lippen.

»Ja mei«, sagte Oma immer noch freundlich-beiläufig, »den werden d' Nazi auch' umbracht haben. Da hat ma' dann nix mehr g'hört. Des war damals so die Zeit. Mir haben da nichts davon g'hört. Mei, uns hat da keiner was g'sagt.«

»Umbracht?«, fragte ich entsetzt.

»Stiften sind s' gangen! Alle samtene sind s' stiften gangen. Und mir sind in der Scheiße g'legen!«, brüllte mein Vater los.

Ich wusste, es war besser, jetzt keine Fragen mehr zu stellen. Aber ich wusste auch, dass sie den Matusowicz, den Viehhändler, umgebracht hatten. Und keiner wusste richtig, warum. Das hatte man damals einfach so gemacht.

Fortsetzung folgt...

hagalil.com 18-10-2002


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