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Jüdische Weisheit
 
 
 
Ex-DDR-Spionagechef Markus Wolf Verhältnis zum Judentum:
Die Wurzeln sind immer präsent

Schon zu Lebzeiten ist er eine Legende: Markus Wolf, der zwischen 1951 und 1986 den Nachrichtendienst der DDR aufgebaut und geleitet hat. Wolf hat zahlreiche Erfolge im Kalten Krieg vorzuweisen, so zum Beispiel die Plazierung des Spions Guillaume im Büro von Willy Brandt, was zum Sturz des damaligen Kanzlers führte. Seit der deutschen Wiedervereinigung überstand Markus Wolf unbeschadet verschiedene Gerichtsverfahren. Eine Reihe von Lesungen, an denen Wolf seine neu in Deutsch publizierten Erinnerungen vorstellte, führte ihn auch in die Schweiz. Dies nahm die JR zum Anlass, sich mit Wolf über seine wiederentdeckten jüdischen Wurzeln, Antisemitismus und sein nun öffentlich bekanntes Verhältnis zu Israel zu unterhalten. Mit Markus Wolf unterhielt sich JR-Chefredaktor Simon Erlanger.

Jüdische Rundschau: Sie stellen dieser Tage in der Schweiz die deutsche Ausgabe Ihrer Erinnerungen vor. Darin weisen Sie auch auf Ihre jüdische Herkunft hin.

Markus Wolf: Mein jüdischer Hintergrund besteht väterlicherseits, nicht von der Mutter her. Der Vater stammt aus einer religiösen jüdischen Familie aus Neuwied im Rheinland. Meine Grosseltern waren Kaufleute, und mein Vater sollte nach dem Wunsch seiner Eltern Rabbiner werden. Er war auch auf einer jüdischen Schule, hat sich aber dann wie viele jüdische Intellektuelle in Deutschland vom Glauben gelöst. Er studierte schliesslich Medizin. Das hiess aber nicht, dass er sich von seiner Herkunft gelöst hätte. Er hatte eine enge Beziehung zu seinem Onkel Dr. Moritz Meyer. Der lebte in Hechingen, der Stadt in Württemberg, in der ich dann geboren wurde. Das war kein Zufall, denn die damalige Zeit der grossen Inflation war auch für einen Arzt eine Existenzfrage. Moritz Meyer hat meinem Vater eine Kassenarztstelle in Hechingen verschafft. Grossonkel Meyer, in der Familie «Öhmchen» genannt, war für mich als Kind der einzige, der den gläubigen Juden verkörperte.

Anlässlich eines Besuches beim Grossonkel bekamen Sie «Matza» vorgesetzt.

Das war nach Machtantritt Hitlers, als bei uns in Stuttgart, wo wir dann lebten, schon Hausdurchsuchungen waren. Der Vater war bereits in die Schweiz geflohen, und die Mutter hatte mich und meinen Bruder Konrad aufs Land gebracht. Es war nicht weit nach Hechingen. Wir besuchten also das «Öhmchen». Er war ein Original. Er lebte alleine im Wald mit seinen Ziegen und seinem Schäferhund. Eigentlich war er Jurist, aber aus seinem Beruf ausgestiegen und Wunderdoktor geworden. Er heilte die Menschen mit homöopathischen Mitteln und hat meinen Vater in dieser Richtung beeinflusst. Wir waren etwas ausgehungert, aber beim «Öhmchen» gab es nur «Matza», weiter nichts, es war die Zeit von Pessach. Das war meine erste Bekanntschaft mit Relikten des jüdischen Glaubens. Ich habe erst viel später, nach dem Tod des Vaters, einiges erfahren über die Bindungen, die er zum Judentum hatte. Er hatte sich ja früh schon einen Namen als Dramatiker gemacht und ein Stück geschrieben mit dem Titel «Helden des alten Bundes». Damit hat er versucht, anhand der biblischen Geschichte der verbreiteten Ansicht entgegenzutreten, dass die Juden keine Heldengeschichten hätten, sondern sich nur immer der Macht und der Gewalt fügen. Das ist für mich ein Zeichen dafür, dass mein Vater trotz der atheistischen Erziehung, die er uns angedeihen liess, tief im Judentum wurzelte.

Ihr Vater wurde unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges Kommunist.

Wie viele jüdische Intellektuelle hat er den Weg zur sozialistischen Bewegung gefunden. Die jüdischen Wurzeln des Vaters und seine innere Stellung dazu blieben aber immer präsent. Er hat ja dann unter dem Eindruck der Machtergreifung Hitlers sein in der Welt wahrscheinlich bekanntestes Drama, «Professor Mamlock», geschrieben. Es war das erste Werk, das sich mit der Judenverfolgung beschäftigte. Das Drama wurde noch 1933 beendet, als wir von Binningen in der Schweiz nach Frankreich gingen. Es erlebte seine Uraufführung am Schauspielhaus Zürich unter Leopold Lindtberg und wurde es auch im Jüdischen Theater von Warschau und in Tel Aviv.

Dazu kam ja dann auch der äussere Druck.

Die deutsche Staatsbürgerschaft der Familie wurde aberkannt. Es gab Fahndungslisten der Gestapo mit der Begründung «Kommunist und Jude». 1937 wurden meine Mutter, mein damals zehnjähriger Bruder Konrad und ich mit 13 Jahren zur Festnahme ausgeschrieben. Es gibt auch Papiere des deutschen Gesandten in der Schweiz, von Weizsäcker, des Vaters des späteren Bundespräsidenten, in denen er beschreibt, wie er versucht, die Aufführung von «Dr. Mamlock» in Zürich zu verhindern.

1934 kamen Sie nach Moskau. Wie haben Sie die Stadt in den Jahren der stalinistischen «Säuberungen» erlebt?

Es waren widersprüchliche Eindrücke. Wir assimilierten uns Stück für Stück sehr normal als Kinder und Jugendliche und wurden junge Sowjetbürger - mit allen Freuden, die das Jugendleben in Moskau mit sich brachte. Zur gleichen Zeit fand aber die dunkle Seite des Lebens statt. Väter von Freunden verschwanden, zuerst an der deutschen, dann an der russischen Schule, in die wir gingen. Lehrer wurden immer weniger. Es war etwas da, und man konnte es nicht richtig begreifen. In dem einen oder dem anderen Fall wusste man, dass jemand verhaftet war. In «Troika» schildere ich das Schicksal einer Familie, deren Vater verschwunden war und die bei uns unterkam. Der Vater starb, wie ich in den achtziger Jahren feststellen konnte, in einem der sibirischen Lager. Dieses Doppelte des Lebens war immer da, die Ursachen waren aber nicht bewusst. Stalin war für uns unangreifbar. Er war ja fast ein Halbgott, der verehrt wurde. Auf den Gedanken, dass er der Hauptschuldige dieser Verbrechen war - auf diese Idee sind damals die wenigsten gekommen.

Ihr Vater hat aber versucht, die UdSSR mittels des Einsatzes im Spanischen Bürgerkrieg zu verlassen. Er habe gesagt, er wolle nicht warten, bis man ihn verhafte.

Ja, aber das hat er nicht zu uns gesagt, sondern zu Freunden, von denen ich das erst jetzt erfahren habe.

Sie bewunderten u. a. Solomon Michoels , den legendären jiddischen Schauspieler, der auf Befehl Stalins ermordet wurde, dies im Rahmen der Verfolgung jiddischer Schriftsteller Ende der vierziger Jahre. Haben Sie in der UdSSR nie die antisemitische Komponente stalinistischer Politik gespürt?

Im Grunde genommen nicht. Wir haben vom Antisemitismus nur während des Krieges etwas gespürt. Das war aber der von früher her in Teilen des Volkes vorhandene dumpfe Antisemitismus. Dass dies ein Teil der Politik Stalins war, wurde erst nach den schlimmen Ereignissen in der Nachkriegszeit, den Prozessen in der UdSSR, der CSSR und Polen bekannt. Dass die meisten Angeklagten Juden waren, ist auch mir erst spät klargeworden. Das war ein Fortwirken eines Verdrängungsmechanismus, der bei mir genauso einsetzte wie bei Intellektuellen wie Lion Feuchtwanger, Bert Brecht oder Heinrich Mann. Vor bestimmtem Wissen konnte man sich nicht verkriechen, aber man hat es verdrängt.

Im Zusammenhang mit den Ereignissen von 1968 in der CSSR und in Polen betonen Sie, dass Ihnen erst beim Schreiben bewusst wurde, wie integral Antisemitismus war.

Ja, sicher. Einiges konnte man aber schon 1968 kaum übersehen, vor allem in Polen wegen Äusserungen von wichtigen Leuten dort. Aus Warschau war bekannt, dass dort ein ziemlich heftiger Antisemitismus auch innerhalb der Sicherheitsorgane praktiziert wurde. Das sah man allerdings als Relikt der Vergangenheit und nicht mit unmittelbarem Bezug auf unsere eigene Realität.

Wir waren, wenn Sie so wollen, durch den Kommunismus indoktriniert, aber ich habe mich dabei eigentlich nie als «blind» gefühlt. Sicher hatten wir Scheuklappen, aber trotzdem meine ich, dass uns die marxistische Ausbildung, die wir während des Krieges an der Kominternschule erhielten, die Fähigkeit zum eigenen Denken nicht genommen hat, sondern eigentlich erst angeregt hat.

Es konnte aber Probleme geben, wenn man dieses eigene Denken zu laut äußerte.

Ja, natürlich. Es gab ja dann auch die verschiedensten Wege. Mit mir auf der Kominternschule war Wolfgang Leonhardt, der mit Walter Ulbricht (erster Staatschef der DDR) noch vor mir 1945 nach Berlin kam, aber schon 1949 in den Westen ging.

Sie schreiben, dass es Ihnen nach Ihrer Rückkehr nach Berlin schwer gefallen sei, mit Menschen zu arbeiten, die vor kurzem noch Hitler zugejubelt hätten. War der Absprung, das Verlassen Deutschlands für Sie nie eine Option?

Nein, das war es nicht. Ich habe meine Tätigkeit die ganze Zeit bis zu meinem Ausscheiden aus dem Nachrichtendienst 1986 als politische Aufgabe gesehen. Und wir waren ja auch vorbereitet darauf, in Deutschland im Sinne unserer Überzeugung zu wirken, im Sinne der Umerziehung des deutschen Volkes. Wir fühlten uns dazu berufen. Ich habe mich auch sehr schnell wieder in Deutschland zu Hause gefühlt, aber der Anfang war schwierig.

Bis 1986 standen Sie dem Nachrichtendienst der DDR vor und sollen dem Schriftsteller John Le Carré als Vorbild für «Karla», den geheimnisvollen östlichen Geheimdienstler, gedient haben.

Ich habe das schon hundert Mal dementiert. Le Carré bestreitet dies auch. Ich muss es den Lesern überlassen, Ähnlichkeiten zu entdecken oder nicht.

In der DDR gab es kleine jüdische Gemeinden, deren Vorsitzende angeblich von der Stasi eingesetzt worden sein sollen. Was lag der DDR an der Aufrechterhaltung einer jüdischen Präsenz?

In den letzten Jahren der DDR gab es ein stärkeres Bemühen, das Verhältnis zum Judentum zu verbessern. Dabei ging es sicher auch um das eigene Ansehen, aber auch um eine gewisse Wiedergutmachung. Die Politik der DDR gegenüber Juden und dem Staat Israel war sehr widersprüchlich und lange Zeit sehr abhängig von der Politik der UdSSR.

Sie betonen, dass Sie dem Schicksal der Juden und des Staates Israel immer mit Wohlwollen gegenübergestanden sind. Hatte dies auch praktische Konsequenzen?

Ich könnte mir jetzt zugute halten, dass wir keinerlei Aktivitäten gegenüber Israel entwickelt haben, keine Agenten dort hatten und bei unseren Kontakten zur PLO das Thema «Israel» fast völlig ausgeklammert hatten, aber das wäre wohl etwas zu einfach und zu billig. Das war ja die Folge davon, dass wir unsere Tätigkeit gemäß Auftrag auf die BRD konzentrierten. In bestimmter Weise habe ich aber versucht, alles, was direkt gegen den Staat Israel gerichtet war, von meinem Dienst und von mir selbst fernzuhalten. Hinzu kam mein Interesse für Israel aufgrund auch der ganzen Vorgeschichte meiner Familie. Ich habe mit großem Interesse den Roman «Exodus» von Leon Uris gelesen. Ich habe mich von einigen meiner Agenten, die auch Israel besucht hatten, informieren lassen. Mich interessierten die Kibbutzim. Ich konnte mir ja zunächst darunter nichts vorstellen und habe dann gemerkt, dass dies eine irgendwie andere, für mich exotische Form sozialistischen Denkens und Praxis war. Zum fünfzigsten Jahrestag der Gründung des Staates Israel habe ich jetzt ein Essay verfasst, wo ich meine Eindrücke meiner ersten und bisher einzigen Israelreise im Jahre 1996 beschreibe. Ich würde mich jetzt also nicht als wieder zum jüdischen Glauben konvertierten Juden bezeichnen. Dies wäre vermessen und würde mir auch niemand abnehmen. Aber mein Interesse für die eigenen Wurzeln ist einfach gegeben, so wie bei vielen älteren Menschen, die sich dafür interessieren, woher sie kommen.

Sie erwähnen die nachrichtendienstliche Hilfe an Ägypten im Jahre 1968.

Die nachrichtendienstliche Beziehung zu Ägypten muss man eingeordnet sehen in das Bestreben der DDR, die «Hallstein»-Doktrin zu durchbrechen, die besagte, dass die BRD zu jedem Land, das mit der DDR offizelle Kontakte aufnimmt, die Beziehungen abbrechen wird. Ägypten war dann auch einer jener Staaten, die als erste offiziell Beziehungen zur DDR aufnahmen, und daraus ergaben sich die verschiedensten Beziehungen, so auch auf dem Gebiet des Nachrichtendienstes. Von unserer Seite geschah dies mit der Vorstellung, dass sich daraus Möglichkeiten für die Arbeit Richtung USA und BRD ergeben könnten. Von ägyptischer Seite war dies verbunden mit der Hoffnung, Möglichkeiten für die Arbeit gegen Israel zu bekommen. Beides erwies sich als so gut wie gar nicht tragfähig. Es gab auch dieses immer vorhandene arabische Misstrauen. In den Beziehungen war keine Offenheit, so dass sie bald einmal für uns nachrichtendienstlich kein großes Gewicht mehr hatten.

Die DDR soll Kontakte mit Organisationen gepflegt haben, welche Terrorakte gegen jüdische und israelische Ziele verübt haben.

Man kann dies nicht ganz von der Hand weisen. Natürlich war die DDR nicht Zentrum des internationalen Terrorismus. Die für solche Kontakte verantwortliche Dienststelle im Ministerium für Staatssicherheit lag anderswo und handelte aus dem Motiv heraus, den Terrorismus von der DDR fernzuhalten. Die Kontakte müssen aber heute so gesehen werden, dass damit faktisch terroristische Aktionen vom Territorium der DDR aus geduldet wurden. Mein Dienst und ich selbst sind fest von der Bedingung ausgegangen, dass das Gebiet der DDR für terroristische Handlungen nicht benutzt werden darf. Es bleibt unter dem Strich aber Verantwortung und Schuld dafür, etwas geduldet zu haben, was zu solchen Handlungen führte.

1990/91, nach der Wende erwogen Sie nach Israel zu gehen.

Na ja, es war damals ja noch nicht abzusehen, dass die Vereinigung für mich so relativ glimpflich ausgehen würde, wie das tatsächlich nun geschehen ist. Und so suchte ich nach Möglichkeiten, für einige Zeit dieser Bedrohung auszuweichen. Moskau war für mich kein gewünschtes Ziel. Dann kam die amerikanische Offerte, von der ich im vornherein der Meinung war, dass da der Preis für mich zu hoch war. Dann lernte ich den Rabbiner Zwi Weinman, mit dem ich bis heute eine enge Beziehung habe, kennen und erhielt von Yedioth Ahronot eine Einladung und dachte mir, warum nicht?

1996 sind Sie dann doch zu einem Besuch nach Israel gekommen.

Es war für mich sehr eindrucksvoll. Ich war natürlich auch voller Spannung. Nach dem, was man mir besonders auch in Amerika vorgehalten hat wegen der Tätigkeit des Nachrichtendienstes und der Kontakte zur PLO, musste ich damit rechnen, angegriffen zu werden. Dazu kam aber auch einfach das Interesse für das Land meiner Vorväter. Ich muss sagen, es war eine sehr inhaltsreiche und eine sehr angenehme Reise. Zunächst einmal wurde ich von allen Gesprächspartnern, darunter den ehemaligen Chefs aller drei wichtigen israelischen Dienste, mit großem Respekt behandelt. Wir haben sehr vernünftig ohne große Vorbehalte miteinander Gespräche geführt. Ich hatte ohnehin keine, aber ich hätte ja Vorbehalte mir gegenüber erwarten können. Dann kam der Besuch Jerusalems mit allem, was mit Jerusalem für Juden, aber nicht nur für Juden verbunden ist, die Stätten, von denen man viel gehört hat. Das selbst zu erleben ist natürlich etwas anderes, auch wenn man von so einem angesehenen orthodoxen Rabbiner wie Rabbiner Weinman geführt wird, der versucht hat, meiner Frau und mir das alles nahezubringen. Das war alles schon ein großes Erlebnis.

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