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BERN/INTERVIEW- Israels neuer Botschafter Yitzchak Mayer über sein besonderes Verhältnis zur Schweiz

Gemeinsam die Zukunft bauen

Am 20.Oktober überreichte Yitzhak Mayer dem Bundesrat sein Beglaubigungsschreiben und trat damit offiziell sein Amt als israelischer Botschafter in Bern an. Für den der National-Religiösen Partei "Mafdal" nahestehenden Diplomaten wird dies nicht der erste längere Aufenthalt in der Schweiz sein. So diente er zwischen 1979 und 1980 als israelischer Generalkonsul in Zürich. Für Yitzhak Mayers spezielles Verhältnis zur Schweiz weitaus prägender war aber die 1943 erfolgte Flucht von Belgien in die Schweiz zusammen mit Mutter und Geschwistern. Einer Rückweisung bereits an der Grenze entging Mutter und Kinder nur darum, weil Mayers Mutter hochschwanger war. Der Vater kam in der Schoa um. Mit Yitzhak Mayer sprach für die JR Simon Erlanger.

Jüdische Rundschau: Wie fühlt es sich an, in diesen Tagen wieder in die Schweiz zurückzukehren?

Yitzchak Mayer: Ich bin jetzt zum dritten Mal hier: Von 1979 bis 1980 als Generalkonsul und von 1943 bis 1946. Dabei ist die Zeit von 1943 bis 1946 für mich die prägendere gewesen und für meinen jetzigen Dienst sicher auch die relevantere. Für mich schliesst sich damit ein Kreis. Ich war in der Schweiz als Flüchtlingskind und ich kehre als Botschafter des Staates Israels in die Schweiz zurück. Ich nehme an, dass dies mein letzter diplomatischer Posten sein wird und auch deshalb ist für mich der Dienst in der Schweiz etwas besonderes. Er ist mir wichtig. Vielleicht ist es auch wichtigeres dass die heute vor uns liegenden Aufgaben, von jemanden angegangen werden, der in der Schweiz war und das Land kennt.

Könnten Sie dies etwas Ausführen?

Ein grosser Teil der gegenwärtigen Diskussion um die Schoa wird auf allen Seiten von Leuten geführt, welche diese Zeit nicht mehr selbst erlebt haben. Positiv daran ist vielleicht, dass die von Träumen, Phobien und Hemmungen freien Nachgeborenen ein umfassenderes Bild der Schoa erhalten können, als diejenigen, die sie durchleben mussten. Denn während der Zeitgenosse immer nur einen Ausschnitt der Realität erlebt hat, der Historiker den Vorteil der Gesamtübersicht. Ich kann zu einem bestimmten Zeitpunkt nur an einem Ort sein, die Dokumente könne aber alles dokumentieren. Der negative Aspekt ist aber, dass niemand, der die Zeit der Schoa nicht selbst durchlebt hat, überhaupt verstehen kann, über was gesprochen wird. Niemand kann heute wirklich nachempfinden, was es bedeutete, als Mensch zu einer Zeit zu existieren, als ein Grossteil der Welt sagt, dass man kein Mensch mehr war, sondern Ratten gleichgesetzt wurde! Die Schoa ist nicht nur Auschwitz, nicht nur das grosse Drama. Die Schoa bedeutet unzählige kleine Dramen in deren Zentren die Entmenschlichung der Opfer stand. Dieses Gefühl zwar noch lebend, aber gleichzeitig schon tot und aufgegeben zu sein kann man aus Akten nicht rekonstruieren. Es kann nun sein, dass ich, als jemand der sowohl 1943 die Flucht in die Schweiz als auch 1948 die Geburt Israels miterlebt hat, eine andere Perspektive in die gegenwärtige Kontroverse einbringen kann. Dies kann der Sache nur nützen.

Wie haben sie persönlich 1943 die Schweiz erlebt? Wie haben sie dieses Land empfunden?

Ich werde in kürze Eglisau besuchen, wo ich 1943 aufgenommen wurde. Ich werde meine volle Geschichte anlässlich dieses Besuches erzählen. Wir gelangten von Frankreich her in die Schweiz nachdem ein früherer Versuch bei Annemasse gescheitert war. An der Grenze wollte man uns gleich wieder ausweisen. Meine Mutter war aber hochschwanger und ich, als Kind, schrie, dass man einen Arzt holen musste. Dies geschah. Der Arzt untersuchte meine Mutter und sagte "diese Frau wird nicht ausgewiesen." So blieben wir in der Schweiz und überlebten Wir fanden Aufnahme bei nichtjüdischen und jüdischen Familien. Ich sehe mich als einen Vertreter derjenigen, die von der Schweiz gerettet wurden. Ich bin der Schweiz gegenüber dafür dankbar, dass sie mir das Leben gegeben hat. Es hätte leicht auch anders kommen können! Aber ich bin auch der Vertreter derjenigen, die keinen Einlass erhielten oder zurückgeschickt wurden. Und ich beabsichtige, dem auch Ausdruck zu verleihen.

Wie beabsichtigen sie dies zu tun?

Es gab in der Schweiz eine grosse Anzahl von Menschen die humanitäre Taten ersten Ranges vollführten. Aber nur 28 sind bisher von der Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Yad Vashem als "Gerechte der Völker", die in der Rettung von Juden ihr Leben riskierten anerkannt worden. Es fehlt an Dokumentation. Es gibt aber weitaus mehr als 28 und ich beabsichtige, diese ausfindig zu machen. Dies wird aber nicht durch Zufall geschehen, sondern nur durch gezielte Suche nach Zeugnissen. Ich rufe deshalb an dieser Stelle dazu auf, uns Nachrichten darüber zukommen zu lassen, wer diese bis heute unbekannten Gerechten waren. Es ist wichtig, dass das jüdische Volk sich denen gegenüber, die ihm Gutes erwiesen haben als dankbar erweist. Andererseits bin ich auch sehr froh darum, dass die Schweizer jetzt langsam beginnen, der Wahrheit ins Auge zu schauen. Wir können in dieser Gewissensprüfung nicht helfen. Dies ist eine schweizerische Angelegenheit. Wir könne aber mit der Schweiz zusammen die Zukunft aufbauen. Die Schweiz des Henri Dunant, des Roten Kreuzes, der Menschenrechte ist nicht bloss ein Land, sondern auch ein Konzept, wie auch der Staat Israel ein Konzept ist. Dieses Land hat der Welt Werte gegeben und gezeigt hat, dass es auf der Welt Platz gibt um gemäss Werten zu leben. Nicht zufällig hat sich der politische Zionismus 1897 hier formiert. Anderswo hätte man dies nicht zugelassen.

Würden Sie die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit als zentralen Teil ihrer Tätigkeit bezeichnen?

Nein, dies wird nur ein Teil meiner Tätigkeit sein.

Ist der offizielle Standpunkt des Staates Israel in der Kontroverse um die nachrichtenlosen Vermögen und die schweizer Vergangenheit nicht, dass man keine Stellung bezieht, sich allenfalls im Hintergrund äussert und allfällige Vertretungsansprüche an die diversen jüdischen Organisationen delegiert hat?

Dies muss man differenziert sehen. In der seit 1989 aufgekommenen Frage der Restitution jüdischer Güter in ganz Europa, in deren Rahmen auch die nachrichtenlosen Vermögen auf Schweizer Banken zum Thema wurden, hat der Stadt Israel all seine Vollmachten an den World Jewish Congress bzw. an die "World Jewish Restitution Organisation" delegiert. Nun gibt es aber auch noch eine andere Frage, die weitaus wichtiger ist als etwa Geld: Israel, mit Institutionen wie Yad Vashem, mit Universitäten, mit seinen Institutionen jüdischen Lernens und Erziehung kann bei der Wahrheitsfindung seinen Beitrag leisten, dies nicht nur in der Schweiz sondern auch in anderen von der Geschichte der Schoa direkt betroffenen europäischen Ländern. Diese Wahrheitsfindung kann bei der Gewissensprüfung helfen. Aber wichtiger noch, ist sich zu überlegen, wie man zusammen die Zukunft baut. Zentral dabei erscheint mir, sich zu überlegen, wie man die blutige Geschichte des 20. Jahrhunderts vermittelt? Wie bildet man die Lehrkräfte dafür aus? Was können die Institutionen der verschiedenen Länder dafür tun? Ich hoffe sehr, dass es uns möglich sein wird, in Israel eine Konferenz der Erziehungsministerien aller 43 im Europarat versammelten Länder durchzuführen, an der die Frage behandelt wird, wie man die Geschichte des 20 .Jahrhunderts lehrt. Ich würde es gerne sehen, wenn Israel und die Schweiz bei einer solche Konferenz zusammenarbeiten würden. Aber sicher ist dies nicht der einzige Bereich einer engen Zusammenarbeit.

Welche andere Bereiche gibt es denn noch?

Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Israel gestalten sich sehr eng und sehr freundschaftlich. Wir haben der Schweiz viel zu bieten, in Wissenschaft, Tourismus, Handel und Wirtschaft vor allem auch auf dem Bereich der Hightech.

Sie würden also die bilateralen israelisch-schweizerischen Beziehungen ungeachtet der aktuellen Kontroverse als gut definieren?

Wir sprechen hier von zwei befreundeten Staaten. Ich sprach zwar viel über die Vergangenheit in diesem Interview und möchte daher ausdrücklich betonen, dass ich mich jeglicher Stigmatisierung der Schweiz und der Schweizer widersetze! Ein solche Stigmatisierung würde nicht nur den historischen Tatsachen nicht entsprechen sondern wäre auch menschlich falsch. Ausserdem trägt eine solche Stigmatisierung rein gar nichts zur Wahrheitsfindung bei. Wir als Juden waren Opfer der Stigmatisierung und sollten wissen, was eine solche bedeutet. Die Schweiz hat grosse Taten vollbrachte, aber auch schwerste Irrtümer begangen. Dazu muss man aber auch bekanntmachen, dass die Schweiz ihre Vergangenheit kritisch überprüft. Die Bemühungen der Schweiz, mit der Öffnung der Archive Historikerkommission, Holocaustfonds und Solidaritätsfonds müssen anerkannt werden, ungeachtet der Frage, ob diese Bemühungen etwa erst auf Druck hin begonnen wurden. Die Schritte der Schweiz sind bedeutend. Wenn man weiss, wie schwierig die Offenlegung der Wahrheit in andere europäischen Ländern oft ist, muss man die Bemühungen der Schweiz würdigen.

Was ist eigentlich mit dem auf einen Besuch des damaligen israelischen Aussenministers Schimon Peres in Bern hin erwarteten Gegenbesuch von Bundesrat Flavio Cotti in Israel? Dieser wird ja bekanntlich seit Jahren erwartet und immer wieder mit neuer Begründung verschoben.

Wir geben eigentlich Staatsbesuche nicht gegenüber der Presse bekannt, bevor diese nicht zwischen den Aussenministerien ausgehandelt und im Detail festgelegt worden sind. Ich hoffe aber sehr, dass ich während meiner Amtszeit hier in Bern über mehr als einen Besuch werde berichten können.

Was meinen Sie zum wieder aufgebrochenen Antisemitismus in der Schweiz? Sie erklärten gegenüber den Schweizer Medien, sie wollten die zahlreiche Briefe antisemitischen Inhaltes, welche die Botschaft im letzten Jahr erhalten hat veröffentlichen.

Einer der wichtigsten Arten den Antisemitismus zu bekämpfen, ist ihn öffentlich zu machen und zu entlarven. Nie darf man ihn vertuschen oder verbergen. Ich wehre mich gegen die Ansicht, dass die Öffentlichmachung des Antisemitismus, diesen etwa ermutigt. Während meiner Amtszeit in Zürich kam es zu einer Friedhofsschändung. Die damals vorherrschende Ansicht war, nur ja keine schlafende Hunde wecken, die Tat vor der Presse und der Öffentlichkeit zu verheimlichen, ja nichts zu veröffentlichen. Dies ist falsch. In der Schweiz muss ein öffentliches Klima geschaffen werden, indem die aktiven Antisemiten begreifen, dass sie in der Minderheit und von der Masse der Bevölkerung nicht akzeptiert sind. Darum werde ich diese schrecklichen, nur allzuoft namentlich unterzeichneten antisemitischen Briefe veröffentlichen um die Öffentlichkeit aufzurütteln und zu Bundesgenossen im Kampf gegen den Antisemitismus zu machen.

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