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ISRAEL/IRAK-KRISE - Die Rolle der Medien in einem unkonventionellen Krieg

Mehr als nur ein Sprachrohr

Im Gegensatz zur Golfkrise von 1990/91, als Saddam Hussein drohte, halb Israel zu verbrennen, gab es in der gegenwärtigen Irakkrise keine Hinweise darauf, dass der Irak beabsichtigt, Israel mit Raketen zu beschiessen. Doch dann meinte der Chef der UN-Waffeninspektoren in Irak, William Butler, dass Irak über genügend unkonventionelle Waffenkapazität verfüge, um Tel Aviv zu vernichten. Diese Äusserung führte dazu, dass die israelische Bevölkerung die Fassung verlor.

VON YOEL COHEN

Was unzählige von der israelischen Armee gesponserte Werbespots und Aufrufe in den letzten sechs Jahren nicht geschafft hatten, nämlich die Israelis zum Fassen und Erneuern ihrer ABC-Schutzausrüstung zu bewegen, schaffte Saddam dank Butlers Äusserung in kürzester Zeit. Lange Schlangen bildeten sich vor den Verteilzentren für Gasmasken. Viele Menschen warteten bis zu zehn Stunden. Als bekannt wurde, dass Israel nicht über genügend Masken verfügt, erhöhte sich die Unruhe in der Bevölkerung. Arabischen Regimes im Besitz von Massenvernichtungsmitteln wurde so anschaulich vorgeführt, wieviel psychologischen Druck sie auf die Bevölkerung einer offenen Gesellschaft ausüben können. Für israelische Politiker war die öffentliche Verunsicherung der letzten zwei Wochen ein Vorgeschmack der schweren politischen Pressionen, denen sie im Falle eines Angriffes mit unkonventionellen Waffen ausgesetzt wären. Das Studium ziviler Populationen in Krisensituationen bestätigt, dass es nicht stimmt, wenn argumentiert wird, wenn die Bevölkerung nicht informiert werde, vermeide man Panik. Das Gegenteil trifft zu: Sobald der mündige Bürger darüber unterrichtet wird, was vor sich geht, und darüber, was er gegen die Gefahr tun oder eben auch nicht tun kann, beruhigt er sich. In Israel wurde dies klar illustriert. In einer Umfrage der Tageszeitung «Jedioth Achronoth» gaben zuerst 47 Prozent der Bevölkerung an, ruhig zu sein. Nachdem sich Premier Benjamin Netanyahu und einige hohe Militärs zwei Tage später mit beruhigenden Worten an die Öffentlichkeit gewandt hatten, stieg der Anteil derjenigen, die Nervenstärke und Zuversicht demonstrierten, auf 62%. Dass sich immer noch mehr als ein Drittel der Bevölkerung als verunsichert bezeichneten, zeigt ein ernsthaftes Problem auf.

Lehren gezogen

Aus dem Golfkrieg von 1991 wurden verschiedene organisatorische Lehren gezogen. Diese hätten nun erstmals ihre Anwendung finden sollen. Die Schaffung eines Informationszentrums der Armee und die Ernennung eines Sprechers für den Zivilschutz waren während des Golfkrieges Schritte in die richtige Richtung. Anderseits zeigt das Fehlen jeglichen Bewusstseins der Gefahren der biologisch-chemischen Kriegführung und der Unkenntnis der Schutzmassnahmen in der Bevölkerung, dass die Lektion der Vermeidung eines «Informationsvakuums» in Israel nicht begriffen worden ist. Die Beziehungen zwischen den Militärs und den Medien bewegten sich bis anhin um die Fragen des Zugangs zum Schlachtfeld und der militärischen Pressezensur. In einem mit unkonventionellen Waffen ausgetragenen Konflikt gibt es aber keine Trennung mehr zwischen Front und Hinterland. Die Zivilbevölkerung ist zentral betroffen. Ihre Moral und Durchhaltekraft kann über Sieg und Niederlage und im Falle Israel über das Überleben entscheiden. Deshalb muss der Bereich der Informationspolitik, die Beziehungen zwischen Militär und Presse neu überdacht werden. Die Öffentlichkeit muss ähnlich wie Kampftruppen mit Instruktionen und Verhaltensregeln für den Notfall ausgestattet werden. Für die Militärs erschöpfte sich die Rolle der Medien bis anhin darin als Filter für Communiqués und als Resonanzboden für «Briefings». In Zukunft werden die Medien aber eine zentralere Rolle einnehmen müssen. Der Armeesprecher wird in der künftigen Kriegführung in die operationelle Planung miteinbezogen sein. Der Golfkrieg von 1991 diente hierfür als Hauptprobe.

Reaktion statt Aktion

Israels zwiespältige Haltung bezüglich seines nie bestätigten eigenen nuklearen, chemischen und biologischen Potentials macht es jeder Regierung schwer, offensiv aufzutreten. Alles, was Regierungs- und Armeesprecher tun können, ist, gegenüber der Bedrohung passiv aufzutreten und der Zivilbevölkerung zu raten, sich angemessen zu schützen. Aber auch das muss wohl überlegt sein. Öffentliche Information bezüglich Schutzmassnahmen kann dem Feind nämlich Hinweise über den Grad der Bereitschaft geben, so geschehen in der «Gasmasken-Krise» vorletzte Woche. Netanyahus Entscheidung, in seinen anfänglichen Äusserungen ein «niedriges Profil» einzubehalten, reflektiert das Dilemma der politischen Führung in einer offenen Gesellschaft, wo Botschaften, die dazu bestimmt sind, die israelische Öffentlichkeit zu beruhigen, auch in Bagdad und Teheran gehört werden.

Die Öffentlichkeit benötigt eine Figur, die ihr hilft, Nachrichten und Informationen zu filtern und die Moral aufrechtzuerhalten. Nachman Shai, der äusserst populäre Armeesprecher des Krieges von 1991, half durch seine Präsenz so manchem, die Nächte mit aufgesetzter Gasmaske in den versiegelten Räumen zu überstehen. Allerdings erscheint ungewiss, was mit der hohen Moral der Bevölkerung geschehen wäre, hätten die irakischen Scuds mehr Schaden angerichtet oder wären sie gar mit chemischen Gefechtsköpfen bestückt gewesen. Ausserdem muss gefragt werden, ob es wirklich die Aufgabe eines militärischen oder zivilen Beamten ist, die Moral der Bevölkerung hochzuhalten oder ob das eigentlich nicht Regierungsminister tun müssten.

Ungehinderter Informationsfluss

Im Sechstagekrieg von 1967 und im Jom-Kippur-Krieg von 1973 erfüllten der nachmalige Präsident Chaim Herzog und Aharon Yariv ihre Aufgabe als Armeesprecher. Der Unterschied zwischen damals und heute besteht in der Fülle der Informationen, Nachrichten und Bilder. Dies macht es schwieriger, die zum Durchhalten nötige Stimmung in der Bevölkerung zu halten, vor allem im Falle anfänglicher Rückschläge wie etwa 1973. Das israelische Quartier des «global village» wird gekennzeichnet durch intensive Kommunikation mit dem Ausland, etwa durch das Internet oder den Nachrichtensender CNN, aber auch im Inland durch das Kabelfernsehen mit seinen 40 Kanälen und generell durch das Ende des staatlichen Fernseh- und Rundfunkmonopols und der Verbreitung von zahlreichen privaten Sendern. Der Informationsfluss lässt sich nicht mehr steuern, kontrollieren oder gar zensurieren. Diese für eine Demokratie an sich gesunde Entwicklung führt dazu, dass die Bevölkerung darauf vorbereitet sein muss, in Kriegs- und Krisensituationen mit sehr unbequemen und schlimmen Fakten konfrontiert zu werden. Andererseits vermitteln z.B. Filme darüber, wie Saddam durch bakteriologische und chemische Kriegführung ganze kurdische Dörfer auslöschte, den israelischen Bürgern Informationen zur Einschätzung der gegenwärtigen Krise und tragen damit nicht zur Panik, sondern zur Beschlussfassung im demokratischen Prozess bei.

Die Medien sind der wichtigste Kanal, wenn es darum geht, die Öffentlichkeit zu erreichen, sowohl zur Übermittlung von Instruktionen als auch zur Aufrechterhaltung der Moral. In einer Demokratie ist es aber wichtig, darauf zu achten, dass die Grenzen zwischen staatlichen Instanzen und den unabhängigen Medien nicht verwischt werden. Gerade in Zeiten, wenn wichtige Entscheidungen bezüglich des Überlebens der Nation getroffen werden, haben die Bürger Anrecht auf objektive, unabhängige Berichterstattung und kundige Kommentare. Die Verschmelzung der Sendungen der Radiosender von «Kol Israel» und «Galei Zahal», wie etwa 1991 geschehen, stellte zwar sicher, dass die Instruktionen an die Bevölkerung einheitlich erfolgten, stand aber im Widerspruch zum Konzept der pluralistischen Medien. Deshalb ist heute nicht vorgesehen, Sender zusammenzulegen, ausser für dringende Ansagen der Armee.

Auswirkungen auf die Medien

Die möglichen Auswirkungen der verschiedenen Formen der unkonventionellen Kriegführung auf das Funktionieren der Medien als Kanäle für Verlautbarungen der Armee an die Bevölkerung wurde von den militärischen Planern als gegeben angenommen. In einem künftigen atomaren Konflikt würde das Funktionieren der Medien aber gefährdet sein. Zwar wurden in den Jahren seit 1991 für das erste und das zweite Fernsehprogramm atomsichere Studios gebaut, damit die beiden Kanäle auch nach einem Angriff weitersenden können. Würde aber die Elektrizitätsversorgung ausgeschaltet, wäre der einzige Weg zur Aufrechterhaltung des Sendebetriebs über batteriebetriebene Systeme. Der Zusammenfall jeglicher Kommunikation würde die in Israel allgegenwärtigen Funktelefone unerlässlich machen. Von biologischer und chemischer Kriegführung wären das technische Funktionieren von Sende- und Kommunikationsanlagen weniger betroffen. Allerdings wagt man sich die Auswirkungen von Nervengiften, Viren und Bakterien in einem Bevölkerungszentrum wie Tel Aviv, wo die meisten Studios, Druckereien und Verteilzentren sind, kaum vorzustellen. Deshalb denken militärische Planer an die Errichtung alternativer Kommunikationskanäle. Dabei darf man nicht vergessen, dass etwa das Internet seinen Ursprung in einem Kommunikationsnetz hat, das die US-Army in den achtziger Jahren für den Fall eines Atomkriegs zwischen diversen Kommandozentralen und Operationszentren errichtete. Information allein genügt aber nicht. Obwohl die Israeli während des Golfkrieges über alle Fakten verfügten und obwohl sie nach der Invasion Kuwaits durch den Irak bis zum Kriegsausbruch sechs Monate Zeit hatten, trafen sie die irakischen Raketenangriffe von 1991 relativ unvorbereitet. Die Bevölkerung von Tel Aviv verliess zu grossen Teilen die Stadt. Der Zeitpunkt, die Öffentlichkeit über die Effekte und Gegenmassnahmen gegen chemische und biologische Kriegführung aufzuklären, ist deshalb nicht in einer Krisenzeit selbst, sondern in den ruhigen Jahren zwischen den Kriegen. Die langen Schlangen vor den Verteilstationen der Gasmasken legen beredtes Zeugnis von den Versäumnissen der sieben Jahre seit dem Golfkrieg ab. Die Israelis wurden für die neuen Gefahren nur ungenügend sensibilisiert. Wie auch immer die jüngste Irakkrise ausgehen wird, Politiker, Erzieher und Meinungsmacher müssen in den kommenden Monaten und Jahren den Israelis ruhig und geduldig mit dem neuen Zeitalter der unkonventionellen Kriegführung vertraut machen.

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