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Jüdische Weisheit
 
 
INTERVIEW/SCHWEIZ Rolf Bloch über den SIG und den Holocaust-Fonds

«Ich möchte meine Aufgabe zu Ende führen»

Für Rolf Bloch ist der November 1997 ein wichtiger Monat. Am 13. November diskutiert die Geschäftsleitung (GL) des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) mit dem Centralcomitee (CC) das «Papier Lévy», das Produkt einer Arbeitsgruppe, die sich mit dem SIG nach dem Jahr 2000 beschäftigt - dem Jahr, in dem Rolf Bloch als SIG-Präsident zurücktreten will. Ende November sollten dann endlich die ersten Millionen des Spezialfonds für Holocaust-Opfer zur Auszahlung gelangen. Der Jurist und Chocolatier ist im Herbst 1997 ein Mann für alle Jahreszeiten: Als Präsident des Fonds steht er oft im Regen. Als Präsident des SIG muss er verhindern, dass der Gemeindebund in ein Gewitter gerät. Wirtschaftsverbände vertrauen auf sein Know-how. Im Gespräch mit der JR skizziert Rolf Bloch (67) seine öffentliche Mehrfachrolle, seine Probleme und seine Wünsche.

Jüdische Rundschau: Weshalb hat niemand daran gedacht, dass die Suche nach unterstützungsbedürftigen Überlebenden des Holocaust Geld kosten wird?

Rolf Bloch: Normalerweise wenden Hilfswerke zehn Prozent der Hilfssummen für Administration auf. Wir dürfen das nicht. Die jüdischen Organisationen wollten ihre Spesen selber tragen, was nur bis zu einem gewissen Punkt möglich sein wird; die nichtjüdischen haben nicht einmal ein Sekretariat. Wir wollen aber höchstens fünf Prozent des Gesamtbetrages von rund 280 Millionen dafür ausgeben. Im September kam dieses Problem ans Licht, ich wurde Anfang Oktober beim Bundesrat vorstellig und erlebte beim Finanzdepartement eine reservierte Reaktion. Wir warten immer noch auf die Antwort des Bundes. Meine Arbeit ist ein Hürdenlauf.

Darf die Verzinsung für Spesen aufgewendet werden?

Nein, wir müssen sie zum Kapital schlagen.Das Fondssekretariat wird aber vom Bund finanziert.Die Kosten in der Schweiz werden bezahlt. Als ich noch kein Sekretariat hatte, von April bis August, leistete mein eigenes Sekretariat die Arbeit. Es ist nicht unbedingt die Aufgabe einer Schokoladenfabrik, die Arbeit des Bundes zu übernehmen (lacht). Zum Glück habe ich ein gutes Verhältnis zum Hauptaktionär… Die Opfer im Westen sind neidisch auf jene im Osten, weil nur diese Geld bekommen werden.Dieses «nur» ist falsch. Die Osteuropäer sind einfach die ersten. Anschliessend kommen auch andere dran, allerdings nur Bedürftige. Es handelt sich ja nicht um eine Wiedergutmachung, sondern um eine humanitäre Hilfe.

Wird sich die Debatte entspannen, sobald die Verteilung des Fonds-Geldes läuft?

Es werden sich neue Fragen stellen.Und die Generaldebatte über die Vergangenheit der Schweiz? Der Fonds ist der Gegenposten der Schweiz auf der Habenseite. Die Diskussion wird so lange weitergehen, bis wir wieder Boden unter den Füssen spüren. Als ich 20 Jahre alt war und in den Spiegel schaute, sah ich einen Mann mit viel Haar. Wenn ich 50 Jahre lang nicht in den Spiegel geschaut hätte, würde ich feststellen, dass ich heute ganz anders aussehe. Auch der Spiegel der Schweiz zeigt nach 50 Jahren ein anderes Bild. In diesem Prozess stecken wir jetzt. Man hält uns einen Spiegel vor, und wir erkennen uns fast nicht mehr. Das ist frustrierend. Es gibt einige, die schöner werden, aber nicht alle…

Wie beurteilen Sie die Finanzboykotte, die in den USA drohen?

Ich bin immer gegen Boykotte gewesen, schon aus jüdischer Erfahrung. Einst hiess es «Kauf nicht beim Juden», jetzt soll es heissen «Kauf nicht beim Schweizer», das verursacht bei mir Unbehagen. Ich glaube allerdings nicht, dass ein systematischer Boykott geplant wird. Der Schatzmeister von Kalifornien ist kaum jüdisch, weil er Fong heisst. Er hat einfach überreagiert. Aber Alan Hevesi aus New York ist ein ungarischer Jude, der seine Familie verloren hat. Er kennt eigentlich nur eine negative Beurteilung, und diese betrifft die UBS.

Glauben Sie, dass sich die Situation verbessern könnte, wenn Verwaltungsratspräsident Robert Studer zurücktreten würde?

Es wäre sicher besser, wenn er eine andere Position vertreten würde. Aber ob er das kann, ist eine zweite Frage. Er zeigt mindestens in der Kommunikation Schwierigkeiten.

Wo hat der SIG sein Geld angelegt?

Hauptsächlich bei der Bank Dreyfus in Basel.

Geriet der SIG durch diese Debatte in die Krise?

Der SIG erlebt seine Stürme im Wasserglas, man diskutiert manchmal sehr demokratisch und endlos über Bagatellen. Erst in einer Krise muss man sich bewähren. Was in einem selber steckt, muss herauskommen. In ruhiger Zeit spielt es keine Rolle. Doch dort, wo es einen Führungsanspruch braucht, eine Zielsetzung, kommt das zum Tragen. Der SIG hatte vorher keine grösseren Probleme mehr. Es wurde verwaltet, damit alles einigermassen gut lief. Grössere Aufgaben der letzten Jahre waren die Bosnien-Flüchtlinge, für die wir uns einsetzten. Wir versuchten auch alles, um das drohende Schächtverbot für Geflügel abzuwenden. In der Krise zeigt sich das wahre Gesicht. Die Schweizer taten sich schwer damit, aus dem «courant normal» herauszukommen. Der SIG reagierte schneller.

Auch die Schweizer Juden reagierten anfänglich lustlos auf das Thema «Nachrichtenlose Vermögen». Fühlten Sie sich überhaupt von den Gemeinden getragen? Ausser der ICZ redete eigentlich niemand mit.

Am Anfang warf man uns vor, wir würden unsere Entscheide zu oft selber treffen, wenn wir sehr rasch reagieren mussten und keine langen demokratischen Diskussionen führen konnten. Wir mussten oft von einer Stunde auf die andere entscheiden. Aber dann legten wir die Strategie des SIG immer wieder dar, zum Beispiel an der letzten Delegiertenversammlung, und kurz darauf wurden wir von den Schweizer Juden getragen.

Wie bewältigen Sie Ihre Doppelrolle? Spielt der SIG bei Ihnen momentan die zweite Geige?

Ich spiele sogar drei Geigen. Eine grosse Geige ist die wirtschaftliche, von Chocolats Camille Bloch bis zum Vorort. Dann gibt es die SIG-Geige und die Fonds-Geige. Alle miteinander zu spielen, ist recht schwierig. Einmal ist diese wichtiger, einmal die andere.

Sie erwecken nie den Eindruck, als würden Sie gerne delegieren. Und der SIG ist von der Struktur her immer noch eher eine Art Präsidialdiktatur wie die USA oder Frankreich.

Ich habe immer delegiert. Beim Thema Vergangenheit bildeten wir sofort die Delegation Bloch-Lyssy-Donath-Rosenfeld für Aussenbeziehungen. Auch die Ressorts arbeiten selbständig. Ich bin vielleicht der Vordenker und habe dadurch einen gewissen Einfluss. Aber jetzt komme ich immer weniger zum Überlegen. Ich eile von Termin zu Termin.

Sie wurden als Person zum Fondspräsidenten gewählt, aber nicht zuletzt auch als SIG-Präsident. Trägt der SIG die Verantwortung für den Fonds mit?

Auf gar keinen Fall. Zwischen SIG und Fonds muss es eine strikte Trennung geben, für den Fall, dass im Fonds etwas schiefläuft. Natürlich wählte man als Fonds-Präsidenten nicht einfach einen gutqualifizierten Juden; von dieser Sorte hätte es noch andere gegeben. Ich wurde als Präsident des SIG gewählt. Eine Nichtwahl wäre eine Ohrfeige für den SIG gewesen. Ich möchte nicht, dass das Prestige des SIG übergangen wird. Aber das heisst andererseits nicht, dass er eine aktive Rolle spielen soll.

Wie lange dauert Ihr Engagement beim Fonds?

Wir sind auf drei Jahre gewählt, und wenn es im bisherigen Tempo weitergeht, werden wir mit allen Schlussabrechnungen diese Zeit wohl brauchen.

Als SIG-Präsident wollen Sie an der Delegiertenversammlung des Jahres 2000 zurücktreten.

Spätestens… Als Präsident der Gemeinde Bern trat ich vor Ablauf der Amtszeit zurück, aber das hatte ich angekündigt. Beim SIG möchte ich noch meine laufende dritte Amtszeit beenden, obwohl ich nochmals vier Jahre bleiben könnte. Ich will auch andere Ämter abgeben.

Sind Sie schon daran, Ihre Nachfolge zu regeln?

Das ist eine heikle Frage. Es ist noch sehr früh.

Das sagte Bundeskanzler Kohl bis vor kurzem auch.

Ich habe keine Angst, dass wir keinen Nachfolger finden, es wird wahrscheinlich mehrere Kandidaten geben. Es ist aber nicht an mir, dem SIG einen Kandidaten aufzudrängen, mit dem Anspruch, dass er gewählt werden müsse, auf dass ich mich in ihm perpetuiere. Der künftige Präsident soll ja nicht gegen den SIG arbeiten, sondern mit ihm.

Es gibt für Sie keinen Kronprinzen?

Nein.

Von einer Kronprinzessin zu reden, wäre ohnehin sinnlos.

Stimmt. Aber wie ich jene kenne, die sich als Kronprinzessinnen eignen würden, denke ich nicht, dass sie überhaupt interessiert wären. Es ist nicht immer einfach, sich zu exponieren. Und Nervenkrisen gibt es beim SIG auch in ruhigen Zeiten genug.

Der SIG steht unmittelbar vor schwierigen Entscheidungen. Wollen Sie hier noch die Weichen über das Jahr 2000 hinaus stellen?

Es sind normale Probleme, die auf uns warten. Sie benötigen Meinungsbildungen, das dauert eine gewisse Zeit. Bevor alles reif ist, kann ich nichts ausrichten.

Fallen am 13. November wichtige Entscheide?

Das liegt im Bereich Rangierbahnhof. Ich denke, dass noch keine Weichen gestellt werden. Der SIG ist trotz Ihrem Bild von einer Präsidialdiktatur eine Demokratie, wenn es um Entscheide über Strukturen und Statuten geht. Für Sachgeschäfte, bei denen rasch gehandelt werden muss, besitzt auch der SIG allerdings eine Exekutive, das bereitet manchmal Schwierigkeiten. Wenn einmal als Strategie festgelegt wird, dass wir von Bern nach Zürich fahren wollen, so bestimme ich die Abfahrtszeit und frage nicht lange, mit welchem Zug ich reisen soll.

Haben Sie eine Vision des SIG nach dem Jahr 2000?

Nein. Ich hätte den Wunsch gehabt, einen professionelleren SIG zu kreieren. Es stellte sich die Frage, ob das Generalsekretariat in eine Direktion umzuwandeln sei und die GL nur noch als Strategieorgan fungieren soll. Aber diese Vision wurde abgelehnt, die Delegierten wollten beim Milizsystem bleiben. Ich zog den Schluss daraus, dass sie das Problem nicht als brennend taxieren. Wir müssen aber einen schnelleren Entscheidungsmodus finden. Dazu müssten wir unsere Organe straffen.

Zum Beispiel?

Brauchen wir sieben GL-Mitglieder oder genügen fünf? Soll es ein CC geben oder die kleinere Präsidentenkonferenz? Soll die Delegiertenversammlung gestrafft werden, bis sie nur noch so gross ist wie das gegenwärtige CC? Können wir unsere Organe modernisieren und effizienter gestalten?

Denken Sie, dass der SIG ein politischer Dachverband mit der ganzen Bandbreite von rechts bis links werden könnte?

Essentiell erfüllt er die politische Aufgabe, die Rahmenbedingungen für die Juden in der Schweiz so gut wie möglich zu gestalten. Daneben hat er auch die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es überhaupt ein Schweizer Judentum gibt. Sobald das rein Politische verlassen und das kulturell-religiöse Gebiet betreten wird, stellt sich die Frage der religiösen Akzeptanz der Mitglieder. Wenn man das völlig ausschalten würde, dann kann man sich am Schluss fragen, für welche Juden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Wir wollen kein Reservat, keinen Nationalpark, kein Museum, in dem es noch ein paar Juden gibt. Mit seinen finanziellen Mitteln kann sich der SIG keine ehrgeizige Planung leisten und keine grossartigen Visionen. Ich frage mich, ob wir die kulturell-religiösen Funktionen nicht einer Stiftung übertragen sollten, die allen Leuten offensteht und mehr Mittel findet, weil mehr Leute mitarbeiten wollen. Eine Stiftung hat keine Mitglieder, sondern Mittel und Mitarbeiter. Und dann könnte sich der SIG völlig auf die politische Ebene zurückziehen, die weniger Mittel benötigt. Damit hätten wir die Frage, die uns polarisiert, endlich neutralisiert und könnten uns mit Mitgliedern aus allen Kreisen zusammentun.

Aber auch in einem politischen SIG wird es wohl kaum ein Nebeneinander orthodoxer und liberaler Gemeinden geben.

Das weiss ich nicht. Ausgeschlossen wäre es nicht. Denn auf die eben skizzierte Weise hätten wir die religiöse Frage separiert, aber wir hätten sie nicht abgewürgt, sondern belebt; wir hätten sie nicht ausgeklammert, sondern ihr einen anderen Stellenwert gegeben.

Kostete die ganze Vergangenheitsdebatte den SIG zusätzliches Geld?

Wir haben gar kein Budget dafür. Wenn ich nach New York reisen muss, zahlte ich bisher meine Reisespesen teilweise aus der eigenen Tasche. Ich sagte bereits dem Kassier, dass wir im nächsten Budget etwas vorsehen müssen.

Ihre Öffentlichkeitsarbeit scheint Ihnen trotz allem Freude zu bereiten, sicher der Fonds, der SIG vielleicht etwas weniger.

Mein Judentum wird nicht durch orthodoxe Praxis bestimmt, aber ich habe das Gefühl, ich müsse einen Beitrag leisten, wenn ich das kann und man einen von mir verlangt. Ich nahm das SIG-Präsidium seinerzeit an unter dem bernischen Motto «servir et disparaître», dienen und verschwinden. In die Fondsleitung kam ich, weil ich an jener Wegkreuzung stand, als jemand vom SIG die Aufgabe übernehmen musste. Dieses Präsidium zählt nicht zu «servir et disparaître». Ich sage Ihnen sehr gern, was mir bisher in der jüdischen Arbeit am meisten Freude bereitete: das Präsidium der Jüdischen Gemeinde Bern. Als Gemeindepräsident hatte ich keine abstrakten, sondern konkrete Probleme, ich genoss den Kontakt mit Mitgliedern, mit Menschen. Im SIG habe ich nur sehr indirekt Kontakt zur Basis, dafür aber zum engsten Kreis, in dem sich Freundschaften entwickelten, die mir viel bedeuten. Im Fonds gab es für mich noch keinen einzigen menschlichen Kontakt ausser mit den Mitarbeitern und der Leitung. Vielleicht gibt es dereinst Kontakt zu den Opfern, aber da fühle ich mich von vornherein unbehaglich, weil ich kein typischer Wohltäter bin. Freude? Ich bin froh, wenn ich etwas bewirken kann.

Was wünschen Sie sich für sich selber?

Lesen, reisen, aber nur in Länder, deren Sprache ich beherrsche. Es wäre bestimmt hochinteressant, nach Indien oder nach China zu reisen, um diese Kulturen kennenzulernen. Aber das wäre ungefähr so, wie wenn ich ins Museum gehe. Mit Gegenständen muss ich nicht sprechen. Ich ziehe es vor, in der Landessprache mit den Leuten zu reden, notfalls unter Zuhilfenahme von Händen und Füssen. Ich mag das Gefühl, sie zu verstehen.

Darauf müssen Sie noch ein wenig warten.

Zwei bis drei Jahre, bis ich fertig bin. Ich möchte meine Aufgaben zu Ende führen.

Interview: Gisela Blau

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