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VERGANGENHEIT / KONTROVERSE- Simon-Wiesenthal-Institut publiziert umstrittenen Bericht zur Schweiz

Übertreibungen und Verfälschungen

Die Schweiz sei von 1930 bis 1945 «durchsetzt» gewesen von Nazi-Gruppen, die einen starken Einfluss auf die Regierung gehabt hätten. Solch überrissene Behauptungen lancierte gestern einmal mehr Alan Morris Schom im Auftrag des amerikanischen Simon Wiesenthal Centers. Bundespräsident Cotti wies den Bericht als beleidigend und perfid zurück. Für Botschafter Thomas Borer ist sie absurd. Rolf Bloch, Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG), nannte ihn einseitig und überzeichnet; Martin Rosenfeld bezeichnete ihn am Fernsehen als unausgewogen, weil er den falschen Eindruck erwecke, das ganze Schweizervolk habe aus Nazis bestanden. Und Jacques Picard, Forschungsleiter der Unabhängigen Expertenkommission, dem Schom im Vorwort an erster Stelle für seine «Kooperation» dankt, bestätigte in der NZZ, dass er ihn diese Woche erstmals gesehen und lediglich seinerzeit auf die öffentlichen Schweizer Archive verwiesen habe; Picard distanzierte sich gegenüber der Absicht und der Methodik dieser Arbeit.

VON GISELA BLAU

«Gott schütze mich vor meinen Freunden - vor meinen Feinden schütze ich mich selber.» Das alte Sprichwort erhält neue Gültigkeit, zumindest für die in der Schweiz lebende jüdische Gemeinschaft. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum (SWC) in Los Angeles, das mit dem grossen alten Nazijäger in Wien nichts als den Namen gemeinsam hat, schlägt wieder einmal zu und wird dies, so lässt eine Fussnote im neuesten Machwerk befürchten, auch in Zukunft wieder tun. Am Dienstag wurde eine Schrift publik, zusammengeschustert vom gleichen Alan Morris Schom, der bereits im Januar im Auftrag des SWC eine zweifelhafte Studie über «Sklavenarbeitslager für Juden» in der Schweiz vorgelegt hatte. Schom ist von Haus aus Verfasser von Biografien aus napoleonischer Zeit, deren Opfer sich nicht mehr wehren können. Er wäre besser dabei geblieben.

Starkes Stück

Niemand wird behaupten wollen, es habe während der Nazizeit in der Schweiz keine mehr oder weniger aktiven Faschismus- oder Nazi-Sympathisanten, keine NSDAP-Ortsgruppen, keine Freiwilligen in der Waffen-SS, kein Opfergold in der Nationalbank, keinen Handel mit Nazideutschland gegeben. Aber zu behaupten, das ganze Volk habe zu den Sympathisanten gehört, wie in keinem anderen europäischen Land, das ist ein starkes Stück, vor allem, wenn so viele Details peinlich falsch dargestellt sind. Dass der überwiegende Teil der Bevölkerung gegen Hitler war, ist eine Tatsache. Dass Soldaten deutschfreundliche Offiziere hassten, ebenfalls. Es stimmt also, wenn Bundespräsident Cotti von der Beileidigung einer ganzen Generation spricht, selbst wenn einige tausend damals auf der falschen Seite standen. Auch die Schweizer Juden bekommen im übrigen ihren Teil vom ungeniessbaren Schomschen Kuchen ab. Die Flüchtlingspolitik wird im übrigen nicht eigentlich dem Bundesrat zugeschrieben, sondern dem ihn beeinflussenden Vaterländischen Verband. Schom zitiert kritiklos aus bekannten Dokumenten, die dies beweisen sollen.

Die «Studie» ist auch physisch dünn. Die 128 Seiten enthalten Fotos (auch der Bundesräte, von denen jeder ausser Enrico Celio heimlich eine Pro-Nazi-Gruppe unterstützt habe), die Liste und Charakteristika der nazifreundlichen Gruppen und Grüppchen, antisemitische Karikaturen, antisemitische Zitate aus Zeitungen und Pamphleten, sogar die Aufstellung der jüdischen Population in der Schweiz, mithin nichts, was sich nicht im Sozialarchiv der Stadt Zürich, in der Dokumentationsstelle jüdische Zeitgeschichte im Archiv für Zeitgeschichte an der ETH Zürich und im Bundesarchiv findet.

Eine wissenschaftliche Arbeit ist so gut wie die Genauigkeit ihrer Fakten. Bei Schoms «Survey of Nazi and Pro-Nazi Groups in Switzerland 1930-1945» beginnen die Fehler bereits im ersten Absatz des Vorworts, «jeder einzelne der 21 Kantone» (damals waren es 22) und das Innerste der Schweizer Gesellschaft seien durchsetzt gewesen von «Pronazis, faschistischen und superpatriotischen Gruppen», von «den Arbeiterklassen bis zur herrschenden Elite».

Falsche Zahlen

Die Zahlen, die Schom liefert, könnten erschrecken, wüsste man es nicht seit jeher besser. Die Fronten hatten zu ihrer Blütezeit keine «25 000 oder so» Mitglieder, sondern 9200, was noch immer zuviel war. Die NSDAP-Gruppen in der Schweiz zählten nicht 130 000, sondern knapp 3000 Mitglieder, was jedermann wissen kann, der sich mit jener Zeit seriös auseinandersetzt. Die Grüppchen waren teilweise so klein und so abstrus, dass sie sich schon vor Kriegsbeginn von selber auflösten; die wichtigeren wurden von den Behörden verboten. In der Vielzahl lag zudem eher Schwäche als Stärke; Zersplitterung ist kein Machtfaktor.

Wichtig sind dabei nicht einmal die offensichtlichen Fehler. Es ist schon beinahe nebensächlich, dass Feldkirch nicht wie Kilchberg in der Schweiz liegt; es ist beinahe eine Marginalie, dass in der Schweiz nicht «1200 Elitesoldaten für die Waffen-SS trainiert» wurden, sondern ebenso viele Schweizer freiwillig und meist illegal über die Grenze dorthin desertierten. Die Schweizer Industrie, deren einzelne Vertreter tatsächlich gerne und einträglich Geschäfte mit Nazideutschland tätigten, baute auch nicht während des Krieges in ganz Deutschland Betriebe auf, in denen sie Sklavenarbeiter beschäftigten. Natürlich gab es solche Filialen jenseits der Grenzen, die genau dies taten und deshalb untersucht werden. Es werden Vorwürfe gegen einzelne Personen aus der Arbeit über die «Sklavenarbeitslager» in der Schweiz wiederholt, wodurch sie allerdings auch nicht wahrer werden.

Mit den Vorwürfen gegenüber seinem Vater in der Affäre des Kaufs der deutschen Tabakfirma Strauss musste sich Bundesrat Kaspar Villiger schon vor Jahren auseinandersetzen. Von daher rühren Schoms Vorwürfe gegenüber dem Nachkommen im Bundesrat. Natürlich ist es richtig, dass ein widerstrebender Villiger 1995 dazu gedrängt werden musste, als amtierender Bundespräsident das Jubiläum des Kriegsendes überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn eine Gedenkstunde anzuberaumen. Aber dann distanzierte er sich doch in seiner bekannten Rede von der Flüchtlingspolitik des damaligen Bundesrates.

Man spürt die Absicht

Wichtiger als die Fehler ist die Absicht hinter der «Studie». Sie scheint heute, nach dem zweiten Schomschen Machwerk, noch deutlicher als im Januar nach den «Sklavenlagern»: Dem Simon Wiesenthal Center, das sich auf anderem Gebiet grosse Verdienste erworben hat, kommt aus biologischen Gründen 54 Jahre nach Kriegsende langsam der ursprüngliche Lebenszweck seines Namensgebers in Wien - die Jagd auf Naziverbrecher - abhanden. Es muss offenbar ein neues Betätigungsfeld suchen.

Das Thema Vergangenheitsbewältigung und die publicity- wie geldträchtigen Angriffe auf die Schweiz hat es zuerst verschlafen. Aber gänzlich wollen die leitenden Rabbiner das Feld dennoch nicht dem rivalisierenden Jüdischen Weltkongress überlassen. Deshalb eine Sammelklage gegen die Schweizer Grossbanken, auch nicht als erste, sondern als Trittbrettfahrer eines sich als publikumswirksam erweisenden Trends. Und deshalb wohl auch die Machwerke von Schom. «Natürlich gab es in der Schweiz Kreise, die den Nazis nahestanden», relativiert ICZ-Präsident Rom. «Aber in dieser pauschalen Form sind die Vorwürfe nicht vertretbar.»

Fussnote 3 auf Seite 107 lässt Böses ahnen: «To be discussed shortly», wird demnächst diskutiert, heisst es hier in bezug auf das auf Seite 49 zitierte Dokument Nr. 7 aus den Handakten von Heinrich Rothmund. Es scheint sich um die bekannte Anfrage von Albert Maag-Socin im Nationalrat vom 13. Juni 1944 zu handeln, in der er mit 40 Mitunterzeichnern Auskunft über die Verprügelung jüdischer Flüchtlinge im Arbeitslager Sierre durch alkoholisierte lokale Jugendliche verlangte und vom Bundesrat Auskunft erbat, ob die entsprechende Rhetorik des Vaterländischen Verbandes nicht verurteilt werden sollte. Offenbar bezieht sich Schom auf die Tatsache, dass diese wirklich mächtige, weil zahlreiche mächtige Mitglieder zählende Gruppierung nicht nur allerlei Denunzierendes an den Bundesrat weiterleitete, sondern dafür auch geheime Dokumente aus Eduard von Steigers Justiz- und Polizeidepartement erhalten haben soll. Schoms dritter Streich ist also zu erwarten. Und die Konsequenzen hier, wo kein Fundraising für das Simon Wiesenthal Center stattfindet, sondern harte Alltagspolitik mitten in der Sommersession des Parlaments? «Erregungen und Empörungen der Menschen» schweissen das Land, die Nation zusammen, schrieb der Zuger Ständerat Andreas Iten im Pressedienst seiner FDP vom 4. Juni. Die «Aufrüttelung der heiligsten Gefühle» führe «zu einem Trotzverhalten, das zusammenbindet». «Man ist als kollektiv Angeklagter vielleicht mehr Schweizer, als wenn man in Ruhe gelassen wird.»

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