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SCHWEIZ / FALL SPRING -

Ansprüche durch Zeitablauf verwirkt?

Dies ist die zweite Rückweisung des Joseph Spring. Die erste hätte ihn beinahe das Leben gekostet. Heute hat der Bundesrat nichts als «Mitgefühl und Bedauern» übrig. Die Genugtuungsforderung des ehemaligen Flüchtlings wurde am Dienstag mit empörenden Begründungen abgewiesen. Wie schon im ähnlichen Rechtsfall Charles Sonabend behauptet der Bundesrat, die Ansprüche seien zeitlich «verwirkt» und «materiellrechtlich nicht begründet».

VON GISELA BLAU

Er sei sehr enttäuscht, sagte Joseph Spring am Dienstag sehr gefasst am Telefon zu einem Reporter von Schweizer Radio DRS. Spring ist jetzt 71 Jahre alt und lebt seit 1946 in Australien, wohin er nach seiner Befreiung aus Auschwitz im Alter von 19 Jahren auswanderte. Die Schweizer Regierung hat am Dienstag seine Genugtuungsforderung über 100 000 Franken abgelehnt und ihm statt dessen nur «Mitgefühl und Bedauern» zugestanden. Möglicherweise habe Spring statt dessen das Anrecht auf eine Kompensation aus der «Stiftung Solidarische Schweiz», sagte Finanzminister Kaspar Villiger. Doch diese wird noch Jahre auf sich warten lassen. «Ich bin 71 Jahre alt», sagte Spring am Dienstag. «Jahre zählen. Aber natürlich kann man immer hoffen.»

Nur Bundesrätin Ruth Dreifuss sowie die Bundesräte Moritz Leuenberger und Pascal Couchepin haben dem Vernehmen nach dafür gestimmt, Spring eine Zahlung ohne Rechtspflicht wie im Fall Eli Carmel in Basel zuzugestehen. Am härtesten soll Bundesrat Villiger dagegen lobbyiert haben. Er zog eher ungeschickt die Stiftung Solidarische Schweiz als Alibi für die Ablehnung heran, weil sie Projekte für Holocaust-Opfer unterstützen könne. Einzelpersonen bekommen jedoch kein Stiftungsgeld, und abgewiesene Flüchtlinge schon gar nicht.

Wie Fall Sonabend

Spring wurde zusammen mit seinen jungen Cousins Sylver and Henri Henenberg von Schweizer Grenzwächtern an der französischen Grenze direkt einer deutschen Patrouille übergeben - im November 1943, als auch die Schweizer Behörden genaue Kenntnisse darüber hatten, was mit Juden geschah, die Nazi-Schergen in die Hände fielen. Es war auch in der Schweiz damals längst allgemein bekannt, das beweisen Dokumente im Bundesarchiv, dass die Übergabe von Juden deren sichere Deportation in ein Vernichtungslager und den praktisch sicheren Tod bedeutete. Spring, der damals noch Sprung hiess, wurde mit seinen Begleitern via Drancy nach Auschwitz deportiert. Sofort nach ihrer Ankunft wurden Sylver and Henri vergast. Spring überlebte wie durch ein Wunder. Diese unglaubliche Geschichte zeichnete der Publizist Stefan Keller (siehe auch «zur Lage») in der «WoZ» nach. Im Januar 1998 verklagte er die Schweizer Regierung auf 100 000 Franken. Die Schweiz lehnte am Dienstag die Genugtuungsforderung ab, wie sie auch den Fall Charles Sonabend ablehnte. Sonabend, der heute in London lebt, war 1942 mit Eltern und Schwester von den Schweizer Behörden über die französische Grenze ausgeliefert worden. Er und die Schwester überlebten; die Eltern wurden in Auschwitz ermordet.

Wegen des Datums ist der Fall Spring-Henenberg jedoch noch krasser als der Fall Sonabend. Obwohl sie oder zumindest ihre Vorgesetzten wussten, was mit den drei Jungen geschehen würde, händigten die Schweizer Grenzwächter der deutschen Patrouille sogar die echten Papiere der jungen Flüchtlinge aus, die sie als Juden identifizierten.

Die drei Cousins waren auch bei ihrem zweiten Versuch, die Schweizer Grenze zu überschreiten, entdeckt worden. Sie übergaben den Grenzern ihre falschen Papiere, aber voller Vertrauen auch ihre echten, weil sie fälschlicherweise glaubten, Juden bekämen in der Schweiz auf jeden Fall Asyl. Beim ersten Versuch wurden die drei einfach wieder über die Grenze zurückgeschickt. Das nächste Mal wurden sie in den Tod geschickt, und daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Joseph Spring wie durch ein Wunder überlebte. Ausserdem hatten junge Flüchtlinge von 16 Jahren und darunter das Recht, in der Schweiz zu bleiben, was allerdings nicht immer respektiert wurde. Joseph Spring war 16, die Cousins in ähnlichem Alter.

Materiellrechtlich nicht begründet

Die Schweizer Regierung, sagte Finanzminister Kaspar Villiger am Dienstag, lehnte das auf das Verantwortlichkeitsgesetz gestützte Begehren ab, «weil die Ansprüche sowohl durch Zeitablauf verwirkt als auch materiellrechtlich nicht begründet sind». Das allein ist bereits stossend, weil schon Marc Richter, Anwalt von Charles Sonabend, die zeitliche Verwirkung bestreitet. Aber der Rest der bundesrätlichen Begründung ist überaus empörend: «Die Bundesbehörden haben sich im Gegensatz zum Naziregime keines Kriegsverbrechens schuldig gemacht. Auch wenn der geschilderte Sachverhalt menschlich zutiefst betroffen macht, stellt nach rechtlicher Beurteilung das Verhalten der Schweizer Grenzbehörde keine Gehilfenschaft zum Völkermord dar.»

Tiefempfundenes Mitleid

Die Landesregierung drückt Spring ihr «tiefempfundenes Mitgefühl und Bedauern» aus. Sie leistet sich auch das Bekenntnis, «gerade im Licht der Geschichte» habe der Bundesrat die «Stiftung Solidarische Schweiz» lanciert. Und zudem die Beteuerung, die tragischen Einzelschicksale zeigten, «wie wichtig es ist, die Tragödie des Holocaust in den Folgen zu lindern und - unter dem Leitmotiv des «nie wieder» - Beiträge zur Verhinderung neuer Völkermorde und schwerer Menschenrechtsverletzungen zu leisten». Springs Anwalt Paul Rechsteiner, St. Galler SP-Nationalrat, der erfolgreich die Rehabilitierung des Judenretters und «Gerechten unter den Völkern», Paul Grüninger, durchsetzte, erstritt 1997 auch von der Basler Regierung eine Genugtuung von 50 000 Franken für den Israeli Eli Carmel, der im Herbst 1939 von Basel nach Deutschland deportiert wurde und in einem Konzentrationslager seine Gesundheit verlor. Rechsteiner, der dem Finanzministerium am 26. Januar 1998 Joseph Springs Klage übersandte, bekam trotz der legalen Frist von drei Monaten keine Antwort. In Kürze wird er beim Bundesgericht eine Klageschrift einreichen (JR Nr. 25, vom 18. Juni). Auch Marc Richter hat den Fall Sonabend bereits beim Bundesgericht anhängig gemacht. Der Bundesrat wies im Fall Spring «in Form einer Parteierklärung» erneut seinerseits auf das Bundesgericht hin. Der gleiche Bundesrat Villiger, der jetzt im Namen des Bundesrates zum zweiten Mal die Genugtuungs-Forderung eines ehemaligen Flüchtlings ablehnte, anerkannte als Bundespräsident in seiner berühmt gewordenen Rede am 7. Mai 1995 die Schuld der Schweiz in der Flüchtlingsfrage. Wer Schuld trägt, ist auch satisfaktionspflichtig und kann sich nicht einfach hinter dem Bundesgericht verstecken.

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