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ISRAEL/INTERVIEW - Schulamit Aloni zur Zukunft des Zionismus

"Ich kann die ganze Bibel auswendig"

Schulamit Aloni - ehemalige Abgeordnete der linken Meretz-Partei und umstrittene Erziehungsministerin in den Regierungen Rabin und Peres. Mit der streitbaren Schulamith Aloni, die ob ihrer säkularen Prinzipien bis heute kaum je eine Kontroverse ausliess, sprach für die JR Chefredaktor Simon Erlanger.

Jüdische Rundschau: Zwei Tage lang haben Sie in Basel an einem Kolloquium über die Zukunft des Zionismus teilgenommen. Was bedeutet denn Zionismus für Sie? Wie sehen Sie seine Zukunft?

Schulamit Aloni: Zionismus bedeutet für mich heute die Beziehungen zwischen dem Staat Israel und dem Judentum der Diaspora. Die Frage, die mich aber eigentlich viel mehr beschäftigt, ist, was denn heutzutage eigentlich Judentum bedeutet. Die Juden im Sinn des englischen "jewry" akzeptiere ich. Ich möchte alle ansprechen und die Bindung unter den Juden im Sinne des Begriffes "peoplehood" bewahren. Was aber Judentum im Sinne von "judaism", von kulturellen, geistigen und religiösen Inhalten ist, das ist die wirkliche Frage! Ich schliesse mich dabei der Meinung von Albert Camus in seiner Diskussion mit Jean Paul Sartre an, und stelle die Frage nach der Gerechtigkeit. Darum ist die Frage nach dem Judentum so zentral! Denn wenn wir uns zum Beispiel gegenüber den Palästinensern wie Diebe verhalten, sie erniedrigen, und mit Kollektivstrafen belegen, so ist mir die Frage nach dem Inhalt des heutigen Judentums wichtiger als die Frage nach dem Zionismus. Denn dieser ist verwirklicht. Der Staat Israel existiert für die jüdische Gemeinschaft.

Was bedeutet dieser Begriff "jüdische Gemeinschaft" für sie?

Ich empfinde Solidarität mit jedem, der sich selbst als Juden definiert, egal ob derjenige sich drüber hinaus als Zionisten sieht oder nicht. Jeder Jude, der sich in Not befindet hat heute eine Adresse: Er weiss, dass wir in Israel sein "sicherer Hafen" sind.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang das Judentum?

Ich möchte hier vor allem den kulturellen Bereich betonen. Ich glaube an die moderne hebräische Kultur Israels, die sich in und mit der hebräischen Sprache entwickelt hat: Sie ist gut, von hohem Niveau und entfaltet grosse Wirkung. Ich sähe es gerne, wenn sie zum Bindemittel zwischen den Juden der Welt würde. Ich denke dabei nicht an den Kulturzionismus eines Achad Haam, der Israel als kulturelles Zentrum der Juden aufbauen wollte. Achad Haam sprach von Prophetie. Ich denke an unsere heutige Welt, und die ist aufgebaut auf Literatur, Musik, Poesie. Das sind die Dinge, welche die jungen Leute der Welt heutzutage verbinden.

Während des Basler Herzl-Jubiläums forderte der Vorsitzende der Jewish Agency und der "World Zionist Organisation" Avraham Burg für das zweite Jahrhundert des Zionismus eine Rückbesinnung auf die traditionellen Quellen des Judentums, eine geistige Renaissance, ansonsten Judentum weder in Israel noch in der Diaspora eine Zukunft haben würde. Stimmen Sie damit überein? Hat denn diese hebräische Kultur, wie Sie sie postulieren auch einen jüdischen Charakter?

Schauen Sie, ich bin für jüdische Bildung! Alle Bücher sind offen für jedermann. Die Orthodoxen akzeptieren meine säkulare Art Bildung und Literatur nicht. Die jüdische Literatur steht uns allen offen. Trotzdem sind heute viele "AmHaaratzim", das heisst jüdisch ungebildet. Ich bin sicherlich dafür das Judentum verstärkt zu lehren. Die Frage ist nur wie dies zu tun ist. Der Niedergang jüdischen Lernens ausserhalb der Orthodoxie begann meiner Meinung nach, als die Orthodoxen versuchten die anderen zu indoktrinieren. Als ich lernte und lehrte und auch noch als meine Kinder zur Schule gingen, war jüdisches Lernen und Wissen das Erbe aller. Ich zum Beispiel kann die ganze Bibel auswendig. Meine Kinder konnten nur noch einen Teil davon. Aber wenigstens das! Als dann aber das Vermitteln jüdischen Wissen in Israel Sache eines religiösen Establishments wurde, hat dies die Wissensvermittlung eingeschränkt. Darum fordere ich, dass Judentum im weitesten Sinn gelehrt und vermittelt werden muss. Dazu gehört auch alles, was im Judentum in den letzten 250 Jahren gedacht, geschrieben und geschaffen worden ist, die in Israel geschaffene neue hebräische Kultur, Literatur und Musik inbegriffen.

In Israel tobt der Kulturkampf zwischen den religiösen Gruppierungen heftiger denn je zuvor. Der politische Diskurs ist bitterer denn je und das Volk ist tief gespalten. Wie sehen sie die Zukunft?

Ich gehöre zu denjenigen, die seit der ersten Minute nach Staatsgründung für die Schaffung einer Verfassung, oder wenigstens einer "Bill of Rights" gekämpft haben. Wenn man so viele Leute aus 102 Ländern zusammenbringt, wie dies in Israel geschehen ist, dann kann die Entwicklung ja gar nicht normal sein. Die USA haben es nur dank ihrer Verfassung, die Rechte und Pflichten genauestes festlegt geschafft, aus einer ähnlichen Vielfalt eine Einheit zu schaffen. Unser politisches System, mit seinen Koalitionsregierungen, wo drei Abgeordnete durch Erpressung jedes Gesetz durchsetzen oder blockieren können, weil sonst die Regierung fallen würde, ist ein Unglück. Bei uns gibt es auch einen extremen Fanatismus. So handelte zum Beispiel der Mörder Rabins nicht nur als Individuum, sondern kann auch als das ultimative Produkt einer solchen extremistischen Weltanschauung angesehen werden. Was wir daher heute brauchen ist, dass sich die beiden grossen Parteien, der Likud und der Maarach für einen Augenblick lang über ihre ewige Rivalität erheben und aufhören würden, sich zwecks Machterhaltung an die verschiedenen kleinen extremistischen, ultraorthodoxen, ultranationalistischen und messianistischen Parteien und Gruppeirungen zu verkaufen. Wird dies nicht geschehen, dann stehen wir in der Tat vor einer Katastrophe.

Heisst das, dass Sie zu den gegenwärtig zahlreichen Befürwortern einer "grossen Koalition" bzw. einer Regierung der "nationalen Einheit" zwischen dem Likud und der Arbeitspartei gehören?

Das hatten wir schon zweimal. Die damaligen grossen Koalitionen waren ein Unglück, da sowohl die Arbeitspartei als auch der Likud dem Druck der kleinen extremistischen religiösen Parteien nachgaben, um so bereits die nächste Koalition ohne den jeweiligen grossen Partner vorzubereiten. Was wir heute brauchen ist die Zustimmung der zwei Grossen zu einer Reform, egal ob Maarach und Likud nun zusammen in einer Regierung sitzen, oder nicht. Sie müssen endlich begreifen, dass unser kollektives "Ani Ma'amin", unser kollektiver Glaubensinhalt, das ist, was bereits in der Unabhängigkeitserklärung vom Mai 1948 steht: Jüdische Einwanderung, Gewissensfreiheit, Glaubensfreiheit, Zusicherung der Rechte für Minderheiten, Gleichberechtigung - das ist dort schon alles festgelegt und durch das oberste Gericht immer wieder bestätigt. Heute gibt es ja schon Leute, welche die Zuständigkeit des Obersten Gerichtes nicht mehr anerkennen! Und darum müssen die beiden grossen Parteien zum Schluss kommen, dem eine Riegel zuschieben. Israels erster Präsident Chaim Weizman beschreibt in seiner Biographie, wie er bereits am 30.November 1947 eine Verfassung forderte, welche die Beziehungen zu Minderheiten aber auch zur Religion regelt. Wenn die beiden grossen Parteien aber damit fortfahren den extremistischen Splittergruppen zwecks Herrschaftserhaltung Grundrechte zu verkaufen, sehe ich eine Verschlechterung der Lage voraus.

Sie sagen also, dass das Problem Israels nicht die teilweise extremistischen Partikularinteressen sind, sondern die beiden grossen rivalisierenden Parteien, die sich aus koalitions-politischen Gründen nicht zur Einführung einer verfassungsrechtlichen Grundlage für die israelische Politik und Gesellschaft durchringen können.

Genau, die beiden grossen Parteien sind immer dazu bereit die elementaren Grundsätze eines freiheitlichen demokratischen Staats an den Meistbietenden zu verkaufen, nur um sich and der Macht zu halten. Alle extremen religiösen Parteien zusammen halten gerade mal 24 von 120 Knessetsitzen. 96 Sitze vertreten also eine Mehrheit, die in vielem anders denkt. Und trotzdem sind es gerade diese 24 Sitze, welche die Politik bestimmen. Und wie wir gerade eben erlebt haben, können drei aus diesen 24 Abgeordneten dank ihrer günstigen strategischen Positionierung ein Konversionsgesetz, mit seinen weitreichenden Konsequenzen für den Zusammenhalt des jüdischen Volkes durchsetzen. In welchem demokratischen Staat wäre denn so etwas überhaupt möglich?

Nach den Wahlen von 1996, welche die Arbeitspartei unter Schimon Peres knapp verlor, war zu hören, dass der Maarach gewissermassen die "Geisel" der antireligiösen und friedenspolitisch extrem linken Linie Ihrer Meretz-Partei war. Ohne den Koalitionspartner Meretz, so wurde gesagt, hätte die Arbeitspartei gewonnen. Was meinen Sie dazu?

Meretz war der loyalste Koalitionspartner den die Arbeitspartei je hatte. Sie verrieten uns! Für meinen Geschmack war Meretz viel zu loyal. Wir bestanden viel zu wenig auf unseren Prinzipien. Was aber war damals geschehen: Nach der Fernsehdiskussion zwischen Peres und Netanjahu im Vorfeld der Wahlen äusserte sich Jossi Sarid von Meretz auf eigene Initiative öffentlich und sagte, ihr werdet sehen, jetzt werden wir öffentlichen Verkehr am Schabbat haben etc. Statt sich öffentlich von Sarid zu distanzieren und etwa zu sagen, Sarid sagte, was er sagte, wir aber stehen für etwas anderes, liess der Maarach Sarids Worte einfach so stehen. Als sie dann die Wahlen verloren, schoben sie uns das in die Schuhe.

Können im Staate Israel Religiöse und Säkulare denn überhaupt friedlich miteinander auskommen?

Heute haben wir all diese Problem. Das politische System hat alle dies Machtgelüste ausgelöst. Aber prinzipiell....warum denn eigentlich nicht? Unter dem Schirm der Demokratie sollte jeder nach seiner Façon leben können. Das ist die Idee. Vor zwei Woche trat ich zusammen mit Arie Deri, dem Vorsitzenden der ultraorthodoxen Schas-Partei im Fernsehen auf. Da sagte er mir, dass Schas mit mir als Erziehungsministerin viel besser gefahren sei, als mit Zevulun Hammer von der nationalreligiösen Mafdal. Denn ich habe das Erziehungsbudget nicht nach partei-oder koalitionspolitschen Gesichtspunkten verteilt, sondern nach objektiven rechtlichen Kriterien. Das Gleiche haben mir auch Vertreter der ultraorthodoxen Agudat Israel gesagt und dies obwohl sowohl Schas als auch Aguda mich in der Öffentlichkeit politisch heftigst bekämpft haben. Ich vertrat immer die Auffassung, dass das wichtigste Ehrerbietung und Respekt vor dem Nächsten, sowie Anstand sind. Ich denke nicht, dass man alle lieben muss. Ich liebe nicht alle und möchte auch nicht, dass alle mich lieben. Aber ich fordere Respekt und Anstand. Und dies wird durch eine demokratische und pluralistische Gesellschaft vertieft. In einer Demokratie liegt die Souveränität beim Volk und nicht bei Gott. Mit Gott muss jeder für sich, in seiner Gruppe, in seiner Gemeinde auszukommen versuchen. Alles andere wäre Theokratie und das funktioniert heutzutage nicht mehr.

"Quo Vadis Zionism" lautete der schlagkräftige Titel des "Howard Gilman Kolloquium" der Universitäten Tel Aviv und Basel, das aus Anlass des Herzl Jubiläums in Basel durchgeführt wurde. (Vgl. JR Nr. 45 vom 6.11.97 S. ). Am Expertenkolloquium, das sich während zweier Tage intensiv mit der Zukunft des Zionismus auseinandersetzte, nahm S. Aloni teil.

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