antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil


Newsletter abonnieren
Bücher / Morascha
Koscher leben...
Jüdische Weisheit
 
 

iw 2000 / TSh''S

Es ist kein Beruf, der im Rampenlicht steht, und doch geht in jüdischen Kreisen ohne sie gar nichts: Die religiösen Aufsichtspersonen, Maschgichim, haben gerade vor den Feiertagen die meiste Arbeit.

Kaschruth:
Der Maschgiach ist mehr 
als nur Eieröffner

Von Steffi Bollag

Egal, ob man die kommenden Feiertage in einem der israelischen Luxushotels oder sonstwo auf der Welt verbringt, eines haben die koscheren Speisen, die zu Hause verarbeitet oder fertig gekauft auf den Tisch kommen, gemeinsam: Sie alle sind durch die Hände eines Maschgiachs oder einer Maschgicha, einer religiösen Aufsichtsperson, gegangen. Aber Maschgiach ist nicht gleich Maschgiach. Sicher, es gibt Regeln, die für alle gelten, aber man würde nicht glauben, wie vielseitig dieser Beruf sein kann.

Keine Diskussion bei den Kashrut-Regeln

Jochai Vahav, Israeli, seit vielen Jahren in der Schweiz, arbeitet im jüdischen Alters- und Pflegeheim «La Charmille» in Riehen bei Basel: Er, der sich in der «Lebensmittelbranche» wohl und zu Hause fühlt, kennt den Beruf aus Hotel, Heim und Restaurant, in Israel und in Europa. So locker und witzig der fünffache Vater plaudern kann, und so komisch der warmherzige Israeli jemenitischer Abstammung manchmal unfreiwillig ist, in den Regeln der Kashrut gibt es kein «Geschwätz». «Ein Fleischpaket, bei dem zum Beispiel die Plombierung fehlt, geht zurück, ohne Diskussion.» Aber gerade in der Zusammenarbeit mit nichtjüdischen Angestellten brauche es sehr viel Diplomatie; nie dürfe man den Eindruck erwecken, man traue dem andern nicht. Als verlängerten Arm des Rabbiners sieht sich Jochai, auch wenn er nicht immer mit ihm einer Meinung ist.

Das Heim, das Ende nächsten Jahres in die Stadt ziehen wird, bietet eine aussergewöhnlich breit gefächerte Küche an: Jeden Tag gibt es mehrere Menüs zur Auswahl, und so sind die Tätigkeiten des Maschgiachs, der auch oft den Schabbat-G’ttesdienst in der Heim-Synagoge abhält, sehr vielseitig. Vom ersten Anzünden des Herdes am Morgen und Aufstellen der Töpfe über das Prüfen des Salates und Gemüses auf Ungeziefer bis zum Öffnen der Weinflaschen, all das und noch viel mehr gehört zu den Aufgaben einer Aufsichtsperson. «Hier ist ständige Präsenz gefordert, wenn gearbeitet wird, vom Frühstück bis zum Znacht – die Arbeit besteht aus so vielen verschiedenen Komponenten.» Bemerkenswert ist auch, dass im selben Raum sowohl milchig wie auch fleischig gekocht wird.

Eine kluge Lösung hat man dafür gefunden: In der Regel ist der Morgen fleischig und der Nachmittag milchig; Fehlerquellen werden so kleingehalten. Natürlich gibt es diese, wie überall; Reden sei hier die Devise, erklären, nicht schimpfen. «Einerseits darf man keine Angst haben, einzuschreiten, andrerseits muss man ein Pädagoge sein», meint Jochai, der sich mit dem Küchenteam blendend zu verstehen scheint.

Was der berufliche Unterschied zu Israel sei? «Dort glauben alle, es besser zu wissen, jeder fühlt sich kompetent.» Manche versuchen auch, sich an Frömmigkeit zu überbieten, ja förmlich auszustechen. «Aber», so Jochai im Hinblick auf das neue Jahr, «Kashrut sollte keine Politik sein. Ich würde mir ein Symposium mit all jenen wünschen, die in der Schweiz irgendwie mit Kashrut zu tun haben.» Warum nicht?

«Logik auch ohne Logistik»

Ganz anders sieht ein Arbeitstag von Simche Spielmann aus Manchester aus, seit fünf Jahren in der Koscher Bäckerei von Ruben Bollag in Zürich tätig: Was in den unteren Räumen an der Zürcher Brauerstrasse produziert wird, hat einen gemeinsamen Nenner: Es wird aus Mehl gemacht. Unglaubliche 50–60 verschiedene Produkte bietet die einzige ausschliesslich Koscher Bäckerei der Schweiz von Ruben Bollag an. Für Spielmann und die zwei Bäcker jedoch kein Problem: «Wir sind gut aufeinander eingespielt, alles hat seinen festen Platz und seine Regel.» Eine davon ist das Anzünden der verschiedenen Backöfen. Und so heisst es auch für den Maschgiach, vor fünf Uhr aufzustehen. Ja, einmal in all den Jahren sei es geschehen, dass er verschlafen habe, die gesamte, bereits gebackene und verschickte Ware musste darauf zurückgeholt werden. Aber für gewöhnlich weiss jeder, was er zu tun hat. Und tatsächlich, ohne moderne Computer-Software, ohne Bildschirm, weiss hier jeder zu jeder Zeit, wie weit die Arbeit gediehen ist. Fast eine Art Geheimsprache: «Jedes Blech ist sofort als parve oder milchig zu identifizieren, und jede Zutat hat zu festen Zeiten ihren festen Platz.» Und so ist es zum Beispiel für Spielmann nie eine Frage, ob er von einem Teig respektive von einer Brotsorte schon Chale, also ein Stück ungebackenen Teigs, genommen hat (Erinnerung an den einstigen Abgabeteil, den Zehnten, Red.) oder nicht. Selbst wenn er nicht da sein sollte, liegt auf jedem Wagen eine Teigkugel, in Papier verpackt, die darauf wartet, vom Maschgiach verbrannt oder, zweimal verpackt, entsorgt zu werden. Letzteres ist eine Art Kompromiss, da die kleine Teigkugel im Ofen den Backprozess stören würde. Eine weitere Lösung dafür, nicht von Hunderten Brotlaiben Chale nehmen zu müssen, ist das Zudecken eines ganzen Wagens mit mehreren Blechen derselben Brotsorte mit einem Tuch, was eine Einheit bildet, und dann ist mit einem einmaligen Teigabsondern dem Gesetz genüge getan.

Dass seit etwa einem halben Jahr pasteurisierte Eier aus dem Plastiksack verwendet werden dürfen, hat die Arbeit der Maschgichim in gewisser Weise revolutioniert. «Früher» erzählt Rivka Spielmann, die Frau des Maschgiachs, «habe ich meinem Mann manchmal vor den Feiertagen geholfen, Eier aufzumachen. Das ist jetzt nicht mehr nötig.»

Aber auch für die Kunden gibt es kleine Hilfen im Alltag: Jeden Tag werden Brot, Weggli und Sandwichbrötli gebacken, die «Mesonoth» sind. Dabei muss die Teigmenge eine Flüssigkeitsart von mindestens 50% aufweisen, die nicht Wasser ist; dadurch bleibt dem Konsumenten, etwa auf einer Reise oder bei einem Anlass, das Händewaschen und das Tischgebet erspart. Die Bäckerei Bollag nimmt in diesem Fall Apfelsaft. Von allen verwendeten Produkten sind rund 30% mit einem «Hechscher» versehen, die andern 70% sind geprüft– und erlaubt, wie zum Beispiel der Grundstoff Mehl. Wird einmal etwas falsch geliefert, wird es umgehend zurückgeschickt. Spielmann: «Die Kundschaft soll und kann uns jederzeit vertrauen.»

«Maschgiach sein ist mehr als Eier aufmachen!»

Das Restaurant Topas in der Basler Leimenstrasse ist weit über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus bekannt. Hier wird immer wieder bewiesen, dass koschere Küche und Haute cuisine sich bestens ergänzen können. Vielschichtig sind daher auch die Anforderungen an den Maschgiach, Sämy Nordmann. «Wir haben ja nicht nur das Restaurant, sondern jede Menge an auswärtigen Anlässen und anderen regelmässigen Lieferungen.» Da gibt es zum Beispiel die Spitalmenüs, geliefert an alle Basler Spitäler, welche jüdische Patienten beherbergen. Diese Menüs werden nach einem ausgeklügelten System produziert, verpackt, und geliefert, wobei auch der Rücklauf der Teller eine wichtige Rolle spielt.

Der Dreh mit der zweiten Umhüllung

Aber auch in nichtkoschere Restaurants, Hotels, Kongresszentren und Urlaubswohnungen werden auf Wunsch komplette Mahlzeiten so verschickt, dass sie vor Ort unproblematisch zubereitet werden können. Ein Trick dabei heisst «doppelt vacuumieren», denn so bleibt die Speise selbst dann noch koscher, wenn sie in der zweiten Umhüllung in einem unkoscheren Topf erhitzt wird. «Feinarbeit und Präzision ist zu jeder Zeit gefragt, da kommt mir mein früherer Uhrmacherberuf oft zu gute», meint der gebürtige Basler, der erst seit rund drei Jahren in dieser Branche tätig ist.

Mit dem Verschicken ist es jedoch nicht getan; da das «Topas» viel auf Stil und Qualität hält, ist es auch wichtig, dass nach Wunsch massives Besteck und Geschirr mitgeliefert werden kann. Dann geht’s allerdings erst los, gerade in den Sommerferien, bei Kongressen oder vor Feiertagen: Bestellung aufnehmen, Speisen zusammenstellen, lebensmittelgerechtes Verpacken, vermerken, welches Geschirr wohin geschickt wird, und zur Post bringen. Kommt das benutzte Geschirr zurück, muss es 24 Stunden liegen gelassen, dann «gekaschert» werden und darf erst anschliessend wieder in den Restaurant-Kreislauf integriert werden. Nordmann scheint seine Arbeit zu geniessen: «Auch wenn ich alles in Absprache mit Rabbiner Levinger und Albi Dreyfuss tue, trage ich doch auch Verantwortung.»

Koscher und nichtkoscher im selben Betrieb

Aber Sämy hat noch einen andern Arbeitsplatz: in der zwei Minuten entfernten Bäckerei Schmutz, die gewisse Backwaren unter Aufsicht bäckt, daneben aber auch nichtkoschere Backwaren anbietet. Dort geht es darum, Eier aufzuschlagen, Zutaten zu kontrollieren, Stichproben zu nehmen und präsent zu sein. Auch hier hat man den Eindruck von gegenseitiger Akzeptanz und Vertrauen, und auch hier will alles rechtzeitig bedacht, geplant und bestellt sein. «Je nach dem, wie zum Beispiel der letzte Tag Pessach fällt, muss man weit voraus planen, um dann nicht plötzlich vor Schabbes ohne Brot dazustehen.»

Aber all das gehört zum Job und macht Spass: «Ich wünsche mir fürs neue Jahr viel ‹Köjech› (Kraft) und bin sonst eigentlich wunschlos glücklich.»

Metzgerei Kol-Tuv : «Hauptzutaten: Fleisch und Präzision.» In der Zürcher Ämtlerstrasse 8 ist man als zartbesaiteter Vegetarier fehl am Platz. Vom Morgen früh an geht es in den hinteren Räumen des gut besuchten Verkaufsladens eher deftig zu: Da werden Rinder- und Kalbsteile in die Kühlräume gehängt, da wird «ausgebeint» und «geporscht» (Entfernen von Adern, Red.), gewässert und gesalzen, verpackt und durch den Wolf gedreht. 17 Personen kümmern sich nun seit anderthalb Jahren mit neuem Management um rund stolze 150 verschiedene Produkte. J. Brand, der Geschäftsführer mit betriebswirtschaftlichem Hintergrund, gibt sich vorsichtig optimistisch: «Es ist gelungen, alle Zürcher Gemeinden an einen Tisch zu bringen. Das ist an sich eine gute Voraussetzung.» Nun gilt es aber, mit wirtschaftlichem Nutzen Qualität, Vielfalt und Innovation weiter zu pflegen, ohne den Konsumenten mit zu hohen Preisen vor den Kopf zu stossen.

Schweiz hat strengste Haschgacha

Geschächtet wird ausschliesslich in Frankreich. Man kennt die Weiden, wo die Kühe herkommen, und was nicht perfekt ist, hat hier keine Chance. J.Brand: «Die Schweiz hat die strengste «Haschgachah» weit und breit. Wir sind ein Touristenland, alle müssen zufrieden sein. Wenn von 50 geschlachteten Kälbern nur eines glatt koscher ist, hat das natürlich auch seinen Preis.» Wenn die Ware dann kommt, arbeiten vier Maschgichim und drei Metzger, um das Fleisch weiter zu verarbeiten.

«Qualität im Koscher-Bereich» ist auch ein Lieblingsthema vom Produktionsleiter und Metzger S. Kläger, der bereits 15 Jahre Erfahrung mit koscherem Fleisch hat: «Bei koscheren Wurstwaren muss man viel exakter arbeiten als bei nichtkoscheren. Nehmen Sie nur die Zusätze: Im nichtkoscheren Bereich nimmt man Milchpulver, um eine Geschmacksverstärkung zu erzielen, man hat Speck, um Aroma zu verleihen; hier gibt es nur Fleisch, Gewürze, exaktes Arbeiten und die richtigen Temperaturen.»

Der junge Maschgiach, der in den oberen Räumen gerade Fleisch vacuumiert und anschliessend ins Wasserbad legt, hat eine regelrechte Ausbildung hinter sich: Er muss erst lange Zeit mit einem erfahrenen «Schojchet» (Schächter) mitgehen, bis er sich ans Schneiden machen darf. Aber auch sonst hat er jede Menge Aufgaben: Auch hier müssen Öfen fürs Räuchern und Braten angezündet werden, auch hier müssen Zutaten genau geprüft werden: «Es gibt zum Beispiel Pfeffer, der aus Haltbarkeitsgründen mit Rinderfett ummantelt ist». Im ganzen Betrieb gibt es keinen Maschgiach, der nur kontrolliert, ohne selbst mitzuarbeiten. Das könnte man sich auch gar nicht erlauben, werden die Wurstwaren doch Montag bis Donnerstag täglich frisch fabriziert! Auch hier ist man sich einig: «Nur frisch ist gut.» Und Kläger, der ab Oktober sogar «Münchner Weisswürscht» machen wird, erklärt auch warum: «Durch das Einfrieren und Wiederzubereiten hat man rund 10% Geschmacksverlust, und der Eiweissgehalt reduziert sich. Das vergessen die Leute gerne.»

Im Archiv:
[Weitere Artikel aus dem Israelitischen Wochenblatt]


Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!
 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved