iw 2000 / TSh''S
Israels
Araber:
«Bürgerkrieg»
Michael Glück
In Kafr Kassem, eine
Auto-Viertelstunde von Tel Aviv entfernt, sah es am vergangenen Montag
wie nach einer Schlacht aus. Am Stadteingang standen ausgebrannte Autos,
die Strassen waren mit Steinen, Gummigeschossen und Glasscherben
übersät, der Asphalt war schwarz, und es stank nach verbrannten
Gummireifen. Auf den Hügeln standen Dutzende von Polizisten bereit,
Demonstrationen aufzulösen und Gewalttätigkeiten abzuwenden. Die
arabische Stadt war abgeriegelt. Nur Bewohner Kafr Kassems durften
hinein.
Israelis kämpften gegen Israelis.
Nicht nur in Kafr Kassem, sondern in ganz Israel. Die Intifada
israelischer Araber ergriff Nazareth, Akko, Umm al-Fahm, Fureidis,
Shfaram und Sachnin. Erstmals kam es auch in Haifa zu Unruhen. Dies ist
umso bemerkenswerter, als die nördliche Hafenstadt in der Regel als
Musterfall für eine friedliche israelisch-arabische Koexistenz gilt.
Allein am vergangenen Montag kamen fünf arabische Israelis ums Leben.
Schulreisen abgesagt,
Verkehrswege unterbrochen
Schulklassen sagten diese Woche
Reisen in den Norden ab, weil das Erziehungsministerium um die
Sicherheit der Schüler fürchtete. Wichtige Verkehrsverbindungen waren
unterbrochen, weil anliegende arabische Siedlungen die Durchfahrt
verunmöglichten. Der Galil war zu Beginn der Woche zeitweise vom Zentrum
des Landes abgeschnitten. In einigen Städten wurden hebräische
Schriftzeichen heruntergerissen, um gegen die Hoheit des jüdischen
Staates zu protestieren.
Der Aufstand der israelischen
Araber hatte sich am Samstag abgezeichnet. An diesem Tag riefen
arabische Politiker einen Generalstreik aus, um ihre Solidarität mit den
Palästinensern zu beweisen. Seit Sonntag herrschte in arabischen Städten
das pure Chaos. Meist jugendliche Demonstranten versuchten, die Strassen
abzusperren. Oft gelang es ihnen. Wichtige Verbindungen waren im Laufe
dieser Woche nicht passierbar.
Während der Intifada hatten die
israelischen Araber zwar mit den Palästinensern sympathisiert. Doch
Solidaritätskundgebungen waren damals die Ausnahme. Abdalla Nimr
Darwisch, einer der konzilianten Führer in der Islamischen Bewegung
Israels, erklärte gegenüber dem iw, weshalb sich die israelischen Araber
dieses Mal nicht ruhig verhalten: «Während der Intifada ging es bloss um
Land. Jetzt stehen für uns die heiligen Orte auf dem Spiel. Und mit
diesen darf niemand hasardieren – sonst brennt es.»
Darwisch: «Provozierter
religiöser Krieg»
Für Darwisch ist das ein
religiöser Krieg. Dass der Auslöser der Besuch von Oppositionsführer
Arik Scharon war, steht für ihn ausser Zweifel. «Er wollte den
Friedensprozess ermorden. Und was Scharon wollte, führen nun Barak und
Mofaz aus. Wenn es um die Jerusalemer Moscheen geht, gibt es keine
‹grüne Grenze› (die 67er Grenze). Palästinenser in den besetzten
Gebieten und in Israel haben für die El-Aksa-Moschee dieselben Gefühle.»
Für den Fall, dass nicht
schnellstens ein Abkommen unterschrieben wird, prognostiziert Darwisch
eine düstere Zukunft für den Zusammenhalt Israels. «Dann verlieren wir
die Kontrolle – und dann wird es gefährlich», meint der einflussreiche
Islamistenführer.
Er sieht nur zwei Alternativen:
«Entweder zieht sich Israel aus den besetzten Gebieten zurück und
verzichtet künftig auf Provokationen in islamischen Heiligtümern oder...
Alles andere kommt einer Kriegserklärung der israelischen Regierung ans
palästinensische Volk gleich – und da gehören wir dazu», sagt Darwisch.
In den vergangenen Monaten konnte
man bei einem grossen Teil der Millionen Araber mit einem israelischen
Pass eine zunehmende Identifizierung mit den Palästinensern feststellen.
Der Chef der «Palestinian Broadcasting Corporation», Radwan Abu Ayyash,
interpretiert dies als logische Konsequenz der politischen Entwicklung:
«Sie wollen sich mit ihren Ursprüngen versöhnen, bevor der
palästinensische Staat Wirklichkeit wird», sagt er. Nachdem sie während
Jahren von übrigen arabischen Welt als «Verräter» betrachtet würden,
weil sie in Israel leben, wollten sie nun ihren Status retten. Abu
Ayyash: «Sie wollen zeigen, dass sie den palästinensischen
Unabhängigkeitskampf unterstützen.»
Islamische Bewegung im Vormarsch
Die Islamische Bewegung hat in
den vergangenen Jahren zulegen können. Vor allem die Jungen zeigen sich
unzufrieden, sagt Darwisch: «Sie werfen uns Politikern vor, einen
hohlen, wertlosen Frieden zu unterstützen.» Islamisten bieten sich als
Alternative zur Regierung an, sagte uns ein Einwohner von Kafr Kassem:
«Sie kann Geld locker machen, ein Schulsystem errichten und den Armen
helfen.» Ein Vergleich mit dem Erfolg der Schas dränge sich auf, meint
er: «Glauben denn alle Schaswähler an die religiösen Prinzipien Ovadia
Yosefs?»
Am Van-Leer-Institut führt der
Soziologe Adel Manaëa die Frustration auf eine Vernachlässigung des
arabisches Segmentes zurück. «Das ökonomische Schicksal der israelischen
Araber ist in Israel kein Thema, obwohl sie zu den Ärmsten gehören»,
sagt Manaëa. Politisch wurden die israelischen Araber vernachlässigt.
Obwohl sie fast 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind sie in der
Regierung nicht vertreten.
Inzwischen diskutieren Politiker
die kurzfristigen Konsequenzen der Ausschreitungen für die Zukunft der
Regierung Barak. Vor Rosch Haschana dachte Barak daran, mit Hilfe der
stillen Unterstützung der zehn arabischen Abgeordneten eine
Minderheitsregierung zu bilden. Die Chancen dafür sind nun gering.
Stattdessen fordert zum Beispiel die Schinui-Partei von Tommy Lapid eine
grosse Koalition. Barak aber soll, sagen Beobachter, immer noch an eine
kleine Koalition glauben: Wenn das Friedensabkommen einmal unter Dach
und Fach ist, werden arabische Knessetmitglieder die Regierung
unterstützen, ist er überzeugt. Eine grosse Koalition will er nur
anstreben, falls die Verhandlungen mit den Palästinensern endgültig
gescheitert sind.
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