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Jüdische Weisheit
 
 

Avi Primor
»...mit Ausnahme Deutschlands«
Als Botschafter Israels in Bonn

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IVb.Teil

Steine und Rosen

Was die DDR angeht, so hat sie uns damals nur wenig beschäftigt. Einige – wenn auch nur innenpolitische – Bedeutung erlangte lediglich Ulbrichts Kairoer Erklärung, mit der er sich von der traditionellen Politik des Ostblocks entfernte. Sie war feindselig, bestritt aber nicht unsere Existenzberechtigung. Der aggressive Ton, den Ulbricht angeschlagen hatte, sorgte selbst in der kleinen kommunistischen Partei unseres Landes, »Maki«, für Unruhe. Erstmals wurde hier ein kommunistisch regierter Staat kritisiert, mehr noch, Moshe Sneh, der Vorsitzende des »Maki«-Zentralkomitees, griff in einem Leitartikel des Parteiorgans »Kol Haam« (Stimme des Volkes) Walter Ulbricht persönlich an. Der Streit, den der ungewöhnliche Schritt auslöste, entzweite die israelischen Kommunisten und führte zur Spaltung ihrer Partei, die jahrelang fortbestand: Statt einer gab es nunmehr, dank Ulbrichts Attacken, in Israel zwei kommunistische Parteien.

Der Entschluß Ludwig Erhards, einen Schlichter nach Jerusalem zu entsenden, um die Spannungen möglichst zu dämpfen und nach einer Kompromißlösung zu suchen, trug für Stunden mehr zur Verwirrung der Situation als zur Klärung bei. Erhards Wahl war auf Kurt Birrenbach gefallen, Vorstandsvorsitzender der Thyssen AG. Obwohl kein Politiker im eigentlichen Sinne, war Birrenbach von der Bundesregierung schon früher mit besonders komplizierten Missionen betraut worden. Diesmal aber, Anfang Mai 1965, sah er sich ohne eigenes Zutun von den Ereignissen überrollt und genaugenommen seines eigentlichen Auftrags enthoben. Noch während Birrenbach im Flugzeug auf dem Weg nach Israel war, hatte Bundeskanzler Erhard in Abänderung seiner ursprünglichen Vorstellung, der Aufnahme konsularischer Beziehungen, seinen ohne Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt getroffenen Beschluß verkündet, Israel volle diplomatische Beziehungen anzutragen.

Mein damaliger Vorgesetzter Zeev Scheck, Leiter der Europa-Abteilung im Außenministerium, gehörte zu der Delegation, die Birrenbach auf dem Flughafen offiziell begrüßte. Er schilderte, wie groß die Verblüffung auf beiden Seiten war, als Birrenbach nach der Landung den israelischen Gesprächspartnern den Rahmen und Hauptpunkt seiner Mission erläuterte. Die Israelis hatten bereits Kenntnis von Erhards Meinungswechsel. Sie verstanden deshalb den Boten des deutschen Kanzlers nicht, während Birrenbach nicht glauben konnte, was ihm die Gastgeber unterbreiteten. Am nächsten Tag jedoch schien alles perfekt: Birrenbach wurde von Ministerpräsident Eshkol empfangen und überreichte ihm das mittlerweile aus Bonn eingetroffene Ersuchen um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen.

Die Nachricht verbreitete sich durch ganz Israel wie ein Lauffeuer. Wieder einmal gingen die Emotionen hoch, zur nicht geringen Überraschung der Regierung. Man hatte zwar keine begeisterte Zustimmung erwartet, ging aber doch von der Annahme aus, daß es zu keinem auch nur annähernd so heftigen Widerstand der Gefühle kommen werde, wie er 1952 anläßlich des Wiedergutmachungsabkommens ausgebrochen war. Immerhin hatten sich die Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik seither sachlich zufriedenstellend entwickelt. Auch schien sich nach dem Abbruch der deutschen Waffenlieferungen die Stimmung im Lande wieder beruhigt zu haben.

Von dieser Einschätzung nicht erfaßt war allerdings die grundsätzliche, auch bei objektiv geringen Anlässen reagierende traumatische Empfindlichkeit der Israelis gegenüber politischen Entscheidungen Deutschlands, die sie selbst betreffen. Dabei steht, verständlicherweise, das individuelle wie das kollektive Sicherheitsbedürfnis im Vordergrund. Unsere Krisen mit England, den USA und später auch mit Frankreich waren teilweise heftiger als jene mit Nachkriegsdeutschland, ohne im Volk auch nur entfernt so explosiv zu wirken, wie es etwa bei der Nachricht über das Mitwirken deutscher Wissenschaftler am Rüstungsprogramm der Ägypter der Fall war. An Deutschlands Sonderrolle im politischen Bewußtsein der Israelis hat sich übrigens bis heute wenig geändert.

Die Knesset wurde 1965, als sie die Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen diskutierte, von keinen Demonstranten bestürmt. Trotzdem verlief die Debatte fast ebenso heftig wie jene von 1952, als die Billigung des Wiedergutmachungsabkommens auf der Tagesordnung stand. Der Schritt zur erstrebten »Normalität«, der, ob man wollte oder nicht, an Aussöhnung denken ließ, bereitete größere Schmerzen als angenommen. Danach freilich, als das Abstimmungsergebnis vorlag, breitete sich eine eigenartige Gelassenheit aus, eine Mischung aus Akzeptanz und Resignation. Was konnte man schon tun? Zunächst blieb ohnehin alles beim alten.

Erst als der Austausch von diplomatischen Missionen und Botschaftern konkrete Gestalt annahm, als feststand, wer der erste Botschafter der Bundesrepublik in Israel sein werde, und als es dann tatsächlich zur Zeremonie der Übergabe seines Beglaubigungsschreibens beim Staatspräsidenten kam – erst da brach sich der alte Zorn gegen die Deutschen Bahn, mit einer Vehemenz, die sich erneut in Steinwürfen entlud.

Rolf Pauls, der auf den Botschafterposten in Jerusalem berufen wurde, schien nach Meinung der israelischen Öffentlichkeit für seine Aufgabe wenig geeignet. Statt dieses ehemaligen Majors der Wehrmacht, der im Krieg einen Arm für den »Führer« verloren und als stellvertretender Militär-Attaché unter Franz von Papen an der Botschaft des Dritten Reiches in der Türkei gedient hatte, wünschte man sich eher einen ehemaligen Widerstandskämpfer. Oder – an Stelle des Ritterkreuzträgers – einen Universitätsprofessor, besser noch einen Akademiker, der sich als Widerständler betätigt, im Untergrund gegen Hitler gearbeitet hatte. Was veranlaßte überhaupt die israelische Regierung, ausgerechnet Rolf Pauls die Akkreditierung zu erteilen?

Möglich, daß man in Jerusalem diesen Akt schon im Vorfeld verhindert hätte, wäre zugleich nicht auch mit dem Anwärter auf den Posten des israelischen Botschafters in Bonn die Eignungsfrage verknüpft gewesen: Asher Ben Natan, bis dahin Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, war an führender Stelle Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes und von Anfang an in die militärische Zusammenarbeit mit Deutschland involviert gewesen. Diejenigen, die sich gegen ihn und überhaupt gegen diplomatische Beziehungen zu Israel aussprachen, befürchteten vor allem die Reaktion der arabischen Welt – dort würde Ben Natan als Garant einer womöglich noch intensiveren Kooperation mit Deutschland auf dem Gebiet der Rüstungstechnik angesehen werden.

Schließlich einigten sich beide Regierungen, den Kandidaten der jeweils anderen anzuerkennen. Der Aufnahme geregelter, offizieller Beziehungen stand nichts mehr im Wege.

Nur Rolf Pauls war um die Umstände seines Amtsantritts in Jerusalem nicht zu beneiden. Auf dem Weg zur Residenz des Präsidenten, dem er das Beglaubigungsschreiben überbrachte, behinderte eine riesige Menschenmenge seinen Wagen. Es flogen Steine und leere Flaschen. In der Wochenschau – Fernsehen gab es noch nicht – sah man einen bleichen Präsidenten, der mit zitternden Händen das Schriftstück entgegennahm, ohne daß während oder nach der Zeremonie auch nur ein Wort gewechselt wurde. Schon vorher war es zu einem Eklat mit dem Stellvertreter des Protokollchefs gekommen: Er hatte sich schlicht geweigert, zum Flughafen zu fahren, um, wie üblich, den Botschafter bei dessen Ankunft zu empfangen. Auch der Akkreditierung in der Residenz blieb er demonstrativ fern.

Fast dreißig Jahre lagen zwischen diesen Ereignissen und meiner Akkreditierung in Bonn. Als ich Bundespräsident Richard von Weizsäcker das Beglaubigungsschreiben überreicht hatte, gab ich einen kleinen Empfang, zu dem natürlich auch die ehemaligen deutschen Botschafter in Israel geladen waren. Rolf Pauls, beinahe an die achtzig, begegnete ich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal – ein anrührendes, für mich bewegendes Treffen, wußte ich doch um die Verdienste dieses Mannes in und um Israel, wo er mit Steinen empfangen und mit Rosen verabschiedet worden war.

Wir sahen uns danach öfter, besonders in der ersten Jahreshälfte 1995 auf Veranstaltungen anläßlich des dreißigsten Jahrestags der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen unseren Ländern. Endlich wagte ich ihm die Frage zu stellen, die mir schon als Kinobesucher 1965 durch den Kopf gegangen war: Wie lange hatte er damals auf den durch Demonstranten arg zerbeulten Dienstwagen verzichten müssen, jenes Gefährt, mit dem er sich nur mühsam einen Weg durch die aufgebrachte Menge gebahnt hatte? Ach, winkte Pauls ab, das sei nicht weiter schlimm gewesen: »Das Auto gehörte nicht mir, es war der Wagen Ihres Präsidenten.«

Rolf Pauls’ Mission, eine unbestritten rühmliche Wegstrecke in der Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen, war hauptsächlich deshalb so erfolgreich, weil er seine Aufgabe ebenso sensibel wie realitätsbewußt anging. Wie Asher Ben Natan, seinem Kollegen in Deutschland, war ihm klar, daß die Herstellung offizieller Kontakte auf Botschafterebene lediglich einen Ansatzpunkt zur Lösung der Probleme bildete, die nach wie vor und unübersehbar einer wirklichen Normalisierung des Verhältnisses im Weg standen. Die Einrichtung von Botschaften garantierte noch keine dauerhaft guten Kontakte.

Daß sich beide, Pauls wie Ben Natan, nicht ausschließlich auf das meist reibungslose Funktionieren des »Apparats« an Diplomaten und politischen Beamten verließen, in den sie selbst eingebunden waren, zeichnet ihr Wirken zum wechselseitigen Vorteil ihrer Länder aus. Sie suchten Verbindungen zu Menschen, nicht so sehr zu Institutionen. Jenseits der alltäglichen Amtsgeschäfte und aller protokollarischen Pflichten förderten sie den Jugendaustausch und das Zustandekommen von Städtepartnerschaften. Sie halfen bei der Anbahnung wissenschaftlicher und kultureller Kontakte und trieben, was allerdings ohnehin zu ihren Aufgaben gehörte, die Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik weiter voran. Nicht zufällig ist – nach den USA – die Bundesrepublik im Laufe der Jahre zu unserem wichtigsten Partner geworden.


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Erschienen 1997 beim Ullstein-Verlag, Berlin


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