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Bücher / Morascha
Koscher leben...
Jüdische Weisheit
 
 

 

Als Botschafter Israels in Bonn:
»
...mit Ausnahme Deutschlands«

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Avi Primor

Charismatische Persönlichkeiten, von der Geschichte dazu ausersehen, Entwicklungen von einiger Tragweite einzuleiten, zeichnen sich unter anderem durch den Mut aus, gegen verbreitete Grundströmungen ihrer Zeit zu handeln. Adenauer und Ben Gurion gehörten zu ihnen.

Beide haben das Wiedergutmachungsabkommen sowohl in ihrer Regierung und in ihrem Parlament wie auch in der breiteren Öffentlichkeit ihrer Länder durchgesetzt. In Deutschland akzeptierte es die Mehrheit derer, die es ursprünglich abgelehnt hatten, am Ende wohl mit einiger Gleichgültigkeit – es gab andere, dringlichere Probleme. Die Israelis reagierten, wie gesagt, mit Schmerz und Bitterkeit, schließlich mit Resignation.

Das berühmte Treffen zwischen Konrad Adenauer und David Ben Gurion am 14. März 1960 im Hotel Waldorf Astoria in New York.

Insgesamt leistete die Bundesrepublik dem Staat Israel von 1952 bis 1965 Wiedergutmachung in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar, umgerechnet damals 3,4 Milliarden Mark. Zusätzlich erhielten Juden in Israel und anderswo Renten und persönliche Entschädigungen, so auch für erlittene gesundheitliche Einbußen. Die Gesamtsumme aller Entschädigungsleistungen, einschließlich der Wiedergutmachung, liegt in der Zeit von 1952 bis 1996 bei etwa 97 Milliarden Mark. Das ist, für sich genommen, ein stattlicher Betrag. Seine Höhe relativiert sich indessen durch die Länge des Zahlungszeitraums. Und als geradezu verschwindend gering erscheint die Summe gegenüber dem Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik, das jährlich etwa dreitausend Milliarden Mark beträgt.

Anmerkung (haGalil onLine):    
BruttoSozialprodukt der BRD 1952-1996 ca. 120.000 Milliarden DM
Gesamtsumme aller Entschädigungszahlungen 1952-1996 ca. 97 Milliarden DM

Im Interesse der damals neu entstehenden deutschen Wirtschaft bestand Adenauer darauf, die Wiedergutmachung nicht mit Geld, sondern mit der Lieferung von Industriegütern zu leisten. Sie begann mit Bahnwaggons und Lokomotiven, auch mit dem Bau von Schiffen. Der damalige Leiter der Kieler Werft, Paul Nietzke, erinnerte sich in einem Fernseh-Interview, das anläßlich des dreißigsten Jahrestags der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel ausgestrahlt wurde, an die damalige Besserung der Auftragslage. Bis dahin sei die Werft hauptsächlich mit Reparaturen »über Wasser gehalten« worden. »Dann kamen die Verhandlungen mit den Israelis 1953/54; sie führten zum Bau der ersten Schiffe, die 1953 bis 1957 abgeliefert worden sind, und das war eigentlich für die Schiffsbauer damals in Deutschland ein recht guter Erfolg ...«

Im Rahmen der Wiedergutmachung sind auf deutschen Werften insgesamt dreißig Schiffe hergestellt und an Israel geliefert worden. Sie bildeten den Auftakt zu späteren regulären Lieferungen, wie Israel überhaupt seit dem Auslaufen des Wiedergutmachungsabkommens regelmäßig Industrieprodukte in Deutschland bestellt hat, deren Herstellung zuvor unter Leistungen gefallen war, die das Abkommen vorsah. Bis heute importiert Israel aus Deutschland mehr als doppelt soviel, als es nach Deutschland exportiert. Israel brauchte Investitionen. Sie waren nötig zum Aufbau der Wirtschaft mit einer leistungskräftigen Industrie und einer gut funktionierenden Infrastruktur. Die Lieferungen aus Deutschland kamen dafür wie gerufen.

Die Überführung von Maschinen, technischem Gerät oder ähnlichem ging natürlich nicht ohne menschliche Kontakte auf beiden Seiten vor sich. Deutsche Techniker mußten nach Israel, israelische Experten nach Deutschland reisen, die einen, um etwa ihre Kollegen in der Bedienung gelieferter Maschinen zu instruieren, die anderen, um bestimmte Herstellungstechniken oder einfach die deutsche Infrastruktur kennenzulernen. In jedem Fall waren längere Aufenthalte, hier wie dort, unvermeidlich, damit aber auch Erlebnisse, in denen sich gleichsam die Summe aller Erfahrungen offenbarte, die Deutsche und Juden bis dahin miteinander gemacht hatten.

Beispielhaft dafür sind die Auskünfte, die ein israelischer Eisenbahningenieur nach seiner Rückkehr aus Deutschland einem Rundfunkreporter gab. Ich erinnere mich deutlich an das Gespräch: Der Mann, ein deutschsprachiger Jude und verheiratet mit einer ehemaligen Berlinerin, war wegen seiner Sprachkenntnisse nach Deutschland geschickt worden, um sich hier mit der Bedienung von Lokomotiven vertraut zu machen, die an Israel geliefert werden sollten. Korrekt, wie sie ihm begegnet waren, sah er keinen Anlaß, sich über die Deutschen zu beklagen. Nur mit den Angehörigen der Familie, bei der er wohnte, hatte er in den drei Monaten, über das allernötigste hinaus, kaum ein Wort gewechselt. Dem Zuhörer mußte sich am Ende der Eindruck vermitteln, beide, der Ingenieur und seine Gastgeber, hatten es nicht anders gewollt.

Und wie erlebten, vor diesem Zeithintergrund, Deutsche die Israelis in deren Land? Zufällig war der alte Herr, den ich nach meiner Amtsübernahme in Deutschland kennenlernte, ebenfalls Bahningenieur. Seine Schwierigkeiten begannen schon, bevor er nach Israel reiste: Nicht wenige aus seinem Bekanntenkreis hielten das Vorhaben für verrückt, ja lebensgefährlich. Anders als der israelische Kollege in Deutschland hatte er dann, als er im Land war, eine ganze Reihe privater Begegnungen. In fast allen Gesprächen aber sah er sich unvermeidlich mit Fragen nach dem Holocaust konfrontiert – wie hatte es dazu kommen, wie hatte ein zivilisiertes Volk derartiges anrichten können? Und immer wieder: »Was haben Sie während des Kriegs gemacht? Was dachten und taten Ihre Eltern?«

Nur allmählich, als sie häufiger wurden, brachen solche unmittelbaren menschlichen Kontakte das Eis, das sich in der Nachkriegszeit zwischen Deutschen und Israelis aufgetürmt hatte. Den vielleicht nachhaltigsten Beitrag dazu leistete die Aktion Sühnezeichen. Ich erinnere mich noch deutlich an das peinliche Gefühl, das ich bei der Nachricht vom Eintreffen der ersten Freiwilligen dieses vorwiegend vom Gedanken der Buße und praktischer christlicher Nächstenhilfe bestimmten Programms empfand. Einerseits war man geneigt, die jungen Leute als »Gerechte« im biblischen Sinn anzunehmen, als jene wenigen also, nach denen Abraham in Sodom suchte, um das der Stadt angedrohte göttliche Strafgericht abzuwenden. Abraham suchte vergeblich. Er trieb nicht einmal zehn wirklich Schuldlose auf. Er hätte sie, dachten wir, auch während der Kriegsjahre in Deutschland nicht entdeckt, nun aber sollte es sie dort plötzlich geben?

Wie sollte man mit diesen Menschen umgehen? Handelte es sich bei ihnen um seltene Ausnahmen, oder waren sie als exemplarisch anzusehen für eine breitere Strömung innerhalb ihres Volkes? Am liebsten hätten wir solche Fragen gar nicht erst aufkommen lassen. Die wenigen, die mit den ersten Sühnezeichen-Freiwilligen zusammentrafen, konnten ihre Emotionen nicht immer beherrschen. Es kam vor, daß sie diesen Deutschen die Untaten der Nazis vorhielten und sie beschimpften, obwohl sie wußten, daß sie nicht nur unschuldig, sondern auch bereit zu Versöhnungsopfern waren, mochten diese auch noch so gering und vielleicht mehr symbolisch gemeint sein. Da sie aber sonst keine Gelegenheit hatten, Deutsche das ganze Maß ihrer Verbitterung spüren zu lassen, und die Sühnezeichen-Leute vermutlich die einzigen Vertreter ihres Landes sein würden, denen sie je begegneten, dienten diese ungerechterweise als eine Art Klagemauer. Mich bestärkte das alles nur in meiner Haltung, den Umgang mit Deutschen, den »bösen« wie den vermeintlich »gerechten«, nach Möglichkeit zu meiden. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit schien mir zu kompliziert, zu unerträglich. Mit dieser Auffassung stand ich nicht allein.

Dennoch, die ersten direkten Begegnungen zwischen Deutschen und Israelis nach dem Krieg, vor allem jene außerhalb der offiziellen Kontaktwege, blieben nicht wirkungslos, im Gegenteil. Absprachen zwischen Unterhändlern, diplomatische Abkommen und Vertragsabschlüsse, von beamteten Experten umgesetzt, mochten förderlich sein für die Karrieren der Beteiligten und nützlich für Handels- oder sonstige Beziehungen der betreffenden Länder – auf Stimmungen und landläufig verbreitete Meinungen nehmen sie gewöhnlich keinen Einfluß. Verändernd wirken allein der alltägliche persönliche Umgang einzelner miteinander und die Erkenntnis, die jeder für sich aus solchen Begegnungen gewinnt. Sie schaffen neue Realitäten, sind letztlich stärker als jede Politik und Propaganda.

Diesen Aspekt ließ selbst Heinrich Himmler nicht in der berüchtigten Rede aus, die er am 4. Oktober 1943 vor hohen SS-Führern in Posen hielt. Nachdem er sich über die »Tugenden« des Idealbilds eines SS-Mannes geäußert hatte (»ehrlich, anständig, freundschaftlich, kameradschaftlich ... zu unserem eigenen Blut«), sprach er über »Menschentiere« – gemeint waren die osteuropäischen Völker und deren künftige Sklavenrolle. »Ich will«, fuhr Himmler fort, »auch ein ganz schwieriges Kapitel hier vor Ihnen ausbreiten. Ich meine die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht, das jüdische Volk wird ausgerottet. Das sagt Ihnen jeder Parteigenosse, ganz klar, steht in unserem Programm drin, machen wir, pah, Kleinigkeit ... Und dann kommen sie alle, alle die braven, artigen jungen Deutschen, jeder hat seinen anständigen Juden, alle anderen sind Schweine, ihre sind prima Juden. So kann es nicht weitergehen...«

Himmler räumte damit, sicherlich ungewollt, die Existenz enger privater Kontakte zwischen deutschen Juden und Nichtjuden ein, zu einer Zeit, als die Deportationen längst im Gange und die Nazi-Ideologen besonders bemüht waren, im deutschen Volk den Haß auf alles Jüdische zu schüren. Wenn sogar zu Fanatikern des Nationalsozialismus erzogene junge Menschen imstande waren, einen Juden, den sie persönlich näher kannten, anders zu betrachten, als Erziehung und Propaganda es ihnen vorschrieben, dann war das ein Beweis für die relative Stärke persönlicher Kontakte gegenüber der Wirkung der Propaganda.

Als ich durch einen Film von Himmlers Rede erfuhr, machte ich die Gegenrechnung auf: Eine halbe Million Juden, verteilt auf eine Bevölkerung von damals achtzig Millionen – dieses Verhältnis gab der Mehrheit der Deutschen im Dritten Reich keine Chance, Juden bewußt als Juden wahrzunehmen, geschweige denn in engeren Kontakt zu ihnen zu treten. Der Versuch, die Deutschen davon zu überzeugen, Juden seien Ungeziefer, mußte bei der Mehrheit größeren Erfolg haben als bei den wenigen, die Juden zu ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zählten, Juden, mit denen sie ehrlich, ohne unangenehme Dinge zu verschweigen, reden konnten.

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Erschienen 1997 beim Ullstein-Verlag, Berlin


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