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Avi Primor
»...mit
Ausnahme Deutschlands«
Als Botschafter Israels in Bonn
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IIf.Teil
Annäherungen
So unversehens heftig die Emotionen waren,
die mit der Diskussion um das Wiedergutmachungsabkommen ausbrachen, so
unanfechtbare Vernunftgründe gab es, die für die Annahme der Vereinbarungen
sprachen. Tatsache ist, daß Ben Gurion das Abkommen nicht nur akzeptiert
hat, er hatte es auch gewünscht. Ursprünglich wollte er direkte Kontakte mit
den Deutschen möglichst vermeiden. Sein Plan, über die Siegermächte
Entschädigungen von Deutschland zu erhalten, scheiterte an der mangelnden
Bereitschaft der Alliierten – die Russen, allein an der wirtschaftlichen
Ausbeutung ihrer Besatzungszone interessiert, haben seine Vorstellungen zur
Mittlerrolle nicht einmal beantwortet. Die Westmächte wiederum erkannten die
Komplikationen eines Präzedenzfalls: Sie fürchteten, auch mit Ansprüchen
anderer Länder konfrontiert zu werden. Darüber hinaus sahen sie die Gefahr,
verantwortlich für Ansprüche an Staaten zu werden, die während des Kriegs
Verbündete Deutschlands waren.
Überlegungen Adenauers, die er etwa zu
gleicher Zeit anstellte, schlossen den Gedanken an eine Wiedergutmachung
nicht aus, im Gegenteil. In einem Interview mit dem Journalisten Rolf Vogel
erklärte er, die Verbrechen an den Juden müßten gesühnt, die Opfer
entschädigt werden, wenn Deutschland wieder Ansehen unter den Völkern der
Erde gewinnen wolle: »Die Macht der Juden, auch heute noch, insbesondere in
Amerika, sollte man nicht unterschätzen.« Von da an sah Ben Gurion keine
Alternative mehr zur direkten Kontaktaufnahme mit den Deutschen.
Dabei waren es zunächst nicht einmal
moralische Gründe, aus denen Ben Gurion eine umfassende Entschädigung
anstrebte. Er teilte nicht unbedingt die Auffassung jenes
Knesset-Abgeordneten, der das Abkommen unterstützte und in Anknüpfung an ein
bekanntes Bibelwort (»... sowohl gemordet als auch geerbt«) die Frage
stellte, ob man den Mördern denn auch noch das geraubte Eigentum überlassen
solle. Ben Gurion hatte vielmehr die damalige Situation seines Staats, die
Lage Israels nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948/49, im Auge, mit der eines
anderen kaum zu vergleichen. Es war ein kleiner Staat, der trotz seines
Siegs noch immer eingekesselt und belagert war, der im langen Krieg, im
ersten Jahr seiner Existenz, schwere Verluste an Menschen und materiellen
Gütern hatte hinnehmen müssen, den die Nachbarstaaten wirtschaftlich,
politisch und – nicht ohne Einfluß auf andere Länder – diplomatisch
boykottierten, der keine Vorräte, kaum Industrie und eine nur schwach
entwickelte Landwirtschaft besaß. Ein Staat ohne wirtschaftlichen Anreiz für
ausländische Investoren und doch auf fremde Hilfe angewiesen. Die später so
enge Freundschaft mit den Vereinigten Staaten befand sich erst in den
Anfängen.
Auch die USA hatten gegen Israel ein
Waffenembargo verhängt. Waffen, die auf regulären Wegen niemand liefern
wollte, mußten auf dem Schwarzen Markt beschafft und in harten Devisen
bezahlt werden. Als erster Staat zeigte sich die Sowjetunion zur Hilfe
bereit, verlangte aber für Lieferungen aus einem ihrer Vasallenstaaten, der
Tschechoslowakei, gleichfalls Devisen. An denen jedoch fehlte es – ein
Mangel, der zu Lasten der ehemaligen Kolonialmacht England ging. Die
autonome Gemeinschaft der Juden unter britischem Mandat in Palästina hatte
vernünftig gewirtschaftet und bedeutende Ersparnisse sammeln können. Die
aber befanden sich in London, nach Erlangung unserer Unabhängigkeit wurde
dieses Konto eingefroren. Von der Aufnahme in das Commonwealth, dem die
unabhängig gewordenen ehemaligen britischen Kolonien beigetreten waren,
schloß man uns mit der Begründung aus, Israel sei keine Kolonie, sondern
Mandatsgebiet – eine Auffassung, die dazu führte, daß man uns auch aus der
Sterlingzone ausschloß.
Das einzige, das wir im Übermaß erhielten,
waren Flüchtlinge, Massen über Massen, Überlebende aus den
Konzentrationslagern, Vertriebene aus arabischen Ländern, die alle nichts
weiter besaßen als ihr nacktes Leben. In anderthalb Jahren wuchs unsere
Bevölkerung auf das Doppelte. Die Flüchtlinge mußten versorgt, das Land
verteidigt werden. Doch womit? Wenn es eine Möglichkeit gäbe, von
irgendwoher, und sei es vom Teufel persönlich, unter den gegebenen Umständen
wirtschaftliche Hilfe zu erhalten, Förderungsmittel und Investitionen – er,
das war Ben Gurion klar, würde sie akzeptieren.
Deutschlands Pflicht sei es, sagte er, nicht
Wiedergutmachung zu leisten, auch keine schlichte Entschädigung. Vielmehr
ginge es darum, den Überlebenden der Konzentrationslager einen Neuanfang zu
ermöglichen. Die Fortdauer und Stabilität des Staates Israel erschienen ihm
wichtiger als die Rücksichtnahme auf Empfindlichkeiten, die aus der
Vergangenheit herrührten. All dies hat er uns zu erklären versucht, nicht
immer mit Erfolg. Die Vernunft hatte es schwer, sich zu behaupten. Lieber
hungern, als von den Deutschen etwas annehmen, war die Meinung vieler.
Auf wenig Verständnis auch stieß vorerst ein
Argument Ben Gurions, mit dem er uns ein gewisses Maß an Entgegenkommen
abverlangte. Wir seien verpflichtet, sagte er, möglichst diejenigen in
Deutschland zu ermutigen, die sich um den Aufbau einer demokratischen
Gesellschaft bemühten, willens, die Wurzeln des Nazi-Übels auszureißen und
ein anderes Deutschland zu erschaffen. Adenauer sei ein solcher Mann. Wenn
Ben Gurion zunächst von der Ermutigung als einer Verhaltensform sprach, die
sich auf Anstrengungen in bezug auf ein in der Zukunft liegendes Ziel
richtete, eben auf jenes »andere« Deutschland, dann klangen spätere
Äußerungen so, als gebe es dieses Deutschland bereits.
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Erschienen 1997 beim Ullstein-Verlag, Berlin
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