Sommeruniversität München 2005
Fremde Heimat - vertrautes Exil? In der Vorlesungsreihe von Natan Sznaider spricht David Gall am 19-07-2005, 13.00h - 15.00h, über Antisemitismus und neue Medien Unter den Teppich kehren: Antisemitismus ist zwar ein Problem der
gesamten Gesellschaft, wahrgenommen wird er aber noch immer am ehesten von
Juden. Gleichgültig? Unerfahren? Hilflos? Über antisemitische Hetze in den
mittlerweile nicht mehr ganz so "neuen Medien" wurde im Laufe der letzten
10 Jahre viel geschrieben, viel diskutiert, viel lamentiert. Viele Gründe
wurden dafür angeführt, weshalb man so wenig gegen diese Flut der Hetze
unternehmen könne. Einige Vorschläge zur Eindämmung wurden im Rahmen
hochkarätig besetzter Konferenzen diskutiert und verworfen, andere wurden
weiter verfolgt und irgendwann ad acta gelegt, an wieder anderen wird noch
immer gefeilt. An die regelmäßigen Meldungen der Staatsschutzorgane über
immer bedrohlichere Zuwachsraten der sogenannten "Hass-Seiten" und die
zunehmende Hemmungslosigkeit der Hetzer, hat man sich unterdessen gewöhnt. Der Erfolg dieses Modells liegt wohl mit darin begründet, dass wir von Anfang an nicht gegen etwas, sondern für etwas gearbeitet haben. Um es in einem Satz zu sagen: "Wir haben weniger gegen die Lüge gearbeitet als vielmehr für die Wahrheit". Wir waren nicht gegen die Einfalt, sondern haben die Vielfalt mitgestaltet. Die antisemitische Propaganda im Allgemeinen Antisemitismus ist das zentrale Merkmal fundamental-nationalistischer Weltanschauung und damit Bindemittel unterschiedlichster Bewegungen, von Pamjat in Russland bis zum Ku-Klux-Klan in Amerika, von christlich-arischen Allianzen und islamistischen Fundamentalisten. Diese Tatsache wird inzwischen oft genug und deutlich zur Schau gestellt, wenn z.B. Horst Mahler die Anschläge der Al-Kaida auf das World Trade Center bejubelt. Gerade die Beobachtung und Auswertung der Internet-Seiten all dieser Organisationen macht deutlich, dass der Antisemitismus seit vielen Jahren eine immer dominantere und immer aggressivere Stellung einnimmt. Wie hemmungslos auch die dümmsten Hetzschriften immer wieder angeboten und auch angenommen werden, zeigt sich ganz besonders deutlich in den neuen Medien. Seit Mitte der 90er Jahre wird es immer offensichtlicher, dass antisemitische Propaganda im Internet, viel gefährlicher ist, als die bisher üblichen Propagandamittel (Zeitungen, Flugblätter und NPD-Vorträge in irgendwelchen Hinterzimmern). Die Erklärung dafür ist einfach: Über relevante Stichworte ist es im Internet möglich, völlig "unbedarfte Leser" zu erreichen, zum Beispiel einen Schüler, der ein Referat zum Thema "jüdische Feiertage" schreiben muss. Die Studie "Kinder Online 2004" berichtet, dass das Internet bei Kindern und Jugendlichen inzwischen beliebter als das Fernsehen ist und von 90 Prozent aller Kinder genutzt wird. Kinder interessieren sie sich zwar nicht explizit für "verbotene" Inhalte. Die Begegnung mit NS-Propaganda erfolgt aber unbeabsichtigt, wenn Informationen für die Schule gesucht werden, d.h. also im Rahmen einer themenrelevanten Recherche in Suchmaschinen. Information, Kommunikation und Repression: Als haGalil onLine seine Arbeit
aufnahm, war Jizhak Rabin bereits ermordet, der Friedensprozess aber noch
nicht zusammengebrochen. Die Hamas sammelte schon Gelder in Europa, von
Al-Kaida hatte aber noch niemand gehört. Horst Mahler schrieb schon alles,
was wir heute auch in der saudischen Presse lesen können. In Brandenburg
gab es schon national-befreite Zonen und in Rostock brannte das
Sonnenblumenhaus. Vom WTC konnte man die halbe Welt sehen und die war
damals noch bunter, von Nuancen zu reden war noch selbstverständlicher. Vielen erscheint es hoffnungslos, gegen all diese uralten und abgrundtief dummen Hassparolen vorzugehen - wir meinen aber, dass man die Hetzer weder gewähren lassen kann noch darf. Im übrigen ist es auch hier so, dass sich selbst aus beunruhigenden Tatsachen ein "positiver Aspekt" folgern lässt: Je zentraler die Bedeutung der antisemitisch-antizionistischen Konstrukte im ideologischen Fundament einer Bewegung, um so nachhaltiger ist sie in ihren Grundfesten zu erschüttern, wenn es gelingt, diese Propaganda als Wahngebilde zu entlarven. Wir behaupten nicht, dass dies das wichtigste aller Probleme sei und auch nicht, dass wir die einzig mögliche Lösung gefunden haben. Wir betonen lediglich, dass dieses Problem ein ernstzunehmendes ist und dass man etwas tun muss und etwas tun kann. Dass der Antisemitismus eine Gefahr für die gesamte Gesellschaft darstellt betonen Politiker aller Couleur. Viele schildern bei Gedenkveranstaltungen oder nach Wahlsiegen nazistischer Parteien die Lage zehnmal bedrohlicher als wir es je getan haben. Betroffenheit heucheln ist aber etwas anderes als betroffen sein. Das eine führt zum Reden, Konferieren, Konzipieren, perspektivisch andenken, das andere zum Tun. Wenn Sie der Meinung sind, dass Antisemitismus ein Problem ist, dass Antisemitismus ein Problem der Gesellschaft und nicht nur Privatangelegenheit einiger weniger ist, dann sollten Sie sich nicht nur überlegen was vielleicht wünschenswert wäre, als vielmehr, was überhaupt machbar ist - und jene unterstützen, die dies schon lange tun. ERSTENS: ZWEITENS: DRITTENS: Was getan werden kann, muss endlich
unterstützt werden: Rede gehalten im Rahmen der IV.
Sitzung der OSCE-Conference zum Anti-Semitismus in
Berlin: Information and Awareness Raising - The Role of the Media
in Conveying and Countering Prejudice. Wir sollten das Internet nicht in erster Linie als Bedrohung, sondern viel mehr als eine Chance für Dialog und Verständigung in einer vielfältigen und globalen Gesellschaft begreifen. Natürlich ist es wahr, dass der Antisemitismus im Internet eine immer dominantere und aggressivere Stellung einnimmt und dass das World Wide Web zum effektivsten Werkzeug zur Artikulation und Verbreitung von Ressentiment, Vorurteil und Hass gegen Juden geworden ist. Es erreicht nämlich nicht nur jene, die Hetzartikel und Propagandamaterialien suchen, sondern auch jene, die an themenbezogen neutraler Information interessiert sind. Die Tatsache, dass die meisten Menschen, zumindest in Deutschland, sowenig über jüdisches Leben und Judentum wissen, macht es den Antisemiten so einfach, ihre Botschaft des Hasses zu verbreiten. Antisemitismus ist das kennzeichnende Merkmal fundamentalistisch-nationalistischer Ideologie und als solches gemeinsamer Nenner so unterschiedlicher Bewegungen wie Pamjat in Russland und dem Ku-Klux-Klan in Amerika, Christlich-Arischer Allianzen und Islamistischer Fundamentalisten. Es hat ungefähr zehn Jahre gedauert, bis diese Tatsachen zu einer breiteren Öffentlichkeit durchgedrungen sind, und wir sind sehr froh darüber, dass sich konsequenterweise eine OSZE-Konferenz in Paris schon im nächsten Monat speziell mit dem Thema "Antisemitismus im Internet" auseinandersetzen möchte. Es ist nun sehr zu hoffen, dass diese Erkenntnisse auch zu den Entscheidungsträgern durchdringen werden, und es nicht noch einmal zehn Jahre dauern wird, bis geeignete Gegenstrategien nicht nur erkannt, sondern auch endlich unterstützt werden. Es ist verständlich, dass Forderungen nach einem weltweit verbindlichen Wertekonsens immer wieder erhoben werden. Vielleicht sind solche Forderungen sogar lobenswert, realistisch sind sie auf keinen Fall. Sie gehen davon aus, dass festgelegt werden könnte, was über Juden und den Staat Israel verbreitungswert sei, und dies nicht nur am Bodensee, sondern auch in Malaysia, in Durban, in Riad oder Teheran. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir reden hier über das hartnäckigste und mörderischste Vorurteil der menschlichen Geschichte. Im Hinblick auf ein internationales, dynamisches, dezentralisiertes und offenes Medium sind Strategien, die sich in erster Linie oder gar ausschließlich auf obrigkeitsstaatliche Kontrollmechanismen stützen nicht nur illusorisch, sondern geradezu fahrlässig und gefährlich. Die Diskussion sollte endlich einmal darüber hinauskommen, was wünschenswert wäre und sich stattdessen darauf konzentrieren, was getan werden kann, bzw. schon längst getan wird und mit entsprechender Unterstützung noch viel besser getan werden könnte. Seit 1995 haben wir ein recht einfaches Modell immer weiter entwickelt, so dass es heute vielfältig und in unterschiedlichen Ländern einsetzbar ist. Vielleicht ist es gerade deshalb so erfolgreich, weil wir es nicht gegen, sondern für etwas aufgebaut haben. Wir haben sozusagen weniger gegen die Lüge, als vielmehr für die Wahrheit gearbeitet. Unsere Hauptstrategie ist die Schaffung eines massiven Gegengewichts durch eine Vielfalt aufklärender Information. Die ständige Aktualisierung und Verbesserung unseres Angebots unter einer Adresse führt zu immer besseren Positionierung in den Suchmaschinen. Wenn es uns gelingt 100 unserer Seiten beispielsweise zum jüdischen Feiertag "Purim" zu veröffentlichen, so stehen die Chancen, dass ein Schüler auf der Suche nach Informationen zu diesem Thema bei uns landet, hundert mal größer als dass er beim NPD-Anwalt Horst Mahler landet, der diesem Thema aus ganz anderen Gründen ebenfalls einen Artikel widmet. Unser zweiter Ansatz nutzt die
kommunikativen Möglichkeiten eines aktiven und lebendigen Onlinedienstes,
denn die beste Vorraussetzung für Verständigung sind Begegnung und
authentische Information. Aus einer Menge von monatlich 220.000 Besuchern, erhalten wir täglich Dutzende von Anrufen und e-Mails mit Anfragen von Journalisten, Schülern und Lehrern. Unsere Foren und Chats bieten weitere Möglichkeiten zur Kommunikation. So überraschte es uns nicht, dass eine Nazi-Aussteigerin die Vorsitzende einer jüdischen Gemeinde in Bayern kennenlernte und die beiden eine gemeinsame Reihe von Vorträgen an Schulen und Jugendzentren ins Leben riefen. Von vielen werden wir als Anlaufstelle für den Kampf gegen Rechts wahrgenommen und unsere Ausdauer ist für viele ein ermutigendes Zeichen in dieser Auseinandersetzung. Wenn wir auch nicht in erster Linie auf legislative Maßnahmen bauen, nutzt unser dritter Ansatz dennoch juristische Mittel als ein weiteres effektives Werkzeug im Kampf gegen den Hass. Nach massiven Angriffen auf unsere offenen Foren stellten wir das weltweit erste Formular zur elektronischen Meldung antisemitischer Hetze. Im Jahr werden ca. 1000 Vorfälle gemeldet und ein großer Teil der deshalb geahndeten Straftaten kam über dieses Formular zur Verhandlung. Zur Vervollständigung entsprechender Erkenntnisse werden einschlägige Angebote konstant beobachtet. Diese Beobachtungen führten unter anderem auch zur Aufdeckung der antisemitischen Rede des Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann. Nachdem wir diese Erkenntnis im November 2003 der Öffentlichkeit mitgeteilt haben, folgte der Ausschluss Hohmanns aus seiner Fraktion. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. |