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Militärfriedhof Har Herzl:
Jerusalem im Mai

Ich konnte und wollte es mir nicht vorstellen...

Ich versuche, die Beerdigung von Edron Amar zu beschreiben. Edron war einer der sechs Soldaten, die nach der Aktion im Viertel Zeytoun von Gazastadt starben, nachdem ihr APC, der auch Sprengstoff beförderte, durch eine Mine zur Explosion gebracht wurde.

Es fällt mir nicht leicht. Vom Typ her habe ich Schwierigkeiten, Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit usw. zuzulassen. Ich wollte zu dieser Beerdigung gehen, zum einen weil mir mein Kollege Yehoram, der Onkel des toten Soldaten, nahe steht und zum anderen, weil ich mich mit dieser Situation konfrontieren wollte. Wenn die Beerdigungen am Fernsehen gezeigt werden, fällt mir nur allzu schnell ein, dass ich das Geschirr spülen oder die Wäsche aufhängen sollte.

Diesmal organisierte die Firma keinen Bus, sondern diejenigen, die einen Firmenwagen haben, nahmen andere nach Jerusalem mit. Ich fuhr mit Yotam, der wie ich im Verkauf ist, unserer Sekretaerin Vivian und Zeev, einem Mitarbeiter aus der Logistik. Die Fahrt ueber sprachen wir natuerlich fast nur ueber unsere Arbeit, nicht zuletzt deshalb, weil wir bald einen neuen Chef bekommen werden.

In Jerusalem kannte witzigerweise ich die Strecke, die wir zum Har Herzl fahren mussten, obwohl ich viel seltener in Jerusalem bin als die anderen. Wir kamen an und stellten fest, dass die Parkplaetze schon ziemlich voll waren. Zwei Militaerpolizisten wiesen uns schließlich auf einen freien Platz. Waehrend der Parkplatzsuche hatten wir ein Schild geschehen "zur militärischen Zeremonie", in diese Richtung gingen wir, obwohl Vivian meinte, dass mindestens soviele Leute gerade in die andere Richtung stroemten. Ich wies sie daraufhin, dass den ganzen Tag ueber Beerdigungen stattfanden, dass wahrscheinlich die eine Trauergemeinde gerade den Friedhof verließ, während wir zur Beerdigung von Edron Amar gingen.

An einem Durchgang lehnten Halbwüchsige mit Plakaten an der Mauer: "Dank der Armee und ihren Soldaten". Sie verteilten Getränke an die Leute, die zu oder von einer Beerdigung kamen.

Der Durchgang weitete sich zu einem kleinen Platz, wo dicht gedraengt viele Menschen standen und auf Steinbaenken sassen. Hinter diesem Platz fuehrte eine Treppe zum eigentlichen Friedhofsgelaende hinauf. Ein Krankenwagen versperrte halb die Zufahrt. Wir sahen einen anderen Kollegen, Coby, in einer Ecke stehen und gesellten uns zu ihm. Aus der Mitte der Menge drang Weinen und Schluchzen. Vivian und Zeev draengten sich vor, um zu sehen, ob wirklich die Familie Amar dort war. Wir anderen hatten das Gefuehl, dass wir uns besser abseits hielten. Wir warteten und warteten. Mit uns warteten viele Soldaten und Soldatinnen. Sie sahen so mitgenommen aus, als ob sie seit dem fruehen Morgen an einer Beerdigung nach der anderen teilgenommen haetten, was vermutlich zutraf, schliesslich gehoerten alle 6 Getoeteten der selben Einheit an. Ihre Augen waren rot verquollen. Ich schaute diese Jungen und Maedchen mit einem Gefuehl an, das schon an Ehrfurcht grenzte. Dazu sollte ich vielleicht noch sagen, dass ich nie Militaerdienst geleistet habe und fast keinen Schimmer vom Militaer habe. Ich fand und finde es bemerkenswert, dass hier Zwanzigjaehrige zum einen solche Aufgaben uebernehmen und gleichzeitig an den Feiern fuer ihre toten Mitsoldaten einfach weinen koennen.

Endlich kam ein Militaerjeep und der mit der israelischen Fahne bedeckte Sarg wurde ausgeladen. Offensichtlich hatten wir darauf gewartet. Die Schwester des Toten fiel bei seinem Anblick um und wurde in den Krankenwagen gebracht. Offensichtlich stand er genau fuer solche Faelle da. Fuer mich war alles ungewohnt, daher fielen die Groschen bei mir nur langsam. Das staendige Weinen und Klagen aus der Mitte des Kreises zerrte an meinen Nerven. Ich weinte streckenweise hinter meiner Sonnenbrille mit, aber das erleichterte meine Spannung nicht. Schliesslich setzte sich ein ungeordneter Zug in Bewegung. Soviele Trauernde waren anwesend (und ich sah wirklich keinen Grund, mich vorzudraengen), dass ich weit weg vom Grab zu Stehen kann - ich sah nur die Menschen um mich herum, einige Baeume, auf denen seltsam troestlich ueber dem Weinen der Menge Voegel zwitscherten. Der Sarg wurde mit wenig Zeremoniell in die Grube gesetzt. Am offenen Grab sprach zuerst der Militaerrabbiner das Kaddisch, dann der Vater, dessen Stimme immer wieder brach. Ein Vertreter der Armee, der Armeerabbiner, der Buergermeister von Eilat (Edrons Heimatstadt), die Direktorin von Edrons Schule, Freunde Edrons von der Armee, aus seinem Zivilleben, sein Onkel (mein Kollege), schliesslich der Vater hielten kurze Grabreden. Ich weiss nicht, ob die Reihenfolge der Redner danach festgelegt wurde: Jedenfalls wurden die Reden immer persoenlicher, der Vater zuletzt konnte kaum noch sprechen. Eine Ehrensalve wurde abgegeben. Ich habe nicht gehoert, wie das Grab zugeschaufelt wurde.

Ploetzlich sagte der Rabbiner, dass die Zeremonie beendet sei, aber niemand verliess den Bereich des Grabes. Im Gegenteil versuchten alle, dorthin zu gelangen, um einen Stein ablegen zu koennen. Ich zoegerte erst, dann versuchte ich es auch. Aber die Familie und einige Freunde lagen fast ueber dem Grab. Ich haette nur mit hartem Draengeln dorthin kommen koennen, den Stein ueber die Koepfe hinweg zu werfen, kam auch nicht in Frage. Neben dem Grab sah ich drei weitere, frische Graeber, anscheinend die frueheren Grablegungen von diesem Tag.

Schließlich sagte der Rabbiner der Chevra Kaddischa zu den Angehörigen, dass sie den Ort räumen müssten, weil das Grab fuer die nächste Beerdigung geöffnet werden musste. Ich sah die Eltern, gestützt von Freunden, langsam weggehen. Ich versuchte, mit ihnen zu fühlen und dachte an die unsägliche Freude, die ich empfand, als ich mein erstes Kind im Arm hielt (Edron war ihr Erstgeborener), aber ich stieß schnell an meine Grenze. Ich konnte/wollte mir nicht vorstellen, wie es sein muss, ein geliebtes Kind in die Erde zu legen. Zeev fand mich in der Menge und zog mich mit sich zu einem Brunnen, wo wir die Hände wuschen. Als wir die Treppe hinuntergingen, sahen wir unseren Kollegen, Edrons Onkel, auf der Steinbank neben dem Krankenwagen sitzen. Er wirkte seltsam gefasst. Unsere anderen Mitarbeiter umringten ihn. Ich umarmte ihn und sagte ihm, dass mir die Worte fehlten und das taten sie wirklich. Ich hörte der Unterhaltung der anderen zu. Yehoram, der Onkel, erzählte, dass schon einer seiner Onkel, ein Gefallener des Yom Kippur Kriegs, auf Har Herzl begraben wurde und dass die Familie deshalb die Beerdigung in Jerusalem dem Militärfriedhof in Eilat vorzog. Eine alte Dame fragte, welches die richtige Gebetsrichtung sei, sie wollte Psalmen lesen, während sie auf die nächste Beerdigung wartete.

Auf einmal kam der Sanitäter aus dem Krankenwagen und sagte Yehoram, dass sie am besten ins Krankenhaus gebracht wuerde. Yehoram verweigerte sein Einverständnis und ich realisierte (wie immer an diesem Nachmittag reichlich spät), dass er offensichtlich beim Krankenwagen stand, weil seine Nichte immer noch darin lag und vom Sanitäter betreut wurde. Yehoram bat den Sanitäter, in der Ambulanz intravenös Flüssigkeit zuzuführen, aber der weigerte sich und meinte, dass er das Risiko nicht eingehen koennte. Wenn Infusion, dann Krankenhaus. Yehoram wollte offensichtlich nicht, dass die Trauerfamilie nach der Beerdigung noch im Hadassah-Hospital einkehren müsste. Als die Verhandlungen intensiver wurden, verabschiedeten wir uns leise. Beim Durchgang nahm ich dankend einen Becher Wasser von einem der Jungen, die dort bei ihren Plakaten standen. Mir fiel auf einmal ein, dass ich seit Stunden nichts getrunken hatte. Auf der Rückfahrt sprachen meine Kollegen darüber, wie schlimm es fuer die Familie gewesen sein musste, als Palästinenser die sterblichen Überreste ihres Sohnes schändeten. Ich schwieg und dachte an meine Töchter - wie mein Mann wohl mit der Abendessen, Baden und ins Bettbringen zurecht käme. Als ich nach Hause kam, warteten sie im Pyjama noch auf mich. Die Grosse wollte wissen, warum ich so lange hätte arbeiten müssen. Ich erklärte, dass ich am Nachmittag nicht gearbeitet hätte, sondern mit Menschen zusammen gewesen sei, denen etwas Schlimmes widerfahren sei. Ich und viele andere hätten versucht, sie ein bisschen zu trösten, obwohl ich nicht sicher sei, ob uns das gelungen sei. Die Kleine kuschelte sich eng an mich. Schließlich brachte ich die Kinder ins Bett. Vor dem Einschlafen sagte meine Grosse noch "Zum Glück passieren nur ganz selten schlimme Dinge." Dann rief eine Freundin an und frage, ob ich mit ihr Walking ginge. Ich sagte kurz entschlossen zu. So schnell wie diese Mal hatten wir die Strecke noch nie geschafft. Das half mir endlich, die Spannung, die mich die ganze Zeit wie betäubt hatte, etwas loszuwerden. Mein Mann redete kaum ein paar Sätze mit mir, aber er nahm mich später ganz fest in den Arm, wo ich dann schließlich einschlief.

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