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Judentum und Israel
   
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Mene Mene Tekel:
Die Zeichen des Mordes standen an der Wand

Ernest Goldberger

Die Zeichen des Mordes an Rabin standen gross an der Wand, eingemeißelt mit Hass, tiefer Feindseligkeit, Gesprächsunfähigkeit, einem überbordenden gesellschaftlichen Narzissmus und geschmückt mit den Wahrzeichen einer entleerten Religion. In dieser hysterischen Atmosphäre waren keine weiteren Begründüngen für den Mord notwendig. Es blieb nur die Frage, wer ihn begehen würde.

Ausgeführt wurde er von Yigal Amir, einem 25-jährigen Jura-Studenten der religiös orientierten Bar-Ilan-Universität bei Tel Aviv. Die Persönlichkeitsstruktur eines Menschen, der einer solchen Untat fähig ist, wird in der Kindheit und im Elternhaus geformt. Er ist das Zweitälteste Kind einer streng religiösen Familie mit je vier Söhnen und Töchtern. Die Mutter Geula, eine Kindergärtnerin, genoss nach der Tat sichtlich ihre Auftritte im Fernsehen, im Gerichtssaal und in Interviews. Sie erschien geschwätzig, dominant und manipulativ. Anfänglich verurteilte sie die Tat ihres Sohnes und meinte, er sei für sie gestorben. Als sie gewahr wurde, dass der Mord von vielen mit Freude begrüsst worden war, änderte sie ihre Haltung und sprach von einer Tat der Vaterlandsliebe ihres Sohnes. Ihr Ehemann Shlomo ist der grosse Schweiger in ihrem Schatten. Er scheint völlig von ihr an die Wand gedrückt zu sein. Nicht ein einziges Mal äusserte er sich zum Geschehen.

Dieses extreme Rollenverhalten von Eltern kann einem Kind eine starke, verdrängte Aggression gegen die einengende Mutter und den sich nicht gegen sie zur Wehr setzenden Vater einpflanzen. Diese machte sich bei Amir beispielsweise in seiner grossen Bewunderung für Baruch Goldstein, dem Mörder von 29 betenden Moslems in der Moschee Machpela in Hebron, bemerkbar, was auch auf Gewaltphantasien schliessen lässt. Diese richteten sich nicht zufällig auf Rabin, sondern weil sich dieser von einengenden Doktrinen und politischen Fixierungen befreien konnte und so dem Wunschbild von einem Vater und einem Ich-Ideal entsprach, das er als Bedrohung seines streng ritualisierten Lebens erlebte und das er deshalb verdrängen, ausschalten, vernichten musste. Amir hat das rechthaberische Gebaren der dominierenden Mutter introjiziert und ist einem übermächtigen Narzissmus verfallen, der vom gesellschaftlichen Umfeld bestätigt und gefördert wurde. Vielen sind seine Kühle und sein überlegenes Lächeln aufgefallen, das er im Gerichtssaal und bei den polizeilichen Befragungen stets zur Schau trug. Es ist das Lächeln jener Menschen mit der unerschütterlichen Überzeugung, dass ausschliesslich ihr fixiertes Bild von der Aussenwelt richtig ist und nur sie und ihre Gruppe die Wahrheit, die einzige Wahrheit, kennen. Folgerichtig betonte er daher immer wieder, er bereue nichts, er habe einen Terroristen getötet und hätte im Zuge seiner heiligen Mission auch Säuglinge und Kinder umgebracht. Er verficht eine Wahrheit, in deren Namen man morden darf und soll.

In einer Broschüre zur Spendenwerbung für die religiöse Bar-Ilan-Universität, die vor der Bluttat gedruckt worden war, ist der Rabin-Mörder Amir zwölf Mal abgebildet, weil sein Gesicht und dessen Ausdruck den für die Werbebroschüre verantwortlichen Fachleuten offenbar als für Studenten dieser Lehranstalt typisch erschienen. Die Broschüre wurde nach dem Mord an Rabin trotz dieser Bilder in den USA verbreitet. Der damalige Universitäts-Präsident Eckstein bedauerte dann den Vorfall als «technischen Fehler», offenbar ohne zu begreifen, welche Identifizierungen mit der Auswahl einer derartigen Narzissten-Physiognomie vorgenommen worden waren.

Amir machte sich am Abend des 4. November 1995 auf den Weg zur Kundgebung für die Friedenspolitik der Rabin-Regierung, ausgerüstet mit einer Pistole mit besonders tödlicher Munition, die sein älterer Bruder Haggai vorbereitet hatte. Der Sicherheitsdienst des sonst so gerühmten «Shin Bet» versagte vollständig. Er hatte keine Informationen über Amir, dem es mit Leichtigkeit gelang, in die so genannte «sterile Zone» zu gelangen, wo Sicherheitsbeamte und Chauffeure auf die prominenten Redner warteten. Er lehnte gegen ein Auto, als ob er dessen Chauffeur wäre und wurde nicht befragt.

Die Kundgebung war ein grosser Erfolg. 150.000 Personen demonstrierten für den Frieden. Zum Abschluss sang man gemeinsam das wunderschöne «Schir haSchalom», ein Lied zur Preisung des Friedens. Als introvertierte Persönlichkeit sang Rabin nie in der Öffentlichkeit und kannte auch den Text nicht. Man steckte ihm daher einen Zettel mit den Worten des Liedes zu und bat ihn, angesichts des Erfolges eine Ausnahme zu machen. Er tat es. Danach steckte er das Papier in die Brusttasche und stieg, glücklich über den Erfolg der Demonstration, die Treppen zu seinem Auto hinunter. Dort trafen ihn die tödlichen Kugeln Amirs. Rabins Leibwächter schauten alle in die falsche Richtung. Der Zettel mit dem Liedertext verschmierte sich mit dem Blut des mutigen Friedenskämpfers.

Die Beerdigung Rabins wurde zu einem eindrücklichen Ereignis. 80 Staatsoberhäupter nahmen an ihr teil. Neben dem amerikanischen Präsidenten Clinton und vielen anderen politischen Führern demokratischer Staaten erschienen auch der ägyptische Präsident Mubarak, der sonst grundsätzlich den Boden Israels nicht betritt, Würdenträger aus anderen arabischen Staaten und Hussein, der König Jordaniens, bei dessen ehrlicher, tief empfundener und gehaltvoller Rede ich die Tränen nicht zurückhalten konnte. Eine Million Menschen zogen am Sarg vorbei. Die in die ganze Welt übertragene Zeremonie auf dem Herzl-Berg bei Jerusalem enthielt durch die Anwesenheit so vieler ausländischer Staatsvertreter die klare Botschaft, Israel voll in die Gemeinschaft der zivilisierten Nationen aufzunehmen und seine Existenz unumschränkt anzuerkennen, sofern es den Gesinnungswandel und Richtungswechsel des Mannes nachvollziehe, den man hier zu Grabe trug, und Hand biete für einen gerechten Frieden und die Aufgabe der Herrschaft über die Palästinenser.

Der Klang dieser Botschaft zerbrach an der Stumpfheit der Nationalisten, der Kolonialisten im Westjordanland und der religiösen Orthodoxie. Der Mord war ein Symptom des Gesellschaftszustandes, der sich nicht veränderte. Die Friedensgegner zogen weder Lehren noch Konsequenzen aus der Bluttat. Der Schock traf nur die Anhänger der Politik Rabins. Die Gewaltneigung seiner Gegner verstärkte sich sogar bis zum dem Grade, dass nach der Beerdigung Rabins Mord als politisches Mittel nicht nur möglich, sondern normativ wurde. Gemäss einer Studie des «Israeli Institute for Economic and Social Research» unter dem Titel «The Jubilee Year: Israeli Youth's Attitudes toward Personal, Social and National Issues», die von der Friedrich-Ebert-Stiftung finanziert worden ist, war der Mord an Rabin für die Mehrheit der orthodoxen Jugendlichen «ein Mord, wie ein anderer auch».

Auf der anderen Seite versuchte man vergeblich, durch endlose Gedenkrituale einen Ausgleich zu schaffen. Der «Platz der Könige Israels» vor der Stadtverwaltung in Tel Aviv wurde in «Rabin-Platz» umbenannt, am Ort der Bluttat steht heute eine in seiner Schlichtheit eindrückliches Gedenkmal, und viele Strassen des Landes und Spitalabteilungen erhielten den Namen Rabin. Nach der Mordtat sah man tausende von Menschen in unsagbarer Trauer an den Tatort ziehen. Sie weinten, umarmten sich, sangen das Friedenslied und legten Blumen, Gedichte und Kerzen nieder. In dieser Menge befanden sich auffallend viele Jugendliche, denen man die Bezeichnung «Kinder der Kerzen» gab.

Anderseits entstand in der Stadt Kiriat Gat ein «Amir Fan Club» von jungen, «religiösen» Mädchen. In einer Fernsehsendung zum Gedenken des einjährigen Todestages von Rabin bezeichneten zwei Schülerinnen der «religiösen» technischen Schule in Netanya Amir ungeniert als Nationalhelden. Andere «religiöse» Schüler sehen in ihm einen Märtyrer, mindestens aber einen Idealisten. Die für die Atmosphäre des Hasses und der Aufwiegelung der Massen schuldigen Politiker sind nach wie vor nicht bereit, ihre Verantwortung anzuerkennen. Nach einer überzeugenden Fernsehdokumentation des Journalisten Michael Karpin sind dies vor allem der frühere Ministerpräsident Netanyahu, der jetzige Ministerpräsident Sharon, der ehemalige Justizminister und heutige Polizei-Minister Hanegbi und viele andere.
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Der Mord an Rabin wirft ein besonders grelles Licht auf den tobenden Kampf zwischen den zunehmend zu immer mehr Gewalt neigenden, destruktiven Kräften und den Trägern von Friedensbereitschaft und humanistischen Werten; zwischen Amirs Anhängern und den Kindern der Kerzen. Die Gedenkstätte für Rabin am Aufgang zur Stadtverwaltung von Tel Aviv mahnt ständig an diesen Zusammenprall zweier gegensätzlichen Lebenshaltungen, an dem sich das Schicksal des Staates Israel entscheiden wird.

p301 ff: Die Seele Isaels

*) Anm. 2: Der spätere Premier Ariel Sharon, hat sich Jahre nach den Ereignissen am Zionsplatz ausdrücklich entschuldigt und sein grosses Bedauern zum Ausdruck gebracht. Er habe sich geirrt und er habe damals schwere Fehler gemacht. Vieles sehe er inzwischen, als Premierminister, von einer anderen Warte. Er sei blind gewesen und habe sich verrannt. Ganz ähnlich aüsserte sich vor einigen Monaten auch sein Nachfolger Ehud Olmert.

Ernest Goldberger  - 2004, ca. 520 Seiten, Gebunden ca. € 38,- ISBN 3-7705-4024-7 Auslieferung Schweiz: NZZ, Zürich

Der Samstagabend des 4. November 1995:
Der Mord
Eigentlich wollte ich am Samstagabend des 4. November 1995 an der Kundgebung für die Friedenspolitik der regierenden Arbeiter-Partei teilnehmen, doch döste ich nach einem zweistündigen Tennisspiel am Nachmittag in wohliger Faulheit über einem Buch ein, bis es zu spät war...

 


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