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Judentum und Israel
   
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Es gibt eine Chance für den Frieden - eine grosse Chance!
Jesh Sikuj leSchalom - Sikuj gadol!

Monatelang hatten rechte Aktivisten, Rabbiner und Siedlervertreter von der Todeswürdigkeit Rabins gesprochen. Wir alle haben es gehört und wir alle hätten wissen müssen, dass die rechten Fanatiker keine Probleme damit haben Juden nicht nur zu beschimpfen und zu beleidigen sondern auch zu töten. Wer es vergessen haben sollte, hätte sich nur an Emil Grünzweig erinnern sollen.

Wären die für die Anwendung der Gesetze zuständigen Organe wie Polizei, Generalstaatsanwalt und Richter in den Jahren vor Rabins Ermordung gegen die Aggression und Aufwiegelung, gegen die Aufrufe zum Gesetzesverstoß und zur Hetze zum Mord rechtzeitig eingeschritten, hätte das Attentat vermieden werden können.

Siedlungen

Der Entwicklungsprozeß mit dem Ziel, die Regierung in Israel zu unterminieren, begann schon in den siebziger Jahren mit der Gründung illegaler Siedlungen. Diese waren eine direkte Folge der "legalen" Siedlungen, auch sie ein Verstoß gegen die Genfer Konvention. Die jeweiligen Regierungen, erst von der Arbeitspartei, danach vom Likud-Block gebildet, duldeten diese "illegale" Erscheinung notorisch nachsichtig.

Die "wilden" Siedler verstießen gegen die öffentliche Ordnung und widersetzten sich Polizisten wie Soldaten, wenn sie Land besetzten, das ihnen nicht gehörte. Die Regierung führte Verhandlungen mit ihnen, manchmal wurden die Siedlungen vorübergehend geräumt, aber die Siedler kehrten immer wieder zurück.

Für breite Schichten der Bevölkerung waren sie häufig genug Patrioten, obwohl sie gegen das Gesetz verstießen. Siedler wie rechte Aktivisten, stets gut bewaffnet, veranstalteten in den palästinensischen Ortschaften richtige Pogrome. In den meisten Fällen verzichtete man auf eine Anklageerhebung, und die wenigen Übeltäter, denen man den Prozeß machte, kamen meistens mit leichten Strafen davon. Ihre Freunde begrüßten sie beim Verlassen des Gefängnisses wie Helden.

Als nach der Unterzeichnung des Abkommens von Oslo im September 1993 die Rechte die Regierung zu verketzern und Gewalt anzuwenden begann, um ihre politischen Ziele durchzusetzen, hätte das Gesetz zur Verteidigung der Demokratie eingesetzt werden müssen. Die extreme Rechte und —in den meisten Fällen — die Rechte im allgemeinen begannen...

Ideologie

Mit unglaublicher Unverfrohrenheit versteckt sich diese Ideologie (nach Alisa Fuss '...ein Gemisch von empörendem Rassismus und Nationalismus') hinter der Religion. In messianischer Erwartung gibt sie sich, gepaart mit einem 'Erhebungs- und Erlösungseifer' immer öfter und immer unverschämter als die Religion selbst aus. Nach dieser Ansicht ist Gewalt im Namen der Nation nicht nur erlaubt, sie wird sogar als gesegnet angesehen - auch gegen andersdenkende Juden. Jeder Respekt vor dem Andersdenkenden wird mit dem Makel des Verrats und des Frevels beladen.

Das jüdische Volk, das im Lauf seiner Geschichte, wie kein anderes Volk, einen pluralistischen Reichtum an Ideen und eine lebendige, aus den alten Quellen immer wieder Antworten findende, religiöse Kultur entwickelt hat, sieht sich plötzlich vor eine Wahl gestellt, die es so nicht gibt: 'Entweder die einzig wahre Ansicht der Anhänger einer rassistischen Ideologie anzunehmen, oder das Recht auf Jüdischkeit zu verlieren'. Jeshajahu Leibowitz, der grosse orthodoxe Denker, Präsident der Hebräischen Universität zu Jerusalem und Israel Preisträger war von dieser primitiven Auslegung derart angewidert, dass er den Ausdruck 'Judeonazim' prägte.

Viele hatten Amirs Drohung gehört: Wer das Land verrät, muß getötet werden, aber niemand - außer einer einzigen Person - hat es für nötig befunden, ihn bei den Behörden anzuzeigen. Wer Amir hörte, pflichtete ihm entweder bei, oder unterschätzte das Potential der rechts-fundamentalistischen Hetzkampagne und die Entschlossenheit vieler in 'messianistischer Erlösungserwartung' fanatisierter Eiferer. Hinzu kam die irrige (und schon früher mehrfach widerlegte) Überzeugung, ein Jude sei nicht in der Lage, einen jüdischen Repräsentanten zu ermorden.

Zitate aus den Verhörprotokollen erhellen die immer wiederkehrenden Strickmuster dieser Weltanschauung:

Der Friedensprozess bedeutet, "die Juden in von Arabern umzingelten Ghettos einzuschließen" (gemeint sind die Siedlungen in den besetzten Gebieten). "Für diesen Frieden verfolgt die Regierung ihre Brüder, die eigenen Leute" (gemeint sind die Siedler und Gegner des Friedensprozesses).

Immer wieder spricht die fundamentalistische Rechte, den Friedensverhandlungen die Legitimität ab: "Frieden muß erst mit dem Volk selbst geschlossen werden. Frieden darf  man doch nicht schliessen mit den Feinden Israels, den Mördern unserer Leute. Imperativ ist die Einheit des Volkes und des Landes. Durch die g'ttlose Linke wurde in Israel der Spaltpilz gelegt. Hinter diesem Frieden steht niemand, ausser einer Avantgarde humanistischer Schwätzer und internationalistischer Heuchler. Charakterlose Geschöpfe, die den Feinden des Volkes zu Gefallen sein wollen".

"Würdelose Verräter sitzten an den Schalthebeln der Macht und zwingen allen anderen ihren Willen auf? Eine kleine Gruppe die alles was unserem Volke heilig ist in den Schmutz ziehen. Sie wollen einen säkularen Staat, damit er sich Europa unterordnen soll. Von fremden Einflüssen geprägt kriechen sie würdelos und besudeln das Heilige, obwohl das Volk am Judentum festhält und an jüdischen Werten hängt."

Und weiter: "Kommunistische Verbrecher sind das wirkliche Problem, Humanisten und Pazifisten und ähnliche Anhänger irgendwelcher Wahngebilde und Phantastereien. Das Problem sind doch die linken Juden. Die Linke, die Friedensbewegung, die Spalter am Körper der Nation. Dieses Problem muß vordringlichst gelöst werden, noch vor dem arabischen Problem"...

"Heute hängen die politischen Entscheidungen des Volkes von arabischen Abgeordneten in der Knesset ab, dabei weiß jeder, daß die Araber uns vernichten wollen. Die Linke ist verbrecherisch, denn sie bedient sich arabischer Stimmen und schielt nach der Anerkennung Europas und der Amerikaner. Dafür ist sie bereit alle Werte unseres Volkes verraten. Die Regierung Israels kriecht vor den Gojim um sich in Erbärmlichkeit zu erhalten."

"Die israelische Linke erkennt den Islam als Religion an und respektiert ihn tausendmal mehr als die jüdische Religion. Ein Linker würde nie einen Araber anrühren, kein Soldat werde ihm je etwas tun, lieber vergreift man sich an jungen frommen Juden und Jüdinnen, den besten des Volkes. Man respektiert nicht die Worte unserer heiligen Lehrer. Jede Kreatur ist ihnen wichtiger als das eigene Volk. Wie kann man sich als Volk nur selbst so hassen? Das Judentum einigt uns doch alle. Ihr gebt das Judentum auf, nichts wird bleiben, nur ein Volk wie alle anderen."

Amirs Haß auf die Araber ist abgrundtief, überall vermutete er Araber. Für ihn "bestand die Hälfte aller Teilnehmer an der großen Friedenskundgebung in Tel Aviv aus Arabern". Auch hier ein Beispiel zahlloser Verdrehungen, denn es ist eine bekannte Tatsache, daß nur wenige Araber gekommen waren, obwohl viele ihre Solidarität mit der Regierung Israels bekunden wollten. Aus 'psychologischen Erwägungen' heraus, dh 'um die Zögernden unter der jüdischen Bevölkerung nicht abzuschrecken', wollten die Organisatoren keinen Repräsentanten der arabischen Bürger Israels zu Wort kommen lassen. Die Araber protestierten dagegen und gaben den Plan, Dutzende von Bussen aus den arabischen Städten und Dörfern zu der Kundgebung nach Tel Aviv zu schicken, auf.

Für die nationalen Eiferer sind alle Araber Nazis. Am Ende des Verfahrens gegen Amir proklamierte er: "In zwei Jahren werdet ihr erleben, wie alle in Arafats Duschkabinen geschickt werden und man aus den Leichnamen Seife macht. Hier wird vor den Verfolgern des eigenen Volkes sich gedemütigt. Man will sich einschmeicheln, um billiger Vorteile willen serviert man dem größten Mörder der Geschichte (Jasir Arafat) einen Staat auf einem Silbertablett. Dieser Abschaum, mit jüdischem Blut an den Händen, wird mit allen Ehren empfangen. Es ist verboten, ihn 'Mörder' zu nennen, während ich (Jigal Amir), obwohl ich bereit war für meine Leute, für das Land, zu töten, als ein Fanatiker mich bezeichnen lassen muss".

Araber

Jigal Amir: "Die Tötung ist die richtige und korrekte Methode gegen Araber, wenn sie uns aus dem Westjordanland (Judäa und Samaria) vertreiben wollen. Warum sollte dies nicht auch gegen jene gerecht und korrekt sein, die uns mit anderen Mitteln aus denselben Gebieten verdrängen wollen, selbst wenn es solche von unseren Leuten sind?"

Jigal Amir sah sich durch die Gewalt in den besetzten Gebieten offensichtlich ermutigt. Stolz und vor laufenden Fernsehkameras gebrauchten Siedler ihre Waffen und zwangen palästinensischen Städten ihr Gesetz auf. Die Likud regierung hatte jahrelang solches Verhalten gefördert. Als die Arbeitspartei die Verantwortung übernahm, duldete sie diese Zustände. Eine ideologische Auseinandersetzung schien aussichtslos und die Zeit zur Entwaffnung oder Vrhaftung noch nicht gekommen.

Der bekannte israelische Dramatiker Jehoshu'a Sobol erklärte 1995 (nach Rabins Ermordung): "Wir haben gesehen, wie palästinensische Kinder getötet wurden. Wären wir vor sieben Jahren in Massendemonstrationen gegen das, was in unserem Namen in den besetzten Gebieten geschah, auf die Straße gegangen, bräuchten wir den Platz der Könige Israels heute nicht in Jizhak-Rabin-Platz umbenennen."

Die Rolle der Rabbiner

Ähnlich hierzu der Schriftsteller Sami Michael: "Wir haben es zugelassen, daß das Blut der Söhne des palästinensischen Volkes vergossen wurde. Ohne einen Baruch Goldstein und ohne den Terror bewaffneter jüdischer Banden in den arabischen Ortschaften der besetzten Gebiete hätte es keinen Jigal Amir gegeben... Im Irak, in dem ich geboren wurde und den ich im jungen Alter zu Beginn der fünfziger Jahre verlassen habe, war das Bild von G'tt groß und gewaltig, das Bild des Rabbiners dagegen klein und bescheiden. In Israel sind die Rabbiner dagegen riesig geworden und G'tt ganz klein".

Ein politischer Mörder benötigt moralische Unterstützung. Er drückt ab, wenn er das Gefühl hat, dass jemand auf seine Tat wartet und ihn als Helden betrachtet. Amir hat Baruch Goldstein, den Mörder in der Moschee von Hebron, bewundert und zum Vorbild genommen. Goldstein führte sein Blutbad in dem Glauben aus, die Siedler und alle Gegner des Abkommens von Oslo stünden hinter ihm. In gewisser Hinsicht hatte er damit sogar recht. Sein Grab im Meir-Kahane-Garten in Kiryat Arba ist Ziel aller extremen Pilger, das heißt Gegner des Friedensprozesses, geworden. Das hat Amir ermutigt.

Für den gläubigen Juden Amir war das aber nicht genug. Er wuchs in einem sehr religiösen Elternhaus auf. Seine Angehörigen pflegten bei jedem Problem ihren Rabbiner zu konsultieren. Ganz offensichtlich benötigte auch Jigal Amir für diesen Mord den Dispens eines Rabbiners. "Wir sind sehr religiös und sehr gläubig", sagte er einem Untersuchungsbeamten, "und ohne die Absicherung durch einen Rabbiner hätte ich es nicht getan. Wer bin ich, solch eine Verantwortung auf mich zu nehmen?" Frage: "Haben die Rabbiner klare Ratschläge erteilt?" Amir: "Ja."

Bei der Vernehmung durch den Sicherheitsdienst Shin Bet berichtete Amir, zwei Rabbiner hätten Rabin als Rodef und Mosér bezeichnet und gesagt, er verdiene den Tod, aber er lehnte es ab, ihre Namen preiszugeben. Beide Begriffe stammen aus der jüdischen Gerichtsbarkeit, wie sie von jüdischen Gelehrten im Mittelalter geschaffen wurde. Ein Rodef, das heißt ein Verfolger, bringt einen Juden in Todesgefahr. Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, muß dieser Verfolger gemäß dem Gesetz getötet werden, um anderen das Leben zu retten. Das ist keine Strafe, sondern eine Erlösung. Als Mosér bezeichnet man einen Spitzel oder einfach jemanden, der einen anderen ausliefert. Genau wie der Rodef kann er ohne jedes Urteil getötet werden.

Jigal Amirs Bruder Hagai: "Mein Bruder bemühten sich um einen rabbinischen Dispens in den Siedlungen in Judäa oder Samaria. Danach sollte Rabin unter bestimmten Umständen als Mosér gelten, denn er händigte ein Stück Heimaterde an den Feind aus". Rabins Ermordung geschah "gemäß einem Befehl von oben, und niemand konnte ihn hindern".

Der bald 70jährige David Kavv vom militärischen Seminar Kerem, soll einer dieser beiden Rabbiner gewesen sein. Bei ihm studierten Jigal Amir und einige seiner Freunde. Der zweite, Shmuel Dwir, 35 Jahre alt, hielt in der Vergangenheit Lobreden auf Baruch Goldstein. Beide wurden vernommen. Nach israelischem Gesetz ist die Bezeichnung einer Person als 'Verfolger' oder 'Aushändiger' einem Aufruf zum Mord gleichgestellt. Wer Mordaufrufe startet hat mit einer langen Freiheitsstrafe zu rechnen.

Die Regierung (vor allem Shimon Peres) wagte es nicht, soweit zu gehen, da sich in religiösen Kreisen sofort Proteste erhoben. Rabbiner zu 'verfolgen', nur weil sie einen Rat in Sachen Religion gegeben hatten, wäre ein 'Frevel' in Israel. In völliger Verkennung der Tatsachen hoffte Shimon Peres auf die Wahl-Stimmen frommer Juden am 29. Mai 1996. Er riet der Polizei die Sache auf sich beruhen zu lassen.

Rabin:
Vom Helden zum Verräter

Der Likud-Block, Israels national-revisionistische Rechte, bildete seit den Wahlen im Jahre 1977 die Regierung; 1992 verlor sie die Macht wieder. Fünfzehn Jahre lang förderte sie mit Siedlungen in den besetzten Gebieten - und hier vor allem in Gegenden mir einer besonders dichten palästinensischen Bevölkerung - nach Kräften die Etablierung eines Großisraels als unumkehrbare Tatsache.

1992 kehrte die Arbeitspartei an die Regierung zurück, und knapp ein Jahr später nahm sie ihre Geheimgespräche mit der PLO in Oslo auf. Das Abkommen zwischen Israel und der PLO vom September 1993 resultierte in der Anerkennung der PLO durch Israel, und diese wiederum stellte ihren bewaffneten Kampf gegen Israel ein. Rabin und Arafat reichten sich in aller Öffentlichkeit auf dem Rasen des Weißen Hauses in Washington die Hand. Die israelische Rechte begriff schnell, daß diese Geste das Ende ihres Traums von Groß-Israel bedeutete. Sie brach zu ihrem Feldzug gegen die Regierung auf. Die Rechte mobilisierte die Menschen und beherrschte die Straße, ohne daß die Regierung wirklich reagiert hätte.

Das Blutbad an palästinensischen Gläubigen in der Moschee von Hebron Ende Februar 1994 sollte genau wie Rabins Ermordung den Friedensprozeß mit der PLO torpedieren, aber selbst das veranlasste die Regierung weder dazu, gegen die Gewalt einzuschreiten noch etwas gegen die Drohungen der Rechten und der extremen Rechten zu unternehmen; beide fühlten sich durch diese Nachsicht ermutigt. Aus Sorge um gewalttätige Auseinandersetzungen innerhalb der israelischen Gesellschaft tolerierte Rabin die verbalen Exzesse und die Demonstrationen auf der Straße. Er begriff nicht, daß diese Konfrontation unvermeidbar war und daß den Provokationen nur mit gesetzlichen Mitteln Einhalt geboten werden konnte, weil sonst am Ende eine abgefeuerte Pistole stehen würde.

Die israelische Bevölkerung stand vor einer ganz eindeutigen Wahl: entweder Aufrechterhaltung der Besetzung oder Frieden mit dem palästinensischen Volk und seiner Vertretung, der PLO. Die Regierung Rabin entschied sich für die zweite Option. Die Rechte zog daraus ihre eigenen Schlußfolgerungen und rief zum Sturz der Regierung auf. Aber was sie vor allem erzürnte, war die Tatsache, daß ein Mann an der Spitze der Regierung stand, der bis dahin als das Symbol all dessen gegolten hatte, was den Israelis am teuersten war: die Sicherheit und ihre Armee. Rabin war einer der Helden des Krieges im Jahre 1948, danach Generalstabschef im Krieg von 1967 und damit Begründer des Sieges, dessen Ergebnis die Besetzung weiter arabischer Gebiete gewesen war. Die Rechte konnte ihm diesen "Verrat" nie verzeihen. Rabin, der "Befreier der Gebiete" im Junikrieg, gab sie nun den Arabern zurück. Aus Rabin, dem Helden der Nationalisten, war ein "Verräter" geworden.

Auch hörten Linke wie Liberale jahrelang nicht auf, vergessene Affären heraufzubeschwören, nur um sie sogleich zu verurteilen - Affären, die Yitzhak Rabin im Handeln und Denken eindeutig dem Lager der "Falken" zuordneten. Zum Beispiel erinnerten sie gerne daran, daß Rabin als Befehlshaber der israelischen Streitkräfte bei der Einnahme der arabischen Städte Lydda und Ramle im Juli 1948 mit der stillschweigenden Zustimmung Ben-Gurions die sofortige Ausweisung von 50 000 Bewohnern dieser Ortschaften angeordnet hatte, ohne sich um ihr weiteres Schicksal zu kümmern.

Die Armee hatte die beiden Städte unter pausenloses Feuer genommen, bis den Palästinensern nichts anderes übrigblieb, als sie zu verlassen. Rabin entschuldigte sich später damit, der Staat Israel könne nicht zwei große arabische Städte zwischen seiner Hauptstadt Jerusalem und Tel Aviv, der damals größten Stadt in Israel, dulden. In der hebräischen Ausgabe von Rabins Memoiren wurde diese Affäre zensiert. Aber Rabin wollte die Passage in die englische Fassung hinneinnehmen. Der Justizminister der damaligen Likud-Regierung, Shmuel Tamir, lehnte dies jedoch ab. Rabins persönlicher Referent Eytan Haber fragte ihn in einer Unterredung: "Darf man in Israel etwa nicht mehr die Wahrheit sagen? Noch dazu eine, die jedermann bekannt ist?"

Darauf erwiderte lamir: "Doch, aber die Wahrheit darf nicht aus dem Mund eines direkt Betroffenen kommen, vor allem dann nicht, wenn es sich um eine hochgestellte Persönlichkeit handelt. Denn das zerstört unser Bild von jener Zeit ebenso wie unsere Version über die Flucht der Araber aus eigenem Antrieb beziehungsweise aufgrund der unaufhörlichen Appelle führender arabischer Politiker Das würde beweisen, daß wir die Schuld für die arabischen Flüchtlinge tragen." Verärgert versuchte Rabin, Tamir eines Besseren zu belehren - vergeblich. Es ist dem Übersetzer seines Buches, Peretz Kidron, zu verdanken, daß diese Tatsachen trotzdem im Ausland bekannt wurden. Der ihm zugeschickte Text enthielt aus Versehen den zensierten Abschnitt. Er hat niemandem etwas davon gesagt und die Übersetzung einfach seinem Lektor gegeben.

Ebenso erinnerten Linke wie Liberale gern an die Zerstörung dreier Dörfer bei Latrun, darunter der historische Ort Emmaus, gleich zu Beginn des Sechstagekrieges 1967. Im Libanonkrieg im Jahre 1982 unterstützte Rabin öffentlich Sharon, als dieser Beirut belagerte. Er riet ihm sogar zu einer Verschärfung der Belagerung. Zu Beginn der Intifada rief Rabin, damals Verteidigungsminister der Regierung der nationalen Einheit, die Soldaten dazu auf, jungen Palästinensern "die Knochen zu brechen", falls sie am "Aufstand der Steine" teilnahmen, und mit größerer Härte gegen sie vorzugehen. Liberale wie Gemäßigte in der Arbeitspartei meinten damals, Rabin verwandle ihre Partei in einen zweiten Likud.

Auch haben viele nicht vergessen, daß Rabin damals die palästinensische Frage generell nicht für das Hauptproblem des israelisch-arabischen Konflikts hielt. Nach dem Oktoberkrieg im Jahre 1973 trat Golda Meir 1974 zurück, und Rabin, damals Botschafter in Washington, wurde ihr Nachfolger. Wie das gesamte israelische Establishment verkannte auch er die Bedeutung des palästinensischen Problems. In einem Interview im Juli 1974 führte er aus: "Meiner Meinung nach steht das palästinensische Problem nicht im Mittelpunkt des israelisch-arabischen Konflikts. Ich sehe die Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Ländern als das Hauptproblem an." Aber kaum saß er im Sessel des Ministerpräsidenten, veränderte der "unnachgiebige" Rabin Ton und Meinung und maß dem palästinensischen Problem fortan eine herausragende Bedeutung bei.

Als Rabin im Jahre 1992 siegreich aus den Wahlen hervorging, sah er sich einer komplexen Realität gegenüber Die Intifada war nicht zu stoppen; die israelische Armee tötete junge Demonstranten, aber auch israelische Soldaten und Zivilisten kamen ums Leben; die israelische Gesellschaft litt unter den Folgen von Besatzung und Unterdrückung der Intifada. Gleichzeitig trat man bei den Verhandlungen auf der im Oktober 1991 einberufenen Friedenskonferenz von Madrid auf der Stelle, ohne jede Hoffnung, je aus der Sackgasse herauszukommen. Die PLO war gemäß der Forderung der damaligen rechten Regierung von den Gesprächen ausgeschlossen. Der Likud-Block verdankte einer Analyse zufolge seinen Aufstieg zur Regierungspartei dem Status quo, aber Israel versank immer tiefer im Morast der Besatzung.

Rabin ließ die Palästinenser wissen, sie würden "mit Gewalt nichts erreichen". Und doch dürfte die Intifada viel zu einem Umschwung der öffentlichen Meinung im allgemeinen und bei Rabin im besonderen beigetragen haben. Er begriff, daß er der Oberbefehishaber einer Besatzungsmacht mit allen ihren Konsequenzen war. Laut Eytan Haber wurde sich Rabin bewußt, daß die Intifada auf Dauer nicht zu unterdrükken war und daß ein Gebiet mit zweieinhalb Millionen Palästinensern nicht gewaltsam besetzt werden konnte, ohne daß sich das negativ auf den moralischen Zustand der Israelis auswirkte.

"Ich glaube", sagte Eytan Haber, "daß Rabin von der Lektüre eines Berichts zweier Offiziere beeindruckt gewesen ist, in dem sie festhielten, was Hunderte von Gefangenen im Gefängnis in Gaza zu Beginn der Intifada als Grund für ihre Erhebung angegeben hatten. Ihr Hauptmotiv waren nicht etwa nationale Bestrebungen, sondern die tagtäglichen, ständigen, unwürdigen Demütigungen, die sie von den Israelis, der Besatzungsmacht, zu erdulden hatten. Die meisten betonten vor allem das Verhalten israelischer Soldaten an der Absperrung in Erez zwischen dem Gazastreifen und Israel. Die Beschreibung hinterließ einen traumatischen Nachgeschmack. Ich gab Rabin diesen Bericht mit den Worten: 'Schauen Sie, wie wir uns selbst zerstören.'"

Als Rabin begriff, daß er die Palästinenser nicht besiegen konnte, suchte er den Kompromiß. Mit wem? Mit der PLO, der Organisation, die hinter der ausschließlich aus Bewohnern der besetzten Gebiete bestehenden palästinensischen Delegation bei den Friedensgesprächen stand. Alle Erklärungen der palästinensischen Delegation wurden ihr per Fax aus dem PLO-Hauptquartier in Tunis übermittelt. Das wußte jeden Aber Rabin erkannte als erster, es habe keinen Zweck, mit untergebenen Vertretern zu sprechen, vielmehr mußte er mit der vom Volk anerkannten Führung verhandeln. In seinen Augenblicken des Zweifels - und davon gab es viele, denn Rabin war ein sehr mißtrauischer Mann - wurde er nachdrücklich von Shimon Peres unterstützt. Rabin, der Mann des Militärs, hat der einzig möglichen Formel zum Durchbruch verholfen, der einzigen, die im gesamten Konflikt mit den Palästinensern noch nie zuvor zur Anwendung gekommen war: mit den authentischen Vertretern der Palästinenser, der PLO, zu reden. Wenn Rabin die Verhandlungen auch erst spät und zögerlich aufgenommen hat, so wurde diese historische Wende, einmal beschlossen, von ihm nie wieder aufgegeben.

Als Rabin und Arafat im September 1993 in Washington den israelisch-palästinensischen Vertrag unterzeichneten, war das für die nationalistische und religiöse Rechte Israels ein schwarzer Tag. Diese Grundsatzerklärung zwischen Israel und der PLO zerstörte den Traum der Fanatiker von einem Groß-israel. Aus dem Helden der Vergangenheit war ein Verräter geworden. Unvermittelt war ein anderer Ton zu hören, und das machte die Rechte wütend. Unter anderem sagte Rabin:

"Wir wollen nicht über ein anderes Volk herrschen." "Wir sind nicht in ein leeres Land gekommen, hier gab es schon Palästinenser." "Frieden ist wichtiger als Land." "Ich glaube nicht an die Heiligkeit des Landes, ich glaube an die Heiligkeit des Menschenlebens." "Die PLO hat ihre Terroranschläge eingestellt. "

Rabin war nie ein guter Redner, und sein persönlicher Referent schrieb ihm seine Reden. Ebensowenig war er eine charismatische Persönlichkeit, und seine hebräische Muttersprache war keineswegs perfekt. Auf seine Zuhörer wirkte er jedoch immer aufrichtig, entschlossen und überzeugt davon, eine Mission zu haben. Auf diese Weise verstand er es, die Zögernden im eigenen Lager zu überzeugen. Über seine ihn schmähenden Widersacher sagte er, sie hätten "Angst vor dem Frieden". Die Rechte warf ihm vor, er habe die Stimmen der arabischen Abgeordneten gesucht, um seine Politik durchzusetzen, und sie verkündete, das widerspreche den "nationalen" Interessen. Aber Rabin verteidigte mutig das Recht der arabischen Bürger im Staat Israel, an den politischen Entscheidungen teilzuhaben. Die in seinen beiden letzten Lebensjahren ausgesprochene Anerkennung der nationalen Rechte des palästinensischen Volkes und der PLO-Führung war etwas völlig Neues. Er ließ sogar die Anspielung fallen, er sei bereit, in Zukunft auch die Gründung eines palästinensischen Staates zu akzeptieren, was bis dahin als Tabu, als Blasphemie galt.

Zusammen mit Shimon Peres und Yassir Arafat reihte sich Yitzhak Rabin in den hehren Kreis der Friedensnobelpreisträger ein, und zwei Wochen vor seiner Ermordung wurde er mit bis dahin für einen israelischen Spitzenpolitiker beispiellosen Ehren anläßlich des 50. Jubiläums der Gründung der Vereinten Nationen in New York empfangen. Arafat war als Vertreter des palästinensischen Volkes ebenfalls anwesend. Rabin starb mit 73 Jahren auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere. Er hat sein Land auf einen neuen Weg geführt. Die Schüsse des Mörders trafen seinen Körper, während ihn die Gefühle von Hunderttausenden von Menschen umgaben. Mit seinem Tod ist er als größter Staatsmann Israels gleich nach dem Staatsgründer, David Ben-Gurion, in die Geschichte eingegangen.

Historische Vergleiche

Nach Rabins Ermordung, einem der spektakulärsten politischen Morde des 20. Jahrhunderts, hat man natürlich historische Vergleiche herangezogen. Man erinnerte an Kennedys Ermordung, obwohl das eigentliche Motiv für diesen Mord bis heute unbekannt ist und man sich darüber immer noch in Spekulationen ergeht. Andere gingen weiter in die Geschichte zurück und verglichen Rabins Ermordung mit der Abraham Lincolns 300 Jahre früher. In beiden Fällen war es das gleiche Motiv: den Fortschritt aufzuhalten. In den Vereinigten Staaten sollte die Sklavenbefreiung verhindert werden, "denn unser Land wurde den Weißen, nicht den Schwarzen gegeben", wie Lincolns Mörder sagte. Er war übrigens genauso alt wie Rabins Mörder und genau wie dieser ein religiöser Extremist. Auch in Tel Aviv sollte verhindert werden, die Unterdrückung eines Volkes durch ein anderes zu beenden. Beide Mörder beriefen sich auf G'tt. Hier wie dort wurde das Opfer aus allernächster Nähe erschossen.

Wieder andere verglichen Rabins Ermordung mit der Walther Rathenaus, des Außenministers der Weimarer Republik im Jahre 1922. Wie Rabin verlor er sein Leben, weil er seinem Volk Frieden und Wohlstand bringen wollte. Und genau wie Rabin wurde er nach einer Gewaltkampagne von Verbrechern im Zusammenwirken mit der extremen Rechten getötet. Noch eine weitere Parallele: Rathenau wie Rabin änderten beide ihre Meinung und Einstellung. Weil sie sich der neuen Realität anpassen wollten, verließen sie ihre verhärtete, festgefahrene Politik, um den Frieden mit den Nachbarn zu suchen.

Aber mehr als alles andere erinnert der Mord an Rabin an die Ermordung von Haim Arlosoroff, dem Leiter der politischen Abteilung derJewish Agency in Palästina zur britischen Mandatszeit im Jahre 1933. Dies war der damals bedeutsamste politische Mord, auch er begangen aufgrund einer Gewaltkampagne, in der unter anderem zur "Liquidierung des Verräters", das heißt zum Mord an Haim Arlosoroff aufgerufen worden war; die jüdische extreme Rechte in Palästina kritisierte fortdauernd seine liberale Haltung.

Arlosoroff wurde am 16. Juni 1933 von einem Juden ebenfalls mit Dum-Dum Geschossen getötet, als er mit seiner Frau am Strand von Tel Aviv einen Spaziergang machte. Man braucht nur die Veröffentlichungen der extremen Rechten aus jener Zeit zu lesen, um eine erstaunliche Ähnlichkeit mit den Ereignissen von 1995 festzustellen. Es empfiehlt sich die Lektüre der Wochenzeitung Die Volksfront des Bundes der Gewaittätigen (Brit Habirionim) - sie trägt den Namen der Zeloten, die in der Antike gegen die Römer kämpften -, um zu verstehen, was sich im Anschluß daran ereignete. Die extreme Rechte führte eine scharfe Kampagne gegen Arlosoroff und stellte ihn gern als Verräter dar. Er wurde einmal als proenglisch, dann wieder als proarabisch bezeichnet. Am Morgen nach dem Mord erschien ein beispiellos brutaler Artikel: "Wer die Ehre des jüdischen Volkes verkauft, für den gibt es kein Pardon. Das Volk wird auf diese Schandtat schon die richtige Antwort finden." Arlosoroffs Frau identifizierte die beiden Attentäter; sie waren Mitglieder des Bundes der Gewalttätigen. Einer wurde zum Tode verurteilt, aber nach dem damals im Land gültigen türkischen Recht benötigte man zwei Zeugen, und es gab nur einen, die Frau des Opfers.

Rechte Schmutzkampagne gegen Rabin:
Schmähungen, Flüche und Provokationen

Die nationalistische Rechte begann mit dem Druck von Anti-Rabin-Aufklebern. Man fand sie an Wänden und Autos, Schaufenstern und Studententaschen. Es gab außerdem Graffiti, Spruchbänder und Parolen auf den Demonstrationen, auf denen die Propaganda der Rechten entfesselt wurde. Hier einige Beispiele unzähliger Parolen, an denen man den giftigen Ton erkennen kann und die fast alle aus dem Jahr 1995 stammen:

"Das Volk gegen den Verrat", "Das Volk gegen Rabin", "Rabin, Verräter! ", "Rabin wegen Verrats vor Gericht!", "Rabin, Mörder! " (das steht an der Außenwand eines Kontrollpostens in Hebron), "RabinPeres zuerst" (eine Anspielung auf "Gaza-Jericho zuerst", das heißt auf die erste Phase des Abkommens von Oslo), "Rabin, der Hund! (dazu eine Karikatur von Rabin mit Hundekopf), "Rabin, der Homo!", "Die Regierung - eine Zeitbombe", "Die Rabin-Regierung opfert das Leben von Juden", "Die Regierung ist verrückt -und auch der Ministerpräsident", "Das Volk wirft die Rabin-Regierung auf den Müll", "Die Tage des Tyrannen sind gezählt", "Rabin, scher Dich zum Teufel!", "Mit Blut und Feuer verjagen wir Dich, Rabin" (von der Menschenmenge auf Demonstrationen skandiert), "Auf die Barrikaden, die Auflösung von Israel muß aufhören", "Die Regierung ist die Sklavin der Feinde des Volkes", "Rabin hat einen Vertrag mit dem Feind unterzeichnet", "Rabin kollaboriert mit dem Kriegsverbrecher Yassir Arafat" (unter einer Karikatur Rabins, auf der er Arafat die Hand gibt und sich danach seine blutige Hand wäscht) und "Rabin verkauft unser Vaterland". Die Regierung wird meistens als "die Bande an der Macht", "die Verbrecherbande" oder auch als "die blutige Regierung" bezeichnet. Rabin heißt auch "Ceau~escu" oder "Rabin, der 'Ingenieur'" (der Yahya Ayasch gegebene Beiname; als Bombenbauer der Hamas verursachte er den Tod von Dutzenden von Israelis bei Anschlägen in Israel; das stand über einem Bild, auf dem Rabin eine Kuffiye trägt).

Viele Parolen spielten auf die Nazizeit an

"Der Vertrag mit Arafat ist der Vertrag von München", "Der Vertrag mit Arafat ist der Ribbentrop-Molotow-Pakt, aber Stalin hat Hitler nicht die Hand gereicht", "Rabin — Quisling", "Rabin —P&ain'", "Rabin geht auf Hitlers Weg", "Rabin, der Vorsitzende des Judenrates", "Rabin, der Kapo", "Rabin, derJudenrat, hilft uns in die Züge" (die die Juden in die Todeslager brachten), "Mündet Oslo in die Gaskammern?", "Rabin führt das Land in einen neuen Holocaust", "Rabin schiebt uns nach Auschwitz ab". Und auch das: "Rabin ist Aschmodai" (in der jüdischen Mythologie der König der Dämonen).

Zehn Tage vor der Ermordung wurden in den Siedlungen im Westjordanland Flugblätter mit einer gefälschten Todesanzeige (Rabin habe Selbstmord begangen) verteilt. Das Datum war noch offen, darunter stand: "Rabin! Trag selbst schnellstens das Datum ein. Wir werden Deiner als des ersten Friedens-opfers gedenken." Auch Broschüren waren im Umlauf, so die des "Generalstabs im Kampf gegen das Projekt palästinensische Autonomie", in der es unter anderem hieß: "Rabin, ein ruhmreicher Generalstabschef? Marschall Petain, der Held von Verdun, war glorreicher als er. Ist Rabin mit demokratischen Mitteln an die Macht gekommen? Genau wie Marschall Petain 1940 nach der Niederlage von Frankreich durch Nazi-Deutschland: Er wurde durch ein juristisches Procedere zum Präsidenten ernannt. Aber nach der Befreiung von Frankreich im Jahre 1945 wurde Petain der Prozeß gemacht, und er wurde zum Tode verurteilt, aber aus Altersgründen hat man das Urteil in ein milderes umgewandelt. Warum wurde er verurteilt? Weil er mit Hitler kollaborierte, einen für die ganze Welt gefährlichen Terroristen im Gewand eines Staatsmannes. Auch Arafat, mit dem Peres und Rabin einen Kollaborationspakt unterzeichneten, ist ein als Staatsmann verkleideter Terrorist. Wenn es einen Unterschied gibt, dann nicht zugunsten Rabins."

In Frankreich wird man wegen solcher Reden gerichtlich verfolgt. In den Vereinigten Staaten ist es zum Beispiel möglich, vor dem Weißen Haus mit einem Spruchband "Clinton, Mörder" zu demonstrieren. In Deutschland wird jeder mit einem Plakat, auf dem ein Politiker in Gestapo-Uniform zu sehen ist, wie man es in Israel mit Rabin tat, unverzüglich verhaftet. In Israel drückten die Behörden beide Augen zu... Diese Parolen tauchten auch in Yigal Amirs Erklärungen bei seiner Vernehmung immer wieder auf, ebenso gegenüber Journalisten während des Gerichtsverfahrens sowie in seinen öffentlichen Reden vor der Ermordung Rabins.

Am Tag nach dem Mord erzählte Lea Rabin: "Eines Tages vor dem Anschlag auf Yitzhak kamen wir nachmittags nach Hause. Das war am Freitag, und wie jeden Freitag demonstrierten dort 49 Personen. Wir haben sie gezählt. Bei 50 wäre es eine unerlaubte Versammlung gewesen, die von der Polizei hätte genehmigt werden müssen. Fast alle Demonstranten gehörten dem Likud-Block an. Sie riefen: 'Verräter! Mörder!' Und plötzlich wandten sie sich an mich: 'Noch lächeln Sie, aber warten Sie nur, in einem Jahr [das heißt, nach den Wahlen] machen wir Ihnen den Prozeß für Verrat. Sie werden aufgehängt, wie Mussolini und seine Geliebte, auf dem Platz der Könige Israels."

Einen Monat vor der Ermordung, am Vorabend des Versöhnungstages, versammelte sich eine Gruppe von zehn Personen, darunter drei Kabbalisten, mit Gebetsschal um den Schultern vor Rabins Residenz in Jerusalem und stimmte laut eine Verfluchung an, in der die Engel des Bösen aufgefordert wurden, "den verfluchten Yitzhak, Sohn der Rosa, möglichst schnell zu holen wegen seiner bösen Pläne für das auserwählte Volk". Das ist der schrecklichste Fluch in der ganzen jüdischen Magie, die sogenannte Pulsa Denura (Pulsa: griechisch "Geißelung", Den ura: aramäisch "durch das Feuer").

Trotz mehrerer Anzeigen gegen diese neue Form von Aggression unternahmen weder Justiz noch Polizei etwas dagegen. Auf dieselbe Weise verlief der Protest der Knessetabgeordneten Naomi Hazan von der linkszionistischen MeretzPartei. Sie hatte ihrer Anzeige den Text dieser in den Synagogen verteilten Verwünschung beigefügt. Nach der Ermordung wandte sich die Polizei an die Abgeordnete mit der Bitte, ihr doch eine Kopie der Anzeige zuzuschicken, das Original sei abhanden gekommen...

Hier Verfluchung, dort Provokation, alles schien in der Kampagne gegen Rabin erlaubt. So gelang es zum Beispiel Tzahi Hanegbi, dem Knessetabgeordneten vom rechten Flügel des Likud-Blocks, vor der Bühne, auf der Rabin anläßlich des Jerusalem-Marsches am 10. Oktober 1995 zu den Teilnehmern sprechen sollte, Lautsprecher zu verstecken. Als der Ministerpräsident die Tribüne betrat, hörten die Teilnehmer plötzlich mehrere Minuten lang Hanegbis feindliche Rede gegen Rabin und seine Politik. Es herrschte totale Verwirrung. "Die Regierung zerbröckelt", sagte jemand unter den Teilnehmern. "Nein", erwiderte ein weiterer, "im Augenblick macht man sich über sie lustig... "

Kurz zuvor, am 5. Oktober 1995, schockierte eine überdurchschnittlich gewalttätige Demonstration ganz Israel. Sie fand auf dem Zionsplatz, einem der wichtigsten Plätze in Jerusalem, statt. Das war ein Monat vor der Ermordung Rabins. Die Rechte hatte über 30 000 Demonstranten aus allen Landesteilen in Bussen nach Jerusalem gebracht. In ihren Reden von erschreckender Feindseligkeit gegen den Ministerpräsidenten brandmarkten die Sprecher, einer heftiger als der andere, Rabins "illegale" Regierung, wobei sie die Worte "Verräter", "Auschwitz", "Liquidation des Staates" regelrecht auf die Menge einhämmerten; die Menschen skandierten dazu: "Mit Blut und mit Feuer verjagen wir Dich, Rabin" und: "Rabin, Mörder!"

Unter den Teilnehmern war eine Fotomontage im Umlauf Sie zeigte Rabin in der Uniform von Himmler; es war das Werk von zwei minderjährigen Schülern einer religiösen, der faschistischen Kahane-JDL (Jewish Defence Leage) nahestehenden Schule. Vor Journalisten wiesen die Organisatoren jede Schuld an dieser Montage von sich. "Aber", fügten sie hinzu, "wenn der Ministerpräsident das Leben von Juden opfert, ist er ein Verräter, und wir verstehen die Gefühle der für die Verbreitung dieser Bilder verantwortlichen Personen." Es ist bekannt, daß die Redner auf dieser Demonstration die Fotomontage wenige Minuten vor ihrem Beginn im Fernsehen sahen. Niemand protestierte gegen diese Ungeheuerlichkeit.

Den Ton auf dieser Versammlung gab Benyamin Netanyahu, der Chef des Likud-Blocks, an: "Heute wurde der Knesset das defätistische Abkommen Oslo II vorgelegt. Die jüdische Mehrheit in Israel hat diesem Abkommen nicht zugestimmt. Wir werden dafür kämpfen, die Regierung zu stürzen. Dieser Vertrag ist ein Alptraum. Er ist eine direkte Bedrohung unserer Sicherheit. Rabin demütigte die Nation, als er das Diktat des Terroristen Arafat akzeptierte." Am gleichen Tag hatte Netanyahu in der Knesset gesagt: "Rabin liebt sein Land nicht. Er betrachtet Israel nicht als sein Vaterland: Er verkauft sein Land wie ein Krämer."

Nach diesen Reden formierte sich ein gespenstischer Fackelzug. Junge Männer mit Kipoth srugoth skandierten "Gegen die Verzichtserklärungen von Oslo! Nieder mit der frevelhaften Regierung! Der Ausverkauf der nationalen Werte ist ein Verbrechen gegen Volk und Land! Rabin dein Name ist Schande!" Der Fackelzug erreichte ungehindert die Kneseth, in der gerade das Abkommen mit den Palästinensern diskutiert wurde.

Es war wie ein richtiger Aufruhr: Brandsätze wurden in Richtung des israelischen Parlaments geworfen. Der Wagen des Wohnungsbauministers wurde mit Bierflaschen angegriffen. Minister und General Ben-Eliezer: "Die Atmosphäre war geprägt von Mordlust. Nie habe ich eine solche Gewalt erlebt. Obwohl ich in vielen Kriegen war und verwundet wurde - niemals bin ich Schlimmerem begegnet." Im Knessetrestaurant traf er Benyamin Netanyahu, der gerade gut gelaunt von einem Treffen mit einigen Abgeordneten seiner Partei zurückgekehrt war. "Wenn Sie Ihre Extremisten nicht zügeln", warnte er ihn, "wird das noch mit einem Mord enden." Netanyahu reagierte nicht. Ben-Eliezer fuhr fort: "Diese Leute sind krank. Sie haben versucht, mich zu töten. Ich rate Ihnen, Ihr Lächeln einzustellen. Ihre Anhänger sind gefährliche Irre. Sie tragen die Verantwortung für ihre Verbrechen."

Hanan Porat von der Nationalreligiösen Partei antwortete ihm: "Wenn Rabin nicht das Land Israel verkaufen würde, dann würden die Demonstranten sich nicht so aufführen." Der gleiche Porat hatte in Hebron, vor laufenden Fernsehkameras, am Morgen nach Goldsteins Blutbad gerufen: "Ein schönes Fest! Wir haben allen Grund zur Freude!" Sicher, man feierte Purim, aber jeder begriff, wie er diese Worte gemeint hatte.

Zwei Tage nach dieser Demonstration erhielt Benyamin Netanyahu einen Brief von Gil Samsonow, einem führenden Mitglied des Jugendflügels des Likud-Blocks; er schrieb darin, daß er über die Gewalttätigkeit der Demonstranten sowie über alles, was sich bei diesem Treffen abgespielt habe, schokkiert sei. Warnend forderte er Benyamin Netanyahu auf, "den in unserem Lager um sich greifenden Wahn zu bekämpfen, die Demokratie gegen alle Gewalt zu verteidigen und einen politischen Mord zu verhindern, zu dem sich ein Eiferer angestachelt fühlen könnte."

Der damalige Chef des Likud-Blocks trägt zweifellos eine gewaltige Verantwortung für diese Gewalt gegen die Regierung, zu der er sowohl stillschweigend als auch offen ermutigt hat. Er selbst bezeichnete Rabin als Verräter und verurteilte niemals weder die verbalen Auswüchse noch die Hetze gegen den Ministerpräsidenten. Sein Schweigen wurde als Zustimmung ausgelegt.

Nur kurz vor der Ermordung nahm Netanyahu an einer Demonstration teil, auf der die Teilnehmer einen schwarzen Sarg mit der Aufschrift trugen: "Rabin begräbt den Zionismus." In seinen auf stachelnden Reden verglich er Rabins Methoden mit denen von Ceausescu. Er trieb das Ganze schließlich auf die Spitze, als er in einem Fernsehinterview im März 1995 behauptete, die Hamas habe eine Botschaft von Rabin und Arafat erhalten, wonach diese Organisation Juden, zwar nicht im Gazastreifen, wohl aber im Westjordanland töten dürfe, um die Räumung dieses Gebietes zu beschleunigen, so daß dort eine Palästinenserbehörde eingerichtet werden könnte. 

Am Morgen des 10. Oktober 1995 blinkten bei den Sicherheitskräften alle Lichter: Rabin fuhr zu einem Treffen mit Neueinwanderern aus englischsprachigen Ländern im Wingate-Sportinstitut nördlich von Tel Aviv. Ein paar aufgeregte Menschen versuchten, sich dem Ministerpräsidenten zu nähern. Dabei stießen sie Beleidigungen und Drohungen aus:

"Nieder mit Rabin!", "Hier ist der Hund!" Die Stimmung war dermaßen erregt, daß er seine Rede abbrechen mußte. Entfesselt schob sich der Rabbiner von der Hebräischen Universität in Jerusalem, Nathan Ophir, vor die Polizisten und überhäufte Rabin mit Schimpfworten. Er kam seinem Leibwächter so nahe, daß er ihn beißen konnte. Dem Sicherheitsbeamten gelang es, den Rabbiner mit der Hand zurückzustoßen. Um Rabin aus der johlenden Menschenmenge herauszuholen, brachte man seine Limousine direkt bis an die Bühne. Das Ereignis wurde von einem Journalisten der amerikanischen Fernsehgesellschaft ABC gefilmt und hat sehr viel Aufsehen erregt.

Der ehemalige stellvertretende Leiter des Shin Bet, Reuven Hazak, merkte dazu folgendes an: "Für mich hat man Rabin in Wingate praktisch ermordet. Der Angreifer näherte sich ihm, um auf ihn zu schießen. " Shimon Roma, ein hoher ShinBet-Beamter im Ruhestand, meinte dazu: "Es besteht wirklich die Gefahr eines Anschlags auf Rabins Leben. Ich erinnere mich nicht, je eine Zeit erlebt zu haben, in der der Ministerpräsident als Verräter und Mörder bezeichnet wurde oder in der man offen zu seiner Ermordung aufrief." Am gleichen Tag erklärte Abraham Rotem, ehemaliger Leiter der Shin-BetAbteilung für den Schutz Prominenter: "Die Straße ist heute bereit für eine Mordtat gegen die Spitzenpolitiker des Landes. Die Parolen sind blutgetränkt." Nach der Ermordung wurde er gefragt: "Wie wußten Sie, daß sich das ereignen würde?" "Das ist ganz einfach", erwiderte ei; "ich höre, wie die Leute offen sagen, Rabin verdient nichts anderes, als beseitigt zu werden. Wenn ich das mit eigenen Ohren von zwei Personen höre, bedeutet es, daß mindestens hundert weitere es wiederholen."

Am Tag danach verkündeten die beiden großen Tageszeitungen in Israel warnend: "Der Shin Bet befürchtet extremistische Aktionen gegen Rabin und hochgestellte Persönlichkeiten", so die Abendzeitung Yediot Aharonot, und: "Beunruhigung im Büro des Ministerpräsidenten angesichts der Gewaltwelle gegen Rabin und die Minister seiner Regierung", der Maariv. Die Besorgnis griff auf die Straße über. Aber die Rechte behauptete, es handele sich um Manipulationen durch, die Machthaber.

Ariel Sharon, einer der führenden Männer des Likud-Blocks gab zur Gefahr für den Ministerpräsidenten folgende Presseerklärung ab: "Das ist nichts anderes als Provokation. Schauen Sie sich nur an, was sich in Rußland unter Stalin abgespielt hat. Mitte der dreißiger Jahre verbreiteten die Behörden Gerüchte über drohende Anschläge auf Stalin. Dies erlaubte es ihm, die Befehlshaber der Roten Armee zu liquidieren. Das gleiche Schicksal ereilte auch die jüdischen Schriftsteller und Ärzte. Ihnen warf man vor, ihn vergiften zu wollen. Hier in Israel geht die Rabin-Regierung genauso vor: dieses vorgebliche Attentat auf die Person Rabins, nichts als ein Vorwand. Das Ziel ist klar. Sehen wir aber einmal, woher diese Information stammt. Nur die Linke ist zu einer derartigen Provokation fähig. Da stelle ich mir die Frage: Sind wirklich alle Mittel erlaubt, um in den Wahlen zu siegen, das nationale Lager anzuschwärzen, Judäa, Samaria und den Gazastreifen aufzugeben, einen Bürgerkrieg anzuzetteln? Man muß es ganz laut rufen: Die Tyrannen stehen vor unserer Tür!" Sharons Erklärungen, im Organ der chassidischen HaBaD-Bewegung veröffentlicht, wurden am 15. Oktober 1995 in Haaretz wieder aufgenommen. Der Korrespondent der Zeitung hatte dazu Sharons Zustimmung erhalten: "Ich bestätige die Richtigkeit meiner Worte." Das war zweieinhalb Wochen vor der Ermordung. In diesem Interview verglich Sharon die Abkommen von Oslo mit denen Marschall Petains mit den Nazis. Er forderte, Rabin und Peres vor Gericht zu stellen, denn ihm zufolge seien sie unzurechnungsfähig.

Schon lange vor dieser beispiellosen verbalen Gewalt, wie sie auf der Straße und in den Medien in den letzten beiden Monaten [vor Rabins Ermordung] zum Ausdruck kam, war man sich beim Shin Bet bewußt, daß tatsächlich die Gefahr eines Anschlags auf politische Persönlichkeiten durch die extreme Rechte bestand. Die Schutzmaßnahmen wurden verschärft, vor allem für Teilnehmer an öffentlichen Kundgebungen. Karmi Gilon, im März 1995 zum Leiter des Shin Bet ernannt, hatte schon 1990 in seiner Dissertation an der Universität Haifa auf die Gefahren einer ideologisch bedingten Kriminalität der extremen Rechten in Israel hingewiesen. Sie trug den Titel: Der Verstoß gegen das Gesetz aus ideologischen Gründen innerhalb der extremen Rechten in Israel vor dem Hintergrund des israelisch-arabischen Konflikts. Das sind seine Schlußworte: "Diese ideologisch bedingte Kriminalität stellt für den Fortbestand von Israel als Demokratie eine Gefahr dar... Indem die israelische Gesellschaft die ideologisch bedingte Kriminalität der extremen Rechten nachsichtig duldet, legitimiert sie sie von vornherein."

Das hatte Karmi Gilon lange vor Oslo geschrieben. Er kannte das Problem. In der ersten Hälfte der achtziger Jahre führte er mit anderen die Verhöre der jüdischen terroristischen Untergrundgruppe in den besetzten Gebieten durch. Diese hatte damals Anschläge auf palästinensische Bürgermeister im Westjordanland und gegen palästinensische Studenten der islamischen Hochschule in Hebron verübt, bei denen es drei Tote gab. Dieselbe Gruppe hatte auch geplant, sechs arabische Busse in Ostjerusalem in die Luft zu sprengen, eben-sowie die Moscheen auf dem Haram esh-Sharzj4Tempelberg] in Jerusalem, auf dem im Altertum der jüdische Tempel gestanden hatte.

Der Ministerpräsident unterschätzte seinerseits durchweg die ihm persönlich drohende Gefahr. Als Karmi Gilon ihm mitteilte, er habe Mittel für dreißig weitere Leibwächter erhalten, reagierte Rabin unzufrieden: "Wenn schon zusätzliche Stellen besetzt werden, dann sollen sie gegen Hamas eingesetzt werden." Trotzdem rief der Leiter des Shin Bet alle Leibwächter seiner Organisation zweimal zusammen, um sie zu ermahnen, ihre Aufmerksamkeit zu Rabins Schutz zu verdoppeln und vor einem entschlossenen, allein handelnden jüdischen Angreifer auf der Hut zu sein, der einen Anschlag planen könnte. Wütend warf Rabin ihm vor: "Der Leiter des Shin Bet ist ein Angsthase. Er besteht immer wieder auf der Notwendigkeit, die Bewachung meiner Person zu verschärfen. . . "

Der Chef des Shin Bet hielt jüdischen Terrorismus in der Tat für möglich. Aber es gelang ihm weder, Rabin davon zu überzeugen noch diese Botschaft allen relevanten Dienststellen mitzuteilen; deshalb versagte seine Organisation bei der erstbesten Gelegenheit. Im übrigen reiste der Leiter des Shin Bet einen Tag vor der Kundgebung am 4.November für eine als wichtig eingestufte Angelegenheit ins Ausland, obwohl seine Anwesenheit eigentlich dringend erforderlich gewesen wäre. Zweifellos hätte sie am Verlauf der Ereignisse nichts geändert. Aber das Verschieben der Reise hätte wenigstens bewiesen, daß Karmi Gilon zumindest seine eigenen Warnungen ernst nahm.

Auch der Rechtsberater der Regierung, Michael Ben-Yair, hatte vor der Gefahr eines politischen Mordes gewarnt. Knapp zwei Wochen vor dem Drama hatte er vor dem Polizeichef, dem Leiter des Shin Bet und dem Generalstaatsanwalt gesagt: "Ich fürchte mich vor der Tat eines Verrückten unter dem Einfluß der gewalttätigen Stimmung gegen die Regierung."

Und nach dem Ereignis fügte er hinzu: "Diese Tat, die für eine Öffentlichkeit mit einer extremistischen, fanatischen und gefährlichen Weltanschauung eine psychologische Schranke abgebaut hat, wird einen weiteren Mord erleichtern. Für diese Menschen war Rabins Ermordung ein Sieg, der nach einem weiteren Verbrechen ruft."

Historiker wie Politologen sind sich einig, daß die Argumente der Rechten das Terrain vorbereiteten und sie deshalb die Hauptschuld an der Ermordung trägt. "Schon immer bin ich davon überzeugt gewesen", sagte der Historiker Zeev Sternhell, "daß nicht nur der mit dem Finger am Abzug die Schuld trägt; für mich sind die Prediger von Haß die wahren Mörder. Sie stempeln ihre ideologischen Widersacher, in den meisten Fällen die Linke, zu Verrätern ab, während sie selbst sich zu Verteidigern des nationalen Interesses und Rettern des Vaterlandes hochstilisieren. So war es vor über fünfzig Jahren in Deutschland und Italien, und so ist es heute in Israel. Wer Rabin als Verräter bezeichnet, der das heilige Land der Nation dem Feind aushändigt, trägt die Verantwortung für seinen Tod. Wer dann auf den Abzug drückte, ist nicht weiter wichtig. Die israelische Demokratie hat ein Stadium erreicht, in dem sie sich gegen die Gefahr einer Zerstörung von innen verteidigen muß. In diesem Kampf kann es keine Kompromisse geben."

Su Artzenu:
"Ein Tyrann, dessen Tage gezählt sind"

Besondere Beachtung verdient die rechtsextreme Bewegung Su Artzenu ("Das ist unser Land"). Im Sommer 1995 nahm diese Bewegung nach einer Pause von fast zwei Jahren erneut ihre Tätigkeit auf und trat für eine Verstärkung der Demonstrationen gegen die Regierung ein. Su Artzenu rief offen zum bürgerlichen Ungehorsam auf. In ihrer ersten großen Protestaktion verursachte diese Bewegung gewaltige Verkehrsstaus an mehreren strategischen Punkten des Straßennetzes in Israel. Darauf war die Polizei nicht vorbereitet gewesen, und es herrschte ein beträchtliches Durcheinander. Die Demonstranten setzten Reifen in Brand und griffen die Polizisten an, von denen mehrere verletzt wurden.

Der Anführer der Bewegung, Moshe Feiglin, praktizierender Jude wie zahlreiche andere in der Führung dieser Gruppe, sprach offen von der Notwendigkeit, "sich zu weigern, sich den Gesetzen dieses Regimes zu beugen, denn es vertritt nur eine Minderheit der jüdischen Bevölkerung, liefert unser Land Fremden aus, opfert das Volk von Israel und verrät die jüdischen Werte". In ihren Veröffentlichungen pries die Bewegung zwar den gewaltlosen Ungehorsam, aber ihre Anhänger begriffen die Botschaft schnell, nämlich, daß man sich dem Gesetz widersetzen und das Regime destabilisieren müsse. Für sie war die Regierung Israels nicht "legitim", und alles oder fast alles war erlaubt. So holte man für eine Demonstration zum Beispiel nicht einmal mehr die Genehmigung der Polizei ein, wie vom Gesetz vorgeschrieben.

Die Aktivitäten von Su Artzenu wirkten sich größtenteils indirekt aus. Die Bewegung wollte den Beweis erbringen, daß die Regierung keinen Rückhalt im Land besaß, und bemühte sich, sie zu stürzen. Schon drohte die Gefahr, daß die öffentliche Meinung das Gesetz des Stärkeren akzeptierte. Dazu trugen zu einem nicht geringen Teil wohl auch die vielen Bilder von den unaufhörlichen Verkehrsstaus bei. Hunderte von Fahrzeugen waren an den Demonstrationen von Su Artzenu beteiligt. Darunter auch ein alter kastanienbrauner Volkswagen, das Auto der Familie des Mörders von Yitzhak Rabin. Die Polizisten erhielten Befehl, die Demonstranten zu zerstreuen. Sie wurden angegriffen und wendeten ihrerseits Gewalt an, woraufhin die Demonstranten sie als "Soldateska" beschimpften. Der Knessetabgeordnete Rehavam Zeevi, ein General im Ruhestand und Vorsitzender der ultrarechten Moledet-Partei (Vaterland), unterstützte die Aktionen von Su Artzenu. Nach den Zusammenstößen mit der Polizei gab er folgende Warnung ab: "Wer immer von den Polizeioffizieren Gewalt gegen rechte Demonstranten anwendet, kommt auf unsere schwarze Liste, und wir werden sie uns vorknöpfen, sobald wir wieder an die Macht gekommen sind." Und auch das: "Wenn die Polizei Gas gegen uns einsetzt, werden wir es wie eine Feuerwaffe betrachten und unverzüglich darauf antworten. "

In einer besonders scharfen Erklärung sagte Zeevi noch: "Rabin und Peres, alle Minister der Regierung und ihre hohen Beamten werden eines Tages vor Gericht gebracht, weil sie sich unseren Feinden unterwarfen und das Volk demütigten. "

Einer von Su Artzenus Anführern, Rabbi Benny Allon, ein Onkel von Yigal Amirs Freundin Margalit Harshefi, auch er Mitglied der Moledet-Partei, beschuldigte Rabin, das Land in einen Bürgerkrieg zu führen. Er riet ihm zur Vorsicht, wenn er nicht sterben wolle. Und er fuhr fort: "Unter uns gibt es viele Baruch Goldsteins. Ich bin davon überzeugt, daß bei der jetzigen Stimmung ein neuer Goldstein aufstehen und dieses Mal vierzig Linke töten wird." Diese Worte hat er kurz vor der Ermordung des Ministerpräsidenten gesagt.

Von allen Su-Artzenw-Mitgliedern war jedoch Feiglin der extremste. Auf der berüchtigten Demonstration auf dem Zionsplatz in Jerusalem sagte er unter anderem: "Rabin ist ein Mörder, ein Tyrann, dessen Tage gezählt sind. Es ist eine Pflicht, seinen Wagen zu treffen. Er ist der Judenrat, der uns in die Züge steigen läßt. Ich bin ein echter Jude, Rabin dagegen ein falscher. Für mich ist Rabin heute Feind Nummer eins, und er kommt für mich noch vor der Hamas und jeder anderen [arabischen] Terrororganisation. " Feiglin verbreitete seine rassistische und faschistische Ideologie in den Medien. Für ihn existierte kein palästinensisches Volk: "Es ist nur eine Gruppe Arabisch sprechender Menschen, die sich plötzlich für ein Volk halten. Es sind Parasiten, Untermenschen. Auch bei den Afrikanern gibt es keine Völker, nur Stämme."

Unvorstellbar sind seine Worte über den Nazismus in einem Interview mit der seriösen Tageszeitung Haaretz vom 8. Dezember 1995: "Dank des Nazismus konnte Deutschland die vorherrschende Dekadenz hinter sich lassen und zu einer aus physischer und ideologischer Sicht phantastischen Zeit aufbrechen. Die Jugend, bis dahin der Ausschuß der Gesellschaft, wurde richtig angefaßt und organisiert, und Deutschland gab sich eine vorbildliche öffentliche Ordnung. Hitler liebte gute Musik, er malte. Da kann man nicht von einer Bande von Rowdies sprechen... " Schon vor dem Zweiten Weltkrieg identifizierten sich bei der Rechten in der jüdischen Gemeinde in Palästina Gruppen mit den Faschisten. Der rechts-extreme Schriftsteller Abba Ahimeir beispielsweise, Chefredakteur der Wochenzeitung Die Volksfront — er verfolgte, wie bereits oben erwähnt, den Arbeiterführer Arlosoroff mit seinem unversöhnlichen Haß — zeichnete verantwortlich für die Rubrik "Notizbuch eines Faschisten". Während der Zweite Weltkrieg wütete und die Ermordung der Juden von den Nazis zum Programm erhoben und ausgeführt wurde, nahm die Terrorgruppe Stern — sie führte Aktionen gegen die Englander in Palästina durch (während die zweite rechte Terrorgruppe Irgun unter der Leitung von Menachem Begin ihren Kampf gegen London eingestellt hatte) — Kontakte zu den Nazis auf, um sie zu unterstützen und im Gegenzug um Hilfe bei der Vertreibung der Engländer aus Palästina zu bitten.

US-Connection

Neueinwanderer aus den Vereinigten Staaten spielten bei den Aktivitäten von Sw Artzenu, die Bewegung hat Ableger in mehreren amerikanischen Städten, eine bedeutende Rolle. Unter den Aktivisten der gegen den Friedensprozeß eingestellten israelischen Rechten waren die Einwanderer aus den Vereinigten Staaten besonders stark vertreten, obwohl es immer eine ziemlich geringe Einwanderung aus den USA nach Israel gegeben hat. Die Zahl amerikanischer Neueinwanderer in einem Jahr entspricht der in einer Woche aus der ehemaligen Sowjetunion.

Die amerikanischen Neueinwanderer machen 1,2 Prozent der israelischen Bevölkerung aus, aber von allen Gemeinden stellen sie den höchsten Anteil von rechten Extremisten. Und in den letzten Jahren war die Mehrzahl der Einwanderer religiös und stark rechtsgerichtet. Ein Viertel davon lebt in Siedlungen in den besetzten Gebieten. In Ephrat zum Beispiel, einer Siedlung bei Bethlehem, stellen die 392 Neueinwanderer 8,5 Prozent der Bewohner dar. In Siedlungen mit einem sehr hohen Anteil an militanten Rechtsextremisten ist die Zahl amerikanischer Juden noch sehr viel größer. Nicht zufällig ist einer von Yigal Amirs drei Rechtsanwälten, Yonathan Goldberg, ein Neueinwanderer aus den Vereinigten Staaten und lebt in der Siedlung Emmanuel.

Es ist auch kein Zufall, daß die gewalttätigste Demonstration, auf der Rabin physisch bedroht wurde, im Wingate-Institut stattfand, wo amerikanische Neueinwanderer die Mehrheit bilden. Später veröffentlichte der Verband der Neueinwanderer aus den Vereinigten Staaten ein vieldeutiges Kommunique über diesen verpaßten Angriff auf Rabin.

Dabei darf nicht vergessen werden, daß Baruch Goldstein, der Mörder von Hebron, ebenfalls aus den Vereinigten Staaten stammte. Ebenso ist der jetzige Chef der faschistischen Kach-Bewegung, Baruch Marzel, ein amerikanischer Neueinwanderer aus Boston.

Yigal Amir stieß bei den Juden in den Vereinigten Staaten auf sehr viel Sympathie, besonders unter den Orthodoxen. Er hatte den Mann getötet, der "das Vaterland an die Feinde verkaufte". Für die Finanzierung seiner Verteidigung wurde eine Spendensammlung veranstaltet. Im Internet ist ein ehemaliger Amerikaner für die Propaganda zugunsten Yigal Amirs verantwortlich. Auf der ersten Seite steht folgender Satz: "Ich habe es für G'tt, Volk und Vaterland getan." Die Hetzreden amerikanischer orthodoxer Juden gegen Rabin standen jenen der extremen Rechten in Israel nicht nach.

Im Oktober vertrat unter anderem Rabbi Abraham Hecht von der Synagoge Shaarei-Zion ("die Pforten Zions") in Brooklyn noch vor der Ermordung die Ansicht, Rabin habe gemäß dem jüdischen Gesetz den Tod verdient, weil er den Go/im [Nichtjuden] ganz bewußt Leben und Güter der Juden aushändige. "Nur dieses Urteil kommt für ihn in Frage." Auch weitere orthodoxe Rab7 biner in den Vereinigten Staaten veröffentlichten einen ähnlichen Urteilsspruch; Rabin wurde darin abwechselnd als Verfolger und als Spitzel bezeichnet. Ebenso hieß es, er verdiene es, ohne Prozeß getötet zu werden. Die orthodoxe WochenzeitschriftJewish Press mit einer Auflage von rund 90 000 verglich Rabin mit Hitler. Und ähnlich bezeichnete auch die größte jiddische Wochenzeitung, das Algemaine Journal, Rabin als den "jüdischen Hitler".

Erst nach dem Attentat wurden sich die israelischen Behörden der Tatsache bewußt, daß fanatische amerikanische Juden in Israel die Reihen der extremen Rechten stärkten, indem sie ihr gesetzlich verankertes Recht auf Heimkehr nutzten, um Haß zu säen und antidemokratischen Aktivitäten nachzugehen. In der israelischen Regierung wurden daher Uberlegungen laut, dieses Gesetz abzuändern. Es zeigte sich jedoch, daß die bestehenden Gesetze bei richtiger Anwendung durchaus ausreichten, um unerwünschten Elementen die Einreise nach Israel zu verwehren. Seither untersagt der Innenminister jüdischen rechtsextremen Aktivisten aus den USA die Einreise. "Wir haben schon genug mit den hier Anwesenden zu tun", erklärte ein Beamter dieses Ministeriums.

Die Zeichen an der Wand

Das Recht auf Heimkehr, ein in der Welt beispielloses Gesetz, verleiht jedem Neueinwanderer automatisch die israelische Staatsangehörigkeit ohne eine Überprüfung seiner Identität und auch ohne jede Probezeit. Die Befürworter einer Änderung wünschen sich ein strengeres Einwanderungsgesetz, vereinbar mit den wahren Interessen eines Staates Israel in friedlicher Koexistenz mit seinen Nachbarn, anstelle des permanenten Kriegszustandes, wie er bis zur Unterzeichnung der Abkommen von Oslo bestand. Im Falle eines hypothetischen Pogroms würden die in Israel Zuflucht suchenden Juden Schutz finden, ohne aber automatisch eingebürgert zu werden. Sie würden die israelische Staatsangehörigkeit erst nach mehreren Jahren bekommen, vorausgesetzt, der Bewerber gefährdet nicht die Sicherheit Israels und ist nicht in Verbrechen verwickelt.

Aber auch in den Vereinigten Staaten selbst vollzog sich in der Führungsspitze der jüdischen Gemeinden angesichts der Propaganda bestimmter orthodoxer Kreise gegen die israelische Regierung und Rabin persönlich ein Wandel. Einige führende Juden in den USA sagten sogar: "Yitzhak Rabin, vergib uns unser Schweigen." Die Vorsitzenden jüdischer Gemeinden und Organisationen in den Vereinigten Staaten beriefen eine außerordentliche Versammlung ein, auf der beschlossen wurde, der israelischen Regierung aktiv zu helfen. Im Mittelpunkt stand die Veranstaltung einer Massenkundgebung im Madison Square Garden als Ausdruck ihrer Unterstützung für den Friedensprozeß. Shimon Peres und Lea Rabin gehörten zu den Gästen. Unglaublich aber wahr: Es war die erste Kundgebung der jüdischen Gemeinde in den Vereinigten Staaten für den Frieden seit dem Wahlsieg der Arbeitspartei 1992. Der Abend war religiös verbrämt, um auch die Rabin-feindlichen orthodoxen Kreise zufriedenzustellen. Zudem wurde weder der Begriff "Friedensprozeß" benutzt, noch durfte die Sängerin Min Aloni — sie hatte das Lied für den Frieden auf der Kundgebung gesungen, auf der Rabin ermordet worden war — in New York auftreten; die Orthodoxen hatten ihr Veto eingelegt, denn für sie ist traditionsgemäß "die Stimme einer Frau unanständig... "

Sicher, nach der Ermordung erlebte man keine Demonstrationen gegen die israelische Politik mehr wie jene mit 40 000 jüdischen Teilnehmern fünf Monate davor im Central Park, auf der Parolen wie "Rabin, Verräter, Mörder, Nazi!" zu hören waren. Allerdings hat auch kein einziger unter den Hunderten von amerikanischen Rabbinern seine Unterschrift von dem Erlaß zurückgezogen, in dem die Rückgabe von Teilen von Eretz Israel an die Palästinenser untersagt wurde.

Gemäß einer Umfrage im Februar 1996 trug Rabins Ermordung dazu bei, daß die Unterstützung amerikanischer Juden für den Friedensprozeß um 11 Prozent angestiegen ist. 79 Prozent waren dafür, 13 Prozent dagegen, und 8 Prozent hatten keine Meinung. Im übrigen sind 56 Prozent der orthodoxen Juden gegen diesen Prozeß, und vor allem unterstützen sie auch weiterhin die Aktivitäten der Bewegung Su Artzenu und anderer Gruppen der extremen Rechten in Israel.

Der Staatspräsident höchstpersönlich...

In dem Bemühen, die Legitimation der Regierung in Frage zu stellen, hat — zur Überraschung aller — auch der erste Bürger von Israel, Staatspräsident Ezer Weizman, eine nicht gerade geringe Rolle gespielt. Seine Äußerungen waren Wasser auf die Mühlen der rechten Propaganda. Er beanstandete, ja diskreditierte die Politik der Regierung in bezug auf alles, was mit dem Frieden mit den Palästinensern zusammenhing. Rabin war darüber sehr verärgert, aber aus Achtung vor dem Präsidentenamt reagierte er nicht darauf. Eine wachsende Zahl von Befürwortern des Friedens war der Ansicht — soweit ist man bis dahin in Israel noch nie gegangen —, der Präsident vertrete gegen die Gesetze von Israel verstoßen. Wer der PLO und Hamas [mit dem Friedensvertrag] Grund zum Feiern gibt, wird eine passende Antwort bekommen." "Rabin und Peres, die beiden Verräter, wurden mit Geld gekauft." "Es überrascht nicht, daß Rabin gesagt hat, die Demonstrationen würden ihn nicht dazu bringen, eine andere Richtung einzuschlagen. Wären Tausende von Menschen gewaltsam bei ihm eingedrungen oder hätten sie ihn einfach nach draußen geschleppt, er hätte es sich anders überlegt. Es ist an der Zeit, Rabin nicht mehr mit Samthandschuhen anzufassen, sondern ihn so zu behandeln, wie er es verdient hat."

Und auch das war auf Kanal 7 zu hören: "Rabin versteht nur die Sprache der Gewalt, dann muß man eben in der ihm vertrauten Sprache mit ihm sprechen" (Uri Ariel, Vorsitzender des Siedlerrates in den besetzten Gebieten).

"Nein, Yitzhak Rabin ist kein Nazioffizier, wie in der Fotomontage auf der Demonstration in Jerusalem gezeigt, er kollaboriert mit Tausenden von Nazioffizieren. Er läßt sie hinein mitten ins Herz des Staates Israel mit ihrem Führer 'Adolf' Arafat an der Spitze, um das jüdische Volk auszurotten" (der Schriftsteller Moshe Shamir am 18. Oktober 1995).

Übrigens hatte Yigal Amir Avi Rat, einen der Stars von Kanal 7, zu einem Vortrag an einem von ihm veranstalteten Wochenende in den Siedlungen eingeladen.

Unter den religiösen Zeitungen nimmt die Wochenschrift Hashawua ("Die Woche") im Feldzug gegen Rabin eine Sonderstellung ein. Über ein Jahr lang bis zum Tod des Ministerpräsidenten übertraf die im Blatt verwendete Sprache alle anderen an Gewalt und Brutalität. Wiederholt befaßte es sich mit der Frage, ob Rabin wegen seiner Politik sterben müsse. Immer wieder tauchten in den Spalten die Wörter "Verräter", "Verrückter", "Nichtjude", "Nazi", "Kapo" und "Juden-rat" auf. Der Chefredakteur hatte vorgeschlagen, Rabin zu schlagen, "bis das Blut spritzt". In einem Artikel ist zu lesen: "Eines Tages wird das Volk von Israel Rabin und Peres auf die Anklagebank setzen, ihnen den Prozeß machen, und dann werden sie nur noch zwischen Galgen oder Irrenanstalt wählen können." Im August 1995 hieß es, bestimmte Gruppen würden sogar so weit gehen, Rabins Hinrichtung zu fordern.

Nach der Ermordung stellte die Zeitschrift ihr Erscheinen für einen Monat ein, danach kam sie wieder heraus. Und auch die Angriffe wurden wieder aufgenommen. "Ein Mörder bleibt ein Mörder, selbt wenn er tot ist", hieß es in der Zeitschrift, in der Yigal Amir als eindrucksvoller Mann beschrieben wird. Asher Zuckerman, der Zeitungsherausgeber, sagte dazu: "Unsere Linie wird sich nicht ändern, dafür gibt es keinen Grund."

Die verbale Gewalt fanatischer orthodoxer Kreise kannte keine Grenzen. Am 26. Januar 1995 war Yitzhak Rabin bei einer Zeremonie zur Vereidigung junger Fallschirmjäger an der Westmauer [Klagemauer] anwesend. Plötzlich ertönten Parolen wie: "Rabin, Verräter! Rabin, Mörder!" Die Rufe kamen von der Yeshiva Esh ha-Th ora ("Feuer der Thora"), von der man direkt auf die Mauer blickt. Rabins persönlicher Referent forderte einen Polizeioffizier auf, den jungen Studenten diese skandalösen Schreie sofort zu verbieten. Der Offizier kam seiner Aufforderung nach, aber gleich nach seiner Rückkehr erklangen die Rufe erneut, diesmal noch heftiger.

In den religiösen Schulen der Siedlungen erzieht man die Kinder schon früh zum Haß auf die Araber, die Palästinenser: Wer sich mit ihnen abgibt, ist bösartig und ein Verräter. Eine solche Erziehung bringt einen Yigal Amir hervor. Der israelische Filmemacher Micha Peled drehte in Kiryat Arba, der Siedlung oberhalb der arabischen Stadt Hebron, in der auch der Moschee-Attentäter Baruch Goldstein lebte, einen Film mit dem Titel G'ttes Bunker. Eine Szene drehte er in der Schule dieser Siedlung. Der Lehrer fragt: "Was habt ihr heute gelernt?" Ein Schüler: "Wir haben gelernt, daß Rabin das Volk spaltet." Ein anderer Schüler: "Wir haben gelernt, daß Rabin Fehler begeht." Eine weitere Szene zeigt Kinder der Siedlung im Bus, sie singen: "Alle hassen die Araber Aber am wichtigsten ist es, sie zu töten, einen nach dem anderen." Und der Refrain: "Ha! Ha! Ha! Ich habe mich noch nicht richtig gerächt! " Danach skandierte Rufe: "Ami Popper! Keiner kommt Dir gleich!" Der Israeli Ami Popper hatte 1990 sieben palästinensische Arbeiter aus Gaza ermordet, dafür wurde er zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt.

Professor Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität in Jerusalem, sein Fachgebiet ist das Dritte Reich, sagte in einem Interview: "Einen bestimmten Teil der israelischen Öffentlichkeit würde ich ohne zu zögern mit deutschen Nazis vergleichen. Die Siedlerkinder in Hebron benehmen sich genau wie die Hitlerjugend. Sie werden mit der Vorstellung aufgezogen, daß alle Araber Übeltäter und alle Nichtjuden, gegen uns sind. Man macht sie zu Paranoikern, und sie sind davon überzeugt, daß sie 'einer Herrenrasse' angehören, genau wie die Hitlerjugend." Die zukünftigen Amirs und Goldsteins...

Auch nach der Ermordung Rabins wird Siedlerkindern immer noch eingebleut, daß er für das Böse steht. So veröffentlichte die Zeitschrift des Regionalrats von Gush Etzion (zwischen Bethlehem und Hebron gelegen) ein von den Schülern erdachtes "Interview" mit dem Ministerpräsidenten: "Erlauben Sie, Herr Rabin, wie konnten Sie nur so ein schreckliches Abkommen unterzeichnen, das soviel Schlimmes über unser Volk bringt?" Rabin: "Mein liebes Kind, Du weißt also noch nicht, daß der Teufel sich meiner bemächtigt und mich zu so greulichen Taten verführt hat. Ich weine vor Traurigkeit, weil ich es gewagt habe, die Einheit unseres Volkes zu zerstören." Und in diesem Ton geht es weiter...

 

Neue Zürcher Zeitung POLITISCHE LITERATUR Dienstag, 19.10.1999 Nr. 243  55

Jüdische Fundamentalismen in Israel:
Gegenpol zum säkularen Zionismus

Neben christlichem, islamischem und hinduistischem Fundamentalismus gibt es auch einen jüdischen. Allen Fundamentalismen ist die Vorstellung einer «goldenen Zeit» eigen, die es wiederherzustellen gelte. In der kurzen Regierungszeit Benjamin Netanyahus trat das fundamentalistische Phänomen offen zutage. Israel wurde von einer rechtsnationalistisch-fundamentalistischen Regierung geführt. Der überragende Wahlsieg Ehud Baraks habe die Brisanz des jüdischen Fundamentalismus für Israel für viele wieder in den Hintergrund treten lassen. Eine solche Einschätzung sei falsch, der Fundamentalismus bedeute weiterhin eine ernste Gefahr für den demokratischen Bestand Israels.

Ewige Gültigkeit des orthodoxen Glaubens

Jüdischer Fundamentalismus ist der Glaube, dass die jüdische Orthodoxie, die auf dem babylonischen Talmud, dem talmudischen und halachischen Schrifttum beruht, uneingeschränkt gültig ist und ewig Gültigkeit beanspruchen wird. Die jüdischen Fundamentalisten glauben, dass das Alte Testament nur dann als autoritativ angesehen werden kann, wenn es anhand des talmudischen Schrifttums interpretiert wird.

    Israel Shahak ist eine imposante Persönlichkeit; er zählt zu den «grossen» Kritikern der israelischen Politik. Er wurde im Warschauer Ghetto geboren und überlebte das KZ Bergen- Belsen. 1945 kam er nach Israel und wuchs jüdisch-orthodox auf. Seit dem Sechstagekrieg vom Juni 1967 wendet er sich gegen die Expansion Israels. Er gilt als strikter Verfechter der Menschenrechte. Seit seiner Emeritierung als Professor für Organische Chemie an der Hebräischen Universität in Jerusalem schreibt er über jüdische Religion und die Politik Israels. Sein Koautor, Norton Mezvinsky, ist Professor für Geschichte an der Central-State-Universität in Connecticut.

    Die Autoren vertreten die These, dass der jüdische Fundamentalismus nur dann zu verstehen sei, wenn man die historische Periode identifiziert, die die Fundamentalisten wieder herstellen wollen. Sie teilen die Geschichte des Judentums in vier Perioden ein. Die jüdischen Fundamentalisten haben die Zeit von 1550 bis 1750 als die «goldene Zeit» des Judentums beschrieben, in der die grosse Mehrheit der Juden die Kabbala und ihre Regeln akzeptierte. Diese Ära sollte wiedererstehen.

Vielzahl von Strömungen

In Israel gibt es eine grosse Vielfalt von Fundamentalisten. Ihr gemeinsames Ziel ist die Errichtung des jüdischen Tempels auf dem Tempelberg. Wenn dies nicht zu erreichen ist, dann sollte der Platz, auf dem die islamischen Heiligtümer - Felsendom und Al-Aksa-Moschee - stehen, von Besuchern freigehalten werden. Die Bedeutung des jüdischen Fundamentalismus lässt sich nach Ansicht der Autoren nur in dessen Beitrag zur Spaltung der israelischen Gesellschaft verstehen. Diese drückt sich insbesondere in der Tatsache aus, dass die Linke in Israel die Normalität anstrebt und wie jedes andere Volk leben will  - ein zentrales Dogma des säkularen Zionismus. Demgegenüber betonen die Rechte und die Fundamentalisten die Einzigartigkeit des jüdischen Volkes und wollen sich bewusst von anderen Völkern unterscheiden. «Juden sind und können nach diesem Standpunkt kein normales Volk sein. Ihre Einzigartigkeit beruht auf dem ewigen Bund mit Gott» - so argumentiert etwa ein Vertreter der Siedlerbewegung Gush Emunim (Block der Getreuen). Dies geht dann bei einigen extremen Fundamentalisten sogar so weit, dass auf Grund des «jüdischen Blutes» Juden zu einer anderen Kategorie gehören als Nichtjuden.

Das Buch bietet einen erstklassigen Überblick über die verschiedenen fundamentalistischen Strömungen wie diejenige der Haredim, die sich in aschkenasische (europäische) und sephardische (orientalische) Juden teilen, der NRP und des Gush Emunim. Des weiteren werden der Massenmord Baruch Goldsteins, der in der Ibrahim- Moschee in Hebron 29 betende Muslime niedermetzelte, und das Attentat auf Ministerpräsident Yitzhak Rabin in den religiösen Hintergrund eingeordnet. Beides sei ohne die religiöse Tradition der Bestrafung und Tötung von «Häretikern» nicht zu verstehen. Shahak und Mezvinsky haben ein provokantes und faszinierendes Buch geschrieben. Es erschliesst dem Leser Aspekte des Judentums und Israels, die in dieser Form wenig bekannt sind.

Ludwig Watzal

Israel Shahak / Norton Mezvinsky: Jewish Fundamentalism in Israel. Pluto Press, London 1999.

 


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