Von BEN SEGENREICH [WELT]
Tel Aviv - Mit der Vernehmung des Chefs des israelischen
Geheimdienstes Schin Bet hat die Untersuchungskommission für die
Hintergründe des Mordes an
Ministerpräsident Jizchak Rabin
gestern ihre Ermittlungen aufgenommen. Nach Informationen der israelischen
Zeitung "Jediot Achronot" soll der Attentäter Jigal Amir zeitweilig von
Schin Bet im Pistolenschießen ausgebildet worden sein. Dessen
Untersuchungshaft wurde gestern bis Ende November verlängert.
Die israelische Regierung kündigte unterdessen ein Einreiseverbot für
alle extremistischen Juden und die Auflösung rechtsextremer Organisationen
an. Außerdem beschloß das Kabinett des amtierenden Ministerpräsidenten
Schimon Peres die Einsetzung einer Kommission, die "operative Schritte gegen
extremistische, gewalttätige, rassistische und terroristische
Organisationen" erarbeiten soll.
Als ersten Schritt sollen einreisewillige Juden künftig intensiver
durchleuchtet werden. In der Praxis dürfte es jedoch problematisch sein,
einen israelischen Konsularbeamten in New York oder Paris zum Richter
darüber zu machen, ob ein potentieller Einwanderer "politisch korrekt" ist.
Und auch in Israel könnten sich die Behörden mit der Unterscheidung zwischen
legitimem Protest und gefährlicher Aufwiegelung schwertun.
Für letztere stehen diverse rechte Gruppierungen, die zum Teil militant
gegen Palästinenser vorgehen. So zum Beispiel "JDL" (sog. "Jüdische
Verteidigungsliga"), "Kach" und "Kahane lebt", die Nachfolgeorganisationen
der Bewegung des Rabbi Meir Kahane. Sie wurden voriges Jahr im Gefolge des
Massakers in Hebron verboten, aber nicht konsequent aufgelöst. Kleine
Gruppen von Kahane-Anhängern sind in der Siedlung Kiriat Arba und Tapuach,
den Hochburgen der militanten Siedler, konzentriert. Ihre Rädelsführer, wie
Benjamin Kahana, Noam Federmann, Baruch Marsel oder David Axelrod hetzen
gegen Araber, rufen zu Gewalttätigkeiten auf und mißachten gerichtliche
Anordnungen, ohne daß dies Folgen für sie hätte.
In den frühen 80er Jahren hatte der "Jüdische Untergrund", eine Gruppe
von rund 25 Siedlern, organisierte Gewalt gegen Araber bis hin zum Mord
ausgeübt. Die Mitglieder wurden verfolgt und schließlich verurteilt. In
ihrer Nachfolge war eine mysteriöse Gruppe namens "Sikarier" durch
amateurhaft ausgeübte Sprengstoffanschläge aufgefallen.
Auch das skurrile Grüppchen der von Gerschon Salomon angeführten
"Getreuen des Tempelbergs" zählt zum rechten Lager. Seit 1970 werden die
Getreuen regelmäßig von der Polizei abgewiesen, wenn sie versuchen, den
Tempelberg zu erklimmen, um den Grundstein zum dritten jüdischen Tempel zu
legen.
Im Widerstand gegen die Gebietskonzessionen an die Palästinenser hat in
den letzten Monaten die Organisation "Se Artzenu" ("Das ist unser Land") die
Führung übernommen, die mit der Siedlerbewegung verknüpft ist. Die Siedler
bekämpfen die Regierung aber nicht mit Waffengewalt, sondern mit zivilem
Ungehorsam, Straßenblockaden und Landbesetzungen. Den Mord an Rabin hat der
Siedlerrat verurteilt.
Der Mörder Jigal Amir, selbst kein Siedler, hatte Kontakt zur Gruppe
"Eyal" ("Jüdische Kampforganisation"). Sie umfaßt einige Dutzend Aktivisten
im Alter zwischen 15 und 30 Jahren, die paramilitärische Jugendcamps
aufzogen und Araber provozierten. Ihr Führer Awischai Ravivwar war aber, wie
vermutet wird, ein Werkzeug des Sicherheitsdienstes zur Unterwanderung der
Radikalen.
Jigal Amir hat, so die bisherigen Untersuchungsergebnisse, nicht allein
gehandelt. Er war Mittelpunkt einer Zelle, in der vermutlich nur zwei oder
drei Personen bei der Vorbereitung des Mordes mitgeholfen haben und einige
weitere von den Mordplänen wußten.