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Jüdische Weisheit
 
 

DER DEUTSCHE BEAMTE
UND DIE OBRIGKEIT

von Dr. Gisbert Gemein, Neuss und Dr. Otto Geudtner, Köln

Der Anlaß für das obrigkeitsstaatliche Gebaren einer deutschen Behörde, der Düsseldorfer Bezirksregierung, im Jahre 1997 ist banal, wäre auch alltäglich, wenn es heute in der Bundesrepublik alltäglich wäre, daß ein Lehrer und Beamter seiner vorgesetzten Behörde widerspricht und eine Anweisung nicht befolgen will.

Der Fall:
Im Lande Nordrhein-Westfalen müssen Lehrer die Abituraufgaben samt erwarteten Lösungen (Erwartungshorizont) zur Genehmigung an die entsprechenden Schulbehörden einschicken. Im letzten Jahr hatte die Schulministerin von Nordrhein-Westfalen die Arbeit der Lehrer dadurch erleichtert, daß diese "Erwartungshorizonte" kürzer gefaßt werden durften ("Stichworte genügen"). Doch die Schulbehörden von Köln und Düsseldorf erließen zahlreiche Monita bei den von den Lehrern eingereichten Abiturvorschlägen nach dem Muster "Erwartungshorizont nicht ausführlich genug".
Ein Studiendirektor in Mülheim widersprach einem solchen Monitum. Obwohl der Widerspruch zurückgewiesen wurde, war er nicht bereit, der Weisung zu folgen.

Was folgte, ist in der Struktur hinreichend bekannt:
Behördendruck in vielfältiger Form (manche würden von Schikanen sprechen) bis zur Eröffnung disziplinarischer Vorermittlungen. Als der Lehrer, SPD-Mitglied, dann seiner Stellvertretenden Landesparteivorsitzenden, gleichzeitig Schulministerin, schrieb, daß er deshalb mit seiner Behörde im Konflikt lebe, weil diese (auch an anderer Stelle) die Politik der Ministerin konterkariere, machte die Behörde den innerparteilichen Brief zum Gegenstand disziplinarischer Vorermittlungen. Doch jetzt war sie offensichtlich zu weit gegangen. Das Verfahren wurde eingestellt, der Lehrer nachdrücklich ermahnt, er habe Weisungen zu befolgen, die Ermahnung wurde allerdings ausdrücklich nicht als Disziplinarmaßnahme gekennzeichnet.

Das alles wäre nicht berichtenswert, gipfelte die Ermahnung der Behörde nicht in einem unglaublichen Satz:

"Eine weitergehende Entbindung des Beamten von der Gehorsamspflicht ist auch bei verfassungswidrigen Weisungen nicht geboten."

Die Behörde beruft sich bei diesem Satz wörtlich auf einen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 7.Nov.1994 (vgl. Zeitschrift für Beamtenrecht 3/1995 S. 71 f.).

Wie war es zu diesem Beschluß gekommen?
1992 waren einige Postbeamte während des Streiks der Angestellten und Arbeiter als "Streikbrecher" eingesetzt worden, hatten sich aber geweigert und Verfassungsbeschwerde gegen die disziplinargerichtliche Feststellung eingelegt, sie hätten durch ihre Weigerung, auf bestreikten Arbeitsplätzen Dienst zu tun, ein Dienstvergehen begangen. Zwar stellte das Verfassungsgericht fest, daß die Anweisung "objektiv rechtswidrig" war, aber dennoch wird die Gehorsamspflicht des Beamten als so bedeutsam angesehen, daß er solche rechtswidrigen Weisungen auszuführen hat. Ihm bleibt ja sein Recht auf Remonstration und in gravierenden Fällen die Möglichkeit einer nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Überprüfung, "was ihn allerdings von der Pflicht zur sofortigen Ausführung der Weisung nicht entbindet."

So weit, so schlimm.
Das höchste deutsche Gericht beruft sich bei diesem an eine obrigkeitsstaatliche Mentalität erinnernden Beschluß auf die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" und weiß - wie man es erwarten darf - die beachtliche Tradition vom Reichsbeamtengesetz vom 31.3.1873 über die Kommentare von Laband (1911), Schulze (1908) und Brand (1926) bis zu seiner eigenen Rechtsprechung in der Nachkriegszeit aufzuzählen.
Natürlich fehlt in dieser beachtlichen Tradition des Hergebrachten die übliche "Lücke" von 1933 bis 1945. Sonst hätte sich - zumindest für uns Historiker - die Frage der Kontinuität stellen können. Peinlich genug, wenn sie vom Naziregime in die Vergangenheit über Weimar ins Kaiserreich gezogen wird. Noch peinlicher, wenn sie gar in unsere Gegenwart wirkt.

Wer über "hergebrachte Grundsätze" sprechen will, kann sich nicht nur die Teile deutscher Geschichte aussuchen, die ihm passen. Er muß sich schon der ganzen deutschen Geschichte stellen, auch den Jahren von 1933 bis 1945, auch wenn wir wissen, daß sich die deutsche Jurisprudenz - da wirklich nicht unbelastet - damit besonders schwer tat und tut.
Warum aber werden auch andere Epochen ganz ausgelassen? Warum beginnt die Geschichte des Berufsbeamtentums erst 1873? Ist es denn nicht viel älter? Wo sind seine "preußischen " Wurzeln geblieben?

Die Antwort ist einfach:
Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" in der Zeit vor Bismarck passen nicht ins Weltbild. Die Vorstellungswelt eines aufgeklärten Absolutismus eines Friedrich II., der sich als "erster Diener" des Staates - und entsprechend seine Beamten - verstand, paßt nicht zu der sich verabsolutierenden Staatsidee, die sich im Deutschland des 19. Jahrhunderts durchsetzte.

Welche Rolle der preußische Beamtenapparat der Reform-Ära nach 1806 spielte, gehört nicht zu den üblichen Gegenständen unseres Geschichtsunterrichts, erst recht nicht zur Ausbildung künftiger Beamter und Juristen. Er war bis weit ins 19.Jahrhundert weit liberaler, weniger obrigkeitshörig, als es übliches Klischee vermutet.
Bismarck wußte schon, wo seine liberalen Gegner saßen, und er hat auch alles getan, um die "Eigenmächtigkeiten" preußischer Landräte abzustellen und einen Beamtentyp durchzusetzen, der dann im Wilhelminismus seine Vollendung fand und in Weimarer Zeiten sein nicht-redliches Scherflein zum Scheitern der ersten deutschen Demokratie beitrug, ein Beamtentyp, den nicht nur die preußischen Reformer von 1806, sondern die meisten Beamten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für eine Pervertierung gehalten hätten.

Warum darf dieser Teil deutscher Geschichte nichts zu den "hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums" beitragen?

Als wir den oben genannten Satz lasen, waren wir empört. Doch hinter der Empörung wuchs ein anderes: Erschrecken! Nicht über ein Fehlurteil, das kann auch einem Verfassungsgericht unterlaufen, in dem Menschen tätig sind. Es war das Erschrecken vor Fragen, die wir nicht beantworten können:
Warum formuliert das Verfassungsgericht einen solchen Satz, obwohl der Fall es nicht gebietet?
Warum muß in einem Bagatellfall bei der üblichen Rechthaberei einer deutschen Behörde noch dieser Satz gegenüber einem "renitenten" Lehrer hervorgeholt werden?

Weil es einer der letzten ist, dem man verdeutlichen muß, daß die in Schulbüchern vermittelte Auffassung von Demokratie etwas anderes ist als die herrschende Rechtswirklichkeit?
Hat in Bürokratie und Verwaltung schon wieder eine Rechtsmeinung Herrschaft bekommen, die dem nächsten Verbrecher an den Schalthebeln der Macht die Möglichkeit gibt, durch verfassungswidrige Anweisungen Demokratie und Rechtsstaat aufzuheben - natürlich nach (erfolgloser) Remonstration der Beamten?

Was aber noch mehr erschreckt:
Warum hat die Postgewerkschaft seinerzeit nicht lautstark protestiert? Warum gab es keinen Aufschrei der Medien? Warum hat es keiner gemerkt? Warum blieb der Beschluß des Verfassungsgerichts - zwar veröffentlicht, wie es sich in einer Demokratie gehört - in einer Fachzeitschrift "versteckt"? Warum haben wir sie erst jetzt gelesen?

Wir sind über uns selbst erschreckt, über unser Gemeinwesen, das hinnimmt oder erst gar nicht gemerkt hat, daß der kritische Beamte inzwischen der Vergangenheit angehört, daß herrschende Rechtsmeinung ist, daß er verfassungswidrige Weisungen auszuführen hat. Zwar differenziert unser Verfassungsgericht: Gemäß den § 56 Abs. 2 Satz 3 BBG genannten Ausnahmen entfällt die Gehorsamspflicht nur in den wenigen genannten Fällen, in denen eine Weisung offenkundig rechtswidrig ist.
Sagen wir dies deutlich und drastisch und unter Heranziehung des historischen Beispiels: Einen Völkermord begehen müssen wir als Beamte nicht, da dürfen wir uns weigern. Bekanntlich haben die Nazis aber erst durch verfassungswidrige Weisungen und Maßnahmen den Rechtsstaat abgeschafft, bevor sie mit dem Holocaust begannen. Die Entrechtlichung begann u.a. mit dem unheilvollen "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933. Die Verpflichtung des Beamtenapparates auf die Befolgung rechtswidriger Grundsätze hebelte den Rechtsstaat aus. Mit diesem Gesetz wurden die wenigen explizit Liberalen und Linken sowie alle Juden, unabhängig von ihrer politischen Einstellung, aus dem öffentlichen Dienst vertrieben.

Wir schelten an diesem Beschluß des Verfassungsgerichts, daß es ohne Rücksicht auf unsere historischen Erfahrungen, auf die Schuld und das Leid, die in der Vergangenheit mit Hilfe eines derartigen Gehorsamsbegriffs angehäuft wurden, fahrlässig und ohne Not einen Satz formuliert, der zum Mißbrauch einladen kann.

Als Beamte, die einen Eid auf die Verfassung abgelegt haben - zu den "hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums" gehört die Verfassungstreue -, fordern wir die Annullierung dieses Bundesgerichtshof-Urteils.

Dr. Gisbert Gemein, Dr. Otto Geudtner
Erschienen in den Israel Nachrichten 20.02.1998

 


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