Sendung vom 7. Mai 1998 um
20:15
Uri Avnery:
Israelischer Publizist und Friedensaktivist
im Gespräch mit Richard Chaim Schneider
LEBENSLAUF
LITERATUR
PRESSESTIMMEN
FILMMATERIAL
Herr Schneider: Guten Abend, meine Damen und Herren, und
herzlich willkommen bei Alpha-Forum. Heute bei uns zu Gast ist der
israelische Friedensaktivist Uri Avnery. Herr Avnery, guten Abend.
Herr Avnery: Guten Abend.
Herr Schneider: Bevor ich mit der ersten Frage beginne,
ein kurzer Überblick über Ihr Leben. Sie sind als Helmut Ostermann hier in
Deutschland, in Westfalen, geboren. Sie sind bereits 1933 mit Ihrer Familie
nach Palästina ausgewandert und waren schon als Fünfzehnjähriger für die
jüdische Terrororganisation "Irgun" Untergrundkämpfer. Sie wurden später
Journalist, kämpften im Unabhängigkeitskrieg, wurden verletzt und schrieben
über diese Erlebnisse Kriegsreportagen in der israelischen Zeitung
"Haaretz". Sie kauften später selbst die Zeitung "Haolam Haseh" auf, die Sie
viele Jahre lang leiteten. Sie wurden Abgeordneter in der Knesset und waren
schon in den ganz frühen Jahren des Staates ein, wenn nicht der
wesentlichste Friedensaktivist, der sich schon sehr früh für die Aussöhnung
zwischen Palästinensern und Israelis einsetzte. 1982, während des
Libanonfeldzugs, gingen Sie nach Beirut, um Yassir Arafat als allererster
Israeli überhaupt zu treffen. Es drohte Ihnen ein Verfahren wegen
Hochverrats. Mittlerweile sind viele Ihrer Träume scheinbar realisiert
worden, doch mit dieser jetzigen Regierung scheint der Friedensprozeß ja
erst einmal nicht mehr voranzugehen. Wie fühlen Sie sich dabei?
Herr Avnery: Es kommt darauf an,
in welcher Stimmung ich bin. Wenn ich in philosophischer Stimmung bin, dann
sage ich mir, daß das zu erwarten war, denn wir haben einen Krieg von
hundert Jahren, in den auf beiden Seiten schon eine fünfte Generation
hineingeboren ist. Die Tiefe der Angstgefühle, der Haßgefühle, der
Vorurteile und Stereotypen ist so groß, daß man eigentlich sehr optimistisch
sein mußte, um zu glauben, daß das mit einem Sprung zu überwinden ist. So
gehen wir vorwärts und etwas rückwärts und dann wieder vorwärts und
rückwärts. Das war zu erwarten. Wenn ich nicht in philosophischer Stimmung
bin, dann bin ich wütend, denn diese Regierung macht kaputt, was mit großer
Mühe erreicht worden ist und gefährdet dadurch unsere Zukunft.
Herr Schneider: Sie sind jemand, der schon sehr frühzeitig
und zu einem Zeitpunkt, als man darüber in Israel noch gar nicht reden
wollte, für eine Aussöhnung und auch für zwei Staaten eintraten. Was hat Sie
zu dieser Erkenntnis geführt, wieso kamen Sie schon so früh zu dieser
Erkenntnis?
Herr Avnery: Ich war noch vor
der Gründung des Staates Israel beruflich manchmal auf der arabischen Seite
tätig, ich kannte Araber, ich hatte ein Gefühl für die arabische
Wirklichkeit, was damals sehr selten war, denn es gab ja überhaupt keine
Kontakte zwischen der arabischen und der jüdischen Gemeinschaft im damaligen
Palästina. Ich habe immer einen sehr großen Respekt vor dem arabischen
Nationalismus gehabt, vor der arabischen nationalen Bewegung, vor der
palästinensischen nationalen Bewegung, daher war es mir immer klar gewesen,
daß wir, wenn wir in diesem Lande und in dieser Gegend jemals eine Zukunft
haben wollen, nicht nur eine Versöhnung, sondern einen Bund mit dem
arabischen Nationalismus haben müssen. Darum habe ich von Anfang an alle
arabischen Nationalrevolutionen unterstützt: die ägyptische Revolution, die
irakische Revolution, die algerische Revolution. Ich habe immer geglaubt,
daß es das wahre Interesse Israels ist, sich mit den Völkern unserer
Umgebung zu identifizieren und nicht das Gegenteil zu tun - was wir aber
getan haben, als wir uns mit den Kolonialmächten identifizierten.
Herr Schneider: Aber wie geht denn diese Erkenntnis Hand
in Hand mit der Tatsache, daß Sie als Fünfzehnjähriger ausgerechnet zum
"Irgun" gegangen sind, einer ganz extremistischen jüdischen
Terrororganisation? Das scheint ja ein Widerspruch zu sein.
Herr Avnery: Zuerst zum Wort
Terror: Meine Erfahrung sagt, daß der Unterschied zwischen Terrorismus und
Befreiungsarmee darin besteht, daß die Terroristen immer auf der anderen
Seite sind und die Befreiung immer auf unserer Seite. Daher betrachteten wir
uns nicht als Terroristen, sondern als Freiheitskämpfer - die andere Seite
betrachtete uns als Terroristen. Damals ging es um den Kampf gegen die
englische Kolonialregierung. Es war ein Freiheitskampf gegen die englische
Regierung, gegen die Kolonialmacht. Dafür war ich begeistert. Ich bin später
ausgetreten, weil sich diese Organisation mehr und mehr zu einer
anti-arabischen und auch zu einer ziemlich sozial-reaktionären Organisation
entwickelt hat. Ich bin ausgetreten, als ich so ungefähr 18, 19 Jahre alt
war - das war damals sehr außergewöhnlich.
Herr Schneider: Wie war denn die Reaktion darauf innerhalb
dieser Organisation?
Herr Avnery: Das war eben etwas
ganz Ungewöhnliches, aus einer solchen Organisation tritt man für gewöhnlich
nicht aus. Ich habe aber gefühlt, daß ich mich damit nicht mehr
identifizieren konnte, und ich habe dann, noch vor der Gründung des Staates
Israels, eine Gruppe gegründet, die für einen Bund mit der arabischen
Nationalbewegung eingetreten ist. Diese Gruppe hat die Position vertreten,
daß wir eine neue hebräische Nation sind, die zu dem Land, zu der Gegend
gehört, die sich in die Gegend integrieren muß und ihre nationalen
Bestrebungen in Zusammenarbeit mit den arabischen Völkern realisieren
sollte. Das habe ich vor dem Krieg gemacht. Dann wurde ich, wie Sie sagten,
Soldat. Schon während des Krieges und seit dem Krieg war ich immer der
Überzeugung, daß wir nie zu einem Frieden kommen werden, wenn wir nicht den
Palästinensern helfen, ihren eigenen Staat neben dem Staat Israel zu
gründen. Das war das genaue Gegenteil der Politik der israelischen
Regierung, die alles getan hat, um das zu verhindern.
Herr Schneider: Sie haben das ja soeben schon angedeutet,
Sie traten schon sehr früh dafür ein, daß Israel ein Teil der Region wird.
Bis heute ist es noch so, auch in Israel, daß sich sehr viele immer noch als
westlichen Vorposten betrachten, als den südlichsten Teil Europas. Sie
dagegen sahen das schon Ende der vierziger Jahre ganz anders. Wie sieht
heute diese Diskrepanz tatsächlich aus?
Herr Avnery: Das geht weit über
die Politik hinaus. Es handelt sich um die Frage, was wir eigentlich sind.
Was sind wir, und was ist unser Staat? 50 Jahre nach der Gründung des
Staates sind seine Grundfragen unbeantwortet: ist das ein israelischer
Staat, ist das ein jüdischer Staat, ist das ein demokratischer Staat, ist
das ein religiöser Staat? Die offizielle Definition ist: ein demokratischer
jüdischer Staat. Und im Grunde ist das ein Widerspruch, denn was bedeutet
das: ein jüdischer Staat? Was besagt das für die 20 Prozent - und heute
vielleicht schon mehr als 20 Prozent - israelischen Staatsbürger, die keine
Juden sind? Und dann die Frage: was sind wir selbst? Sind wir Israelis, sind
wir Juden, sind wir jüdische Israelis, sind wir israelische Juden? Das sind
alles verschiedene Vorstellungen. Diese Fragen, die sehr abstrakt und
theoretisch aussehen, wirken sich auf unsere Wirklichkeit täglich auf die
verschiedenste Art und Weise aus. Alles, was der Staat Israel tut oder nicht
tut, ist beeinflußt von dem, wie er sich sieht. Da diese Fragen nicht
beantwortet sind und im Grunde auch keine Diskussion darüber stattfindet in
Israel, weil die meisten Israelis Angst haben, sich mit diesen Fragen zu
konfrontieren, und Angst haben, daß das zu Spaltungen führen könnte, ist
alles ziemlich ungewiß. Was sind wir, wenn wir ein israelischer Staat sind,
der den israelischen Staatsbürgern gehört und keinem anderen? Dann ist
dieser Staat geopolitisch ein Teil unseres Raumes, den die Europäer den
"Nahen Osten" nennen. Aber für uns ist das ein unsinniger Begriff: den
"Osten" von wo? Osten von München, von London, von New York? Für uns ist das
aber nicht Osten, für uns ist das der Mittelpunkt der Welt. Gehören wir zu
diesem Raum, zu dieser Gegend? Wenn wir dazugehören, dann müssen wir uns
gegenüber den Bestrebungen der arabischen Völker anders verhalten, als wir
es tun. Oder sind wir wirklich ein Vorposten Europas, wie es die Gründer der
zionistischen Bewegung, die aus Europa kamen, gesagt haben? Sie waren gegen
Ende des letzten Jahrhunderts Menschen Europas. Der erste zionistische
Kongreß, der 1897 stattgefunden hat, sollte ja in München stattfinden. Ich
weiß nicht, ob das allgemein bekannt ist: nur weil die jüdische Gemeinde in
München sich dagegen gewehrt hat, ist man nach Basel gezogen. Dann hat der
Gründer eben den berühmten Satz geschrieben: "In Basel habe ich den
Judenstaat gegründet". Ansonsten hätte es geheißen: "In München habe ich den
Judenstaat gegründet". Herzl hatte die Vorstellung - und er hat das auch
geschrieben -, daß der Judenstaat in Palästina ein Vorposten der westlichen
Kultur gegen die Barbarei ist. Welche Barbarei frage ich? Arabische Barbarei
war gemeint. Vorposten gegen wen? Gegen die arabischen Völker! Dieser
Widerspruch besteht auch heute noch: einerseits die Vorstellung, daß wir
eigentlich zu Europa, zur westlichen Welt und zu Amerika gehören und die
Araber unsere Feinde sind, und andererseits die Vorstellung, daß wir zu
diesem Raum gehören, daß die Araber unsere Nachbarn und daher naturgemäß
unsere Partner sind und unsere Beziehung zu Europa eigentlich ganz anders
gestaltet werden muß. Wie gesagt, das sind Fragen, die täglich mitspielen,
ohne je ausgesprochen und ohne debattiert zu werden. Ich war zehn Jahre lang
Mitglied der Knesset, des israelischen Parlaments, und ich erinnere mich an
keine einzige Diskussion in diesen zehn Jahren, in der diese wirklich
grundlegenden Themen des Staates diskutiert worden sind.
Herr Schneider: Da möchte ich aber auch noch einmal
nachhaken. Es ist ja mittlerweile so, daß eine jüngere Generation von
israelischen Intellektuellen und Schriftstellern durchaus diese Fragen nach
der eigenen Identität dieses Staates stellt - besonders nach dem beginnenden
Friedensprozeß von Oslo. Hat denn das keine Auswirkungen auf die Politik
heute?
Herr Avnery: Wir haben eine
jüngere Generation von Schriftstellern und überhaupt von Intellektuellen.
Wir haben besonders eine ganze Generation von jungen Historikern, die mit
all den alten Mythen und Legenden aufräumen. Aber auch in der jungen
Generation sind diese Fragen ungelöst. Denn es gibt einige Leute, wie z. B.
meinen Freund Yoram Kaniuk, die ganz vom Holocaust erfüllt sind, für die die
ganze Welt durch den Holocaust gestaltet und für die darum die Verbindung
mit Europa für ihre ganze Geisteswelt bestimmend ist. Auf der anderen Seite
gibt es Menschen, wie z. B. Sami Michael, der aus dem Irak stammt, eine ganz
andere Einstellung hat und Israel wirklich als einen Teil des "Nahen Ostens"
sieht. Das sind die großen Fragen der Zukunft. Ich würde sagen, daß uns der
Krieg - der unser Leben, unser persönliches Leben schon seit einhundert
Jahren vom ersten Augenblick an bestimmt - erlaubt hat, diese alten Fragen
unter den Teppich zu kehren und darum den wirklichen Problemen aus dem Weg
zu gehen. Zum Beispiel die jüdische Religion: Wenn das ein jüdischer Staat
ist, was bedeutet dann dabei das Jüdische? Es gibt keine Definition für
"jüdisch" außer der religiösen. Darum definiert das Staatsgesetz in Israel,
das den Juden gewisse Privilegien im Staat einräumt, den Begriff "Jude" rein
religiös. Ein Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat oder zur jüdischen
Religion konvertiert ist. Das ist eine rein religiöse Definition. Die
meisten Israelis akzeptieren das überhaupt nicht, aber sie bestreiten es
auch nicht. Wie gesagt, diese Diskussion ist nicht da und darum haben wir
heute das Problem der Religiösen in Israel. Noch vor 50 Jahren, als ich jung
war, hatte man den Eindruck, die jüdische Religion ist mehr oder weniger
tot: ein paar alte Leute gibt es noch, die jiddisch sprechen, die noch an
die Religion glauben und beten und in die Synagoge gehen, aber die junge
Generation hat damit nichts mehr zu tun. Heute gibt es eine ungeheuer
mächtige religiös-extreme Bewegung, die eine zentrale Machposition im Land
inne hat - auch und gerade deswegen, weil sie sich darauf berufen, daß
Israel ein jüdischer Staat sei. Sie behaupten: "Wir sind die richtigen
Juden, und ihr anderen seid überhaupt keine wirklichen Juden - Ihr seid nur
israelische Goi". Daraus leiten sie Vorrechte ab und erheben den Anspruch,
alleine den jüdischen Staat zu repräsentieren: "Ihr habt in Israel nichts zu
sagen, weil Ihr keine jüdischen Werte habt, ihr habt ja mit dem Judentum
überhaupt nichts mehr zu tun". Das ist die eine Position. Die Gegenposition,
die Leute wie ich vertreten, lautet, daß das ein israelischer Staat ist:
"Israel ist eine neue Nation - natürlich verbunden mit der jüdischen
Vergangenheit und mit der jüdischen Tradition usw. Aber das ist eine neue
Nation und ein neuer Staat in einem neuen Land, in einem neuen Klima, mit
einer neuen Kultur, mit einer neuen Sprache". Aus diesen unterschiedlichen
Positionen resultiert ein täglicher Kampf, der alles bestimmt, ohne jemals
bewußt geführt zu werden.
Herr Schneider: Sie haben - auch um diese Situation in
Israel zu kritisieren - 1949 einen sehr ungewöhnlichen Schritt vollzogen:
Sie haben nach der Veröffentlichung Ihrer Kriegsreportagen als Buch einen
ungeheuren Erfolg gehabt und von dem Geld aus diesem Buch eine Zeitung
gekauft, "Haolam Haseh", auf deutsch "Diese Welt", mit der Sie ab 1950
eigentlich permanent gegenüber dieser Gesellschaft und gegenüber jeglicher
Regierung, die dann in der Verantwortung war, Kritik geäußert haben. Sie
haben immer versucht, Opposition zu sein. Das ist ja eine sehr ungewöhnliche
Entscheidung für einen so jungen Mann, der Sie damals waren, zu sagen: "Ich
kaufe jetzt eine Zeitung und mache damit eine Art Oppositionspolitik". Wie
kamen Sie dazu?
Herr Avnery: Der Staat Israel
ist während des Krieges gegründet worden, d. h. die ganze junge Generation
war an der Front und hat die Gründung des Staates kaum bemerkt. Im Rücken,
in der Etappe, war ein neuer Staat entstanden, mit einer Ideologie und einem
Apparat, der vielen von uns sehr mißfallen hat. Denn der Staat, so wie er
von Ben Gurion gegründet worden ist und wie er auch heute noch auf den
Schienen, die Ben Gurion gelegt hat, weitergeht, ist ein Staat, dessen
Grundkonzeption viele von uns von Anfang an abgelehnt haben. Es ging darum,
welchen Staat wir jetzt gegründet haben: ist es ein demokratischer liberaler
Staat, der seinen Staatsbürgern gehört, ohne Unterschied zwischen den
Völkern, den Sprachen, den Nationen, der ethnischen Herkunft usw., oder ist
es ein jüdischer Staat, in dem es keine Trennung zwischen Religion und Staat
und zwischen Religion und Nation geben kann? Das ist ein ganz anderer Staat.
Es ging nicht darum, Kritik zu üben. Es ging für uns darum, ein ganz anderes
Modell des Staates Israel aufzustellen. Von dieser Sicht des Staates aus, so
wie wir ihn wollen, haben wir kritisiert, was dann geschehen ist: der
fortdauernde Krieg mit den Arabern, die Ablehnung des arabischen
Nationalismus, die Nicht-Gleichberechtigung der arabischen Staatsbürger in
Israel - wie gesagt, das sind ungefähr 20 Prozent, eine der größten
nationalen Minderheiten in einem westlichen Staat -, die Forderung nach
Gleichberechtigung zwischen Juden, die aus Europa stammen, und Juden, die
aus orientalischen Ländern stammen, Bürgerrechte, Menschenrechte. Das sind
alles Fragen, die damit zu tun haben, welchen Staat wir wollen, und in allen
diesen Fragen waren wir von Anfang an eine sehr starke Opposition und sind
das auch heute noch.
Herr Schneider: Aber Sie scheinen ja mit Ihrer Kritik
damals doch die Achillesfersen so mancher Regierung getroffen zu haben, denn
es wurde 1965 eine Art Pressegesetz erlassen, das sich in erster Linie gegen
Ihre Zeitung wandte. Wie sah dieses Gesetz aus, und wie kam es dazu?
Herr Avnery: Wir haben, wie
gesagt, sehr großen Ärger verursacht. Der Geheimdienstchef von Ben Gurion
hat uns in seinen Memoiren als den Feind Nummer 1 des Regimes bezeichnet.
Wir haben sehr viele Korruptionsaffären aufgedeckt, wir haben auch eine sehr
scharfe Kritik in inneren Angelegenheiten geübt. Das wurde den Politikern
langsam zu bunt. Sie haben 1965 ein neues Pressegesetz erlassen, das ganz
klar gegen unsere Zeitung gerichtet war. Das war offensichtlich, denn es
wurden auch Titel erwähnt, die es nur in unserer Zeitung gab. Es war ein
Pressegesetz, das praktisch jede Kritik an einem Würdenträger als
Verleumdung usw. gewertet hat - ein Gesetz von der Art, wie es heute noch in
verschiedenen Staaten der Welt existiert, z. B. in Singapur. Dagegen haben
wir uns natürlich aufgelehnt. Ich habe damals eine neue Partei aufgestellt
und bin in die Knesset gewählt worden - unter anderem unter der Parole,
dieses Gesetz wieder abzuschaffen. Es ist auch teilweise wieder abgeschafft
worden, heute gibt es das in dieser Schärfe nicht mehr. Ich habe in der
Knesset dasselbe gemacht, was ich in der Zeitung gemacht habe, nämlich
Kritik geübt - das war 1965. 1967 war der Sechstagekrieg, und natürlich
wurde damit das Palästina-Problem das zentrale Problem überhaupt. Ich habe
ungefähr 1000 Reden in der Knesset gehalten, davon waren sicherlich 500 über
die Notwendigkeit, einen Palästinenserstaat neben Israel zu haben, um zu
einer Versöhnung zwischen den beiden Völkern zu kommen.
Herr Schneider: Sie haben also bereits in dieser Zeit als
Abgeordneter des israelischen Parlaments über einen palästinensischen Staat
gesprochen - zu einer Zeit, in der jemand wie die spätere Regierungschefin
Golda Meir gesagt hat: "Es gibt kein palästinensisches Volk". Sie wurden ja
in Israel in diesen Jahren - und nicht nur damals, sondern auch später -
immer so ein bißchen als ein verrückter Vogel, als jemand, den man
bestenfalls nicht so ganz ernst nehmen kann, oder eben auch als ein
Landesverräter angesehen. Wie lebte es sich denn mit so einem Nimbus?
Herr Avnery: Ich war nie
alleine, denn ich bin wie gesagt in die Knesset gewählt worden unter diesen
Parolen. Wir haben 1,5 Prozent der Stimmen im ganzen Land bekommen. Das
heißt, es war immer eine Öffentlichkeit da, die uns unterstützt hat. Aber
wir waren Außenseiter. Wir waren aber auch davon überzeugt, daß es der
einzige Weg ist, um die Zukunft Israels zu sichern. Ich glaube, daß am Tag
von Oslo - als der Ministerpräsident von Israel offiziell die
palästinensische Freiheitsbewegung und die palästinensische
Freiheitsbewegung offiziell den Staat Israel anerkannt hat - die meisten
Leute eingesehen haben, daß das, was wir über sehr viele Jahre hinweg in der
Wüste gepredigt haben, zur Wirklichkeit wird. Das gilt auch heute noch, denn
ich würde sagen, daß wir den Hauptweg schon errungen haben. Denn es gibt ja
keinen vernünftigen Menschen mehr in Israel, der bestreitet, daß es ein
palästinensisches Volk gibt. Auch die extremsten und verrücktesten
Rechtsradikalen in Israel sehen ein, daß wir eine Lösung dieses Problems
brauchen - sie wollen eben nur eine Lösung, die unannehmbar ist. Aber ich
würde sagen, die große Mehrheit in Israel hat sich heute damit abgefunden,
daß es zu einem palästinensischen Staat kommen wird und kommen muß. Heute
ist die Frage eher, wo das sein wird und was für ein Staat das sein wird, wo
seine Grenzen sind. Netanjahu ist scheinbar bereit, einen palästinensischen
Staat zu akzeptieren, er will "nur" 50 Prozent des Gebiets dieses Staates
durch Israel annektieren. Das heißt, er will also so ein Rumpfgebilde mit
einem Staat, der aus einer Art Inselgruppe besteht: jede palästinensische
Insel umringt von israelischen Siedlungen und von israelischem Militär. Das
ist total unannehmbar. Aber diesen Kampf in den Gehirnen der Menschen,
diesen Kampf haben wir, glaube ich, schon gewonnen. Ich meine, wenn wir
heute im Fernsehen sehen, wie Golda Meir sagt, es gibt keine Palästinenser,
da lacht man einfach darüber. Das klingt verrückt, und das war ja auch
verrückt.
Herr Schneider: Selbst Benjamin Netanjahu, der während des
Wahlkampfs noch gesagt hat, er würde sich niemals mit Arafat treffen, hat
sich inzwischen mit Arafat schon mehrfach getroffen. Sie haben sich als
erster Israeli 1982 mit Arafat getroffen. Das war zu einem Zeitpunkt, zu dem
das eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit war - und dann ausgerechnet noch
in Beirut, während des Libanon-Feldzugs der israelischen Armee 1982. Was hat
Sie plötzlich dazu bewogen, das zu tun, und wie haben Sie das dann auch
tatsächlich durchführen können?
Herr Avnery: Da ich immer
überzeugt war, daß wir zu einem palästinensischen Staat kommen müssen, und
seit dem Sechstagekrieg auch davon überzeugt war, daß die PLO die einzige
wirklich akzeptierte nationale Führung der Palästinenser ist, habe ich Ende
1973 in Europa - in Paris, London und Wien - geheime Kontakte mit der
PLO-Führung aufgenommen, mit Leuten, die von Arafat geschickt worden sind.
Wir haben uns dann jahrelang erst heimlich und dann öffentlich getroffen.
Auch als das noch geheim war, habe ich den damaligen Ministerpräsidenten
Itzak Rabin davon unterrichtet: Er war total gegen jeden Frieden mit den
Palästinensern, er war der extremste Gegner dieser ganzen Auffassung, er hat
aber geduldet, daß ich mich mit den Palästinensern treffe. Als dann dieser
verrückte Krieg im Libanon ausbrach, dieser Krieg von Arik Scharon, und es
auf des Messers Schneide stand, ob die israelische Armee das belagerte
Westbeirut angreifen würde, habe ich beschlossen, eine Demonstration gegen
so einen Angriff zu machen. Ich habe die Fronten während des Kampfes
überquert - das war eine ziemlich abenteuerliche Geschichte - und habe mich
dann im belagerten Beirut mit Arafat getroffen. Es wurde von einem deutschen
Fernsehteam aufgenommen. Arafat selbst hat es noch am selben Abend
verkündet, noch bevor ich überhaupt nach Israel zurückkam, daß er sich mit
einem Israeli getroffen hat. Denn es ging wirklich darum, die israelische
Öffentlichkeit zu beeinflussen und diesen fatalen Angriff zu verhindern, der
nach Schätzung der israelischen Armee tausenden israelischen Soldaten das
Leben gekostet hätte - ganz abgesehen von der Zivilbevölkerung in Beirut.
Auf dem Rückweg habe ich schon gehört, daß vier Minister gefordert haben,
mich wegen Hochverrat vor Gericht zu stellen. Das hat mich nicht besonders
aufgeregt. Der Sinn war, daß man im israelischen Fernsehen an diesem Abend
sehen konnte, wie sich Yassir Arafat mit einem ehemaligen israelischen
Parlamentsabgeordneten getroffen hat. Wie gesagt, ich war Kommandosoldat
gewesen, ich wurde im Krieg verwundet und keiner konnte daher wirklich
glauben, daß ich ein Verräter bin. Das heißt, wenn man in einem Bild sah,
daß der Anführer und schreckliche Terrorist offen mit einem Israeli, mit
einem israelischen Patrioten zusammensitzt, dann hat das die Vorstellungen
in den Köpfen der Leute auf beiden Seiten erschüttert. Denn auch die
Palästinenser haben ja gesehen, hier sitzt unser Führer mit einem Zionisten,
mit einem dieser schrecklichen Israelis, mit einem von diesen israelischen
Mördern und Räubern zusammen. Das haben wir dann bewußt weiter geführt -
jahrelang. Wir haben uns jährlich ein-, zweimal offen mit Yassir Arafat
getroffen, es wurde immer photographiert, es kam immer in die Presse, ins
Fernsehen. Langsam haben sich dann die Stereotypen verändert. Es war nicht
mehr derselbe Arafat, der Erzterrorist. Ein Freund von mir, der später mit
mir bei diesen Treffen war, war ein General der israelischen Armee, ein
anderer war ein ehemaliger Generaldirektor des israelischen
Finanzministeriums: Wenn man dann sah, wie Arafat zwischen einem ehemaligen
General der israelischen Armee, einem ehemaligen Abgeordneten der
israelischen Knesset und einem ehemaligen Generaldirektor eines israelischen
Ministeriums sitzt, dann konnte man doch nicht mehr glauben, daß dieser Mann
wirklich Israel vernichten will. Wie gesagt, das geschah auf beiden Seiten,
denn auch die andere Seite, die Palästinenser, haben sich langsam daran
gewöhnt, daß es verschiedene Arten von Israelis gibt, daß man mit gewissen
Israelis paktieren und verkehren kann. Das waren so die Schritte, die meiner
Ansicht nach Oslo überhaupt erst ermöglicht haben. Wie gesagt, ich habe
viele Jahre lang eine andauernde Diskussion mit Rabin gehabt, ich habe ihn
immer sehr geschätzt. Er war am Anfang ein totaler Gegner jedes Verkehrs mit
den Palästinensern, und er hat sich dann dazu durchgerungen, diesen
historischen Schritt zu machen: Der historische Schritt war die Anerkennung
der palästinensischen Nationalbewegung und das Abkommen von Oslo. Das ist
nicht mehr rückgängig zu machen. Denn Netanjahu kann die Wände hochgehen
oder, wie Arafat sagt, das Meerwasser von Gaza trinken, es ist nicht
rückgängig zu machen, daß das israelische Volk anerkennt, daß es ein
palästinensisches Volk gibt und daß das palästinensische Volk Rechte hat,
die man nicht bestreiten kann, und daß wir zu einem Kompromiß kommen müssen,
der den Bestand Israels sichert und den Palästinensern ein normales
nationales Leben erlaubt. Das alles ist heute im Bewußtsein der Menschen
einfach da. Man kann politische Schritte rückgängig machen, man kann den
Vertrag sabotieren, man kann den Friedensprozeß unterbinden, aber was in den
Köpfen der Menschen passiert ist, das ist nicht rückgängig zu machen. Ich
hoffe, daß wir einen gewissen Anteil daran hatten.
Herr Schneider: Lassen Sie mich doch noch einmal
nachfragen. Was war denn das für ein Gefühl, wie lief diese Begegnung mit
Arafat denn tatsächlich ab? Sie waren ja plötzlich im Grunde genommen hinter
der feindlichen Front.
Herr Avnery: An der Grenze der
Front wurden wir von Arafats persönlichem Leibwächter mit einem gepanzerten
Mercedes empfangen. Wir sind dann hin und her gefahren durch Beirut. Das war
ein komisches Gefühl, denn die Straßen waren voll von palästinensischen
Soldaten, die Minen gelegt und alles mögliche andere gemacht haben. Das war
natürlich ein einzigartiger Ausdruck von Vertrauen, daß er mir das überhaupt
erlaubt hat. Ich habe dabei ja gesehen, was hinter der feindlichen Linie
passiert. Dann führte uns ein hoher Fatah-Offizier zu einer Wohnung, und
plötzlich war er da. Es war vom ersten Augenblick an ganz natürlich: Arafat
hat ja diese Fähigkeit - er ist ein sehr warmherziger Mensch - es so
informell zu gestalten, daß man nach zwei Minuten überhaupt vergißt, daß man
sich noch nie früher getroffen hat. Man fühlt sich immer sofort einbezogen.
Wir hatten ein Gespräch, das davon handelte, wie man Frieden macht und was
geschehen wird. Dieses Gespräch hatte eine komische Fortsetzung, denn noch
beim Gespräch in Beirut habe ich ihn am Ende gefragt, "wenn Sie hier
lebendig herauskommen" - was damals ja keiner geglaubt hat - "wo gehen Sie
dann hin?" - "Was heißt, wo gehe ich hin? In die Heimat!" O. k., da habe ich
gelächelt und ein paar Jahre später, nach Oslo, kam Arafat nach Gaza. Am
ersten Abend habe ich ihn besucht, ein paar Stunden nachdem er angekommen
war. Der ganze Saal war voll von arabischen Journalisten, ich war dort der
einzige anwesende Israeli. In dem Augenblick, als er rein kam, sah er mich,
kam auf mich zu, umarmte mich, küßte mich und flüsterte mir etwas ins Ohr.
Alle Journalisten waren unglaublich neugierig zu erfahren, was Arafat diesem
Israeli ins Ohr geflüstert hat. Was er geflüstert hat war: "Erinnerst du
dich, was ich dir gesagt habe in Beirut, ‘von hier gehe ich in die Heimat’?
Jetzt bin ich da". Wir haben eine seltsame Beziehung, denn als ich ihn
damals getroffen habe, waren wir alle genau wie er davon überzeugt, daß er
nicht lebendig aus Beirut herauskommen würde. Es war so eine dieser seltsam
euphorischen Stimmungen, die man hat, wenn man soweit ist zu sagen, ich
werde wahrscheinlich umkommen und alles andere liegt in den Händen Allahs
oder in den Händen Gottes. Dieses Erlebnis verbindet uns, und darum
behandelt er mich auch ganz besonders. Ich habe auch mehr Verständnis für
ihn als die meisten anderen Menschen. Er ist ja ein Mann, der in Israel,
Europa und in den USA unglaublich unterschätzt, gehaßt und verachtet wird.
Sehr wenige Leute verstehen, daß er eine der wirklich großen
Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts ist, denn er hat ein total
geschlagenes Volk genommen und es über die Schwelle der Befreiung gebracht.
In der Bibel steht, daß Moses ja nie ins heilige Land gekommen ist. Er
durfte es nur von weitem sehen, und dann starb er - der liebe Gott wollte
nicht, daß er ins heilige Land kommt. Arafat ist ins heilige Land gekommen,
aber wir sind noch mitten im Kampf um den Frieden. Auch das wird nicht sehr
oft erkannt. Die palästinensische Bewegung ist in einer Lage, die, wie ich
glaube, ohne Beispiel in der Geschichte ist. Normalerweise ist es für eine
nationale Befreiungsbewegung so, daß, wenn sie siegt, sie dann am nächsten
Tag ihren eigenen Staat hat: Mandela in Südafrika hat gesiegt, er hat den
Staat übernommen, er wurde Staatspräsident, und ein neues Kapitel in der
Geschichte begann. Hier in Palästina haben wir einen Zustand, in dem
praktisch schon ein palästinensischer Staat besteht, er ist ja schon da,
aber der Kampf der Palästinenser um ihre Freiheit ist noch in der Mitte und
noch lange nicht entschieden, noch lange nicht am Ziel. Diese Dualität in
der Aufgabe einer nationalen Führung, die zum Teil eine Art Regierung einer
Art von Staat ist und andererseits aber weiterhin die Führung einer
Befreiungsbewegung, die noch nicht am Ziel angelangt ist, sein muß, diese
Dualität der Aufgaben gibt der heutigen Situation ihren besonderen
Charakter. Das wird in der Weltöffentlichkeit nicht so leicht wahrgenommen.
Denn was man von einer Staatsführung und von der Führung einer
Befreiungsbewegung verlangt, sind zwei total verschiedene Dinge und manchmal
zwei entgegengesetzte Dinge. Denn alles was Demokratie, Menschenrechte usw.
betrifft, die unentbehrlich sind für einen Staat, sind so gut wie unmöglich
in einem Freiheitskampf. Heute existiert aber diese seltsame Situation für
die Palästinenser, und das verstehen viele Menschen nicht, während ich
irgendwie ein Gefühl für diese Situation habe. Aber ich glaube, die
Palästinenser werden zu ihrem Staat kommen, ich glaube das kann keiner
verhindern, auch nicht unser jetziger Ministerpräsident. Ich glaube, daß das
gut für Israel ist und die wirklich notwendige Diskussion in Israel
stattfindet. Denn ich fühle mich ja nicht als palästinensischer Patriot,
sondern ich bin ein israelischer Patriot. Ich glaube, daß die Befreiung der
Palästinenser für die Israelis und die Zukunft unseres Staates gut ist. Denn
unser Staat kann nicht außerhalb der Gegend existieren, in der er nun einmal
existiert. Wir können doch nicht wirklich im "Nahen Osten" leben und uns
einbilden, wir wären irgendwo zwischen Basel und München. Wir leben in
dieser Gegend, das sind die Völker, mit denen wir leben müssen, ob wir sie
nun gerne haben oder nicht. In Palästina-Eretz Israel gibt es zwei Völker:
keines kann das andere wegschaffen, keines der beiden Völker wird sich in
Luft auflösen. Die beiden Völker sind einfach da, und sie müssen miteinander
zu einem Frieden kommen, in dem beide leben können und der von beiden Seiten
akzeptiert wird. Sonst wird es ja nie zu einem Frieden kommen, denn 100
Jahre, 200 Jahre oder 1000 Jahre weiter zu kämpfen, ist ja eine schreckliche
Perspektive.
Herr Schneider: Sie leiten eine Organisation, die Sie auch
1982 gegründet haben, "Gusch Schalom", den Friedensblock, mit dem Sie
zahlreiche Aktivitäten im Kampf um den Frieden machen. Sie sind für Ihre
Aktivitäten in Deutschland mehrfach ausgezeichnet worden, mit dem
"Remarque-Preis", auch mit dem "Aachener Friedenspreis". Sie sind hier bei
uns ein sehr geachteter und anerkannter Mann, Sie veröffentlichen ja auch
immer wieder Ihre Thesen im "Spiegel". Haben Sie mittlerweile diese
Anerkennung für Ihre Tätigkeit auch in Israel bekommen?
Herr Avnery: Ich werde nie in
meinem Leben einen Preis in Israel bekommen, denn wenn ich einen Preis
bekommen würde, dann würde das bedeuten, daß das dann ein anderes Israel
ist. Man hat mich getröstet, daß ich post mortem sicher den "Israel-Preis"
bekommen werde, aber das ist kein "großer" Trost. Nein, ich brauche keine
Preise, für mich ist der wichtigste Preis: erstens, daß ich jeden Morgen in
den Spiegel schauen kann - wenn ich mich doch etwas rasiere - und mir sagen
kann, daß ich das tue, was ich für richtig halte und auch mein ganzes Leben
getan habe - das ist nicht sehr vielen Menschen vergönnt; und zweitens, daß
wir Erfolg haben. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg, trotz allem,
trotz dem, was täglich passiert, trotz der täglichen Nachrichten, die
schlimm sind und noch schlimmer werden können - und wahrscheinlich auch
werden. Aber wir sind trotzdem auf dem richtigen Weg, und trotz allem wird
es vorwärts gehen. Das ist eigentlich die Hauptauszeichnung, denn ob man
populär ist oder nicht, das ist eine sehr relative und zeitweilige Sache.
Ich glaube, Sie haben vorhin erwähnt, daß ich nach dem Krieg von 1948 ein
Buch geschrieben habe, das unglaublich populär war, es war der größte
Bestseller Israels aller Zeiten. Ein Jahr lang war ich furchtbar populär.
Dann habe ich ein zweites Buch geschrieben, über die andere Seite des
Krieges - ich nannte es die Kehrseite der Medaille -, über die
Schattenseiten des Krieges. Das wurde boykottiert, und ich war über Nacht
wieder so unpopulär, wie man nur sein konnte. Darum ist es mit der
Popularität so, daß man sie einmal hat und dann hat man sie wieder nicht
mehr. Nach Oslo war ich plötzlich wieder sehr populär, denn alle Leute haben
eingesehen, daß das mehr oder weniger bestätigt, was meine Freunde und ich
über so viele Jahre hinweg gesagt haben. Heute bin ich, glaube ich, weniger
populär. Aber ist das wirklich wichtig?
Herr Schneider: Eine letzte Frage mit der Bitte um eine
kurze Antwort. Was tun Sie zum Ausgleich für diesen Kampf um den Frieden für
sich selbst?
Herr Avnery: Für mich selbst?
Das ist der Kampf um den Frieden, das tue ich für mich selbst, denn das ist
Genugtuung. Das tägliche Engagement, das Gefühl, daß man tut, was man für
richtig hält, das ist das schönste Gefühl der Welt überhaupt.
Herr Schneider: Meine Damen und Herren, das war
Alpha-Forum. Zu Gast war heute der israelische Friedensaktivist Uri Avnery.
Vielen Dank fürs Zuschauen und auf Wiedersehn.
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