Abbildung 4; "In der Schule 1947 (E.L. 3. von rechts; die beiden
ersten von rechts sind die hier erwähnten Freunde, die 1948 als
Beschützer von Karawanen am gleichen Tag gefallen sind).
Ich wollte mich an denen rächen, die mir die wichtigsten Menschen
meines Lebens genommen hatten, sodass ich wieder alleine war. Ich
beschuldigte dafür nicht den Krieg, das war mir zu abstrakt, sondern
die Araber. Ich wollte unter allen Umständen an die Front gelangen,
desertierte deshalb nach kurzer Zeit von der Polizei und ging dahin,
wo ich eigentlich hingehörte: zum Palmach. Da ich einen Haganah-
Befehlshaberkurs absolviert hatte und noch dazu fließend Deutsch und
Englisch sprach, wurde ich sofort nach meiner Ankunft zum
Kommandanten einer Truppe von Auslandsfreiwilligen ernannt. Ich
sollte sie in kürzester Zeit militärisch ausbilden, sie etwas
Hebräisch lehren und sie dann an die Front bringen. Dieses, mein
erstes Kriegszeitkommando, war eine richtig zusammengewürfelte
Truppe: sie bestand aus 30 Männern, die aus sieben Ländern stammten
und weitaus älter und erfahrener waren als ich. Im Gegensatz zu mir
hatten fast alle schon jahrelang als Frontsoldaten gedient, und es
stellte sich heraus, dass einer von ihnen sogar ein Offizier der
Roten Armee gewesen war. Diese Männer, die sieben verschiedene
Sprachen sprachen, sollte ich nun "ausbilden" und in eine kämpfende
55Einheit verwandeln. Um das zu erreichen stand mir genau
eine Woche zur Verfugung. Dann sollten wir nämlich an der Front
gegen die irakischen Truppen eingesetzt werden. Der Mangel an
erfahrenen Kämpfern war damals so akut, dass ich auf keinerlei Hilfe
hoffen konnte. Zum Glück bekamen wir damals gerade neue Waffen aus
der Tschechoslowakei, die den Männern meiner Truppe nicht unbekannt
waren. Hier möchte ich noch kurz einflechten, dass die
Tschechoslowakei damals das einzige Land der Welt war, das bereit
war, uns Waffen zu liefern. Und diese Waffen haben uns gerettet. Ich
glaube, es ist kaum nötig zu erwähnen, dass das nur mit russischer
Genehmigung möglich war.
Ich stand also alleine vor dreißig Menschen, die sieben Sprachen
sprachen und mich, den jungen Israeli, sehr neugierig beäugten
-schließlich war ich doch ihr Befehlshaber. Ich war auch neugierig,
aber als Israeli fühlte ich mich diesen Neueinwanderern gegenüber
sehr selbstsicher. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass einige
von ihnen Deutsch sprechen konnten, andere wiederum Englisch. So gab
ich einen Befehl auf Hebräisch, wiederholte ihn auf Deutsch und
wartete dann bis er ins Russische, Polnische und Rumänische
übersetzt wurde. Das Gleiche tat ich dann mit Englisch, worauf mein
Befehl dann ins Französische und Ungarische übersetzt wurde. Dann
gab ich wieder den Befehl auf Hebräisch und konnte nur hoffen, dass
er auch verstanden und sogar ausgeführt würde. Zu meiner größten
Überraschung funktionierte das System weitaus besser, als ich
gehofft hatte.
Meine Soldaten, ihrerseits weihten mich in die Geheimnisse der
neuen Waffen ein. Es entwickelte sich zwischen uns eine wunderbare
Beziehung und ich glaube, dass sie in mir eher einen Talisman als
einen Offizier sahen. Nicht dass ich ihnen viel Glück gebracht
hätte, denn später brachte ich sie nach Jerusalem, als Verstärkung
für die sehr geschwächten Palmach-Truppen. Das war die schwerste und
gefährlichste Front, die es damals gab: Dort stand uns die Elite des
arabischen Militärs gegenüber, die regulären, transjordanischen
Truppen, die Arabische Legion, die über viele Jahre von englischen
Berufsoffizieren ausgebildet worden waren und auch von ihnen
kommandiert wurden. Das waren weder Freischärler noch ungebildete
ägyptische Bauern, sondern hoch trainierte und motivierte Beduinen,
die im Krieg ihre Berufung sahen. Gegen diese Truppen kam selbst der
Palmach nicht an, und ihretwegen blieben die Altstadt
56
Jerusalems und der direkte Weg zwischen Jerusalem und Tel Aviv
bis 1967 in arabischen Händen.
Nur nebenbei möchte ich hier erwähnen, dass der englische
Befehlshaber der Altstadt von Jerusalem ein Colonel Lasch war.
Das war die Front, die ich erreichen wollte, als ich die Polizei
verließ. Das war der Ort, wo auch meine Kameraden kämpften und wo
ihr Regiment aufgerieben wurde, sodass ich bis zum Ende des Krieges
auch den Rest der Kameraden meiner Jugend verloren hatte. Nachdem
die Zukunft des jüdischen Teils von Jerusalem gesichert war, wurden
wir in ein Panzerregiment umgewandelt und in den Süden geschickt, um
gegen die Ägypter zu kämpfen. Einmal sind wir sogar tief in den
Sinai eingedrungen und haben dort ein ganzes Regiment ägyptischer
Soldaten gefangen genommen, ohne dass wir auch nur einen Schuss
abgeben mussten. Unser Anblick genügte, die Offiziere in die Flucht
zu schlagen, und als wir in die Offiziermesse eindrangen, fanden wir
noch Teller mit heißem Essen vor. Die einfachen Soldaten ergaben
sich sofort. Während dieser Zeit wurde ich zweimal verwundet und am
Ende des Krieges als Kriegsinvalide entlassen. Ich möchte hier noch
einen Punkt erwähnen: Obwohl mein Regiment oft auf zerstörte und
verlassene Dörfer traf, hatte ich das "Glück", nicht ein einziges
Mal an der Räumung eines Dorfes oder einer Stadt teilnehmen zu
müssen. Als mein Regiment einmal an so einer Operation beteiligt
war, lag ich "zufällig" mit einem schweren Infekt im Krankenhaus.
Mein Krieg richtete sich immer gegen die regulären Armeen der
arabischen Staaten, die in mein Land eingefallen waren, um uns zu
zerstören. Deswegen hatte ich auch nie moralische Bedenken. Das
erleichterte mir später meine Arbeit im Gazastreifen. Auf die
Hintergründe des Flüchtlingsproblems, wie es entstanden ist, werde
ich später noch einmal genauer eingehen.
Endlich war auch dieser Krieg vorbei, wir hatten überlebt und
waren noch dazu frei und unabhängig.
Abbildung 5: "Die Siegesparade in Tel Aviv"
Der alte Traum war endlich Realität geworden, und erfüllt mit
Optimismus wandten wir uns der Zukunft zu! Es gab aber auch einen
Tropfen Wehmut: Wir hatten zwar den Krieg gewonnen, denn sonst gäbe
es keinen israelischen Staat, hatten aber dafür mit 6000 Leben, mit
1% der Bevölkerung, bezahlt. Wie schon erwähnt, bin ich in den Krieg
gezogen, um den Tod meiner Freunde zu rächen - aber meine Freunde
hat das nicht zurückgebracht. Stattdessen entdeckte ich die
Falschheit des Diktums, das behauptet, dass Rache süß sei.
Später, viel später, entdeckte ich auch, was es wirklich war, das
meine Freunde getötet hatte. Nicht wer es war, sondern was es war,
und diese Entdeckung hat meinem Leben wieder eine neue Wende
gegeben. Das geschah aber erst, als ich mit der anderen Seite dieses
Krieges in Berührung kam. Als ich die weiteren Opfer dieses Krieges
kennen lernte: Die hatten zwar nicht ihr Leben verloren, aber alles
andere, alles, wofür es sich lohnt zu leben, so dass auch sie sich
seitdem zwischen zwei Welten befinden. Das war das Schicksal der
arabischen Bevölkerung des mandatorischen Palästina. Aufgehetzt von
ihren religiösen Führern, war sie nicht bereit gewesen, den
Beschluss der Vereinten Nationen anzunehmen. Trotz der Unterstützung
durch die regulären Armeen fünf
58
arabischer Länder konnte sie aber die Gründung des jüdischen
Staates nicht verhindern. Die Bewohner der arabischen Dörfer waren
zwar imstande Banden zu bilden, um den Verkehr auf den Landstraßen
zu stören, aber von Kriegsführung hatten sie keine Ahnung. Nach den
Unruhen und Pogromen der Jahre 1920-21 und 1929 und besonders nach
dem Aufstand in den Jahren 1936-39 hatte der Jischuw hingegen eine
hoch organisierte nationale Untergrundmiliz aufgebaut. Da Ben Gurion
die Auseinandersetzung mit den Arabern voraussah, hatte die Miliz
alles getan, was sie nur konnte, um sich zu bewaffnen. Außerdem
haben die Engländer während der Kämpfe in Nordafrika im Jischuw eine
fortgeschrittene Waffenindustrie aufgebaut, die von der Haganah
übernommen wurde. 1947 hatte die Haganah 35.000 Mitglieder und, was
vielleicht wichtiger war, einen zentralisierten Generalsstab,
organisiert von früheren Offizieren, die in der britischen und in
der Roten Armee ausgebildet worden waren. Bei der Ausrufung des
Staates 1948 hatte die Haganah 63.000 Menschen unter Waffen. All
dieses fehlte auf der arabischen Seite. Wie gesagt, konnten sie
Banden auf die Beine stellen und die Straßen unsicher machen, aber
mehr konnten sie auch nicht.
Der arabischen Führung war klar, dass sie ohne Hilfe der
Nachbarstaaten keinerlei Chancen hatten, sich gegen die Juden zu
behaupten. Einer der wichtigsten arabischen politischen Führer, Musa
el-Alami, erzählt in seiner Biographie17, wie er nacheinander
Damaskus, Bagdad, Kairo und Amman besuchte und um Hilfe bat. Der
syrische Präsident sagte ihm Folgendes: "Ich freue mich, Ihnen sagen
zu können, dass unsere Armee und ihre Ausrüstung in bestem Zustand
sind, und wir werden keine Probleme haben, mit ein paar Juden fertig
zu werden. Vertraulich kann ich Ihnen sagen, dass wir sogar im
Besitz einer Atombombe sind." Als er sah, dass Musa ihm nicht
glaubte, sagte er: "Ja, wir haben sie hier selbst produziert;
glücklicherweise haben wir einen sehr geschickten Klempner
gefunden." In anderen arabischen Städten war es auch nicht viel
besser. Der irakische Premierminister sagte ihm, alles was sie
brauchten, seien ein paar Besen, um die Juden ins Meer zu fegen. In
Ägypten war man nur daran interessiert, dass der Emir Abdullah von
Transjordanien sich nicht zu viel von dem zerstückelten Palästina
einverleiben würde, während es dem Emir wichtig war, nicht zu viele
Soldaten zu verlieren. Als er nach Jerusalem zurückkehrte, hatte er
alle Hoffnung für die Zukunft verloren. Er sah ein, dass die
Einwohner
59Palästinas ohne das Eingreifen der arabischen Staaten weder
jüdische Stadtteile oder Siedlungen erobern, noch die Eroberung der
eigenen Städte oder Dörfer verhindern konnten und dass die regulären
Armeen der arabischen Staaten auch nicht viel besser waren. Nachdem
die arabische Propaganda die Nachricht von dem Massaker an 250
Zivilisten bei der Eroberung des Dorfes Dir Jassin durch den Etzel
verbreitet hatte, um die Sympathie der Welt zu erwecken, erfasste
die arabische Bevölkerung eine panische Angst. Diese wurde noch
dadurch verstärkt, dass viele Mitglieder der palästinensischen
Führungsschicht "zeitweilig" das Land verließen. So flohen zum
Beispiel die arabischen Einwohner von Haifa und Tiberias trotz der
Versicherungen der jüdischen Führung, dass ihnen nichts geschehen
würde, nur weil die ganze Oberschicht die Flucht ergriffen hatte.
Bei der Oberschicht war das eigentlich nichts Besonderes. Sie
besaßen Häuser in verschiedenen Hauptstädten des Nahen Ostens und
waren sich sicher, dass das alles nur vorübergehend war. Einige
Familien hatten sogar ihre Möbel mit Laken bedeckt. Um Musa el-Alami
nochmals zu zitieren: "Die Palästinenser haben ihr Land nicht wegen
Feigheit verloren, sondern weil sie den Glauben an ihre Zukunft und
ihre Sicherheit verloren hatten. Und weil man ihnen eingeredet
hatte, dass die arabischen Armeen in kürzester Zeit (die Juden
verjagen, d.V.) und die alte Ordnung wieder herstellen würden." Sie
haben daran geglaubt und viele glauben noch heute daran. Sie
vergleichen die Juden mit den Kreuzrittern, obwohl ihnen viele wohl
gesonnene westliche Sachverständige immer wieder gesagt haben, dass
es diesmal anders sei, dass die Juden endgültig zurückgekehrt seien.
Wie wir wissen, haben die arabischen Armeen ihre Versprechungen
nicht erfüllt und das neu entstandene Israel war natürlich nicht
daran interessiert, die Flucht der Palästinenser zu verhindern; es
hatte sogar hier und da noch durch gezielte Propaganda nachgeholfen.
Die Palästinenser waren diejenigen, und man kann fast sagen die
Einzigen, die den Krieg wirklich verloren haben, denn sie hatten
keine richtige Führung. Sie fühlten sich als integraler Teil der
arabischen Welt und hatten sich auf diese verlassen. Und diese Welt
hat sie betrogen. Statt die Niederlage zu akzeptieren und den
Palästinensern zu helfen, einen eigenen Staat in den Teilen
Palästinas zu gründen18, die ihnen geblieben waren, annektierte
Trans-Jordanien den Teil Palästinas, den es erobert hatte, und
nannte sich fortan "The Hashemite Kingdom of Jordan" (Das
Haschemitische
60
Königreich Jordaniens), während Ägypten im Gazastreifen ein
Militärregime errichtete. Die 700.000 palästinensischen Flüchtlinge
waren unbequem und unerwünscht: Sie erinnerten immer wieder aufs
Neue an die Niederlage, welche die arabischen Herrscher durch knapp
600.000 verachtete Juden (so steht es doch im Koran) erlitten
hatten. Sie waren unbequem. Deswegen wurden sie in Lager eingesperrt
und von der arabischen Welt mit Hass und hohlen Versprechungen
gefüttert. Dort sitzen sie bis heute. Für ihren Unterhalt und für
ihr physisches Überleben haben die arabischen Staaten aber so gut
wie gar nicht gesorgt. Dieses übernahm die UNRWA, eine Organisation
der Vereinten Nationen, die bis /um heutigen Tag von Amerika und
West-Europa finanziert wird. Waren nicht diese Länder die wahren
Schuldigen? Die Möglichkeit, die Flüchtlinge in die arabischen
Länder aufzunehmen und zu integrieren, wird bis heute nicht einmal
in Erwägung gezogen, das hätte als Anerkennung der Niederlage
gedeutet werden können. Außerdem waren viele Palästinenser vom Virus
der Demokratie infiziert und noch dazu verbittert: Solche Menschen
sperrt man lieber ein.
Aber von alledem wusste ich damals nichts, und ich glaube auch
nicht, dass es mich interessiert hätte. Für uns war das Wichtigste,
dass wir endlich unseren Staat hatten, und glaubten nicht mehr
kämpfen zu müssen. Leider wurde die erste Phase, oder besser gesagt
Runde, des jüdischarabischen Konflikts nur mit einem
Waffenstillstandsabkommen beendet. Beendet aber nicht abgeschlossen,
denn alles, was man erreicht hatte, war, dass die Situation halbwegs
"eingefroren" wurde - und noch nicht einmal liefgekühlt. Für uns wie
für den Großteil der Welt war Israel jetzt eine Tatsache und wurde
als solche im Mai 1949 in die Vereinten Nationen aufgenommen. Die
Aufgabe, die seit 1945 mein Leben erfüllt hatte, war vollendet. Ich
wurde zwar als Kriegsinvalide entlassen und darum auch vom Dienst
bei der Reserve befreit, aber meine Verwundungen störten mich nicht
zu sehr im normalen Leben. Ich hatte die Nase voll vom Soldatenleben
und wollte auch keine Karriere beim Militär machen. Endlich konnte
ich anfangen mein persönliches Leben aufzubauen und mit gutem
Gewissen mein medizinisches Studium in der Schweiz beginnen.
Nach drei sorglosen Jahren, musste ich leider zurück nach Israel,
um dort mein Studium zu beenden. Israel hatte inzwischen eine eigene
medizinische Fakultät und konnte sich den Luxus, teure Devisen für
ein
61Studium im Ausland auszugeben, nicht mehr leisten. Ich ging
also zurück und befand mich plötzlich wieder in einem neuen Land,
einem Land, das ich kaum wiedererkannte. Drei Jahre war ich im
Ausland gewesen, und während dieser Jahre war das Land von einer
Riesenwelle neuer Einwanderer regelrecht überschwemmt worden, die
aus 60 verschiedenen Ländern kamen und 60 verschiedene Kulturen
mitbrachten: Die erste Gruppe waren die Überlebenden der
Vernichtungslager in Europa, die ich schon in einem früheren Kapitel
erwähnt habe. Es handelte sich um 358.000 Menschen, alles
Flüchtlinge, die ihre ganze Habe verloren hatten. Eine zweite Gruppe
waren Flüchtlinge aus den muslimischen Ländern von Algier in
Nordafrika bis zum Jemen und dem Irak - 850.000 Menschen, die von
einem Tag zum anderen die Länder, in denen sie zum Teil fast 2000
Jahre lang gelebt hatten, verlassen mussten. Ihren ganzen Besitz
mussten sie zurücklassen. Im Grunde könnte man von einem
Bevölkerungsaustausch sprechen, wie er im selben Jahr auf dem
indischen Subkontinent stattfand. Aber im Gegensatz zu den
palästinensischen Flüchtlingen, die von ihren "Brüdern" in Lager
eingesperrt wurden, wurden die jüdischen Flüchtlinge vom Staat
Israel mit offenen Armen aufgenommen und integriert. Im Laufe von
drei Jahren hat sich die Zahl der Einwohner des jungen Staates
verdreifacht: von 600.000 auf 1.8000.000. Wie schon oben erwähnt,
kamen sie aus vielen verschiedenen Gegenden. Von hoch gebildeten
Europäern bis hin zu Einwohnern der Atlasberge in Marokko, die noch
nie mit westlicher Zivilisation in Berührung gekommen waren.
Amerikanische Juden und Jemeniten, Russen und Inder. Das Einzige,
was sie verband, war die Tatsache, dass sie Juden waren, und für
viele von ihnen erfüllte die Gründung des Staates Israel einen
uralten Traum, so dass sie bei ihrer Ankunft oft den Boden küssten.
Aber das war auch alles, was sie gemeinsam hatten. Um zu
überleben, mussten viele von ihnen erst einmal umlernen und die
alten jüdischen Berufe, die in Israel nicht mehr gebraucht wurden,
aufgeben. So wurden Krämer aus Algerien zu Bauern und
Schriftgelehrte zu Förstern, die ihre Wälder erst einmal pflanzen
mussten.
Außerdem mussten sie nach 2000 Jahren wieder lernen, was
Unabhängigkeit eigentlich bedeutet, und das war für viele
wahrscheinlich das Allerschwerste. Für die meisten Juden waren "der
Staat" und "die Regierung" immer der Feind gewesen, und jetzt
plötzlich gehörten sie ihnen. Trotz der langen Jahre der
Vorbereitung forderte das eine
62
unglaubliche Umstellung. Man musste sich erst einmal daran
gewöhnen, dass Juden von Juden regiert werden können.
Ich habe oft gehört, dass das Überleben von Israel bis zum
heutigen Tag einem Wunder gleichkommt.
Die arabische Welt ihrerseits beharrte auf ihrem Standpunkt, den
Staat Israel nicht anzuerkennen und keinen Frieden mit ihm zu
schließen. Die "offiziellen" Gewalttätigkeiten von Seiten der
arabischen Staaten wurden durch Angriffe palästinensischer
Freischärler ersetzt, die über die Waffenstillstandslinie, auch
"grüne Linie" genannt, kamen. Selbst in Jerusalem konnte man sich
nicht frei bewegen, und es bestand immer die Gefahr, von
jordanischen Soldaten, die sich hinter der Mauer der Altstadt
versteckten, beschossen zu werden. So musste man eben in Jerusalem
neue Mauern bauen und den alten, von denen man nun wieder
abgeschnitten war, aufs Neue nachtrauern. In Jerusalem hatte man
wirklich immer das Gefühl, dass etwas sehr Wichtiges fehlte:
Jerusalem ohne die Altstadt war eben wie ein Diamantring ohne
Diamanten.
In den Jahren, die folgten, war mein Leben nicht grundsätzlich
anders als das vieler junger Ärzte anderswo. Ich bildete mich weiter
zum Facharzt für Kinderheilkunde, heiratete und dachte daran, mir
eine Karriere aufzubauen. Endlich war ich weder ein Flüchtling noch
ein neuer Immigrant. Jetzt war ich einer der "Alteingesessenen",
jemand, der in Israel zur Schule gegangen war und perfekt Hebräisch
sprach. Einer der "Helden" der Untergrundbewegung und des
Befreiungskrieges. Ich fühlte mich gänzlich als Israeli, war meiner
Identität sicher und stolz auf das, was wir waren und erreicht
hatten. Aber irgendwie verlief mein Leben doch anders als das Leben
junger Ärzte in Europa und Amerika. Es unterschied sich auch von dem
der meisten meiner israelischen Kollegen. Neben der Hauptströmung:
Familie, Kinder und Karriere gab es in mir noch eine zweite
Strömung, die wahrscheinlich von meinen Jugenderlebnissen geprägt
war, und mich immer wieder aufs Neue genau dorthin brachte, wo ich
glaubte nicht sein zu wollen. Wie alle jungen Ärzte, die damals die
Fakultät in Jerusalem absolviert hatten, sah auch ich meine Zukunft
in der akademischen Laufbahn, als Arzt in einer Universitätsklinik,
und fühlte mich besonders von der Forschung angezogen. Die Realität
aber zwang mich genau in die entgegengesetzte Richtung. Man kann
schon fast von einem Lebensmuster sprechen.
63
Aus Eli
Lasch:
Das Wunder von Gaza
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