Umstrittenes Signal:
Das unheilige "Zelt des Isaak"Die aktuelle
Einweihung einer Synagoge in Jerusalems Altstadt birgt neuen
politischen Sprengstoff
Philipp
Holtmann, Eik Dödtmann
Jerusalemer Altstadt: Blick auf die Kuppel des
Felsendoms. Fotos: Phillipp Holtmann
Kein Ort in Israel und den besetzten Gebieten zieht so viele
Emotionen auf sich, wie die Jerusalemer Altstadt. Kein Ort ist so
vielen Gefahren durch national oder religiös motivierte Gewalt
ausgesetzt.
Dass eine "archäologische Grabung" zu dicht am Tempelberg genügt, um
die mühsam aufrechterhaltene (Waffen-)Ruhe in der Altstadt zu
zerstören, zeigte sich auch in der jüngeren Vergangenheit. So
geschehen bei den Tunnelgrabungen unter der Klagemauer, an der
Westfront des Tempelbergs, dem heute wichtigsten religiösen Ort
gläubiger Juden, in den Jahren 1990 und 1996; so auch im September
2000 beim Besuch Ariel Sharons auf dem Tempelberg.
Die Eröffnung der Ohel-Jitzchak-Synagoge im muslimischen Viertel
Mitte Oktober, unweit des Tempelberges, lässt in diesen Tagen die
Gemüter aufs Neue erhitzen. Die Einen sprechen von historischem
Anspruch und Rückkehr, die Anderen von feindlicher Landnahme und
Terrorismus. Hinter der Ohel-Jitzchak-Synagoge offenbart sich ein
Geflecht von Interessen, das politischen Sprengstoff birgt.
Am Damaskustor herrscht Geschrei und Gedränge. Arabische Händler und
Kunden eilen und drängeln aneinander vorbei. Der Geruch von Gewürzen
und Kräutern liegt in der Luft. Am intensivsten duftet der frisch
geschnittene Koriander, den eine alte, auf den Pflastersteinen neben
dem Tor sitzende Palästinenserin verkauft. Auf der Innenseite des
Tores gabelt sich der Weg. Von hier führt linker Hand eine enge
Gasse bergab. Die Juden nennen sie Hagai-Straße, nach dem
gleichnamigen Propheten, Araber sagen zu ihr Sharia el-Wadi,
Talstraße. Nach einem knappen halben Kilometer stößt der Passant auf
ein solides Haus. Hier befindet sich die jüdische Religionsschule "Ateret
Jeruschalaym", die "Krone Jerusalems", eine Einrichtung der
nationalreligiösen Siedlerorganisation "Ateret Kohanim", der "Krone
der Priester". Auf einer Blechtafel am Eingang steht auf Hebräisch
und Englisch geschrieben: "Ateret-Institut - Bitte helfen sie uns,
jüdisches Leben in der Altstadt aufzubauen!" Daneben hängt ein
weiteres Schild: "Vorsicht! Hier wird gebaut!".
Mitte Oktober wurde hinter dieser Tür, die für den interessierten
Fremden verschlossen bleibt, die Ohel-Jitzchak-Synagoge, auf Deutsch
das "Zelt des Isaak", wiedereröffnet.
Die Synagoge, mitten im muslimischen Viertel der Jerusalemer
Altstadt gelegen, ist damit nur 80 Meter vom Tempelberg und der
Al-Aqsa-Moschee entfernt. Von dort aus, dem Felsendom, ist Mohammed
auf seinem Pferd Buraq gen Himmel gesprungen, sagen die Muslime. Und
hier stand bis ins Jahr 70 n.u.Z. der zweite jüdische Tempel, sagen
die Juden. Das muslimische Oberhaupt Jerusalems, der Mufti Scheich
Mohammed Hussein, rief im Zuge der Synagogeneröffnung alle
Palästinenser zur Verteidigung der Al-Aqsa-Moschee auf: "Die
Synagoge ist mit einem Tunnelnetz verbunden, das bis an die
Al-Aqsa-Moschee heranreicht, was jüdischen Extremisten das
Eindringen ermöglichen kann!" Damit nährt Hussein die schwelenden
Ängste unter Muslimen vor einem terroristischen Anschlag auf das
Heiligtum und vor weiterer feindlicher Landnahme seitens der Juden.
Für Jerusalems Bürgermeister Uri Lupolianski und den Rabbiner der
Klagemauer, Schmuel Rabbinowitz, die beide bei der
Eröffnungsveranstaltung von "Ohel Jitzchak" anwesend waren, ist die
Aufregung der Muslime nicht nachvollziehbar. Es gehe lediglich um
das Recht einer jüdischen Gemeinde, eine Synagoge wiederzueröffnen,
die aufgrund der Gewalt von Arabern in den 1930er Jahren aufgegeben
worden sei, wiegeln sie in der israelischen Tageszeitung "Jerusalem
Post" ab. Daniel Uria von "Ateret Kohanim" versucht den Streit im
Interview mit der "Jüdischen Zeitung" zu erklären: "Araber verkaufen
oft über eine dritte Partei an uns. Sie haben Angst, dass sie
getötet werden, wenn sie offen an uns verkaufen. Das ist doch nicht
human! In der ganzen Welt können Menschen frei verkaufen."
Der "Kern der Bewegung"
Die Ohel-Jitzchak-Synagoge bestand bereits in den
Jahren 1904 bis 1936. Auf dem von nach Palästina immigrierten
ungarischen Juden erworbenen Grundstück befand sich auch das Gebäude
der renommierten Religionsschule "Torat Chaim Jeschiwa". An der
studierte auch Zwi Jehuda Kook (1891-1982), einer der Begründer des
religiösen Zionismus, der Verbindung von jüdischem Nationalismus und
messianischem Glauben. Kooks Lehren sind heute für die militante
jüdische Siedlerbewegung im Westjordanland maßgebend. Im Jahr 1936,
in Folge des arabischen Aufstandes gegen die Kolonialmacht
Großbritannien und die jüdischen Siedler im "Mandatsgebiet
Palästina" mussten Synagoge und Schule aufgegeben werden. 42 Jahre
später, 1978, die Altstadt stand neun Jahre nach dem Sechstagekrieg
unter israelischer Oberhoheit, wurde an gleicher Stelle die
Religionsschule "Ateret Kohanim Jeschiwa" eingeweiht. Sie soll laut
Auskunft auf der eigenen
Internetseite
"zentral für die Rückkehr in alle Teile der Altstadt" sein und
versteht sich als "Kern der Bewegung". Und sie gilt seitdem auch als
spirituelles Zentrum der gleichnamigen, nationalreligiösen
Organisation "Ateret Kohanim", die sich als "geistiger Mittelpunkt
für die Rückkehr von Juden in ihre Häuser im muslimischen Viertel"
definiert. Dort lebten schließlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts
etwa 5.000 Juden.
Dieses Programm widerspricht der Lesart Daniel Urias von einer den
Regeln des freien Marktes gehorchenden Erwerbspraxis und legt den
ideologischen Unterbau bloß. Der israelische Journalist der
linksliberalen Tageszeitung "Haaretz", Meron Rapoport, beschäftigt
sich seit Jahrzehnten mit den Entwicklungen in der Jerusalemer
Altstadt. "Hier mischen sich Ziele und Ideologien", meint der
Sicherheitsexperte und Publizist. Die Interessen der
nationalreligiösen Bewegung schneiden sich an einem Punkt wie der
Ohel-Jitzchak-Synagoge, so Rapoport, mit denen der "Israelischen
Behörde für Altertümer", kurz IAA, die an archäologischen
Ausgrabungen und am Tunnelbau verdiene. Ziel der IAA sei es, bei
Grabungen so viel wie möglich Objekte aus der Zweiten Tempelperiode,
d.h. zwischen 6. Jahrhundert v.u.Z. und dem Jahr 70 n.u.Z., unter
den gekauften Privathäusern zu entdecken. Die Objekte würden dann
ideologisch ausgeschlachtet. Die Finanzierung des Ganzen übernehmen
laut Rapoport "zionistisch motivierte Privatleute aus den USA", die
sich damit politischen Einfluss und Prestige erkaufen.
Synagoge als Verhandlungsmasse
Von Seite der Ohel-Jitzchak-Privatsponsoren wird
offiziell jeglicher politische Hintergrund der Wiedereröffnung klar
verneint. Vor 15 Jahren erwarb die US-amerikanische
Millionärsfamilie Moskowitz die Eigentumsrechte der
Ohel-Jitzchak-Synagoge und finanzierte deren Renovierung mit
Zahlungen an die "Ateret Kohanim". Dass die US-Amerikaner nicht ganz
so unpolitisch sind, belegt eine aktuelle Aussage der Tochter des in
Florida ansässigen Wett- und Glücksspiel-Magnaten Irving Moskowitz,
Laurie Moskowitz-Hirsch. Als Reaktion auf die Anfang Oktober in der
nordisraelischen Stadt Akko ausgebrochenen Krawalle zwischen Juden
und Arabern sagte sie gegenüber der "Jerusalem Post": "Wenn die
Araber bleiben wollen, dann sollten sie sich benehmen." Die beste
Antwort auf die Ausschreitungen sei daher, laut Moskowitz-Hirsch,
die jüdische Präsenz in Ostjerusalem zu stärken. Diesen Aufruf
kommentiert Connie Hackbarth, Direktorin des Alternativen
Informationszentrums (AIC), einer israelisch-palästinensischen
Friedensorganisation, gegenüber der "Jüdischen Zeitung" lakonisch:
"Die Moskowitz-Familie gehört zu den maßgeblichen Finanziers der
israelisch-jüdischen Besiedlung im palästinensischen Ostjerusalem."
Doch nicht nur das Gebäude, in der sich Ohel-Jitzchak befindet,
erregt die Gemüter. Seit Jahren laufen an dieser Stelle
Ausgrabungen. Die nichtstaatliche "Israelische Behörde für
Altertümer" war mit allen benötigten Genehmigungen zur Hand. Unter
der Synagoge liegen, in drei Ablagerungsschichten, ein Bad aus der
Zeit der muslimischen Mameluken aus dem 14. Jahrhundert, Teile der
römischen Ost-West-Handelsstraße "Cardo" und Teile von
Monumentalbauten des jüdischen Königs Herodes aus dem 1. Jahrhundert
v.u.Z. Besonders die archäologischen Stätten aus jüdischen
Herrschaftszeiten, also alles vor der Zerstörung des Zweiten Tempels
im Jahr 70 n.u.Z, seien dabei von besonderem Interesse.
Laut Jon Seligman, Leiter der Ausgrabungen vor Ort, hoffe "Ateret
Kohanim", auf den "Mutterfelsen" zu stoßen, auf dem vor 3.000 Jahren
Jerusalem gebaut worden sein soll.
"Noch nie gab es in der Altstadt so viele „politische Ausgrabungen"
wie heute", meint "Haaretz"-Journalist Rapoport. Zvi Grinhard,
Angestellter des IAA, gab auf Anfrage der "Haaretz" unumwunden zu,
dass ein Großteil der Ausgrabungen in der Altstadt Mittel zum
politischen Zweck seien. Rapoport: "Die israelische Regierung möchte
die israelische Souveränität in der Jerusalemer Altstadt ausweiten.
Das ist als Vorbereitung für endgültige Verhandlungen über den
Status von Jerusalem zu sehen. Zudem möchte die staatlich
kontrollierte „Stiftung für das Erbe der Klagemauer", die stark vom
religiösen Zionismus beeinflusst ist, ihren Verantwortungsbereich
von der Klagemauer und den darunter liegenden Tunneln auch auf das
muslimische Altstadtviertel ausweiten."
Maßnahmen gegen Extremistengruppen?
Gibt es also bereits den ominösen Tunnel zum
Tempelberg, die Direktverbindung mit dem Gebäude der "Ateret Kohanim"
und der Ohel-Jitzchak-Synagoge? Laut Rapoport ja. Die IAA, "Ateret
Kohanim" und die "Stiftung für das Erbe der Klagemauer" dementieren.
Dani Seidmann, Anwalt bei der israelischen
Menschenrechtsorganisation "Ir Amim" zweifelt jedoch an deren
Glaubwürdigkeit. Seidmann: "Ohne Zustimmung unter palästinensischem
Privatbesitz zu graben, ist illegal. Außerdem handelt es sich hier
um eine höchst diskriminierende Gesetzgebung. Während Palästinensern
der Kauf von Häusern im jüdischen Viertel der Altstadt per Beschluss
des Obersten Israelischen Gerichtshofes verboten wurde, ist es Juden
wohl erlaubt, im muslimischen Viertel Grundbesitz zu kaufen."
Matti Dan, einer der Hauptverantwortlichen von "Ateret Kohanim",
gesteht in einem Interview mit "Haaretz" indirekt einen Tunnelbau
ein, begründet diesen aber mit einer Theorie, die auch israelische
Sicherheitsdienste teilen. "Ateret Kohanim" fungiere als eine Art
Sicherheitsventil gegen eine Sprengung des Tempelbergs durch
jüdische Extremistengruppen, wie die "Treuen des Tempelbergs".
Dürften Juden nicht in der Altstadt siedeln, so Dan, wäre der
Tempelberg ernsthaft in Gefahr.
Die Eröffnung von Ohel-Jitzchak macht deutlich, warum sich
neuerliche Spannungen zwischen Juden und Arabern immer wieder in
Gewalt entladen. Der Synagogenbau in der Jerusalemer Altstadt ist
nicht nur Ausdruck der Pflege des Kulturerbes und des Rechts auf
Glaubensfreiheit, sondern auch eine politisch und ideologisch
motivierte Tat, die von verschiedenen Gruppen gestützt wird.
Schlagworte sind immer "Rückkehr" und "das Stärken des jüdischen
Charakters". Ähnliches wie in der Jerusalemer Altstadt vollzieht
sich in diesen Tagen in arabischen Vierteln anderer gemischter
Städte Israels wie Akko und Jaffa. Die "demografische Zeitbombe"
tickt, sagen hier viele israelische Politiker. Es gelte, Fakten zu
schaffen.
Dieser
Artikel von Philipp Holtmann
und Eik Dödtmann erschien zuerst in
der
Jüdischen
Zeitung Nr. 11, Nov. 2008. |