Einführung zur Geschichte der Ostjuden:
Was ist der Chassidismus?
Chaim
FRANK
Der
Chassidismus bestand zunächst in der
Neuerweckung eines gar alle Stufen
umspannendes Daseinsgefuehls - nämlich von
den Höhen der Ekstase bis hinunter in die
gewöhnliche Alltäglichkeit des äußeren
Lebens.
In diesem Zusammenhang steht auch das
Element einer tiefen, nach außen sich
offenbarenden und besonders die Askese
allgemein ablehnende G'Tesfreudigkeit. Denn
jeder Jude hat seinen Alltag mit Hingabe und
Freude zu erfüllen, und er soll darin dem
''Oijberschten'' (also G'T, dem Schöpfer
aller Lebewesen und der Schönheit der Natur)
für seine Wohltaten (und natürlich auch
seine Prüfungen) in tiefer Dankbarkeit
loben.
Der
Chassidismus entwuchs - so gesehen - also
aus einer tiefen Sehnsucht, bei der die
Menschen das wesentliche Gefühl genießen
wollten, ''G'Tes-Geschoepfe'' zu sein. Und
auch die Mühen des täglichen Lebens sollte
(und wollte) man ins besondere durch die
verinnerlichte Hingabe zu G'T vergessen.
Denn der
Tenor dieser Ansicht war und, was uns heute
leider längst abhanden gekommen ist: Wer die
Traurigkeit und Sorgen über sich gewinnen
läßt, der errichtet höchstens eine Barriere
zwischen sich und G'T; ... und, wer unbewußt
gesündigt hat kann jederzeit umkehren. Weil
ewiges Lamentieren, oder schlechtes
Gewissen, hindern einem geradezu nur daran,
es hinkünftig besser machen zu können.
Diese
Freude hat ihre Wurzel vor allem in jener
inneren Begeisterung (Hitla'havut), die nur
aus einer tiefen religiösen Ergriffenheit
und Überzeugung möglich ist. Sie kann sich
in gewisser Ekstase sogar bis hin zur
völligen Entrückung (Bitul HaJesch =
Absonderung) steigern. Denn für die
Chassidim ist die Verwirklichung des
wahrhaft religiösen Lebens wichtiger als
alles andere, vor allem das null und
nichtige, das nichtssagende 'irdische
Glück', der Wohlstand, Besitz u.d.gl. Das
Wahrhafte steht in den heiligen Büchern
Moses, in der Tora und darüber hinaus
natürlich auch im Talmud. Die Gesetze zu
verstehen und zu befolgen; d.h. danach zu
leben. Das bedeutet aber auch zu studieren,
zu lernen, ergo es selbst zu empfangen
(kibel) und danach weiterzugeben, an seine
Nachkommen oder in entsprechenden Jeschivot
den Talmidim zu lehren!
Und so
vollzog sich hier, was den früheren
Kabbalisten im allgemeinen fern lag: die
unmittelbare Durchdringung des jüdischen
Volkslebens mit dem tiefen Gehalt
mystisch-religioesen Empfindens. Dies zeigt
sich vor allem in der Tatsache der frühen
chassidischen Bewegung (oder gerade darin),
daß ihre Begründer und viele späteren
Meister weniger Gelehrte (im herkömmlichen
Sinne), dafür aber aufrichtig fromme Männer
des Volkes waren, so daß sie vom Anfang an
im Volke breite Wurzel fassen konnten.
So entstand
schließlich aus dieser Basis heraus (und
dies ganz eigenständig) auch die
volkstümliche Literatur der Chassidim, die
zu Beginn noch ausschließlich in
hebraeischer doch wenig später und schon
ziemlich breit gefächert in jiddischer
Sprache und (für damalige Zeit) in hoher
Auflage erschien.
In neuerer
Zeit ist es vor allem Martin BUBER zu
danken, der die klassischen chassidischen
Geschichten und Erzählungen neu aufgriff und
sie vorurteilslos selbst dem assimilierten
deutschsprachigen Leser näher brachte.
Als
Zentralgestalt solcher chassidischen
Erzählungen steht zumeist (quasi als
'Wächter über Tora und Talmud') immer eines
der großen ''ZADDIKIM'' (Gerechten) oder
''WUNDER-REBBEN''. Solche Zaddikim wurden
förmlich von Anhängern und Schülern
umlagert, denn ein jeder braver Chassid
besuchte wenigstens einmal jaehrlich seinen
Meister, um Rat und Hilfe für oft
schwerwiegende Seelen- und Lebensfragen zu
empfangen. Dann war es zumeist ein fast
heiliges Erlebnis, bei der dritten Schabbat-
Mahlzeit (Schalosch Se'udot) Tora-Zitate aus
dem Munde des großen Zaddiks zu vernehmen,
die er später - mit glänzenden Augen -
seinen Leuten zu Hause übermittelte.
Die mit
Liebe erfüllte Beziehung zu allem Lebendigen
erweckt im Chassid natürlich auch ein neues,
freudvolles Empfinden selbst für die äußere
Natur, also dem Nebensächlichen. Hinzu kommt
noch das Element des ''NIGGUN'', des
Gesanges, der - obwohl die Motive teilweise
der osteuropaeischen Kultur entlehnt sind -,
aus einer G'T-Innigkeit und religiöser
Euphorie entsprang und dies gilt auch für
den charakteristischen religiösen Tanz (z.B.
bei Festen wie Simchat Tora) einer
chassidischen Gemeinschaft, wo das tiefe
G'Terleben ekstatisch zum Ausdruck gebracht
wird.
Das
Wesentlichste an der Chassidismus-Bewegung
war also zunächst die endgültige Aufhebung
religiöser Wertunterschiede zu erreichen,
(nämlich zwischen dem rabbinischem
Funktionaerstum, also Macht der Gelehrten
und dem einfachen Volk), und im Anschluß
daran - und das war vielleicht sogar das
Wichtigste überhaupt (!) daß nämlich jeder
fromme Jude, egal welchem Stande und Berufe
er angehörte, mittels der Kraft seiner
aufrichtigen Gläubigkeit ebenfalls die Stufe
eines Gerechten, also die eines Zaddiks !!,
erreichen konnte.
Und solche
Zaddikim hatten nicht selten ein mächtiges
und gar weitreichendes Wort. Vielen von
ihnen wurde sogar - auch mittels
zugesprochenen Beweisen - eine besondere
Kraft von Wundertaten nachgesagt; nun, man
findet die beweise hierzu in unzähligen
Legenden und Erzählungen der Chassidim
wieder.
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