Göttliches Ungarn
Vor den Parlamentswahlen am Wochenende bestimmen nationalistische Parolen
die politische Auseinandersetzung in Ungarn.
von magdalena marsovszky
Rette unsere Nation vor der egoistischen, nur auf sich selbst
bauenden ultraliberalen Denkweise und gib uns Dir ergebene, auf Deine Hilfe
bauende Führer!« Diese Anrufung Gottes konnte man schon vor einem halben
Jahr in einem Hirtenbrief der katholischen Kirche Ungarns lesen. Seitdem
wachen und beten Katholiken in der Basilika, der größten Kirche der
ungarischen Hauptstadt Budapest, Tag und Nacht für den rechten Ausgang der
Parlamentswahlen am 7. und 21. April.
Doch die Katholiken sind nicht allein, denn auch nationalistische
Organisationen rufen ihre Wähler zu den Urnen. Diese Wahlen »bedeuten eine
neue Schicksalswende«, bei der sich das ungarische Volk entscheiden müsse,
»ob es seine Stimme denen gibt, die raubten und mordeten, oder denen, die
die Werte der Heiligen Ungarischen Krone ihr Eigen nennen«, erklärte Andras
Deak, Präsident eines Ehrenkomitees, das sich nach den antikommunistischen
Aufständen von 1956 benennt. Der Nationalkongress des Komitees rief zur Wahl
der rechten Parteien auf, weil zu befürchten sei, das Land könnte sonst in
die Hände der »Gegner des Ungarntums« geraten.
Diese Sorge treibt auch die Regierungspartei Fidesz (Ungarische Bürgerliche
Partei der Jungdemokraten) von Ministerpräsident Viktor Orban um, die für
den Fall eines Wahlsieges bereits einen Koalitionsvertrag mit vier anderen
nationalistischen Parteien unterschrieben hat. Dazu gehören das MDF
(Ungarisches Demokratisches Forum), das zur Zeit mit der Fidesz koaliert,
sowie der Christlich-Demokratische Verband, die Bürgerliche Vereinigung der
Kleinlandwirte und eine Vereinigung der ungarischen Roma namens Lungo Drom.
Zum nationalistischen Spektrum gehört außerdem die rechtsextreme Partei für
Ungarische Gerechtigkeit und Leben, Miep, der über zehn Prozent der Stimmen
vorausgesagt werden. Ihr Vorsitzender, Istvan Csurka, hat bereits
angekündigt, nach der ersten Wahlrunde am 7. April mehr als hundert eigene
Kandidaten zugunsten von Fidesz zurückzuziehen.
Nach dem komplizierten ungarischen Wahlsystem gibt es bei Parlamentswahlen
immer zwei Wahlrunden im Abstand von zwei Wochen. Zwischen den beiden
Terminen haben die Kandidaten kleinerer Parteien die Möglichkeit, zugunsten
größerer zurückzutreten. Dafür erwarten sie dann das Wohlwollen der Sieger.
Csurka betonte, er und seine Anhänger betrachteten es als ihre moralische
Pflicht, die Machtübernahme »der Nation feindlich gesinnter Kräfte« zu
verhindern.
Während der Vorsitzende der Fidesz, Zoltan Pokorny, das Angebot zurückwies,
da seine Partei das Wahlbündnis »weder nach rechts noch nach links
erweitern« wolle, begrüßte sein Stellvertreter, Laszlo Köver, die
Unterstützung von Miep. Kein Wunder, funktioniert die Zusammenarbeit mit der
rechtskonservativen Regierung seit vier Jahren doch recht gut. Die seit 1998
als Oppositionspartei im Parlament vertretene Miep gilt bei Abstimmungen als
»natürlicher Verbündeter« der Regierungskoalition.
Deutlich werden die Verflechtungen zwischen Miep und Fidesz auch in den
Medien, besonders in der regierungsnahen Tageszeitung Magyar Nemzet, der
Wochenzeitung Magyar Demokrata und dem öffentlich-rechtlichen Kossuth Radio.
Die politische Linie dieser Medien richtete sich in diesen Jahren konsequent
nach den Anweisungen von Viktor Orbán.
Bereits bei seinem Wahlsieg von 1998 hatte Orban erklärt, dass nach seinem
politischen Selbstverständnis die ungarische Nation nicht mit der in Ungarn
lebenden Bevölkerung identisch sei. Deshalb, versicherte er damals, verstehe
er sich auch als Ministerpräsident der gesamten ungarischen Nation - über
die ungarischen Grenzen hinweg.
So waren zahlreiche Entscheidungen der Regierung Orban von der Frage
bestimmt, wie die innerhalb und außerhalb des ungarischen Staatsgebietes
lebenden Ungarn vereint werden könnten, und wie eine gemeinsame Identität
herzustellen sei. Anfang des Jahres etwa wurde für die im Ausland lebenden
Ungarn ein eigener Ausweis geschaffen.
Der Hass der ungarischen Nationalisten gilt den »nationenfeindlichen
Schein-Ungarn« im eigenen Land, zu denen sie auch die Postkommunisten
zählen, die angeblich noch immer in den Schlüsselpositionen in den Medien
sitzen.
Doch nicht nur die ehemaligen Kommunisten sind den Nationalisten ein Dorn im
Auge. Seit der Wende rechnen sie auch Linksliberale zum verhassten Kreis der
»Nicht-Ungarn«, und zwar deshalb, weil zu ihnen angeblich besonders viele
jüdische Intellektuelle gehörten - ein entscheidender Fehler in den Augen
der »wahren Ungarn«. Dem von Hass erfüllten ungarischen Kulturkampf liegt
ein historisch tradierter Antisemitismus zugrunde, der jedes Mal anzuwachsen
scheint, wenn konservative Koalitionen das Land regieren.
Auch in den öffentlich-rechtlichen Medien können die abstrusen
nationalistischen Ideen verbreitet werden, wie die vom Kossuth Radio
gesendeten Thesen des Parteichefs der rechtsextremen Miép, Csurka, zum
»internationalen Menschen« zeigen. Dieser Mensch, so Csurka, solle »weder
ein Franzose, noch ein Ungar, weder ein Deutscher noch ein Engländer« sein.
»Der internationale Mensch ist der verlängerte Arm der Globalisierung, und
es ist sein Bedürfnis, die Nation zu zerstören.« Auf diese Weise werden die
westeuropäisch orientierten und liberal denkenden linken Intellektuellen des
Landes verunglimpft und andere Oppositionelle als Landesverräter denunziert,
die daran arbeiteten, Ungarn zu zerstören.
Die Kampagne von konservativen und extremen Rechten scheint sich inzwischen
auch auf andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ausgedehnt zu haben.
So wurden in den vergangenen Jahren Immobilienverkäufe in Budapest immer
häufiger von der Nationalität der Interessenten abhängig gemacht.
Bestrebungen zum »Schutz des nationalen Vermögens« sind in letzter Zeit auch
in der Wirtschaft zu beobachten. Premier Orban heizt die ausländerfeindliche
Stimmung weiter an: »Dieser österreichischen Wirtschaft, die hier läuft,
muss ein Ende gesetzt werden. Jeder österreichische Bauer, der in Ungarn
Grundstücke gekauft hat, soll sich freuen, wenn er heil davonkommt.«
Im westlichen Europa scheint man von dem wachsenden ungarischen
Nationalismus bislang kaum Notiz genommen zu haben. Dabei sei ein Rassismus,
wie er etwa in Österreich von der FPÖ progagiert werde, »in Ungarn schon
seit zwei Jahren« Teil der Regierungspolitik, erklärt der Schriftsteller
Mihaly Kornis. »Europa hat es wohl nur nicht gemerkt«.
Ungarns Weg nach
rechts außen
Die Verfasserin ist Kunsthistorikerin (M.A.) und Kulturmanagerin (M.A.) und
lebt als freie Journalistin in München.
m.marsovszky@netsurf.de
MAGDALENA MARSOVSZKY
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taz Nr. 6353 vom 23.1.2001
Übersicht - Ungarn
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= Europa
hagalil.com / 18-04-02
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