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Jüdische Weisheit
 
 

Marcel Pauker und Mattei Gall:
Braune und rote Diktatur in Rumänien

Marcel Pauker und Mattei Gall waren Rumänen jüdischer Herkunft - und Kommunisten. Parallelen und Divergenzen ihrer Lebenswege reflektieren die Verwerfungen dieses Jahrhunderts.

Dass Lebenswege trotz signifikanten Gemeinsamkeiten unterschiedlich verlaufen können, zeigen die vor kurzem in deutscher Sprache veröffentlichten Biographien zweier aussergewöhnlicher Personen. Bei Marcel Pauker wie Mattei Gall handelt es sich um Rumänen jüdischer Herkunft; beiden bedeutete - aus der Perspektive ihrer Erziehung - das Judesein nicht sehr viel (bei Pauker spielt die jüdische Herkunft wohl gar keine Rolle); beide stammten aus bürgerlichen Verhältnissen und glaubten (der eine bis zum Tode, der andere bis zur Emigration) an die 1921 in Bukarest gegründete Kommunistische Partei Rumäniens, Pauker «liebt sie trotz ihren Missgeschicken und Unglücken», Gall verband mit ihr die Hoffnung, «für die es sich lohnt zu leben».

Charakteristisch

Und doch resultierten trotz diesen Parallelen divergente persönliche Schicksale: Der hohe Funktionär der Komintern Pauker wird 1938 - wie viele andere mittel- und osteuropäische Vertreter dieser Organisation auch - trotz seiner nach wie vor überzeugten bolschewistischen Gesinnung und natürlich unter fiktiven Vorwürfen (wie in den damaligen Säuberungswellen üblich) wegen «konterrevolutionärer Aktivitäten und Spionage» in Moskau hingerichtet. Der nach dem 23. August 1944 - dem Tag, als König Michael die Verhaftung Marschall Antonescus anordnete und damit den Sturz der Diktatur einleitete bzw. Rumänien auf die Seite der Alliierten stellte - beim rumänischen Aussenministerium und seit 1955 bei der Nachrichtenagentur Agerpres tätige Gall verlässt desillusioniert und durch ständige Selbstkritik beinahe um den Verstand gebracht 1969 das Reich Ceausescus.

Beide Lebenswege sind, obwohl sie ganz unterschiedlichen Gesetzen gehorchen, in gewisser Weise «idealtypisch» für jüdische Kommunisten in Osteuropa, von denen die meisten Opfer waren, manche aber auch als rücksichtslose Verfolger anderer (Juden wie Nichtjuden) auftraten. Dass einstmals kommunistische jüdische Spitzenfunktionäre nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs von nationalistischen Kreisen schamlos für ihre antisemitische Stimmungsmache unter der verarmten Bevölkerung des Karpatenlandes benutzt werden, ist eine tragische und häufig zu beobachtende Erscheinung in den «postkommunistischen» Staaten des Ostblocks. Die Biographien von Pauker und Gall versuchen, einige dunkle Flecken in der verhängnisvollen Geschichte Rumäniens des 20. Jahrhunderts zu erhellen oder sie wenigstens als solche erkennbar zu machen - womit sie nicht nur in der Reihe «Jüdische Biographien und Familiengeschichten» (herausgegeben von dem Konstanzer Soziologen Wiehn) zwei wertvolle historische Dokumente darstellen. Sie leisten zugleich einen bedeutenden Beitrag zu unserer heutigen Beurteilung eines Landes, das den Weg nach Mitteleuropa sucht, sich aber mit der «Bewältigung» seiner verworrenen Vergangenheit schwertut. Ein Beispiel dafür ist der derzeitige nationalistisch-revisionistische Diskurs in Rumänien, ausgelöst vor zwei Jahren durch die Ankündigung des Generalstaatsanwaltes, mehrere hochrangige Mitglieder des faschistischen Antonescu-Regimes zu rehabilitieren.

Hannah Arendt bezeichnete Rumänien in ihrem Buch «Eichmann in Jerusalem» unumwunden als das antisemitischste Land in Europa vor dem Kriege. Demgegenüber hielt der einstige liberale Abgeordnete im rumänischen Vorkriegsparlament, der während des Zweiten Weltkrieges internierte und später vom kommunistischen Regime verfolgte A. Berkowitz, fest, dass es während des Krieges zwar schwere Exzesse gegeben habe, diese jedoch eher isolierte Fälle denn systematische Massnahmen darstellten und dem rumänischen Volk als Ganzem nicht zur Last gelegt werden können. Genau solch divergierende, meist aus subjektivem Empfinden entstandene Beurteilungen machen die Schwierigkeiten heutiger Forschungen deutlich, die sich insbesondere in der Retrospektive historischer Ereignisse in osteuropäischen Ländern ergeben, die von Nationalsozialismus und (Spät-)Stalinismus heimgesucht wurden. Letzterer unterschlug in seiner offiziellen Geschichtsschreibung die jüdischen Leiden während des Nationalsozialismus.

Paradox scheint im Falle Rumäniens zu sein, dass einerseits aus dem nördlichen Teil Siebenbürgens, der nach dem Zweiten Wiener Schiedsspruch vom 30. August 1940 an das Horthy- Regime in Ungarn abgetreten wurde, 155 000 Juden nach Auschwitz deportiert wurden, während im bei Rumänien verbliebenen südlichen Teil Siebenbürgens praktisch die gesamte jüdische Bevölkerung von 40 000 Personen den Krieg überlebte. Anderseits wurden in Transnistrien, dem damals zur Sowjetunion gehörenden, von Rumänien besetzten, Gebiet zwischen dem südlichen Bug und dem Dnjestr, zwischen Herbst 1941 und Frühjahr 1944 zwischen 90 000 und 125 000 aus der Bukowina und Bessarabien deportierte Juden umgebracht (nicht berücksichtigt in dieser Zahl ist die Ermordung der in Transnistrien bereits ansässigen jüdischen Bevölkerung: 185 000 starben, zu Tode gebracht von deutschen, rumänischen und ukrainischen Schergen). Hier wiederum setzt die Biographie von Gall ein, der im Jahre 1942 als politischer Gefangener ins Lager Wapniarka deportiert wurde und zwei Jahre später, es gleicht einem Wunder, der Erschiessung durch ein kalmückisches Sonderkommando entging. Sein Erlebnisbericht wird auch für den Leser zur Qual; Galls nach dem Krieg noch verstärkte Zuneigung zur Kommunistischen Partei angesichts der Tragödie verständlich.

Vielschichtig

Paukers autobiographische Aufzeichnungen, deren handgeschriebenes und in deutscher Sprache abgefasstes Original sich im Archiv des russischen Sicherheitsministeriums befindet, stellen ein kostbares Dokument innerkommunistischer Bewusstseinsbildung dar. Über tatsächliche oder vermeintliche Gegner des wahren Wegs wird mit allen möglichen Mitteln marxistischer Rhetorik hergezogen, einmal ganz deutlich (im Falle Bela Kuns, des Führers der kurzlebigen ungarischen Räterepublik 1919), ein anderes Mal diskreter (im Falle Elek Köblös, des Generalsekretärs der KP Rumäniens 1924-26). Fest steht, dass Pauker, verblendet von der kommunistischen Utopie, ein Meister im Gebrauch des klassenkämpferischen Vokabulars («Opportunisten», «Parteifeinde», «Provokateure», «Verräter», «Winkelintrigant» usw.) war, dem er schliesslich selbst zum Opfer fiel. Was aus Pauker geworden wäre, hätte er die Säuberungen überlebt, kann man nur vermuten. Sein Lebenslauf bildet zeitlich betrachtet die Vorgeschichte zu Gall, wirft aber in gewisser Weise auch seine Schatten auf den dunklen Stalinismus rumänischer Prägung nach 1945 voraus.

Der einstige Staats- und Parteichef Nicolae Ceausescu bezeichnete Pauker 1961 als «bösen Geist des rumänischen Kommunismus vor dem Krieg». Ceausescu, der mit Israel stets freundliche Beziehungen unterhielt, deshalb antisemitischer Motive zu bezichtigen, wäre zu einfach und wohl auch falsch, wenngleich 1957 zwei Politbüromitglieder (Miron Constantinescu und Iosif Chisinevschi) und 1965 zwei Minister (Mihail Petru und Mihail Florescu) jüdischer Herkunft ihren Posten verloren. Auch im Falle von Marcel Paukers Frau Ana, Stellvertretende Ministerpräsidentin und Aussenministerin Rumäniens 1947-1952, ist die Sachlage um einiges komplizierter, als es auf den ersten Blick erscheint. Im vorliegenden Buch über Marcel Pauker werden zwei Gesprächsprotokolle der in der westlichen Literatur häufig als Statthalterin Stalins bezeichneten Ana Pauker aus der Zeit nach ihrer Entmachtung 1952 publiziert, vervollständigt durch ein aufschlussreiches Interview mit Tochter und Schwiegersohn. Trotz weiteren wertvollen Einzelheiten über die «brutale Stalinistin» bleibt von der Affäre Pauker nach wie vor einiges im dunkeln.

Bis zum heutigen Zeitpunkt dürfte lediglich die Feststellung als richtig gelten, dass die Absetzung der einst «mächtigsten Gestalt in Rumänien nach 1945» (Paul Lendvai) zwar auf direkten Befehl Stalins erfolgte (sogar ein Schauprozess war geplant), nicht aber - wie andernorts im Ostblock - von offen antisemitischen Untertönen begleitet war (der Vorwurf des Zionismus gehörte gerade nicht zu den Anklagepunkten gegen das «parteifeindliche Pauker-Trio»). Dem damaligen Parteichef Gheorghiu-Dej, ebenfalls ein orthodoxer Kommunist, lag an der «Romanisierung» des Staats- und Parteiapparats, dessen Führung in der Tat aus überproportional vielen «Fremden» - Bulgaren, Juden und Ungarn - bestand. Allerdings wird sich das heutige Rumänien, wenn es dem Westen denn nicht nur geographisch näherrücken will, den Mythos der nationalen Unschuld abschminken und sich wohl oder übel der eigenen Verantwortung stellen müssen.

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William Totok, Erhard Roy Wiehn (Hrsg.):
Marcel Pauker: Ein Lebenslauf.
Jüdisches Schicksal in Rumänien 1896-1938.
Mit einer Dokumentation zu Ana Pauker.
Verlag Hartung-Gorre, Konstanz 1999. 204S., Fr. 34.-.

[BESTELLEN]
Erhard Roy Wiehn (Hrsg.):
Matei Gall: Finsternis
Durch Gefängnisse, KZ Wapniarka, Massaker und Kommunismus.
Ein Lebenslauf in Rumänien
1920-1990. Verlag Hartung-Gorre, Konstanz 1999. 356 S., Fr. 48.-.

NZZ
Matthias Messmer
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Mittwoch, 24.11.1999
Nr. 274  66 Das historische Buch
Zusendung durch William Totok

haGalil 24-11-99


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