Die Linke in Europa:
Vereint gegen Israel?
Von Martin Kloke
Im
Frühsommer 2007 veranstalteten an der Technischen Universität Berlin
palästinensische und arabische Organisationen eine
Podiumsdiskussion: "Das palästinensische Volk zwischen Mauer und
Sanktionen". Dort traten zwei ältere Herren auf, die in der
politischen Linken Deutschlands seit Jahrzehnten als
"Nahostexperten" zitiert und herumgereicht werden: Norman Paech,
außenpolitischer Sprecher der Linkspartei im Bundestag sowie Udo
Steinbach, der bis Ende 2007 Direktor des Instituts für
Nahost-Studien in Hamburg war.
Norman
Paech nannte "Palästina das Guantanamo der arabischen Welt" und
forderte, angesichts der israelischen "Aggression gegen die
Palästinenser" müssten die israelfreundlichen Angehörigen des
deutschen Regierungsapparats "in Erziehungshaft" genommen werden.
"Wir, die Deutschen", seien schon jetzt "Mittäter" der israelischen
"Verbrechen". Paech führte weiter aus: "Warum sollten die
Palästinenser das Existenrecht eines Staates anerkennen, der seine
Grenzen nicht definiert?"
Udo
Steinbach, biografisch und beruflich eher der bürgerlichen Mitte
zuzuordnen, genießt ob seines prominenten Status' und seiner
arabophilen Grundpositionen in der antizionistischen Linken große
Aufmerksamkeit. So erklärte er auf der erwähnten Veranstaltung:
"Wenn der Holocaust nicht passiert wäre, müsste Deutschland
"eigentlich" die diplomatischen Beziehungen zu Israel abbrechen.
"Israel", so Steinbach, "ist die absolute Großmacht der Region;
seine Existenz ist nicht gefährdet. Die Hamas-Regierung ist die
gewählte Vertretung der Palästinenser und muss von uns anerkannt
werden. [...] Die Mauer ist ein Zeichen des Untergangs, wie wir am
Beispiel der DDR sehen konnten. Sanktionen gegen Israel sind
notwendig, um eine Politikänderung zu erzwingen."
In den
Sätzen dieser beiden Nahost-"Experten" klingen die klassischen,
Grundüberzeugungen des politischen Antizionismus in Teilen der
europäischen Linken an. Wobei antizionistische Ressentiments längst
nicht mehr nur unter überzeugten Linken ihre dumpfen Sumpfblüten
treiben, sondern auch im bürgerlichen Mainstream. Fast könnte man
meinen, dass am von Selbstverliebtheit zeugenden Verdikt einiger
Alt-68er etwas dran ist: "Wir haben zwar nicht gesiegt, aber
trotzdem gewonnen." Nach einer BBC-Umfrage führt Israel die
Top-Negativliste auf der Skala der am wenigsten gemochten Staaten
der Welt an – in England nehmen 65 Prozent aller Befragten Israel
als "negativ" wahr; in Frankreich sind es schon 66 Prozent; in
Deutschland ist die Zahl der Israel-Aversiven gar auf 77 Prozent
hochgeschnellt.(1)
Insofern
ist es nicht weiter erstaunlich, dass in letzter Zeit akademische
Einrichtungen und Einzelgewerkschaften zum Israel-Boykott aufrufen –
insbesondere in England. In Deutschland sind es einzelne
globalisierungskritische und kirchliche Initiativen, die den Boykott
Israels herbeisehnen. Zur gleichen Zeit fällt niemandem dieser
linken bzw. linksliberalen "Israelkritiker" ein, auch den Boykott
Russlands, Chinas, Irans oder des Sudans – wegen noch viel
gravierender Menschenrechtsverletzungen – zu fordern. Selbst die
festungsartige Abschirmung "sensibler" Zonen an den Außengrenzen
Europas und die aktive Duldung massenhafter tödlicher "Unfälle" –
etwa vor den Kanarischen Inseln – stößt in diesen Kreisen auf eine
Mauer des Schweigens. Offenbar bedarf es erst des Stimulus'
jüdischer Tatbeteiligung, um nachhaltige Empörung auszulösen.
1. Zur Dialektik von
Antisemitismus und Philosemitismus vor 1967: Keimzellen eines neuen
Antisemitismus?
Die
Nachkriegsdeutschen und auch ihre linken Vertreter machten nach dem
Schock von Auschwitz eine Zeitlang nicht oder kaum durch
antisemitische Ressentiments von sich reden, denn Jüdisches galt
zunächst generell als tabubehaftet: Die meisten Deutschen vermieden
nicht nur die kritische Auseinandersetzung mit ihrer
NS-Vergangenheit; sie ignorierten auch das zionistische Aufbauwerk
und die jüdisch-arabischen Auseinandersetzungen. Man hatte anderes
zu tun – "die Deutschen", so beobachtete Wochen nach Kriegsende die
überlebende Berliner Jüdin Inge Deutschkron, "wurden damals im
wesentlichen von einem primitiven Selbsterhaltungstrieb geleitet,
der alle Interessen für andere Dinge als ihr eigenes Schicksal
ausschloss."(2) Gewiss
lassen sich auch einzelne Gegenbeispiele finden: aus Theresienstadt
zurückkehrende Juden, die mit Blumen vom Bahnhof abgeholt wurden,
Straßensammlungen für KZ-Opfer und andere Zeichen spontaner
Hilfsbereitschaft (so geschehen in Hamburg).(3)
Es gibt allerdings Indizien, dass sich in diese Hilfsbereitschaft
auch Vergeltungs- und Racheängste mischten; es dauerte bis zum
Herbst 1945, dass sich diese Ängste als das herausstellten, was sie
waren: Projektionen und Fantasien – Symptome eines schlechten
Gewissens.
Vorherrschende kollektive Befindlichkeit war nach dem allmählichen
Aufwachen aus der narkotisierenden Politparalyse jenes
Selbstmitleid, von der 1950 die politische Publizistin und
Philosophin Hannah Arendt überrascht wurde. Während ihres ersten
Deutschland-Aufenthalts seit 1933 wurde die in die USA vertriebene
Jüdin Zeugin, wie nichtjüdische Deutsche ihre kriegsbedingten Leiden
mit denen der Juden verglichen und aufrechneten.(4)
Doch der
Antisemitismus als ein traditionelles Strukturmerkmal der deutschen
und europäischen Gesellschaften war mit dem Nationalsozialismus
keineswegs untergegangen – nicht einmal in antifaschistischen
Kreisen: Thomas Mann hatte wenige Monate nach Kriegsende nichts
Besseres zu tun, als über rassetheoretische Empfindungen zu
schwadronieren;(5) Marion
Gräfin Dönhoff, schon in der Nachkriegszeit gefragte
ZEIT-Kolumnistin, schrieb eine Gleichsetzung der israelischen
Regierung mit dem NS-Regime herbei;(6)
Karl Thieme behauptete eine jüdische Mitschuld an der "Verewigung
des Antisemitismus"; als argumentative Verstärkung führte er einen
jüdischen Kronzeugen auf (7) –
eine Praxis, die Philosemiten und Antisemiten noch heute eigen ist.
Nach den Befunden der empirischen Meinungsforschung lag die Zahl
bekennender Antisemiten im westlichen Deutschland im August 1949
wieder bei 23 Prozent – mit steigender Tendenz (Dezember 1952: 34
Prozent).(8)
Andererseits war der Antizionismus der Vorkriegszeit europaweit
gründlich desavouiert, der zionistische Geschichtspessimismus auf
furchtbare Weise verifiziert. So war es ausgerechnet die
kommunistische Sowjetunion, die im Mai 1948 den jüdischen Staat –
noch vor den USA – völkerrechtlich anerkannte. Im Zuge des sog.
Wiedergutmachungsabkommen von 1953 erschien der junge jüdische Staat
Israel auch in der Bundesrepublik immer mehr auf dem Radar der
veröffentlichten Meinung – nicht zuletzt in der politischen Linken.
In der
Sowjetunion war das israelfreundliche Tauwetter schon Ende 1949 zu
Ende: Die sowjetische Führung unter Stalin entfachte eine
antisemitische Kampagne. Ins Fadenkreuz der Verfolger gerieten vor
allem Menschen "jüdischer Herkunft". Auch die ostdeutsche SED
schloss sich den Säuberungswellen an: Wen das Verdikt
"Westemigrant", "Trotzkist" und /oder "Kosmopolit" traf, geriet in
den Strudel dubioser Schau- und Geheimprozesse. Selbst langjährige
Altkommunisten wurden verfemt. Unter dem Vorwand, "zionistische
Agenten" zu sein, versuchte die SED-Führung, den Unmut der
Bevölkerung auf die Juden zu lenken. Erst im Zuge der
Entstalinisierung von 1956 nahmen die offenkundigsten Formen des
antisemitischen Spuks ein Ende.
Kein
Wunder, dass die Bruchstellen zwischen einer demokratischen und
einer kommunistischen Linken auch vom Themenkomplex "Juden, Judentum
und Zionismus" überschattet waren. Nicht nur in Westdeutschland
wurde in den 1950er Jahren eine proisraelische Grundeinstellung zum
Prüfstein wahrhaft demokratisch-geläuterter Gesinnung.
Sozialdemokratische und christliche Linke stellten sich an die
Spitze dieses Paradigmenwechsels.
Ungeachtet der unterschiedlichen historisch-politischen
Ausgangsbedinungen verlief die Nachkriegsentwicklung in den
europäischen Nachbarländern, z. B. in der Schweiz, ähnlich, wenn
auch weniger dramatisch. Beispielhaft sei auf die Erinnerungen des
Psychiaters und sozialdemokratischen Kantonspolitikers Emanuel
Hurwitz verwiesen, der Antisemitismus als prägenden Bestandteil
einer jüdischen Kindheit im Zürich der Kriegsjahre erlebte. Nach dem
Krieg ändert sich das Klima: "Weil ich Jude war, wurde ich besonders
geachtet und geschätzt. Jahre später, als ich zum ersten Mal nach
Deutschland reiste (was unter Juden lange Zeit als schimpflich
galt), empfing man mich überall mit offenen Armen. ‚Du bist Jude,
wie herrlich, wie wunderbar!', hieß es. [...] Ich kann nicht
bestreiten, dass ich das – trotz leiser Zweifel – genoss: Es war
verführerisch angenehm und unvergleichlich viel bekömmlicher als die
Ohnmacht und die Hilflosigkeit von ehedem."(9)
Einige
wohlmeinende Akteure holten zum philosemitischen Befreiungsschlag
aus. Dem Hetzbild des "Jud Süß" wurde Lessings "Nathan der Weise"
entgegengesetzt. Kaum einer merkte, dass das neue Stereotyp vom
toleranten, aufgeklärten und emanzipiert-assimilierten Juden eine
volkspädagogische Inszenierung war, die wenig mit der Wirklichkeit
der europäisch-jüdischen bzw. christlich-jüdischen Gemengelage zu
tun hatte; ungewollt mobilisierte der blinde Eifer antisemitische
Ressentiments. Viele Linke in Europa hingegen begeisterten sich für
das fortschrittliche Aufbauwerk im "anti-kolonialistischen
Pionierstaat" Israel.
2. Der Sechstagekrieg
1967 und die Folgen in Deutschland
Spätestens gegen Ende des so genannten Sechstagekrieges fand die
philosemitische Stimmung in der Linken ein Ende: Israel suchte sich
Anfang Juni 1967 der Einkreisungsstrategie und der
Vernichtungsdrohungen der Araber durch einen Präventivschlag zu
erwehren. Eine Welle der Sympathie erfasste den jüdischen Staat
überall in der westlichen Welt.
Unter dem
Eindruck einer monströsen Rhetorik der arabischen Kriegspropaganda
schien es, als falle der deutschen Linken eine besondere moralische
Verantwortung für die Existenz des jüdischen Staates zu. So war es
nur konsequent, dass die Initiative zu beinahe allen Aufrufen und
Kundgebungen von Personen des linken Spektrum ausging. Der DGB und
seine Jugendorganisationen, die SPD und ihre
Parteiuntergliederungen, Evangelische Studentengemeinden und die
Aktion Sühnezeichen, Studentenvertretungen einschließlich einzelner
Gruppen des Sozialistischen Deutschen Studentenverbandes (SDS) – sie
alle organisierten Schweigemärsche, Informationsveranstaltungen,
Spendenaktionen und Solidaritätsaufrufe.
Federführend waren Persönlichkeiten wie der
SPD-Bundestagsabgeordnete Adolf Arndt, der Schriftsteller Günter
Grass, der marxistische evangelische Theologe Helmut Gollwitzer, der
marxistische Philosoph Ernst Bloch, der linksprotestantische
Alttestamentler Rolf Rendtorff, der sozialdemokratische Politologe
Iring Fetscher, der Erziehungswissenschaftler und SDS-Förderer
Heinz-Joachim Heydorn; schließlich der vor allem für
deutschsprachige Zeitungen in der Schweiz schreibende
Kulturjournalist und Schriftsteller Jean Améry sowie der
französische Philosoph Jean-Paul Sartre.
Dennoch –
oder gerade deshalb – sollte die europäisch-israelische Romanze
nicht lange währen: Die Tatsache, dass der jüdische Staat nicht
unterging, sondern sich wehrhaft behauptete– dieser "Sündenfall" war
im neulinken Weltbild nicht vorgesehen: Während
bürgerlich-konservative Kreise plötzlich Israel-Sympathien zeigten,
wechselten weite Teile der radikalen Linken die Fronten. Binnen
weniger Wochen nahmen sie den jüdischen Staat nur noch als
"zionistisches Staatsgebilde und als Brückenkopf des
US-Imperialismus" wahr. Hinter der Kritik am angeblich "aggressiven"
Präventivschlag verbargen sich zunehmend Zweifel an der
Existenzberechtigung Israels.(10)
Typisch
für den Positionswandel des SDS war der "Offene Brief" des Marburger
Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth am 6. Juni 1967: "Im
Weltmaßstab gesehen ist leider eine Situation entstanden, in der die
Gesamtinteressen der kolonialen Revolution, der sozialistischen
Länder und auch des revolutionären Flügels der internationalen
Arbeiterbewegung in den kapitalistischen Ländern stärker mit denen
der arabischen Staaten [...] als mit den Interessen Israels
übereinstimmen."(11)
Einige
Aktivisten legitimierten ihr nassforsches Israel-Bashing mit der
"Gnade der späten Geburt". In der Pose eines moralisch überlegenen
Antifaschismus schrieb der SDS-Vorsitzende Reimut Reiche: "An
unserer Position ist soviel richtig, dass wir es nicht nötig haben,
philosemitisch aufzutreten, eben darum, weil wir keine rassistischen
Probleme haben und weil wir keinen Antisemitismus zu bewältigen
haben."(12)
Die
historische Funktion des Zionismus für die Emanzipation vieler Juden
trat immer mehr aus dem Gesichtkreis der Neuen Linken. Die
SDS-Führung ging so weit, lautstark ihre Sympathien mit der
militanten Hausmacht von PLO-Chef Yassir Arafat zum Ausdruck zu
bringen. Bald besaß sie keine Skrupel mehr, die beklemmend heroisch
anmutenden "Militärkommuniques" der Fatah über terroristische
Aktivitäten in Israel für ihre Mitglieder zu veröffentlichen.(13)
1969 hatten
sich die israelkritischen Tendenzen zu einem Antizionismus
radikalisiert, der alle Anzeichen eines ideologisch geschlossenen
Weltbildes aufwies. Differenzierende Zwischentöne schienen zum Teil
sogar jenen Linken nicht länger opportun zu sein, die sich in
früheren Jahren noch als proisraelische Akteure ausgewiesen hatten.
Kein Einzelfall stellte der Frankfurter Theologe Hans Werner Bartsch
dar, der angesichts aktueller arabischer Vernichtungsdrohungen noch
gegen Ende des Sechstagekrieges in einem Schreiben an den SDS eine
"einseitige Stellungnahme für Israel" menschlich und politisch für
geboten gehalten hatte (14);
doch Anfang 1969 nahm er das zionistische Israel nur noch als
"Aggressor und Handlanger der Kolonialmacht USA" wahr, dem jede
Existenzberechtigung abzusprechen sei.(15)
Zum
politischen Erbe des SDS gehört die Entstehung einer Reihe kleiner
marxistisch-leninistischer sowie zumeist maoistisch orientierter
Kaderparteien; aber auch die Herausbildung jener zahllosen
sogenannten Palästina-Solidaritätsgruppen und -komitees zugeordnet
werden muss, die mit ideologischer Strenge das antizionistische
Vermächtnis der zerfallenden Studentenbewegung zu ihrem Lebensthema
machten. Zu Zentren deutscher "Palästina-Solidarität" wurden
Universitätsstädte, in denen sich Anhänger des neulinken Spektrums
zum Sprachrohr der Palästinenser machten. Unwidersprochen
verbreiteten sie auch antisemitisches Gedankengut. Das Bonner
Palästinakomitee suggerierte in seinen Statuten die ominöse Existenz
eines "jüdischen Kapitals"(16);
andere agitierten gegen "US- Imperialismus und Weltzionismus"(17);
die Leitung des Kommunistischen Bundes rief zum Kampf gegen den
"internationalen Zionismus" auf.(18)
Militant-anarchistische Kreise der Neuen Linken trieben die
Glorifizierung ihrer palästinensischen "Helden"-Figuren auf die
Spitze. In immer neuen Variationen beschworen sie die "großartige
Wahrheit"(19) des
bewaffneten Widerstandes palästinensischer Fedayin, "weil das Gewehr
die einzige Ausdrucksmöglichkeit aller Unterdrückten ist –
überall."(20) Ausgerechnet
in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1969 machten jungdeutsche
Antizionisten Ernst mit ihren gewaltverherrlichenden Fantasien und
deponierten eine Bombe im jüdischen Gemeindehaus, die nur wegen
einer technischen Fehlfunktion nicht zündete.(21)
Sieben
Jahre später begann ein weiterer Höhepunkt antisemitischer
Gewaltpraxis die antizionistische Selbstgewissheit in der neulinken
Palästina-Solidarität in Frage zu stellen: Im Sommer 1976 brachte
ein deutsch-palästinensisches Kommando aus Mitgliedern der
"Revolutionären Zellen", der "Bewegung 2. Juni" und der "Volksfront
für die Befreiung Palästinas" ein französisches Passagierflugzeug in
ihre Gewalt und dirigierte die Maschine nach Entebbe (Uganda) um.
Der Deutsche Wilfried Böse organisierte die räumliche Trennung der
jüdischen von den nichtjüdischen Passagieren. Erst jetzt war der
Schock über Affinitäten zwischen rechtsgerichteten und
linksradikalen Ressentiments so nachhaltig, dass sich das Ende des
antizionistischen Meinungsmonopols in der Linken ankündigte. Einige
Aktivisten realisierten, dass der Kampf gegen Unrecht auch monströse
Züge annehmen kann.(22)
Weite Teile
der deutschen Linken sind in den späten 1970er Jahren mit der
grünalternativen Bewegung verschmolzen und haben sich in diesem
Prozess bis zur Unkenntlichkeit verändert. Dennoch: Als die
israelische Armee im Sommer 1982 in den Libanon einmarschierte, um
dort befindliche PLO-Basen zu zerstören, die Teile des libanesischen
Staates fest im Griff hatten, wurde Israel in seltener Einmütigkeit
des "Völkermords" an den Palästinensern bezichtigt. Nicht zuletzt
linksalternative Publizisten erlagen der Faszination begrifflicher
Tabubrüche; triumphierend witterten sie die Gelegenheit,
Antifaschismus und Antisemitismus miteinander zu versöhnen. Auch
Journalisten der Berliner "tageszeitung" beteiligten sich an jener
historisch-psychologischen Entlastungsoffensive, bei der die
betroffenen Palästinenser als die "neuen Juden" bezeichnet und die
israelischen Invasoren mit den Nazis verglichen wurden. Die gezielte
Vermischung historischer Ebenen gipfelte im Vorwurf des "umgekehrte(n)
Holocaust(s)" und einer "Endlösung der Palästinenserfrage".(23)
In den
späten 80er Jahren erzeugte das unausgegorene Nahost-Engagement
radikaler Linker und links-alternativer Aktivisten zunehmend
Unbehagen. Insbesondere die Grünen wurden von "kathartischen
Zerreißproben" erschüttert. Gelähmt von den riesigen weltpolitischen
Veränderungen seit 1989 begann eine orientierungslos gewordene Linke
zur Subkultur zu werden – mit allen Symptomen der Versektung.
3. "Mobilisierung
schlummernder Hassgefühle": Schweizer Erfahrungen
Christina
Späti erinnert in ihrer
Studie über die
schweizerische Linke und Israel (24)
daran, dass der Antisemitismus "Teil eines kollektiven
Wissensbestandes der meisten modernen Gesellschaften" ist. Die
Schweiz bildet da keine Ausnahme, auch wenn der linke Antisemitismus
dort nicht mit der gleichen Verbissenheit auftritt, in der er uns in
Deutschland entgegenschlägt – man denke nur an die terroristischen
Dimensionen der Israelfeindschaft in den 1970er Jahren.
Vom Zürcher
Psychiater und Lokalpolitiker Emanuel Hurwitz erfuhr der Autor dieer
Zeilen in den 1980er Jahren zum ersten Mal vom linken Antisemitismus
in der Schweiz: Sein Buch "Bocksfuß, Schwanz und Hörner" (1986)
öffnete ihm während seiner Dissertationstudien die Augen dafür, dass
der linke Antisemitismus ein europäisches, ja womöglich
internationales Phänomen ist.
Der
Libanonkrieg von 1982 wurde für Hurwitz zu einer einschneidenden
Erfahrung: Zunächst beteiligte er sich selbst an den Protesten gegen
den Einmarsch der Israelis in den Südlibanon, denn das Leid der
libanesischen Bevölkerung bedrückte und beschämte ihn. Doch sehr
bald nahm Hurwitz eine "ungewohnte Schärfe im Ton" wahr – die
"Mobilisierung schlummernde(r) Hassgefühle". Selbst Parteigenossen
setzten die Israelis mit den Nazis gleich, bezeichneten Beirut als
ein "Konzentrationslager" und nannten Scharon den "Eichmann
Israels". Alsbald meldeten sich Stimmen zu Wort, die von einer
"jüdischen "Weltlobby", wahlweise auch vom "zionistischen
Imperialismus" oder vom "internationalen Judentum" sprachen – ganz
so, als ob die Welt von einer Verschwörung düsterer Mächte bedroht
werde. In Basel erschien ein "Grüner Kalender" mit dem Aufruf "Kauft
nicht bei Juden!" Ein Genosse schrieb an Hurwitz, Israel werde einen
Willy Brandt brauchen, der vor der Al-Aksa-Moschee in die Knie
falle. Im sozialdemokratischen "Volksrecht" wurde den Juden ein
"Völkermord" angehängt: Es sei "besonders furchtbar", dass
"Angehörige eines Volkes, dass selber einem Völkermord anheimfiel,
zum Mord an einem Volk fähig werden können."(25)
"Für die
partikularistischen Anliegen der Iren, der Basken [...] haben die
Linken volles Verständnis – bei den Juden operieren sie mit
rassistischen Begriffen. [...] Die Selbstverständlichkeit, mit der
solche unqualifizierten unbewiesenen Anschuldigungen nicht nur
erhoben sondern auch hingenommen werden, zeigt, dass sie sich auf
ein überall vorhandenes, antijüdisches Grundgefühl stützen können.
Der stillschweigende Konsens, an den Vorwürfen gegen die Juden werde
wohl etwas Wahres sein, ist den Verleumdern oder Vereinfachern stets
gewiss. [...] Als ich Israel kritisierte, galt ich als Linker, den
man gerne als Kronzeugen gegen den jüdischen Staat brauchen wollte.
Als ich mich weigerte, Israel undifferenziert und einseitig zu
verurteilen, war ich plötzlich für diesen Zweck unbrauchbar geworden
und kein Linker mehr. Wer das Freund-Feind-Schema nicht mitzumachen
bereit ist, fällt zwischen alle Stühle und ist nirgends mehr zu
Hause."(26)
Seither ist
das Klima auch in der Schweiz umgeschlagen. Hurwitz' Fazit: "Die
Vergangenheit ist nicht vergangen, sie kehrt in neuem Gewand zurück.
Dass dies auch bei Freunden und Genossen geschieht, schmerzt am
meisten. Dabei würde keiner von ihnen der Vertreibung oder
Ausrottung der Juden das Wort reden – doch der Antisemitismus
beginnt nicht erst, wenn man Gaskammern baut. [...] Der Glaube der
Linken, sie seien gegen Antisemitismus gefeit, immun und also
unanfällig, ist ebenso naiv wie falsch."(27)
Emanuel Hurwitz, der 1979 bis 1884 Mitglied des Zürcher
Kantonsparlaments war, trat 1984 aus Protest gegen die
antiisraelischen Tendenzen aus der Sozialdemokratischen Partei aus.
4. Europa, die Linke und der Antisemitismus heute
Im neuen Jahrhundert erleben wir eine
explosive Zunahme von Verschwörungstheorien. Wer Gerüchte über
jüdische Drahtzieher einer gigantischen Menschheitsverschwörung
schürt, darf noch immer sicher sein, eine Art "Angstlust" zu
erzeugen. Die weltweite Resonanz des im Gewande einer
wissenschaftlichen Studie daherkommenden Buches "Die
Israel-Lobby" zeigt, wie weit verbreitet
verschwörungstheoretische Sehnsüchte sind, wie aktuell das Bedürfnis
nach einem (jüdischen) Sündenbock ist, den man für Fehler der
amerikanischen Außenpolitik in Haftung nehmen kann. Die deutsche
Ausgabe insinuiert schon im Cover die nahtlose Gleichsetzung der
"Israel-Lobby" mit der jüdischen Gemeinschaft.(28)
Seit dem 11. September 2001 verspürt
auch die neolinke Antiglobalisierungsbewegung Auftrieb: Attac,
ursprünglich in Frankreich als "Verein zur Besteuerung von
Finanzspekulationen" gegründet, hat die antiimperialistischen
Argumentationsmuster der europäischen Linken "modernisiert" und
popularisiert. Nicht wenige machen das "vagabundierende
internationale Finanzkapital" für jene sozialen Verwerfungen
verantwortlich, die der zunehmenden Globalisierung der
Weltwirtschaft angelastet werden. Ihre populäre
"Heuschrecken"-Metapher suggeriert, man könne zwischen dem guten
"schaffenden" und dem bösen "raffenden" Kapital unterscheiden. In
diesem Sinne führen nicht wenige Globalisierungskritiker komplexe
weltwirtschaftliche Zusammenhänge auf ein verschwörerisches Komplott
dunkler Mächte zurück. Der personalisierende Schritt zum
antijüdischen Ressentiment ist von hieraus nicht weit – etwa in den
Anti-Kriegs-AGs von Attac, die von Anhängern der "Sozialistischen
Alternative" und der Gruppe "Linksruck" dominiert werden.
Rechtsextreme und islamistische Kreise haben wiederholt Signale
dieser Art mit Genugtuung aufgenommen. Seither tobt in der Bewegung
gegen die neoliberale Globalisierung ein heftiger Konflikt um die
Schnittpunkte von Israelkritik und Antisemitismus, der vor allem in
den Internet-Foren der Bewegung geführt wird.
In der SED/PDS-Nachfolgepartei "Die
Linke" tobt bis heute eine heftige Debatte um ihr Verhältnis zu
islamistischen und antisemitischen Israelfeinden (Hamas, Hisbollah,
Iran). Während die Berliner Jusos im Sommer 2006 Verständnis für
Israels Verteidigungskampf gegen die konzertierten palästinensischen
und libanesisch-schiitischen Raketenangrifffe äußerten, fiel der
Linkspartei nichts anderes ein, als Israel zum "Aggressor" zu
erklären. In Teilen der Linkspartei sind Sympathien mit der
Hisbollah als angeblich "antikolonialer Befreiungsbewegung"
virulent. Dieses Weltbild kann offenbar auch vom antiisraelischen
Vernichtungsdrang islamistischer Kreise nicht beeinträchtigt werden.
Während Politiker wie Oskar Lafontaine nach gemeinsamen
"Schnittmengen" fahnden und mit anderen Linkspartei-Vertretern
(insbesondere der Linksruck-Fraktion) den Dialog mit Islamisten
suchen – unter wohlgefälligem Nicken der NPD – , haben Vertreter des
sächsischen Landesverbandes und Mitarbeiter der Rosa
Luxemburg-Stiftung einen nach innen gerichteten Aufruf verfasst:
"Hamas raus aus den Köpfen".(29)
In mehreren europäischen Ländern
zirkulieren antiisraelische Boykott-Aufrufe
globalisierungskritischer, gewerkschaftlicher und kirchennaher
Einrichtungen: Als 2003 eine deutsche Attac-Gruppe zum Boykott
israelischer Waren aufrief, konnte dies noch als ein Randphänomen
gedeutet werden – eine entsprechende Unterschriftensammlung wurde
nach öffentlichen Protesten wieder zurückgenommen.(30)
Doch in Großbritannien beschlossen Ende Mai 2007 die Delegierten der
einflussreichen University und College Union "einen umfassenden
Boykott" aller israelischen Universitäten – gegen den Willen ihrer
Gewerkschaftsführung.(31)
Die deutschen Gewerkschaften haben sich zu diesem und anderen
Boykott-Aufrufen irischer, kanadischer und südafrikanischer
Gewerkschaften monatelang in Schweigen gehüllt.(32)
Nachdem bereits aus amerikanischen Gewerkschaftskreisen Kritik laut
geworden war, distanzierte sich auch DGB-Chef Michael Sommer
unmissverständlich von jedwedem Israel-Boykott.(33)
Ebenfalls im Mai 2007 forderten Tagungsteilnehmer in der Ev.
Akademie Bad Boll, "Produkte aus Israel so lange nicht zu kaufen,
bis die Besatzung beendet ist."(34)
Einen antiisraelischen Boykottaufruf beschloss im Juni 2007 auch die
ökumenische Konferenz "Kirchen gemeinsam für Frieden und
Gerechtigkeit im Nahen Osten" im jordanischen Amman.(35)
Linke Antizionisten protestierten im August 2007 gegen eine
"Israel-Woche" des Berliner Kaufhofs, dem Nachfolger des unter den
Nazis arisierten jüdischen Kaufhauses Wertheim, da dort auch Waren
aus den israelischen Siedlungen im Westjordanland feilgeboten
würden.(36)
Die Frage, woher das Faszinosum eines
Boykotts gegen die Wirtschaft des jüdischen Staates rührt – bei
Menschen, die die Nazi-Parole "Deutsche wehrt Euch, kauft nicht bei
Juden" mindestens aus dem Geschichtsunterricht kennen müssten –
rührt am Wertekern europäischer Identität. "Die Juden sind unser
Unglück!", war die Überzeugung des renommierten nationalliberalen
Historikers Heinrich von Treitschke im letzten Drittel des 19.
Jahrhunderts. "Der Staat Israel ist das Problem!", das hören und
lesen wir heute. So bilden sich vor unseren Augen international
brisante Querfront-Allianzen – etwa jene zwischen den
linkspopulistischen Präsidenten und "Gotteskriegern" Hugo Chávez
(Venezuela) und Mahmud Ahmadinedschad (Iran).
Haben wir uns in Europa daran
gewöhnt, dass Antisemitismus wieder zur Alltagskultur gehört? Der
französische Botschafter in London mokierte sich im Dezember 2001 am
Rande einer Party im Gespräch mit einem Zeitungsverleger über "that
shitty little country Israel". Daniel Bernard mochte sich zunächst
nicht an seine Äußerung erinnern, wunderte sich jedoch wenig später,
dass eine "private Meinungsäußerung" von den Medien aufgegriffen und
als "antisemitisch" skandalisiert werde. Auch die mehr als
israelkritische BBC setzte in ihrer Headline über den Vorfall
"antisemitisch" in Anführungszeichen. Weder der französische
Botschafter noch das französische Außenministerium haben sich für
den Fauxpas entschuldigt.(37)
Der linksgerichte
Labour-Bürgermeister von London,
Ken
Livingstone, beschimpfte 2006 einen jüdischen Journalisten
als "KZ-Aufseher". Ein Londoner Gericht urteilte anschließend, der
als notorischer Israelkritiker bekannte Livingstone habe nicht gegen
den "ethischen Code von Angehörigen des öffentlichen Dienstes
verstoßen".(38) Die
britische Labour-Abgeordnete Clare Short verstieg sich allen Ernstes
zu der Behauptung, Israel untergrabe mit seiner Politik die
Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft gegen die globale
Erwärmung, da der ungelöste Nahostkonflikt die Welt von den wahren
Problemen ablenke.(39)
Die sozialdemokratische
Theoriezeitschrift "Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte"
veröffentlichte 2007 in ihrer Juni-Ausgabe eine
Rezension,
in der Rudolf Walther die Autoren einer Antisemitismus-Analyse mit
ressentimentgeladenen Hasstiraden überzog: "Wie die [...] Figur
eines Nazi-Offiziers in einem [...] Film von Francois Truffaut Juden
förmlich riecht, so wütet Graumann [Vizepräsident des Zentralrats
der Juden] rundum deutsche Kinder und Enkel, getragen vom Wunsch,
die Schuld der Väter und Großväter zu verkleinern und ruft deshalb
dazu auf, die Reihen fest zu schließen im weltanschaulichen Krieg
gegen Terrorismus und Islamismus." Chefredakteur Thomas Meyer
rechtfertigte den Beitrag – "die Grenze zwischen legitimer
Israelkritik und Antisemitismus" sei "eindeutig" eingehalten worden:
"Unsere Redaktion lässt sich im Kampf gegen Antisemitismus von
niemandem übertreffen."(40)
In der sozialdemokratischen Wiener Monatszeitschrift "Zukunft"
durfte der Publizist und "österreichische Linke" Fritz Edlinger,
Herausgeber des antisemitischen Machwerks "Blumen
aus Galiläa", im Sommer 2007 gegen den
"sattsam bekannten zionistischen Publizisten Karl Pfeifer"
und "die offiziellen Vertreter des Wiener Judentums" polemisieren.(41)
Die österreichische Zeithistorikerin Margit Reiter zog bereits 2001
den ernüchternden Schluss: "Ihm [Edlinger] waren nicht nur die
ohnehin spärlich fließenden 'Wiedergutmachungs'-Zahlungen ein Dorn
im Auge, sondern er verstand es auch, die österreichischen Juden und
Jüdinnen in altbekannter Manier vom österreichischen Wir-Kollektiv
abzugrenzen und ihnen subtil die Instrumentalisierung der Shoah für
politische Zwecke zu unterstellen."(42)
Luisa Morgantini, italienische kommunistische Abgeordnete und
Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, gab im Herbst 2007
ausgerechnet der deutschen "National-Zeitung" ein Interview. Dort
hatte sie Gelegenheit, mit harschen Worten gegen den jüdischen
Staat, die Inkarnation des nahostpolitisch Bösen, zu Felde zu
ziehen. Der palästinensische Alltagsterror war der Politikerin nicht
einmal eine Randbemerkung wert: Man merke sich: Wenn es gegen Israel
geht, raufen sich auch linke und rechte Extremisten gern zusammen.(43)
Sollte die europäische Linke, die um
ihre Daseinsberechtigung kämpft, versucht sein, auf dem
Antisemitismus-Ticket wieder Fuß zu fassen? Könnte sich im Rahmen
eines globalisierungskritischen Volksfrontbündnisses eine
nachmoderne Linke daran gewöhnen, "die Juden" bzw. "den Staat
Israel" als Verkörperung abstrakter (umhervagabundierender)
Kapitalflüsse wahrzunehmen – und diese für zunehmende soziale
Verwerfungen im 21. Jahrhundert verantwortlich machen? Die
entsprechenden Metaphern liegen in Wort und Bild längst bereit:
Erinnert sei an jene "Heuschrecken"-Kampagne in gewerkschaftlichen
Veröffentlichungen, die antijüdischen und antiamerikanischen
Konnotationen Tür und Tor öffnet – als ob es keine deutschen oder
europäischen Unternehmen gäbe, die international operieren,
investieren und wieder verkaufen, wie es ihnen gefällt.
Gregor Gysi bekannte 2006: "Die
Gedanken- und Gefühlswelt in Bezug auf Israel und die arabischen
Länder ist in meiner Generation unklar, wirr und widersprüchlich"(44)
Ein hermeneutischer Brückenschlag auf dem Weg zur dringend
erforderlichen Selbst-Aufklärung könnte die Erkenntnis sein: Wenn
Deutsche, Linke und Europäer über Juden, Israel und Zionismus
sprechen, reden sie immer auch über sich selbst – viele ihrer
Selbstentblößungen, Sprüche und Parolen künden von historisch
bedingten Entlastungsbedürfnissen und Schuldabwehr-Projektionen.
Antisemitismus ist hierzulande jahrhundertelang die "Normalität"
gewesen. Solange sich weite Teile der Linken um die Einsicht
drücken, dass der Antisemitismus nach wie vor eine schwärende Wunde
in der Seele Europas ist, bleibt die Mahnung von Theodor W. Adorno
aktuell: "Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die
Ursachen des Vergangenen beseitigt wären. Nur weil die Ursachen
fortbestehen, ward sein Bann bis heute nicht gebrochen."(45)
Dr. Martin
Kloke, geboren 1959, Studium der Ev. Theologie, Politikwissenschaft
und Pädagogik an der Justus-Liebig-Universität Gießen; 1989
Promotion am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften ("Israel und
die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses",
1990/1994); 1989-1992 Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Otto
Benecke Stiftung in Bonn; 1993/94 Studienreferendariat in Köln; seit
1995 Redakteur im Fachbereich Kulturwissenschaften der
Bildungsmediengruppe Cornelsen in Berlin.
Dieser
Beitrag erschien zuerst in:
Tribüne -
Zeitschrift zum Verständnis des Judentums
Heft 186 / 2008: 60 Jahre Israel
Mit Beiträgen u.a. von: Shimon Peres, Avi Primor, Angela Merkel,
Ilan Hameiri, Natan Sznaider, Wolfgang Benz, Ehud Olmert, Juliana
Wetzel, Susanne Knaul, Frank-Walter Steinmeier, Deidre Berger,
Joschka Fischer, Salomon Korn, Martin Kloke, Anton Maegerle, Annette
Schavan, Johannes Gerster, Anat Feinberg.
Weitere
Infos und Bestellmöglichkeit
Anmerkungen:
(1)
Umfrage unter 28.000 Befragten aus 27 Ländern: Vgl. BBC-News vom
6.3.2007, Israel and Iran share most negative ratings in global poll
(http://news.bbc.co.uk/1/shared/bsp/hi/pdfs/06_03_07_perceptions.pdf).
(2) Inge Deutschkron,
Israel und die Deutschen. Zwischen Ressentiment und Ratio, Köln
19912, S. 7.
(3) Vgl. Fritz Stern, Im
Anfang war Auschwitz. Antisemitismus und Philosemitismus im
deutschen Nachkrieg (Schriftenreihe des Instituts für Deutsche
Geschichte, Universität Tel Aviv), Gerlingen 1991, S. 70.
(4) Vgl. Hannah Arendt,
Besuch in Deutschland. Die Nachwirkungen des Naziregimes (1950). In:
Marie-Luise Knott (Hrsg.), Hannah Arendt. Zur Zeit. Politische
Essays, Berlin-West 1986, S. 44f.
(5) "'Rasse' ist vollends
kompromittiert. Wie soll man sie (die Juden, MK) nennen? Denn irgend
etwas ist es mit ihnen und nicht nur Mediterranes. Ist dieses
Erlebnis Anti-Semitismus? Heine, Kerr, Harden, Kraus bis zu diesem
faschistischen Typ Goldberg – es ist doch ein Geblüt" (Thomas Mann
am 27.10.1945, in: Ders., Tagebücher 1944 – 1.4.1946. Hrsg. von Inge
Jens, Frankfurt/Main 1986, S. 269.
(6) "Man kann nur hoffen,
dass der Schock, den der Tod des Grafen Bernadotte für die
verantwortlichen Männer der Regierung Israels bedeutet, sie für
einen Moment wenigstens innehalten und bestürzt erkennen lässt, wie
weit sie auf jenem Wege bereits gelangt sind, der erst vor kurzem
ein anderes Volk ins Verhängnis geführt hat" (Marion Gräfin Dönhoff,
Völkischer Ordensstaat Israel. In: Die Zeit (Hamburg), Nr. 39,
23.9.1948, S. 1).
(7) Vgl. Karl Thieme, Die
Christen, die Juden und das Heil, in: Frankfurter Hefte, Heft
2/1949, S. 113.
(8) Vgl. Elisabeth Noelle
und E. P. Neumann (Hrsg.): Jahrbuch der Öffentlichen Meinung
1947–1955, Bd. 1, Allensbach 1956, 2. Aufl., S. 128.
(9) Emanuel Hurwitz,
Bocksfuß, Schwanz und Hörner. Vergangenes und Gegenwärtiges über
Antisemiten und ihre Opfer, Zürich 1986, S. 163.
(10) Vgl. Martin Kloke,
Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen
Verhältnisses (DIAK-Schriftenreihe, Bd. 20), Schwalbach/Ts. 19942.
(11) Wolfgang Abendroth
an Berthold Simonsohn, 6.6.1967 (SDS-Nachlass im Archiv "APO und
soziale Bewegungen" an der FU Berlin).
(12) In einem Schreiben
vom 13.6.1967 an die Spiegel-Redaktion (ebd.).
(13) Vgl. beispielhaft
das SDS-Info (Frankfurt/Main), Nr. 10, 2.4.1969, S. 13.
(14) So am 10.6.1967
(vgl. SDS-Nachlass, a. a. O.).
(15) Vgl. Hans Werner
Bartsch, Die Araber und Israel. Zur zweiten internationalen
Konferenz zur Unterstützung der arabischen Völker, Kairo 25.–28.
Januar 1969, in: Stimme der Gemeinde, Heft 5, 1.3.1969, Spalte
153ff, hier Spalte 154.
(16) Al-thaura (Bonn),
Nr. 1, 1971, S. 4.
(17) Privatarchiv d.
Verf.
(18) Vgl. Arbeiterkampf
(Hamburg), Nr. 35, 11/1973, S. 16.
(19) N. N.,
Emanzipatorische Bewegung der Palästinenser, in: Agit 883
(West-Berlin), Nr. 29, 28.8.1969, S. 8.
(20) N. N., Alle
politische Macht kommt aus den Gewehrläufen, in: Agit 883, Nr. 59,
7.5.1970, S. 9.
(21) Vgl. M. Kloke,
Israel und die deutsche Linke, a. a. O., S. 163ff ("Terroristische
Dimensionen des Antizionismus"); Wolfgang Kraushaar, Die Bombe im
jüdischen Gemeindehaus, Hamburg 2005.
(22)
Vgl. M. Kloke, Israel und die deutsche Linke, a. a. O., S. 168–176.
(23) Vgl. ebd., S.
220-229.
(24) Vgl. Christina
Späti, Die schweizerische Linke und Israel. Israelbegeisterung,
Antizionismus und Antisemitismus zwischen 1967 und 1991, Essen 2006.
(25) E. Hurwitz,
Bocksfuß, Schwanz und Hörner, a. a. O., S. 165, 167 und 169 (vgl.
Fußnote 9).
(26) Ebd. S. 168 und170.
(27) Ebd. S. 172f.
(28) Vgl. John J.
Mearsheimer und Stephen M. Walt, Die Israel-Lobby. Wie die
amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird, Frankfurt/Main 2007.
(29) Vgl. Jörg Fischer,
Bedingungslos für die Hamas? In: Jüdische Zeitung (Berlin), März
2007, S. 5.
(30) Vgl. Matthias
Braun, Antisemitismus-Streit bei Attac, in: taz (Berlin), 5.9.2003,
S. 8; Tom Strohschneider, Klärungsbedarf in Sachen Antisemitismus.
In der globalisierungskritischen Szene wird über
Palästina-Solidarität und Finanzmarktkritik gestritten, in: Neues
Deutschland (Berlin), 19.11.2003.
(31) Vgl. Leonard Novy,
Gebremster Boykott. Britische Wissenschaftler wollen Israel ächten –
jetzt greift die Regierung ein. In: Der Tagesspiegel (Berlin),
13.6.2007, S. 27. Wenig später erhob sich unter Federführung der
Akademiker-Organisation "Scholars for Peace in the Middle East" ein
breiter internationaler Protest: Mehrere tausend Akademiker,
darunter 32 Nobelpreisträger und 53 Universitätsrektoren, erklärten
sich mit ihren israelischen Kollegen solidarisch, indem sie sich in
einer Art symbolischen Selbstbezichtigung zu israelischen Gelehrten
ernannten.
(32) Vgl. Benjamin
Weinthal, Der DGB ist kein D-Zug. Mehrere britische Gewerkschaften
haben zum Boykott Israels aufgerufen. Was halten die deutschen
Gewerkschaften davon? In: Jungle World (Berlin), Nr. 53, 16.8.2007
(33) Vgl. Jüdische
Allgemeine Wochenzeitung (Berlin), 6.9.2007; Kölner Stadtanzeiger
8.9.2007.
(34) So die "Forderungen
aus den Arbeitsgruppen" während der Tagung "Jenseits von Frieden?
Deutsches Engagement im Israel-Palästina-Konflikt", 11. bis 13. Mai
2007 in Bad Boll (Privatarchiv d. Verf.).
(35) Pressemitteilung
der Ev. Kirche im Rheinland, 21.6.2007 (zitiert nach ideaOnline,
22.6.2007).
(36) Vgl. Assaf Uni,
Germans protest sale of food from West Bank settlements. In:
www.haaretz.com
(Tel Aviv), 19.8.2007.
(37) 'Anti-semitic'
French envoy under fire, BBC, 20.12.2001 (http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/1721172.stm).
(38) Vgl.
http://www.abendblatt.de/daten/2006/03/01/538575.html;
http://www.hagalil.com/01/de/Europa.php?itemid=40&catid=18.
(39) Vgl. Daniel
Schwammenthal, The Israel-Bashing Club. In: The Wall Street Journal,
3.9.2007.
(40) Vgl. Rudolf
Walther, "Neu-alter Judenhass". In: Neue Gesellschaft/Frankfurter
Hefte (Bonn), Juni 2007; Ingo Way, Grenzwertig. Wie die "Frankfurter
Hefte" ein Buch über Antisemitismus rezensieren lassen. In: Jüdische
Allgemeine, 4.10.2007, S. 2.
(41) Vgl. Fritz Edinger,
Israel, der Islam und die Linke. In: Zukunft, September 2007. Der
Vorgang ist auch deshalb skandalös, weil der Wiener Journalist Karl
Pfeifer selbst jahrelang Artikel in der "Zukunft" veröffentlicht
hat.
(42) Margit Reiter,
Unter Antisemitismus-Verdacht. Die österreichische Linke und Israel
nach der Shoah, Innsbruck 2001, S. 302.
(43) Vgl. Krisztina
Koenen, Den Rechten gefällt's. In: Die Welt (Hamburg), 10.11.2007.
(44) Vgl. Gregor Gysi,
Weder neutral noch "normal". In: Freitag (Berlin), 29.9.2006.
(45) Theodor W. Adorno,
Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit (1959). In: Ders.,
Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt/Main 1970, S. 28. |