Mein Judentum

Köln - New York - Köln:
To stay or to go?
New York, Januar 1997 - Erev Shabbat
in der Synagoge der schwul-lesbischen Gemeinde Beth Simchat Thora (die
groesste der Welt mit ca. 1500 Mitgliedern) nach dem G"ttesdienst. Ich stehe
ein wenig schuechtern herum und erwarte die Dinge, die da kommen sollen. Zwar
bin ich nun das dritte Mal innerhalb von zwei Jahren in der Gemeinde, aber
natuerlich kennt mich niemand. Gerade will ich in ein kleines, verlockendes
Stueck Kuchen beissen, da spricht mich jemand an. Schnell hat man
Informationen ausgetauscht und dann kommt sie, die immer wieder gestellte
Frage, auf die man aber nie richtig vorbereitet ist: warum lebt man als Jude
und gerade als schwuler Jude in Deutschland?
Nie wuerde ich auf die Idee kommen,
eine solche Frage nicht zu beantworten und ich bin auch von der Berechtigung
ueberzeugt, mit der man diese Frage stellen darf, aber trotzdem faellt es
mir immer schwerer sie zu beantworten.
Oft wird diese Frage auch schon so eindeutig bewertet gestellt, dass man
kaum eine Chance hat, mit Argumenten dagegen anzugehen. Und hat sich nicht
jedeR von uns schon einmal selber gefragt, warum er/sie in diesem Land
wohnt? Ich habe mich jedenfalls schon tausendundeinmal gefragt und bin
mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass dies hier meine Heimat ist. Ich
spreche nicht von Deutschland, denn es gibt Teile in diesem Land, die mir
nicht gefallen und Teile, die ich nicht kenne.
Ich spreche von Koeln. In dieser Stadt bin ich geboren und aufgewachsen, ich
konnte meine ersten Worte koelsch bevor ich etwas ueber mich und mein
Judentum wusste und sich meine enge Beziehung dazu entwickelt hat. Dies soll
nun hier kein Lobgesang auf Koeln werden, denn mancheR von Euch wird
verstaendlicherweise aehnliches ueber andere Staedte in der Republik sagen
koennen. Es soll einfach nur erklaeren, wie ein Gefuehl zu einem Gebiet oder
zu einer Stadt entstehen kann, welches es sehr schwer macht, diesen Teil
seines Lebens zu verlassen.
Gerne bringe ich auch an, dass ich gar
nicht wuesste wohin ich gehen soll. Meine Mutter ist
oesterreichisch-ungarische Juedin, mein Vater ist
schottisch-niederlaendischer Jude und ich bin in Deutschland geboren. Wohin
also? Nach Israel? Dies kommt zur Zeit fuer mich nicht in Frage, da ich von
vielen Israelbesuchen weiss, dass dies nicht das Land ist, in dem ich zur
Zeit leben moechte. Und muessen wir uns denn immer wieder damit
auseinandersetzen, weil Menschen aus anderen Laendern danach fragen? Ich
glaube, dass es sehr einfach ist unser Hierbleiben in Frage zu stellen, wenn
man diese Frage selbst nie gestellt bekommt.
Meine Grosstante ist nach Auchschwitz wieder in ihre Stadt Wien
zurueckgekehrt. Immer wieder versucht sie mir zu erklaeren weshalb, und sie
bricht am Ende in Traenen aus. Und dies alles ohne die Frage nach dem
"Warum"! Denn unglaublicherweise sind oestereichische Juedinnen und Juden
viel weniger von dieser Frage betroffen. Die Maehr Oesterreich sei das erste
Opfer Hitlers gewesen, scheint in vielen Koepfen Fruechte getragen zu haben.
"Wiener Schmaeh war meine erste Sprache" versucht dann meine Grosstante zu
erklaeren, "hier lebt meine Musik, meine Gedichte, meine Sprache und meine
Vergangenheit".
All dies sind vielleicht
Erklaerungsversuche, die nicht mehr Stand halten nach dem Holocaust werden
viele sagen. Aber hat man das Recht zu versuchen diese Entscheidung anderen
Menschen abzunehmen?
Fuer mich persoenlich habe ich diese
Frage mittlerweile beantwortet. Koeln ist zur Zeit meine Stadt. Fuer mich
als Schwuler, als Jude, als Mensch. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist zu
zeigen "Mir sajnen do".
Es gibt viele Juedinnen und Juden in
diesem Land (ob schwul, lesbisch, bi oder hetero), die hier ihr Judentum
praktizieren moechten. Solange die Gegebenheiten vorhanden sind, sollten wir
ohne grosse Selbstzweifel in diesem Land leben. Wir muessen uns aber auch
darueber klar sein, dass wir nicht um jeden Preis hierbleiben sollten (und
dies gilt meiner Ansicht nach auch fuer jedes andere Land auf dieser Welt -
auch dort wo sich Juden zur Zeit so sicher fuehlen, dass sie uns immer
wieder diese Frage stellen -).
Aaron Knappstein
Vorstandsmitglied
Yachad Deutschland e.V.
Gruppe lesbischer Juedinnen und schwuler Juden
Juden und Homosexualität
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