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Wenn nur die Klassiker
und das KZ nicht wären

Eine typische ostdeutsche Kleinstadt, beschwert von der Bürde der Vergangenheit: Weimar, eingeklemmt zwischen deutscher Kulturgeschichte und Buchenwald

Ich verstehe gar nichts. Aber wo sonst würde man so eindringlich spüren, daß man nichts versteht, wenn nicht hier auf dem Ettersberg, in Buchenwald, Weimar. Über viele Kilometer führt der Blick, geht über sattgrüne Wiesen, grenzenlose Weite. Der Geheimrat hat davon geschwärmt, hier zu spazieren. Heute fahren hier meist Busse, es gibt keine Spaziergänger.

Touristenführer könnten sagen: Beachten Sie den Panorama-Blick – wenn sie das hier noch sagen könnten. Vögel trillern, pfeifen, singen verspielt; es sind bestimmt seltene Vögel, die sich hier ungestört vermehren. Hinter uns liegt eine Ausstellung, die in elendsgrauer Demut schwerste deutsche Lasten vereint. Eine Gedenkstätte in der Gedenkstätte, die von schlimmer Geschichte in schlimmster Geschichte handelt.

Auf dem Gelände des Konzentrationslagers Buchenwald erinnert eine kleinere Gedenkstätte – nachgeordnet, wie die Historiker sagen – an das „Speziallager 2“. Dieses Lager hatten die russischen Machthaber fast übergangslos nach dem Ende der NS-Diktatur dort eingerichtet, wo zuvor Gegner Hitlers, Juden, Kriegsgefangene erniedrigt, mißhandelt, ermordet worden waren. Weit mehr als 200 000 Menschen trieben die Nazis durch das Tor mit der Aufschrift „Jedem das Seine“ ins Lager, mehr als 65 000 starben. Ins russische Lager wurden von 1945 an niedere NS-Funktionsträger eingeliefert, aber auch viele, die keine Verantwortung im NS-System getragen hatten. Rund 7000 kamen nicht lebend raus. Nachgeordnet wird an ihr Schicksal erinnert, weil es die Ereignisse von 1945 ohne die von 1933 nie gegeben hätte.

„Hier fühlt man sich groß und frei, wie die große Natur, die man vor Augen hat, und wie man eigentlich immer sein soll“, hat der Geheimrat zu seiner Zeit über den Ettersberg gesagt. Gern wanderte er mit der Weimarer Hofgesellschaft hier herauf. Acht Kilometer sind es ins Tal hinab. Hinter der nächsten Kurve liegt weit unter uns die Stadt. Von oben sieht Weimar so aus, wie es niemand sehen will: ganz normal. Wie lange Zeigefinger ragen Türme von Plattenbauten hervor. Eine ostdeutsche Kleinstadt wie Eisenach oder Greifswald. Wenn nur des getreuen Eckermanns Chef und all die anderen nicht wären!

Dieses Weimar lebt von zuviel Geschichte, und es leidet an zuviel Geschichte. Dazu leidet es noch unter dem ständigen Verdacht, bedauerlicherweise überhaupt keine Gegenwart zu haben. Fast jedes Haus trägt eine Plakette: Hier hat x gespeist, y genächtigt, z geschrieben. Namen kann man viele einsetzen: Jean Paul und August von Kotzebue, Max Liebermann und Franz Liszt, Lyonel Feininger und Henry van de Velde und so fort. Fast ist es erholsam, einen Beate-Uhse-Shop zu finden, gar nicht weit vom Goetheplatz. Der Laden kommt sogar ohne Anspielung auf den klassischen Schwerenöter aus, nicht ein anstößiger kleiner Goethe im Sortiment.

Wer einen Film über Geist und Grauen der deutschen Geschichte drehen wollte, müßte nur nach Weimar reisen. Friedrich Nietzsche lebte hier nach Goethe, Schiller, Liszt; das revolutionäre Bauhaus haben die Spießer 1925 aus der Stadt der Klassiker vertrieben, in der einst die Weimarer Republik ausgerufen und 1926 auf dem ersten Reichsparteitag die Hitlerjugend gegründet wurde. In nuce ist alles da.

Stets haben sie in Weimar lieber alles fein voneinander getrennt. Eine Scheuklappen-Stadt ist dies wohl, wo man sah, was man sehen wollte. Als 1937 die Nazis das Konzentrationslager einrichteten, ging aus Weimar eine höchst kulturbeflissene Bitte an Heinrich Himmler: Das Lager solle bitte nicht Konzentrationslager Ettersberg heißen, weil auf ewig der „Ettersberg mit dem Leben des Dichters Goethe in Zusammenhang steht“. Dem Wunsch wurde entsprochen. Nach Kriegsende haben die Stadtoberen zunächst behaupten wollen, daß niemand von nichts gewußt habe. Heute wird ein Oberbürgermeister von Weimar zwar nie vergessen, Buchenwald auch zu nennen, wenn er die Stadt vorstellt. Er wird sogar betonen, daß man das Lager erwähnen muß – und wird doch gerade deshalb in den Verdacht geraten, er wolle sich rasch der lästigen Angelegenheit entledigen.

Scheuklappen auch bei Besuchern: Wie man auf dem Friedhof nur den Gräbern seiner Anverwandten zustrebt, folgen manche Wallfahrer ausschließlich den Spuren ihrer Helden in der Stadt der toten Dichter. „In jedem Land wird etwas anderes zentral mit Weimar verbunden“, sagt Bernd Kauffmann.

„Amerikaner kommen vor allem wegen des Bauhauses, Franzosen denken zunächst an Nietzsche, Japaner an Goethe.“ Der Museumsdirektor Rolf Bothe berichtet von einer Erfahrung aus Israel: Weimar – das sei doch eine kleine Stadt in der Nähe von Buchenwald.

Nun plötzlich sollen sie alle in eine Kiste. 1999 soll Weimar als Europas Kulturstadt des Jahres gefeiert werden, die Stadt putzt sich heraus, um die einzigartige Chance nicht zu verpassen. Rund fünf Millionen Besucher sollen zum zwölf Monate langen Fest in die 60 000-Einwohner-Stadt gelockt werden. Gewiß soll dann dem Geheimrat zum 250. Geburtstag gehuldigt werden, dürfen die Weimarer und Pilger ihren Goethe-Komplex pflegen. Aber die Organisatoren des großen Festes zeigen auch einen unbändigen Drang zum aufrührerischen Spektakel, wollen den Genius deutscher Geister auch mit den Tiefpunkten deutscher Geschichte verbinden. Als Generalbevollmächtigter für die Kulturstadt in Weimar spielt der Jurist Bernd Kauffmann dabei eine zentrale Rolle. Kauffmann und seine Mitstreiter suchen auch abseits der klassischen Pfade ihr Feld, verstehen sich offenbar als Provokateure, die der Stadt kulturell eine Gegenwart geben und lange Verdrängtes ans Licht zerren müssen.

Als Signet für das Kulturstadtjahr hat sich seine GmbH ein höchst gewöhnliches, an einer Stelle eingedrücktes Paket ausgesucht, das von einer robusten Strickkordel mit festem Knoten zusammengehalten wird. Als würde es ohne äußeren Druck schnell von allein auseinanderfallen und der Inhalt vor lauter Sprengkraft wild umherpurzeln. Ist am Ende eine Bombe darin?

Wer sich mit Bernd Kauffmann unterhält – oder liest, was er anderen erzählt hat –, kann diesen Eindruck haben. Dem Mann steht der Sinn nach Ärger, erklärtermaßen. Der vornehme Norddeutsche kann das Wort Ärger voller Ekel ausstoßen, stirnrunzelnd und kopfschüttelnd, aber auch immer wieder höchst freudvoll. Auf „heilsamen Ärger“ freute sich Kauffmann zum Beispiel, als er vor kurzem ein Projekt des Franzosen Daniel Buren ankündigte. Nun wird derzeit nichts anderes in Weimar so heftig bekämpft wie diese Idee Burens, zum Kulturstadt-Jahr den stadtbekannten Rollplatz in der Jacobsvorstadt mit Hunderten von weiß- bunten Quadern und Stelen zur „dauerhaften Skulptur“ umzugestalten. Dabei läßt die Freifläche sich derzeit so vorzüglich als Parkplatz nutzen. In Cafés liegen Unterschriftenlisten aus, in Bürgerversammlungen tobt der Buren-Krieg, die Ablehnung ist eindeutig. „Hier wird ein Platz vergewaltigt“, sagt uns eine Frau.

Wenn man es genau betrachtet, halten sich die Stadt und das Land Thüringen diesen Bernd Kauffmann eigentlich zum Ärgermachen. Ihre Klassiker könnten sie wohl allein verwalten und dem durchreisenden Publikum präsentieren. Damit aber das Fest 1999 mehr wird als eine Totenfeier, erträgt und gönnt man sich Aufrührer. Kauffmann ist bereits 1992 aus Hannover nach Weimar gekommen und stand zunächst für einige Jahre der Stiftung Weimarer Klassik vor. Sein Äußeres und sein Habitus wirken auf nicht wenige hier wie eine Einladung, ihn für arrogant zu halten.

Das schulterlange Haar ist sorgsam in der Mitte gescheitelt, er trägt feine Stoffe und empfindliche College-Schuhe. Er drückt sich norddeutsch spitz aus und ersinnt dabei gelegentlich gewichtig klingende Metaphern. Hochbourgeois, aufgeblasen oder widerwärtig snobistisch – so lauten einige der Vokabeln, die man in der Stadt über den geistreichen und sympathischen Manager hören kann, der durchaus auch Freunde hat. Von Kritikern wird er als hemmungslos westdeutsch identifiziert. Das ist inoffiziell. Die Offiziellen der Stadt reden jedoch so respektvoll von ihm, daß sie sich nicht einmal erdreisten würden, das „Herr“ vor dem „Kauffmann“ mal eben wegzulassen. Aufsehen erregt hat schon, was und wen Kauffmann und seine kleine Crew in den letzten Jahren zum „Kunstfest“ in die Stadt geholt hat.

Dieses Kunstfest soll Stadt und Publikum auf Weimar 99 vorbereiten, und es heißt schon, die Akzeptanz für Modernes sei gestiegen. Dabei schweigen die Stadtoberen lieber vom „Kubus“: Dieser modernistische, kühle schwarze Block wurde als temporäre Theaterbühne im Park an der Ilm aufgestellt und von Stadtbürgern vehement bekämpft – vom aufrechten Naturschützer bis hin zum nächtlichen Buttersäure-Attentäter. Die „Freunde des Goethe-Parks“ drohten gar mit einem Bombenanschlag. Für Weimar 99 habe er mit 48 Millionen Mark erschreckend wenig Geld im Etat, sagt Kauffmann, der aus diesem Topf auch schon das Kunstfest in den vergangenen Jahren bestreiten mußte.

„Weimar 99 steht bundesweit nicht ganz oben auf der Agenda“, drückt sich der im Ton stets zurückhaltende Wissenschaftsminister des Landes, Gerd Schuchardt, aus. „Es gibt nicht gerade eine Euphorie!“ Weimar ist eine bettelarme, typisch ostdeutsche Stadt mit einer typisch ostdeutschen Arbeitslosenrate. Noch immer muß man aufpassen, nicht zufällig in Hotelzimmer mit fast albanischem Ambiente zu geraten – und sollte sich bei Kneipen auf Tips der Ansässigen verlassen. Andererseits haben fast schon zu viele neue Hotels und Restaurants eröffnet, in die kaum Gäste kommen. Die Hotelauslastung liegt nur knapp über 30 Prozent, Insider prophezeien schon das große Hotel-Sterben.

Allenthalben knattern, dröhnen und wummern monströse Baumaschinen mit schmerzbrachialer Lautstärke, als müßten sie stellvertretend für die geplagten Weimarer kreischen, ächzen und stöhnen. Dies ist nicht das einzige Freilichtmuseum der Welt, in dem Menschen wohnen. Und überall haben die Menschen gewisse Schwierigkeiten damit, zunächst nur Kulisse zu sein. Fast in jeder Olympiastadt erhebt sich einmal für kurze Zeit großes Wehklagen über die Übermacht des Fremden. Am Ende kommt es immer darauf an, ob die Einwohner spüren, daß die Qual sich lohnt. Noch ist dieser Punkt in Weimar nicht erreicht. „Aber bald ist wieder freie Fahrt, und die Straßen sind richtig flott“, frohlockt ein Chauffeur. „Deswegen machen wir das doch alles mit, nicht wahr?“ Herausgeputzt wird die Stadt, kaum ein wichtiges Gebäude bleibt unberührt. Vollständig neu gestaltet wird das Goethe-Nationalmuseum. Auch das zu DDR-Zeiten verkümmerte Landesmuseum wird ausgiebig und liebevoll saniert.

Es bedeutet für Weimar einen Sprung ins Jetzt: Als erstes Museum für moderne Kunst in den neuen Ländern soll es vom 1. Januar 1999 an unter anderem die Sammlung zeitgenössischer Kunst des Kölner Galeristen Paul Maenz zeigen. Umfassend renoviert wird das Nationaltheater, neugebaut eine Weimarhalle für Kongresse, Konzerte und Galaveranstaltungen mit 1 200 Zuschauern. Auch Kantiges wird Weimar abhandenkommen: etwa die bröckelnde flache Trinkhalle am ebenfalls aufgerissenen Goetheplatz, die ausdauernden Freunden des hochgeistigen Flachmanns eine Heimstatt war. Dem Besitzer wurde ein abseitiger Standplatz angeboten. Man hat hier seine Prinzipien: Ins klassische Weimar wird partout kein großes FastFood-Restaurant hineingelassen, schwört ein Stadtplaner – auch nicht, wenn es seine Hamburger hinter pseudoklassischen Fassaden versemmeln wollte. „Das werden wir zu verhindern wissen.“

Weimars Generalbevollmächtigter Kauffmann kann sich höchst lustvoll über vermeintliche Beschränktheiten beklagen. Mit dem Vorwurf, provinziell zu sein, kann man in Weimar immer noch jeden in die Ecke treiben; schließlich haben sich hier fast alle Großen über geistige Enge beklagt.

Ach, was mußte Kauffmann sich wehren gegen die Gängelungsversuche des Wirtschaftsministers, der ihm das Marketing für Weimar 99 wohl nicht zutraute und in andere Hände geben wollte. Am Ende stellte sich der Kulturminister Schuchardt schützend vor den Herrn Kauffmann und versicherte ihm, daß er das letzte Wort habe: „Wenn also jemand auf die Idee käme, zum Beispiel einen Goethekopf mit Thüringer Bratwürsten zu umrahmen und als Emblem zu wählen, dann könnte Herr Kauffmann das verhindern.“ Kauffmann hält es hier aus, weil er immer wieder in die Welt hinausfährt und sein Engagement zeitlich begrenzt ist. Kaum vorstellbar, daß der Kunst-Manager in einer anderen Stadt mit seinen Projekten annähernd so viel Ärger auslösen könnte. Hier findet er noch Bürger, die sich ärgern lassen. Kaum vorstellbar auch, daß in einer Großstadt wie Hamburg oder Berlin ein knappes Dutzend Individuen so viel bewegen könnte wie die „7 für Weimar“. Unter diesem Namen haben sich die führenden Köpfe der großen Kultureinrichtungen zusammengeschlossen.

Zu Goethes 250. Geburtstag am 28. August 1999 wünscht sich Kauffmann eine gigantische Party, neben den Feierlichkeiten „von Staats wegen“. Internationale Straßentheater- Ensembles sollen Feuereffekte, Urknall und Nebelschwaden auslösen. „Von der Euphorie bis zum linden Grausen wird folglich kein Gefühl ungefühlt bleiben, mit Ausnahme der Langeweile“, sprachnebelt das Programm. Nette Gimmicks und Zeitgeist-Eskapaden werden geplant: Der Urfaust wird zum Rap, Goethes Gartenhaus im Park an der Ilm als perfekte Kopie noch einmal nachgebaut, dazu noch in Form einer Cyber-Space-Reproduktion, die der Besucher virtuell erleben kann. Eine typische Weimar-99-Idee ist das rote Sofa: 365 Tage lang sollen darauf Prominente und Nicht-Prominente Goethe-Gedichte lesen, jeden Tag eines. Ein Fernsehsender will übertragen. Plakativ nennen das Kritiker. „Kauffmann sucht nur den schnellen Effekt!“

Ärger und Widerspruch fordert das Kulturstadtjahr auf anderem Feld heraus, im Umgang mit Spuren des Dritten Reichs in der Stadt. Mit aller Kraft werden Verbindungen geschlagen: So werden zwischen dem Schloß Ettersburg und dem Lager Buchenwald Bäume und Büsche auf 1300 Meter gerodet, um eine Schneise zu schlagen.

„Zeitschneise“ heißt das Projekt, das „die Nähe der beiden Orte spürbar machen soll“. Unter dem Titel „Gezeichneter Ort“ sollen im Konzentrationslager etwa 250 Zeichnungen Goethes ausgestellt werden. Im Schillermuseum in der Stadt sollen Zeichnungen von Buchenwald-Häftlingen gezeigt werden. Warum muß Goethe ins Lager? Goethe sei für die Häftlinge immer dort gewesen, sagt der Leiter der Buchenwald-Gedenkstätte Volkhard Knigge, einfühlsamer Historiker und Psychoanalytiker, der betont, daß in Weimar viele sehr aufgeschlossen mit dem Komplex Buchenwald umgehen. „Im Gedächtnis der Häftlinge hat Goethe eine große Rolle gespielt. Für sie war Weimar bis zu ihrer Ankunft mit seinem Namen verbunden.“

Buchenwald soll einen zentralen, angemessenen Platz in der Stadt erhalten. „Wir müssen endlich die Tatsache ernst nehmen, daß Hitler auf Goethe gefolgt ist“, sagt Knigge. „Selbstverständlich soll das nicht heißen, daß Goethe Wegbereiter war.“ Anders müsse gefragt werden: „Wie kann es passieren, daß die Barbarei aus der hohen Kultur hervorbricht? Am Ende muß man vielleicht nicht nur feststellen, daß die hohe Kultur nicht nur nicht resistent war, sondern daß die Barbarei aus der Mitte der Kultur kam.“ Allein der Weimarer Ortsverband der NS-Kulturgemeinde zählte knapp 3000 Mitglieder, Bildungsbürger wohl allesamt, namhafte Goethe-Philologen darunter. Dennoch haben Bildungsbürger versucht, das Gute und das Böse wieder zu entkoppeln. Hitler sei bei seinen vielen Besuchen in Weimar nie im Goethe-Haus gewesen, schreibt ein Zeitzeuge. Wenn er sich von Goethes Gedanken hätte durchdringen lassen, „hätte sich seine Politik anders gestaltet“.

Hitler war sehr wohl im Goethe-Haus, wurde überliefert, und gerade in Weimar feierte seine Partei erste Erfolge. Die Frage nach den Folgen politischer Willenlosigkeit des deutschen Kulturbegriffs wird nicht zum ersten Mal gestellt, auf breiter öffentlicher Ebene diskutiert wurde sie bisher aber nicht. Er erwarte eigentlich keine große Debatte, sagt Gedenkstätten-Leiter Volkhard Knigge. „Ich weiß nicht, was passiert, wenn man Buchenwald in die Stadt bringt.

In zehn Monaten wird also die Sause losgehen, wohl auch wieder mit einer richtig hippen Rave-Party in dem von den Nationalsozialisten erbauten monumentalen Gau-Forum. Danach könnte Weimar der Ort in Deutschland sein, den man besucht haben sollte in diesem Jahr 1999 – und sei es nur, um zu spüren, daß nicht zusammenpaßt, was zusammengehört.

SZ vom 28.02.1998 / JENS SCHNEIDER

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