antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com

Search haGalil

Newsletter abonnieren
Bücher / Morascha
Musik

Koscher leben...
Tourismus
Jüdische Weisheit
 
Sie finden hier zahlreiche Artikel aus dem 90er Jahren, d.h. aus den Anfangsjahren des WWW. Aktuellere Meldungen finden Sie im Nachrichtenarchiv unter Jüdisches Leben in Deutschland..., Antisemitismus, Rechtsextremismus..., Europa und die Welt... oder in den täglich aktuellen Nachrichten von haGalil.com...
Etliche Artikel in diesem Ordner entsprechen in Formatierung und Gestaltung nicht den heutigen Internetstandards. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

STUTTGART

Ignatz Bubis hat lange gegen die Ausgrenzung gekämpft
"...einen Weg für ein gemeinsames Erinnern finden''

Ignatz Bubis hat mehr erreicht, als er sich am Ende seines Lebens zugestehen wollte: Er hat in einem Ausmaß wie wenige andere dazu beigetragen, die von ihm so beklagte Ausgrenzung - hier Deutsche, dort Juden - zu überwinden. Und doch, die Fremdheit ist nicht geschwunden.

Von Stefan Geiger

Was zunächst nur wie ein Vermächtnis klang, war ein Vermächtnis. Vor wenigen Wochen, Ende Juli, zeigte sich Ignatz Bubis tief resigniert. Jüdische und nicht-jüdische Deutsche seien einander fremd geblieben. Er sei inzwischen seinem Vorgänger Heinz Galinski näher, "auch was das Verbittertsein anbetrifft''. Die Verantwortung für Auschwitz sei im öffentlichen Bewusstsein nicht verankert: "Jeder in Deutschland fühlt sich verantwortlich für Schiller, für Goethe und für Beethoven, aber keiner für Himmler.'' In den sieben Jahren als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland habe er "nichts oder fast nichts erreicht''. Es sei ihm nicht gelungen "die Ausgrenzerei - hier Deutsche, dort Juden'' zu beseitigen: "Die Mehrheit hat nicht einmal kapiert, worum es mir ging.''

So bitter hatte Ignatz Bubis in all den Jahren zuvor nicht gesprochen, auch in den ersten Jahren seiner Präsidentschaft nicht, als Fremdenhass und Antisemitismus hoch schlugen, 1991 in Hoyerswerda, 1992 nach dem Brandanschlag auf die "Jüdische Baracke'' des früheren Konzentrationslagers Sachsenhausen. Und auch nicht in den Monaten danach, als sich die Anschläge auf jüdische Friedhöfe und Gedenkstätten häuften.

Bubis hat stets und ohne zu eifern eine entschiedene Bestrafung der rechtsextremen Täter gefordert. Viel mehr noch als die rechten Fanatiker machten die Vielen Sorgen, die zu den Taten schwiegen, die sie im Stillen billigten, die ihren Protest auf dem Stimmzettel dokumentierten. Die unsäglichen Pamphlete, die er täglich erhielt, ertrug er - und zwar leichter, so lange sie noch anonym waren. Betroffen war er darüber, dass der bekennende Antisemitismus in den letzten Jahren wieder zunahm, die Zahl derer, die ihren Namen unter die Hasstiraden setzten. Bubis hat, wo immer er konnte für seine Sache, und das war die Sache der Juden in Deutschland, geworben. Er hat wenige Interviews ausgeschlagen, war im Fernsehen präsent. Seine Sprache war schlicht und klar. Nur selten verließ ihn die Geduld.

Im Jahr 1998 geschah dies allerdings einmal, als Martin Walser den Begriff Auschwitz als "Moralkeule'' bezeichnet hatte. Bubis nannte den Schriftsteller einen "geistigen Brandstifter''. Er nahm diesen Vorwurf später in einem Gespräch mit Walser zurück, bescheinigte ihm "beste Absichten'', warb dafür: "Wir müssen einen Weg finden für ein gemeinsames Erinnern.'' Walser ist nicht im selben Umfang auf Bubis zugegangen, sagte nur: "Wir haben die Weise des Erinnerns noch nicht gefunden.'' Die nur scheinbar beendete Auseinandersetzung, die Bubis als symptomatisch empfunden haben muss, hat wohl zu seiner Verbitterung beigetragen.

Zurückhaltend und äußerst differenziert hat sich Bubis zu der aktuellen Diskussion um eine neue Entschädigung der NS-Opfer geäußert. Das aggressive Vorgehen einzelner Anwälte, die jüdische Opfer vertreten, hat er getadelt. Bubis' Vater ist im Vernichtungslager Treblinka ermordet worden. Über seine Probleme, dafür eine Entschädigung anzunehmen, hat er sich 1998 geäußert. Auf die Frage, ob er Schuldgefühle hatte, Geld anzunehmen, sagte er: "Möglicherweise.'' Und nach einer Pause fügte er hinzu: "Wie kann ich noch Geld dafür nehmen? Und wenn mir jemand eine Million bietet, soll ich deshalb sagen: Damit ist es erledigt, dass mein Vater tot ist? Ich lass' mir doch meinen Vater nicht bezahlen.'' Die Sätze sind öffentlich kaum wahrgenommen worden.

Bubis, 1927 in Breslau geboren, war acht Jahre alt, als seine Familie vor dem Naziterror in die polnische Kleinstadt Deblin floh. Er überlebte Ghetto und Arbeitslager in einer Munitionsfabrik bei Tschenstochau. Nur zufällig entging er dem Abtransport in ein Vernichtungslager. Neben seinem Vater überlebten auch ein Bruder und eine Schwester die Nazizeit nicht. Nach dem Krieg kehrte Ignatz Bubis nach Deutschland zurück. In seinen Memoiren schrieb er selbst, er habe nach Kriegsende zunächst jede Erinnerung verdrängt und sich dem Aufbau seiner materiellen Existenz verschrieben. Erst 1989 habe er Treblinka aufsuchen können.

Bubis betätigte sich seit 1949 im Edelmetallhandel, später handelte er mit Immobilien und wurde dadurch wohlhabend. Ende der sechziger Jahre kam er im Frankfurter Westend in Konflikt mit Hausbesetzern. Der Vorwurf, ein "Spekulant'' zu sein, focht ihn nicht an. 1985 besetzte er die Frankfurter Schaubühne, um die Aufführung des von ihm und von anderen als antisemitisch empfundenen Faßbinder-Stücks "Der Müll, die Stadt und der Tod'' zu verhindern.

1983 wurde Bubis zum Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Frankfurt gewählt. Bei seiner ersten Kandidatur für die Spitze der Vertretung der Juden in Deutschland unterlag er 1991 dem damaligen Vorsitzenden Heinz Galinski; nach dessen Tod 1992 kandidierte er erneut und gewann. Politisch engagierte er sich in der FDP.

Ignatz Bubis hat nicht nur in Deutschland Menschen einander näher gebracht. Er hat den Ruf Deutschlands draußen in der Welt verbessert. Dort, wo dies andere Deutsche nie hätten leisten können.

Die schweigende Masse ließ Bubis keine Ruhe

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden galt in Deutschland als moralische Instanz

Frankfurt am Main/Stuttgart - Ignatz Bubis galt in Deutschland viele Jahre als moralische Instanz. Wann immer er sich zu politischen oder gesellschaftlichen Themen äußerte, war ihm Aufmerksamkeit sicher.

Von LASZLO TRANKOVITS und JAN SELLNER

Als Sohn russischer Juden wurde Bubis 1927 in Breslau geboren. Als er acht Jahre alt war, verließ die Familie wegen des beginnenden Naziterrors Schlesien und ging nach Polen. Im polnischen Tschenstochau verbrachte er Jahre im Arbeitslager und in der Munitionsfabrik. Der Einmarsch der Sowjets im Januar 1945 rettete ihm das Leben, fast seine gesamte Familie wurde jedoch von den Nazis umgebracht. Sein Vater starb im Vernichtungslager Treblinka. Erst Jahrzehnte später war Bubis in der Lage, darüber zu sprechen.

Nach dem Ende des Kriegs kehrte Bubis nach Deutschland zurück. Erst zögerte er. Später sagte er: "Würden alle Juden Deutschland verlassen, gäbe man Hitler nachträglich Recht.''

Fast vier Jahre lang, bis 1953, lebte Bubis in Stuttgart. Zuerst in einer Dachbodenkammer in der Liststraße, später in der Breitscheidstraße. 1956 ging er nach Frankfurt, wo er rasch Erfolg im Immobilienhandel hatte und Wurzeln schlug. Seine Geschäfte im Stadtteil Westend trugen ihm in den sechziger und siebziger Jahren Konflikte mit der Hausbesetzerszene ein. 1985 verhinderte er mit anderen die Aufführung des als antisemitisch aufgefassten Fassbinder-Stücks "Der Müll, die Stadt und der Tod'' am Städtischen Theater in Frankfurt.

Seit den frühen achtziger Jahren spielte Bubis eine führende Rolle in jüdischen Verbänden. In Frankfurt war er seit 1983 Vorsitzender der jüdischen Gemeinde. An die Spitze des Zentralrats der Juden wurde Bubis 1992 als Nachfolger von Heinz Galinski gewählt. Seitdem war er höchster Repräsentant der etwa 80000 Juden in Deutschland.

Angesichts der fremdenfeindlichen Ausschreitungen Anfang der neunziger Jahre äußerte sich Bubis besorgt vor allem über die schweigende, insgeheim zustimmende Masse. In der Diskussion um das geplante Holocaust-Denkmal in Berlin bezog Bubis nicht eindeutig Stellung. Wichtiger als Denkmäler seien Gedenkstätten an den Orten des Holocaust, meinte er. Mit Nachdruck trat er für die Entschädigung der Nazi-Opfer ein - nicht nur der jüdischen - und forderte eine Änderung der Haltung von Unternehmen und Banken.

Politisch engagierte sich Bubis, der seine Frau und eine erwachsene Tochter hinterlässt, seit 1969 in der FDP. Als Spitzenkandidat bei der Kommunalwahl verhalf er den Liberalen im März 1997 nach 16 Jahren zur Rückkehr ins Frankfurter Stadtparlament.

Ende Juli dieses Jahres zog Bubis eine bittere Bilanz seiner Amtszeit an der Spitze des Zentralrats: Er habe fast nichts bewirkt, jüdische und nicht-jüdische Deutsche seien einander fremd geblieben, sagte er dem Nachrichtenmagazin "Stern'' - und erntete umgehend Widerspruch.

Der Schlüssel zum Verständnis seiner Depression waren die Reaktionen in Deutschland auf die Friedenspreisrede des Schriftstellers Martin Walser im Oktober 1998. Walsers missverständliche Rede über die angebliche "Instrumentalisierung von Auschwitz'' und über das Nicht-mehr-hinsehen-Können, wenn es um die Verbrechen der deutschen Nazis gehe, hatten Bubis tief empört. Fast noch schlimmer empfand er die breite Zustimmung auf Walsers Rede. Ein Großteil der Bevölkerung denke wie Walser, sagte er. "Jeder in Deutschland fühlt sich verantwortlich für Schiller, für Goethe und Beethoven, aber keiner für Himmler'', stellte er bitter fest.

Auf die Frage nach seiner Heimat antwortete Bubis meist "Frankfurt'' - nicht Deutschland. Er wolle auch nicht hier begraben werden, sondern in Israel, "weil ich nicht will, dass mein Grab in die Luft gesprengt wird - wie das von Heinz Galinski''.

Allerdings sagte er im Rückblick auf sein Leben auch: "Ich habe Israel 1951 zum ersten Male besucht. Ich kam mir dort irgendwie fremd vor. Ich kam zurück nach Berlin und Stuttgart - dort lebte ich damals - und war zu Hause.'' Hier, in Stuttgart, erhielt er 1996 auch den Theodor-Heuss-Preis für seinen Beitrag zur Annäherung im deutsch-jüdischen Verhältnis.

Bubis' letzter Wunsch wird erfüllt. Am Sonntag soll er in Israel seine letzte Ruhestätte finden.


Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München
1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved