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kölner stadtanzeiger - http://www.ksta.de


Ignatz Bubis 1927-1999 

Interview
"Ein Schlag für Deutschland insgesamt"
Über die letzten Zweifel eines Mannes, der des Engagements nicht müde wurde

Interview: Ulrike Walden sprach mit Günther B. Ginzel, dem Vorsitzenden der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

Herr Ginzel, wie haben Sie Ignatz Bubis erlebt?

Ginzel: Ich habe Ignatz Bubis als jemanden erlebt, der ganz genau wußte, was er wollte. Er hat mehr als jeder andere die jüdische Gemeinde in die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland insgesamt integriert. Diesen Weg ist er konsequent gegangen. Bubis hat deutlich gemacht, dass als Jude in Deutschland zu leben sowohl Engagement in der jüdischen Gemeinde als auch Engagement in der Gesellschaft bedeutet.

Ignatz Bubis hat jüngst eine bittere Bilanz seiner Tätigkeit gezogen und gesagt "Ich habe nichts oder fast nichts bewirkt."

Ginzel: Darin kam mit Sicherheit seine Enttäuschung über die jetzige Bundesregierung zum Ausdruck, die fast schon einen Schritt hinter die Regierung Kohl zurückfällt.

Enttäuschung worüber?

Ginzel: Enttäuschung zum Beispiel über den Umgang mit Themen wie Mahnmal, Entschädigung für Zwangsarbeiter oder Kampf gegen Rechts.

Was hat Ignatz Bubis bewirkt?

Ginzel: Sehr viel. Er hat während seiner Amtszeit zu mehreren Hunderttausenden von jungen Menschen gesprochen. Und seine Worte haben überall große Resonanz gefunden. Er hat für viele Nichtjuden ein ganz neues Bild des Juden verkörpert. Aber ihm sind Zweifel daran gekommen, ob das Einstellungen geändert hat. Diesen Zweifel teilen wir in Köln.

Worin ist er begründet?

Ginzel: Das Wissen über das Judentum geht zurück. Und mit der Unwissenheit steigt die Bereitschaft, Vorurteilen nachzulaufen. Der Tod von Bubis ist ein Schlag für Deutschland insgesamt, weil seine Reputation für das Ansehen der Deutschen vor allem in den USA ganz wichtig war. Mit Bubis ist eine moralische Institution abberufen worden, die auch auf Seiten der Politik und der Kirche keine Entsprechung hat. An moralischen Instanzen fehlt es in diesem Land in dramatischer Weise. Die Schlußstrich-Mentalität, die auch in der Walser-Debatte deutlich wurde, hat Bubis enorm mitgenommen.

ksta

Zum Tode von Ignatz Bubis
Ein Vermittler im eigenen Land

Er fühlte sich stets als "deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens":
Das Leben eines unermüdlichen Streiters

Der vielleicht bitterste Satz in Ignatz Bubis´ letztem großen Interview, das Ende Juli im "Stern" erschienen ist und das sich jetzt wie eine vorweggenommene Lebensbilanz liest, betraf seinen Tod. Obwohl er nicht strenggläubiger Jude sei, wünsche er in Israel beerdigt zu werden, "weil ich nicht will, dass mein Grab in die Luft gesprengt wird" - wie das seines vom Typus und Habitus her so ganz anderen Vorgängers Heinz Galinski. Erst jetzt kommt die Unerbittlichkeit, die ganze Wucht dieses einen Satzes, seines Vermächtnisses, zum Ausdruck. Bubis, der sich stets als "deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens" bezeichnet und sich vor allem auch so gefühlt hat, wendet sich im Tode von diesem Land ab. Erst mit der Zeit wird zu ermessen sein, welche Lücke der Mann gerissen hat, der sich selbstquälerisch vorgeworfen hat, "nichts oder fast nichts bewirkt" zu haben.

Zuletzt war er, nach einer Bandscheibenoperation an den Rollstuhl gefesselt gewesen - in seinem Falle trifft das abgenutzte Bild wirklich zu. Bubis hat in einem Gespräch mit dieser Zeitung, ebenfallls Ende Juli, erzählt, wie sehr es ihn quäle, in seinem Aktionsradius (der von Frankfurt bis New York reichte, mindestens!) eingeschränkt zu sein und wie es ihn schmerze, gegebene Zusagen nicht einhalten zu können. Da ist eine Grundstimmung von Resignation in seiner Stimme und in der Art, wie er seinen Gemütszustand beschrieb, zu spüren gewesen. Ganz von sich aus erzählte er, dass ihm die Briefe und die anonymen nächtlichen Anrufer mehr als früher zu schaffen machten, die ihn beschimpften, weil er dem Schluss-Strich seine Zustimmung verweigert habe. Aber dann ist bei aller Niedergeschlagenheit auch wieder Bubisscher Lebens- und Durchsetzungswillen spürbar gewesen: Doch, er werde im Januar noch einmal für das schwierige Präsidentenamt im Zentralrat der Juden in Deutschland kandidieren - wenn man ihn dazu auffordere.

Schmerzendes Gefühl

Es ist zu spät, nach den Beweggründen für seine Verbitterung zu forschen, doch in Erinnerung geblieben ist eine Gesprächssituation, die als eine mögliche Erklärung dienen könnte. Gefragt, ob ihn das Gefühl schmerze, dass die schweigende Mehrheit, auf die Medien-Präsenz des Zentralrats-Vorsitzenden angesprochen, wohl antworten würde: "Schon wieder der Bubis", antwortete er knapp: "Genauso ist es." Da hat man durchs Telefon spüren können, wie Bubis sich in seinem Rollstuhl für einen Augenblick aufgerichtet hat.

Dabei ist in aller Regel nicht er es gewesen, der sich in den Vordergrund gedrängt hat, vielmehr haben ihn die Medien unablässig zu Stellungnahmen aufgefordert, weil dieses Land arm geworden ist an moralischen Instanzen. Brände in Asylbewerber-Heimen, das Holocaust-Mahnmal und zuletzt der Kosovo-Krieg. Es gibt keinen Bischof und keinen Philosophen in Deutschland und auch sonst niemanden, der so häufig bedrängt worden ist, wenn es um ethische Fragestellungen gegangen ist. Dass Bubis obendrein der beste PR-Mann gewesen ist, den sich die jüdische Gemeinschaft in Deutschland hat wünschen können, ist eine andere Geschichte.

Schon immer hat es ihn bekümmert, dass nicht wenige im Lande der Ansicht waren, "der Bubis braucht nur mit dem Finger zu schnippen und schon läuft alles anch seinem Willen". Ein gewaltiger Irrtum sei das, hat Bubis stets betont. Es mag Ignatz Bubis, der gewiss nicht ganz frei von Eitelkeit gewesen ist, gut getan haben, dass seine Selbstanklage überwiegend zurückgewiesen worden ist und er viel Ermunterung erfahren hat, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Die allermeisten Reaktionen lassen sich in der Aufforderung zusammenfassen: Wir schulden ihm Dankbarkeit für das, was er in Deutschland und vor allem zwischen Juden und Deutschen bewegt hat und wir dürfen ihn jetzt nicht allein lassen.

Hat Bubis mit seinen Äußerungen Solidaritätsbekundungen provozieren wollen, wie ihm da und dort unterstellt worden ist? Gewiss hat er sich jener Zustimmung versichern wollen, der er sich offenbar nicht mehr sicher gewesen ist seit jenem Tag im vergangenen Herbst, als Martin Walser in der Frankfurter Paulskirche von Auschwitz als Moralkeule gesprochen hat, vom Wegschauen und vom "Erinnerungsdienst". Die Elite des Landes applaudierte stehend, nur Ignatz Bubis und seine Frau Ida blieben demonstrativ sitzen. Fortan hat Bubis die Neigung eines Großteils der Deutschen, nicht mehr an ihre Vergangenheit erinnert werden zu wollen, das "Walser-Syndrom" genannt.

Nichts hat Bubis in all den Jahren so nachhaltig getroffen wie diese Walser Rede - und mehr noch Verlauf und Duktus der anschließendenden Debatte, dieses stillschweigende Akzeptieren eines Tabu-Bruchs, dass endlich einmal einer gesagt habe, was doch alle denken. Da mag es ihm Genugtuung gewesen sein, dass sich Intellektuelle und Publizisten nicht mit seiner Bilanz haben abfinden wollen und im Ermutigung zugesprochen haben. "Sie haben soviel bewirkt, dass mir die Aufzählung überflüssig erscheint. Die Ungläubigen konnten Sie nicht erreichen, aber wer könnte schon Berge versetzen? Aber Sie haben das Bewusstsein geweckt, Mitgefühl vermittelt und die Gläubigen gestärkt: Das ist weit mehr, als wir fast alle von uns sagen können." Dies hat ihm in der vergangenen Woche Alfred Neven DuMont geschrieben, der Herausgeber des "Kölner Stadt-Anzeiger" und des "Express".

Bubis ist Mittler und Vermittler gewesen, stets mit Fingerspitzengefühl, anfangs vorsichtig und leise, mit zunehmendem Alter aber unerbittlicher und unverbindlicher. Wie "normal" das Verhältnis von Juden und Nicht-Juden mehr als 50 Jahre nach dem Ende des Holocaust ist, hat Bubis gern an einer Szene verdeutlicht. Immer wieder sei es ihm passiert, dass ihm durchaus wohlmeinende Zeitgenossen berichtet hätten, gerade erst neulich hätten sie "meinen Botschafter" kennen gelernt - und gemeint war der Botschafter des Staates Israel. "Wir sind fremd geblieben, sicher auch, weil sich die Juden in diesem Land teilweise selber ausgrenzen", hat Bubis in seiner beklemmenden Bilanz gesagt.

Er hat sich eingemischt

Er selbst hat stets nach der gegenläufigen Maxime gehandelt: Ignatz Bubis hat sich nicht zurückgehalten, sondern eingemischt, obwohl oder gerade weil die Nazis auch seiner eigenen Familie unendlich viel Leid angetan haben. Der Vater ist in Treblinka ermordet worden, getötet worden ist auch Bubis` ältererer Bruder und die Schwägerin. Nach 1945 hat er sich so verhalten wie die meisten Deutschen: "Ich wollte nicht darüber nachdenken, was geschehen war. Ich war hungrig nach Leben, hungrig nach Selbstständigkeit, vielleicht auch hungrig nach Wohlstand. "

Als junger Mann war der gebürtige Breslauer nach seinem Wechsel in den Westen ohne jegliche Branchenkenntnisse in den Edelmetallhandel und später ins Schmuckgeschäft eingestiegen. Zur öffentlichen Figur ist Bubis durch seinen beträchtlichen Immobilien-Besitz in allen großen Städten und den Frankfurter "Häuserkampf" Anfang der 70er Jahre geworden. Später ist er selbst zum Besetzer geworden - durch seinen vehementen Protest verhinderte er die Aufführung des Fassbinder-Stückes "Der Müll, die Stadt und der Tod".

Er, der erfolgreiche Geschäftsmann, war mit der Hauptfigur des "reichen Juden" gemeint gewesen. So unmittelbar und konfrontativ hat sich Bubis selten ins Zeug gelegt, denn er wollte den Dialog und es ging ihm um eine Entkrampfung des Verhältnisses zwischen Deutschen und Juden. Dazu hat er weit mehr beigetragen als er sich zuletzt selbst eingestanden hat, auch wenn natürlich zutrifft, dass "Judentum bei uns immer noch etwas Museales hat".


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