Trotz einer ungewöhnlich pessimistischen Bilanz, die
Bubis Ende Juli im «Stern» für seine sieben Jahre als oberster Repräsentant
der fast 80.000 Juden in der Bundesrepublik zog, bekräftigte er aber doch
seine Entschlossenheit, im Januar kommenden Jahres erneut für dieses Amt zu
kandidieren. Dazu wird es nun nicht mehr kommen: Nach einer kurzen schweren
Krankheit starb Bubis am Freitag kurz vor Beginn des jüdischen Sabbats in
Frankfurt am Main.
Zu einer Bandscheibenoperation und einem Bruch des
Halsschenkelwirbels, die ihn in seinen letzten Lebenswochen an den Rollstuhl
fesselten, einer leichten Thrombose und zunehmender Muskelschwäche kam
offenbar noch etwas Schwerwiegendes hinzu, gegen das sich der
leidenschaftliche Kämpfer Bubis nicht mehr wehren konnte. Immerhin hat er noch
mitbekommen, wie heftig weit über die jüdische Gemeinde hinaus die Reaktionen
auf seine negative Einschätzung waren, er habe «nichts oder fast nichts
bewirkt».
Davon konnte wirklich keine Rede sein. Mehr als Galinski
und all seine anderen Amtsvorgänger wurde Bubis zu einer allseits geachteten
Instanz in Deutschland, einem erfolgreichen Mahner für Toleranz und gegen
Fremdenfeindlichkeit. Nicht zuletzt seinem Einsatz ist es zuzuschreiben, dass
der Bundestag im Sommer doch noch dem Bau des von ihm befürworteten großen
Holocaust-Mahnmals in Berlin zustimmte. Unbestritten ist auch sein Anteil an
den in letzter Zeit endlich in ein konkretes Stadium getretenen Verhandlungen
über die Entschädigung jüdischer Zwangsarbeiter in der NS-Zeit. Und die
Auseinandersetzung um die Rede des Schriftstellers Martin Walser zur
Friedenspreisverleihung des Deutschen Buchhandels nutzte Bubis vor allem zu
Appellen gegen das Vergessen oder Verniedlichen der Verbrechen von Auschwitz
oder Treblinka, wo Bubis' eigener Vater im KZ ermordet wurde.
Trotz der leidvollen Erfahrung, die auch er ganz
persönlich gemacht hatte, trat Bubis aber als Versöhner auf und wandte sich
selbst nach den fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Rostock und Hoyerswerda
und den Anschlägen auf die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen entschieden gegen
Stimmen, die Vorfälle mit dem Auftrieb der Nazis von einst gleichzusetzen. Er
betonte immer wieder, dass die Mehrheit der Deutschen anders denkt und wohl
immun gegen eine Wiederholung des Holocausts sei. Gerade sein eher abgewogenes
Urteil verlieh Bubis eine moralische Autorität jenseits aller religiösen und
weltanschaulichen Grenzen.
Er verstand sich ausdrücklich als «deutscher Jude». Um
so mehr ärgerte ihn, wenn jemand schulterklopfend «sein Volk» oder «seinen
Präsidenten» lobte und damit den israelischen Staatschef meinte. In solchen
Augenblicken nannte er geradezu trotzig Roman Herzog oder zuletzt Johannes Rau
seinen Präsidenten und bezeichnete sich als «Frankfurter». In der Mainstadt,
wo der gebürtige Breslauer seit den 50er Jahren lebte, war Bubis noch bis zu
seinem Tode Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde.
Mehr im Fernsehen als zu Hause
Bubis war überall dabei, wo es galt, sich für die
Jüdische Gemeinde oder auch ganz generell für Liberalität und gegen Rassismus
einzusetzen. «Er kann halt nicht nein sagen», sorgten sich seine Freunde schon
lange darum, wie er das Hetzen von einem Termin zum andern überhaupt
gesundheitlich durchstehen könne. Mit 70, wenn die meisten Menschen längst in
Pension sind, halste sich Ignatz Bubis sogar noch eine kommunalpolitische
Aufgabe auf: Er zog als FDP-Spitzenkandidat in den Wahlkampf und schaffte es
auch tatsächlich, die Frankfurter Liberalen nach 16-jähriger Abwesenheit
wieder ins Ratshaus zu bringen. Seine Frau Ida und seine Tochter Naomi sahen
das Familienoberhaupt streckenweise mehr im Fernsehen als zu Hause.
Am 12. Januar 1927 in Breslau geboren, erlebte er schon
als Kind Antisemitismus und Getto. Nicht nur den Vater verlor er im KZ, auch
ein Bruder und eine Schwester kamen in der Nazizeit um. Am 16. Januar 1945 von
der Roten Armee aus einem Arbeitslager bei Tschenstochau befreit, siedelte
Bubis in den Westen um, wo er sich nach Tätigkeit im südwestdeutschen
Edelmetallhandel in Frankfurt niederließ und Immobilienkaufmann wurde. Als die
Städtischen Bühnen dort Anfang der 80er Jahre ein Stück von Rainer Werner
Fassbinder mit der zentralen Rolle eines «jüdischen Spekulanten» uraufführen
wollten, scheute der eher besonnene Mann nicht davor zurück, zusammen mit
jungen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde die Bühne zu besetzen.
Die Jüdische Gemeinde in Deutschland ist während der
Amtszeit von Bubis stark gewachsen. In den vergangenen sieben Jahren hat sie
sich durch Zuzug vieler Juden aus Osteuropa von gut 25.000 auf knapp 80.000
verdoppelt. In einem orthodoxen Elternhaus aufgewachsen, gehörte Bubis aber
auch religiös eher zu den Liberalen. In die Synagoge ging er selten, es kam
schon einmal vor, dass ihm der Rabbiner eine Standpauke hält: «Wenn sich
andere nicht an die Gebote halten, wissen sie es nicht besser. Aber Du weißt
es.»