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Seine pessimistische Bilanz wollte keiner teilen

Als bekennender «deutscher Jude» wurde Ignatz Bubis über alle religiösen und weltanschaulichen Grenzen geachtet
Von AP-Korrespondent Gerhard Kneier

Frankfurt/Main (AP) Über den Tod hatte sich Ignatz Bubis schon Gedanken gemacht: «Ich möchte in Israel beerdigt werden, weil ich nicht will, dass mein Grab in die Luft gesprengt wird - wie das von Heinz Galinski», sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland in seinem letzten großen Interview.

Trotz einer ungewöhnlich pessimistischen Bilanz, die Bubis Ende Juli im «Stern» für seine sieben Jahre als oberster Repräsentant der fast 80.000 Juden in der Bundesrepublik zog, bekräftigte er aber doch seine Entschlossenheit, im Januar kommenden Jahres erneut für dieses Amt zu kandidieren. Dazu wird es nun nicht mehr kommen: Nach einer kurzen schweren Krankheit starb Bubis am Freitag kurz vor Beginn des jüdischen Sabbats in Frankfurt am Main.

Zu einer Bandscheibenoperation und einem Bruch des Halsschenkelwirbels, die ihn in seinen letzten Lebenswochen an den Rollstuhl fesselten, einer leichten Thrombose und zunehmender Muskelschwäche kam offenbar noch etwas Schwerwiegendes hinzu, gegen das sich der leidenschaftliche Kämpfer Bubis nicht mehr wehren konnte. Immerhin hat er noch mitbekommen, wie heftig weit über die jüdische Gemeinde hinaus die Reaktionen auf seine negative Einschätzung waren, er habe «nichts oder fast nichts bewirkt».

Davon konnte wirklich keine Rede sein. Mehr als Galinski und all seine anderen Amtsvorgänger wurde Bubis zu einer allseits geachteten Instanz in Deutschland, einem erfolgreichen Mahner für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit. Nicht zuletzt seinem Einsatz ist es zuzuschreiben, dass der Bundestag im Sommer doch noch dem Bau des von ihm befürworteten großen Holocaust-Mahnmals in Berlin zustimmte. Unbestritten ist auch sein Anteil an den in letzter Zeit endlich in ein konkretes Stadium getretenen Verhandlungen über die Entschädigung jüdischer Zwangsarbeiter in der NS-Zeit. Und die Auseinandersetzung um die Rede des Schriftstellers Martin Walser zur Friedenspreisverleihung des Deutschen Buchhandels nutzte Bubis vor allem zu Appellen gegen das Vergessen oder Verniedlichen der Verbrechen von Auschwitz oder Treblinka, wo Bubis' eigener Vater im KZ ermordet wurde.

Trotz der leidvollen Erfahrung, die auch er ganz persönlich gemacht hatte, trat Bubis aber als Versöhner auf und wandte sich selbst nach den fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Rostock und Hoyerswerda und den Anschlägen auf die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen entschieden gegen Stimmen, die Vorfälle mit dem Auftrieb der Nazis von einst gleichzusetzen. Er betonte immer wieder, dass die Mehrheit der Deutschen anders denkt und wohl immun gegen eine Wiederholung des Holocausts sei. Gerade sein eher abgewogenes Urteil verlieh Bubis eine moralische Autorität jenseits aller religiösen und weltanschaulichen Grenzen.

Er verstand sich ausdrücklich als «deutscher Jude». Um so mehr ärgerte ihn, wenn jemand schulterklopfend «sein Volk» oder «seinen Präsidenten» lobte und damit den israelischen Staatschef meinte. In solchen Augenblicken nannte er geradezu trotzig Roman Herzog oder zuletzt Johannes Rau seinen Präsidenten und bezeichnete sich als «Frankfurter». In der Mainstadt, wo der gebürtige Breslauer seit den 50er Jahren lebte, war Bubis noch bis zu seinem Tode Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde.

Mehr im Fernsehen als zu Hause

Bubis war überall dabei, wo es galt, sich für die Jüdische Gemeinde oder auch ganz generell für Liberalität und gegen Rassismus einzusetzen. «Er kann halt nicht nein sagen», sorgten sich seine Freunde schon lange darum, wie er das Hetzen von einem Termin zum andern überhaupt gesundheitlich durchstehen könne. Mit 70, wenn die meisten Menschen längst in Pension sind, halste sich Ignatz Bubis sogar noch eine kommunalpolitische Aufgabe auf: Er zog als FDP-Spitzenkandidat in den Wahlkampf und schaffte es auch tatsächlich, die Frankfurter Liberalen nach 16-jähriger Abwesenheit wieder ins Ratshaus zu bringen. Seine Frau Ida und seine Tochter Naomi sahen das Familienoberhaupt streckenweise mehr im Fernsehen als zu Hause.

Am 12. Januar 1927 in Breslau geboren, erlebte er schon als Kind Antisemitismus und Getto. Nicht nur den Vater verlor er im KZ, auch ein Bruder und eine Schwester kamen in der Nazizeit um. Am 16. Januar 1945 von der Roten Armee aus einem Arbeitslager bei Tschenstochau befreit, siedelte Bubis in den Westen um, wo er sich nach Tätigkeit im südwestdeutschen Edelmetallhandel in Frankfurt niederließ und Immobilienkaufmann wurde. Als die Städtischen Bühnen dort Anfang der 80er Jahre ein Stück von Rainer Werner Fassbinder mit der zentralen Rolle eines «jüdischen Spekulanten» uraufführen wollten, scheute der eher besonnene Mann nicht davor zurück, zusammen mit jungen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde die Bühne zu besetzen.

Die Jüdische Gemeinde in Deutschland ist während der Amtszeit von Bubis stark gewachsen. In den vergangenen sieben Jahren hat sie sich durch Zuzug vieler Juden aus Osteuropa von gut 25.000 auf knapp 80.000 verdoppelt. In einem orthodoxen Elternhaus aufgewachsen, gehörte Bubis aber auch religiös eher zu den Liberalen. In die Synagoge ging er selten, es kam schon einmal vor, dass ihm der Rabbiner eine Standpauke hält: «Wenn sich andere nicht an die Gebote halten, wissen sie es nicht besser. Aber Du weißt es.»


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