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Die Auswanderer

B. Wechsler, Landrabbiner, Oldenburg, 20. December 1846, ein Vortrag, gehalten im Verein für Volksbildung zu Oldenburg

Gefunden in den Beständen der "Forschungsstelle Deutsche Auswanderer in den USA" (DAUSA) der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.

 

III.

Und nun noch die dritte wesentliche Ursache der Auswanderung, und die ist der komplete Gegensatz zwischen unsern Verhältnissen und denen in Nordamerika, ein Gegensatz, der in den meisten Hauptpunkten zur Auswanderung anlockt.

Es sei fern von mir, zum unbedingten Lobredner der nordamerikanischen Zustände mich aufzuwerfen und den dortigen ohne Weiters den Vorzug vor den unsrigen geben zu wollen, obgleich der Mann, dessen Buch ich vor mir liegen habe und dem ich in dem Folgenden manche Notiz entnehme, ich meine Friedrich von Raumer "über die vereinigten Staaten von Nordamerika", obzwar ein Preußischer im Rufe der Loyalität stehender Professor, diesen lobrednerischen Ton manchmal anzustimmen sich nicht scheut. Nein, jene Zustände da drüben haben unstreitig ihre vielen Schattenseiten, und es gehört viele Verblendung dazu, diese nicht in Anschlag zu bringen. Der deutsche Auswanderer, er wird dort schmerzlich die Gemüthlichkeit und die Geselligkeit und die Theilnahme vermissen, die uns zu eigen ist; er wird dort den Egoismus und den nur nach Gewinn und Reichthum strebenden Handelsgeist auf dem Throne wie überall das Scepter führend finden, einen Geist, der selbst die Ehrenhaftigkeit der Staaten so weit in die Schranze schlug, daß sie lange Zeit die Schande eines Bankerotts nicht scheueten und die Zahlung der Staatsschulden verweigerten, von welcher groben Verirrung indessen ein und der andere Staat wieder zurückgekommen ist und erklärt hat, er wolle seinen Gläubigern gerecht werden. Er wird dort finden ein zusammengelaufenes, von den Winden aller Weltgegenden zusammengewürfeltes Volk, eine Musterkarte aller Nationen, aller Abstufungen der Gesittung, bis zu der niedrigsten des Strauchdiebes, des aus Europa flüchtigen Verbrechers herab; ein Volk also, dem der Kitt der gemeinsamen Abstammung, der Sprache, der Geschichte noch gänzlich fehlt, und das daher auch kein rechtes Herz für einander haben kann, dessen schlotternde Glieder leicht auseinander fallen, weil die natürliche organische Verbindung es nicht zusammenhält. Er wird sich gefaßt machen müssen auf Scenen der ungestraften Pöbelgewalt, der sogenannten Lynch-Justiz. Ja, noch mehr, er wird dort auch noch die Sklaverei, diesen Schandfleck der Menschheit, diese Morgengabe der Barbarei, in manchen Staaten finden und oft einen Kampf auf Leben und Tod für die Vertheidigung, für die Beibehaltung derselben, während jedoch 13 und zwar die Hauptstaaten sich dieser Schmach entledigt haben. So wird er manche Gelegenheit haben, sich zurückzusehnen nach dem Vaterlande oder doch dessen in Liebe und mit Stolz zu gedenken.

Aber, wo so viele Schatten, da muß auch viel Licht sein, wenn es dennoch Anziehkraft haben soll, und ist auch viel Licht gerade da, wo es bei uns noch dunkel und wirre ist, wo bei uns die Klage und der Unfriede und die Zerwürfnis ihre Quelle hat. Nordamerika hat das Glück gehabt, daß große, weise, patriotische Staatsmänner an der Wiege seiner Geburt gestanden und das Zauberwort gefunden haben, das ihm ein gesundes, kräftiges Leben eingehaucht, das alle die erwähnten Auswüchse nicht verrenken können. Dieses Zauberwort ist vor Allem die volle Berechtigung der Person, die in keiner Zwangsjacke eingeschnürte Freiheit der Bewegung, die Abweisung der Versuchung, auf Kosten des Individuums und seiner natürlichen Ansprüche eine gesellige Ordnung zu gründen oder sich auf die schwindelnde Höhe einer künstlichen, nur mit großen Opfern zu behauptenden Macht schwingen zu wollen. Daher wenig Beamtenthum und Polizeiwesen, ein kaum bemerkbares Regiment, daher nur wenig, kaum der Rede werthes, stehendes Militair und dafür großartige Anlagen von Straßen, Kanälen, Eisenbahnen u.s.w. für die Erleichterung des Verkehrs; daher die Leichtigkeit der An- und Uebersiedlung für Jeden, der dazu Lust hat, keine Aengstlichkeit und ängstliche Voruntersuchung, ob der Ansiedler nicht einst der Armuth und der Unterstützung anheim fallen könne. Die Thore der Aufnahme stehen offen; Jeder, dem's beliebt, gehe ein und sehe dann zu, wie er das liebe Brod sich schaffe. Dabei keine Monopole, kein Gewerbszwang, keine Ueberlastung des Bodens, keine Beschränkung des Umzugs, kein mißtrauisches Auflauschen auf das Woher und Wohin. Weiter ein freies Schalten und Walten des Associationsgeistes, im politischen Leben vollkommene Oeffentlichkeit, unverkürzte Theilnahme des Bürgers an der Gesetzgebung und dem Staate, offene Herrschaft des Gesetzes, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit, überall, Freiheit der Rede, keine Verfolgung wegen politischer Meinungen, ein Minimum der Einmischung des Staates in die Gemeindeverhältnisse, gar keine in die Presse, in die geselligen und politischen Verbindungen. Diese und ähnliche Gegensätze, ich muß an ihnen flüchtig vorübereilen, um noch einen Augenblick Ihre gefällige Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen für einen Hauptnerv des Gemeinwohls, für ein Schlagwort unserer Zeit, ich meine das Verhalten der Staaten Nordamerika's zur Kirche und zur Schule. Ich lasse hier Raumer selbst reden. Sein Bericht lautet: (Th. II. S. 148.)

"Nach ernster und beredter Ueberlegung und Darlegung der Gründe beschloß Virginien im Jahre 1785: kein Mensch soll gezwungen werden, zu besuchen oder zu unterstützen irgend einen religiösen Gottesdienst, Kirche oder Priesterschaft; auch soll man Niemand deshalb an Leib oder Gut beunruhigen, zwingen und belästigen oder ihn wegen religiöser Meinungen oder Glauben irgend Leid anthun. Vielmehr steht es allen Menschen frei, ihre Ansichten über Religion offen zu bekennen und zu vertheidigen, und soll dies in keiner Weise ihre bürgerliche Stellung verändern, verbessern oder verschlechtern. - Ueber diesen Beschluß erhob sich ein gewaltiges Geschrei, von gemüthloser Gleichgültigkeit, unchristlicher Sinnesart, Unglaube und Atheismus, und jede Partei hätte gerne ihre Kirche zu der staatlichen, wohlbegabten Kirche erhoben. Glücklicher Weise - Raumer spricht so - war keine mächtig genug, solch einen Plan durchsetzen zu können, und nachdem Nordamerika obige Grundzüge allgemein angenommen und sich in die neuen Verhältnisse gewöhnt hat, ertönen hauptsächlich nur Stimmen einzelner Europäischer Reisenden gegen diese neue Entwicklungsstufe der Menschheit." So weit Raumer. Und es braucht Ihnen, meine H., nicht erst gesagt zu werden, daß diese Staatsgrundsätze in Nordamerika keine bloß papiernen sind, sondern wirkliche, ins Fleisch und Blut des Ganzen übergegangene, daß dort vollste Duldung jeder Ueberzeugung herrscht, doch, was sage ich Duldung, nein, daß vielmehr dort von gar keiner Duldung die Rede sein kann, weil Staat und Kirche völlig getrennte Glieder sind, so daß Conflicte und Einflüsse des einen auf die andern und umgekehrt gar nicht vorkommen können. Sekten mit den freiesten Grundsätzen, wie die Universalisten, die Unikaner - die, wenn die Angaben Raumers richtig sind, hart an die freie Gemeinde in Halle oder Königsberg streifen - neben der strengsten Orthodoxie, neben Wiedertäufern, Quäkern u.s.w. - Der Staat läßt sie gewähren, und - er besteht, die Amerikaner sind in der Regel sogar kirchlich. Eben so ist in ihm von keiner Emancipation der Juden, in kleinen Dosen und Portionen zugemessen, die Rede, denn er hat sich selbst von vorn herein emancipirt von jeder derartigen Beschränkung seiner Bürger.

Man könnte nun einwenden und sagen, das käme daher, weil die nordamerikanischen Staaten nur Rechtsstaaten seien im Sinne des römischen, weil sie die geistige Entwicklung, die Bildung, die Intelligenz gar nicht in den Kreis der staatlichen Thätigkeit und Einwirkung gezogen haben, weil sie sich um die Belehrung und den Fortschritt des Volkes gar nicht bekümmern wollen, wie die unsrigen. Daß dem nicht so sei, davon giebt das Verhalten der Staaten gegen die Schulanstalten, gegen die Volksschulen namentlich, das beste Zeugniß. Hier begegnet uns abermals das Entgegengesetzte dessen, was in der Regel bei uns Grundsatz und Praxis ist. Ich will auch hier wieder Raumers eigene Worte anführen (S. 38).

"Das Schul- und Erziehungswesen - sagt er - ist besonders in den nördlichen Staaten seit der ersten Ansiedlung eifrigst befördert, und seit der Unabhängigkeit des Bundes Washington's und Jefferson's laut ausgesprochene Ueberzeugung allgemein anerkannt worden: daß je größere Rechte ein Freistaat seinen Bürgern einräume, desto mehr müsse er für ihre Erziehung und Bildung sorgen. Schon in seiner Botschaft an den Congreß sagte Washington: Sie sind gewiß mit mir überzeugt, daß nichts ihren Schutz mehr verdient als die Beförderung von Wissenschaft und Litteratur. In jedem Lande sind sie die höchsten Grundlagen des öffentlichen Wohles; in einem Lande aber, wie das unsrige, wo die Maaßregeln der Regierung so unmittelbar durch die allgemeine Sinnesart bestimmt werden, sind sie doppelt nothwendig. Das Volk muß lernen seine Rechte und ihren Werth erkennen, Unterdrückung unterscheiden von Ausübung gesetzlicher Macht, nothwendige Steuern von willkührlich auferlegten Lasten und den rechten Geist der Freiheit von dem der Zuchtlosigkeit, damit es jenen liebe und diesen verabscheue u.s.w. - Dadurch, daß die Bundesregierung 1/36 aller Staatsländereien für die Schulen bewilligte (Anm. Hiernach würden in den westlichen Staaten etwa 2,160,000 Acker den Schulen gehören, deren Werth man schon vor Jahren auf 4,332,000 Dollars anschlug.), hat sie diesen ein unermeßliches, täglich an Werth steigendes Geschenk gemacht. Die Staatsregierungen hüten sich indessen, diesen Schatz zu vergeuden; sie fordern vielmehr, daß sich die Gemeinden vor aller Bewilligung selbst anstrengen, Schulhäuser bauen, Lehrer anstellen, und das Vierfache oder doch das Doppelte dessen herbeischaffen, was die Behörde giebt. Fast alle Verfassungsurkunden enthalten sehr löbliche Bestimmungen über den Werth der Erziehung, und gewähren Mittel, die damit verbundenen, nothwendigen Ausgaben zu bestreiten" u.s.w.

Diese Angaben, wenn sie richtig sind, woran ich indessen bei einem Geschichtsschreiber von Raumers nicht zweifle, bedürfen keines Kommentars. Ich füge daher bloß, weil Zahlen am besten entscheiden, noch einige solche Zahlen hinzu:

In Pennsylvanien wurden im Jahre 1834 - 460,000 Thlr. aus öffentlichen Kassen für Schulzwecke bewilligt. Es gab 4488 männliche und 2050 weibliche Lehrer, jene erhielten monatlich im Durchschnitte 25, diese 18 Thaler.

In dem Stadtbezirke von Philadelphia waren im Jahre 1843 - 214 Schulen mit 489 Lehrern, darunter nur 87 männliche und 412 weibliche. Der Gehalt für einen beträgt durchschnittlich 410 Thlr. Die Gesammtausgaben für die Schulen 280,000 Thlr.

In Neuyork wurden im letzten Jahre aus öffentlichen Kassen den Lehrern ausbezahlt 565,000 Dollars; für Bücher der Bezirksbibliotheken 95,000, von den Einwohnern wurden ferner noch aufgebracht 500,000 Dollars. In Summa 1,079,000 Dollars oder 1,620,000 Thlr. (Allen Freunden des Schulwesens, allen Jenen, die noch in der Ansicht schwanken, ob der Staat Beruf und Pflicht habe, der Volksschule thätig unter die Arme zu greifen, dem Jammer einer kümmerlichen Besoldung der Lehrer durch kräftige Unterstützung aus allgemeinen Mitteln ein Ende zu machen, die noch so häufig vorkommende unerhörte Ueberfüllung der Schulen nicht zu dulden sei es anempfohlen, das angezogene Kapitel in Raumer aufmerksam nachzulesen. Wäre es, bei nur entfernt ähnlichen Grundsätzen, möglich, daß unmittelbar vor den Thoren Oldenburgs eine Schule existiren könnte, mit nahe an 300 Kindern und nur einem, sage einem Hauptlehrer und einem Hülfslehrer? Kann da, bei aller Tüchtigkeit und Thätigkeit der Lehrer, die ich am wenigsten in Abrede stellen will, die Schule ihrer Aufgabe genügen? - Freilich - gewisse Herren vermerken es sehr übel, wenn man solche Blößen entdeckt und aufdeckt und ich könnte davon ein recht pikantes Geschichtchen erzählen. Aber mit dem Unentdecktbleiben solcher Blößen ist es heut zu Tage ein mißlich Ding. Bekanntlich steckt der Vogel Strauß seinen Kopf in die Erde, um nicht gesehen zu werden.)

Es ist beschämend, wenn das Alter von der Jugend lernen soll. Aber hier gäbe es wahrlich Manches von den jungen Staaten zu lernen, hier wäre Manches nachzuahmen, damit man in der Heimat jene Einrichtungen und Anstalten fände, und sie nicht erst in der Ferne zu suchen brauchte, die der physischen und geistigen Existenz eines Volkes die rechten Unterlagen schaffen, die die besten Garantien bieten gegen Erschlaffung und Zerfall.

Doch - meine Stunde ist abgelaufen und so muß ich wohl hier abbrechen, wohl selbst fühlend, wie das, was ich Ihnen geboten, nur ein Fragment ist. So besonders wäre es von Interesse, nun noch die Auswanderer nähe zu klassificiren und wir würden dann etwa finden: 1) Auswanderer aus Armuth; 2) aus Furcht vor Verarmung; 3) aus Mangel an Gelegenheit, ihre Kräfte und Mittel gehörig anzuwenden; 4) aus Nachahmung und Beispiel, 5) aus politischen, 6) aus religiösen Rücksichten; 7) sogenannte Glücksritter und endlich 8) solche, die mit den Gesetzen und der bürgerlichen Ordnung bei uns zerfallen sind, Flüchtlinge aus mancherlei Ursachen.

Und nun zum Schlusse nur noch die Frage: wie soll man sich gegen die Auswanderung verhalten, soll man sie hindern oder befördern? Verhindern (Bekanntlich gestattet Rußland, das die Juden wie eine Landplage behandelt, denselben dennoch nicht, das Land zu verlassen. Sie müssen im Lande bleiben und sich Bärte abschneiden, knuten und russisch erziehen lassen.) keineswegs, denn das wäre ein schreiender Eingriff in die Rechte des Individuums. Der Vogel in der Luft baut sich sein Nest, wo es ihm behagt, zieht weiter, wenn's ihm beliebt. Und dem Menschen dürften wir's wehren? - Aber befördern gewiß noch weniger, am wenigsten in der Weise, wie die Gemeinde Großzimmern im Großherzogthum Hessen letzthin nach Zeitungsberichten gethan haben soll, die nämlich ihre Armen mit Sack und Pack hinüber expedirte, um nur ihrer los zu werden und sie dort dem bittersten Elende aussetzte. Ich dächte, es müßte Ehrensache für uns sein, kein solches Zeugniß des Unvermögens uns selbst auszustellen. Helfe man vielmehr, die Ursachen der Auswanderung mehr und mehr hinwegräumen. Zeige man, daß es uns ernst darum ist, dem Uebel an die Wurzel zu gehen. Und wer dann dennoch ziehen will, der ziehe hin in Frieden, und sage dem Bruder Jonathan, daß diesseits auf deutscher Erde auch ein Volk lebt, daß sich zu schätzen und zu kräftigen weiß.

hagalil.com / 13-08-2006


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