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Vaclav Havel's Abschiedsrede

Nach 13 Jahren im Amt, schied der tschechische Präsident Vaclav Havel aus dem Amt. Am Sonntag Abend hielt er seine letzte Rede in dieser Funktion. Sie wurde vom tschechischen Rundfunk und Fernsehen übertragen.

Liebe Mitbürger,

die grundlegenden Veränderungen der Verhältnisse in unserem Land haben mich Ende des Jahres 1989 hierher gebracht, auf die Prager Burg. Dies war so plötzlich geschehen, dass ich gar keine Zeit hatte, genauer zu überlegen, ob ich für eine solche Aufgabe überhaupt geeignet bin. Ich war damals ehrlich überzeugt, diese Funktion nur für einige wenige Monate zu übernehmen, bis zu den ersten freien Wahlen.

Doch es ist alles ganz anders geworden. Ich bin nun – wenn ich die kurze Pause in der zweiten Hälfte des Jahres 1992 nicht rechne - schon mehr als dreizehn Jahre hier.

Während dieser Zeit war ich Zeuge und direkter Beteiligter zahlreicher umwälzender Vorgänge, sowohl in unserem Land als auch in ganz Europa und der ganzen Welt. Dies halte ich für ein ganz großes Geschenk des Schicksals, für das ich immer dankbar sein werde.

Das feine Geflecht von Institutionen und Beziehungen zwischen den Bürgern, die im Laufe langer Jahrzehnte entstanden waren, aufzuheben, alles zu verstaatlichen und das Leben des ganzen Landes einem politischen Zentrum unterzuordnen, ist einfach. Aber nach Jahrzehnten der Zeitlosigkeit alles erneut voneinander zu lösen und an seinen richtigen Platz zu bringen, ist ungeheuer anspruchsvoll und dauert lang. So wie es viel länger dauert, eine Antiquität, ein Möbelstück beispielsweise, zu restaurieren, als sie zu zerstören.

Die Geduld, mit der sich unsere Gesellschaft allen Anforderungen dieser dramatischen Zeit stellte, Anforderungen, deren Umfang wohl kaum jemand von uns in jenen aufregenden Tagen der Revolution vorhersehen konnte, verdient große Bewunderung.

Die guten als auch die falschen Schritte, die ich während dieser langen Zeit in meiner Funktion gemacht habe, mögen andere beurteilen, mögen Sie beurteilen, gewiss werden sich damit auch einmal Historiker befassen. Damit möchte ich natürlich nicht sagen, dass ich mit der Zeit nicht versuche werde, über mein Wirken selbst Zeugnis abzulegen. Vielleicht bin ich es der Öffentlichkeit sogar bis zu einem gewissen Grade schuldig. Aber es braucht Zeit, Besonnenheit, Gesundheit und Konzentration. Ich hoffe, dass mir dies alles noch vergönnt sein wird.

Heute möchte ich von ganzem Herzen all jenen danken, die mir ihr Vertrauen geschenkt haben, die mir ihre Sympathie entgegengebracht oder mich auf die eine oder andere Weise unterstützt haben. Ohne Eure verständnisvolle Zuneigung hätte ich meine Funktion nicht einmal ein paar Sekunden lang versehen können. Eure Unterstützung schätze ich um so mehr, als ich nicht versucht habe, sie um jeden Preis zu gewinnen. Oftmals habe ich sogar einen Standpunkt vertreten, mit dem ich klar in der Minderheit war, und mir damit eher Widerspruch als Anerkennung erworben. Manchmal habe ich in solchen Fällen vielleicht einen Fehler gemacht. Ich möchte Euch aber gern versichern: ich habe mich immer bemüht, mich nach dem Diktat jener Instanz zu richten, auf die ich meinen Eid abgelegt habe: nämlich nach dem Diktat meines besten Wissens und Gewissens.

All jenen, die ich auf die eine oder andere Weise enttäuscht habe, die mit meinem Tun nicht einverstanden waren oder denen ich einfach widerwärtig war, bitte ich aufrichtig um Verzeihung und glaube fest, dass sie mir vergeben.

Bis jetzt ist es dem Parlament der Tschechischen Republik noch nicht gelungen, meinen Nachfolger zu wählen. Dies ist bedauerlich, aber keineswegs eine Katastrophe. Die Befugnisse des Präsidenten gehen vorübergehend in die Hände des Regierungsvorsitzenden und des Vorsitzenden der Abgeordnetenkammer über, also zweier verantwortungsbewusster Menschen. Ich glaube, früher oder später wird die Wahl des Präsidenten gelingen. Dieser wird dann in einer Zeit an der Spitze des Staates stehen, die wohl weniger aufregend ist, als jene, in der ich mit dieser Funktion betraut wurde, doch keineswegs wird es eine uninteressante Zeit sein. Eher im Gegenteil: erst jetzt wird sich real zeigen, in welchem Maße wir bereits vollwertiger Teil der demokratischen Welt sind.

Liebe Mitbürger,

als ich am 17. Juli 1992 von der Funktion des tschechoslowakischen Präsidenten zurücktrat, dankte ich unter anderem meiner Frau Olga dafür, dass sie so lange neben mir gestanden hatte. Olga ist in der Zwischenzeit verstorben, ich habe noch einmal geheiratet, und meine zweite Frau Dagmar musste ihre Position unter sehr schwierigen Bedingungen einnehmen. Deshalb möchte ich ihr an dieser Stelle für ihre Geduld und Solidarität sowie dafür danken, dass sie ihr Schicksal angenommen und so schöpferisch gestaltet hat.

Liebe Freunde,

ich verabschiede mich von Ihnen als Ihr Präsident, doch ich bleibe bei Ihnen als Ihr Mitbürger!

Übersetzung Mag. J. Posset


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