Eine Serie zum Antisemitismus in
Tschechien und in der Slowakei vor
und nach der russischen Invasion
1968
Teil 2:
Die Jahre nach 1945
von Marta S. Halpert
Der kommunistische Coup
"Prag ist voll von
Freunden, die nicht mehr leben",
stellte Egon Erwin Kisch 1946 nach
seiner Rückkehr aus dem Exil bitter
fest. "Jede Straßenecke drängt
Tränen in die Augen."
Den meisten Überlebenden ging es von
1945 bis zum kommunistischen Putsch
1948 sehr schlecht, weil sich die
neue Regierung deutlich von der
ehemaligen Masaryk-Benes-Republik
unterschied: Sie war weniger
tolerant, dafür allen Minderheiten
gegenüber extrem misstrauisch. Den
befreiten Juden war man feindlich
gesinnt, da sie Zeugen der
tschechischen Kollaboration mit den
Deutschen geworden waren. Ferner war
die Bereitschaft nicht sehr groß,
die arisierten Wohnungen und
geraubten Wertgegenstände
zurückgeben. "Nicht selten hörte man
in der tschechoslowakischen
Bevölkerung den Spruch: So viele
Juden sind doch zurückgekehrt.
Wahrscheinlich waren viele Löcher in
den Gaskammern.", schreibt Reuven
Assor in "Deutsche Juden in der
CSSR".
- "Jede
Straßenecke drängt Tränen in die
Augen":
Februar, Prag, Endstation
Im
Februar 1948 fand in Prag die
Umgestaltung der Regierung
statt. Die KP konzentrierte
gemeinsam mit der Sowjetunion
die Macht auf sich. Die ersten
Tendenzen gegen so genannte
Westemigranten zeichneten sich
ab. Egon Erwin Kisch, der seit
1946 wieder in Prag war,
verstarb im März 1948...
Aber auch in den
Reihen der tschechoslowakischen
Auslandsarmee, die vornehmlich in
England und Frankreich tätig war, in
der auch viele Juden dienten, geriet
man sich in die Haare: Prügeleien
mit antisemitischem Hintergrund sind
überliefert. Jene, die an der Seite
der Sowjetunion gekämpft hatten,
kehrten ebenso zurück, wie
Mitglieder der Benes-Exilregierung.
Gedenkstätte
Theresienstadt: Friedhof gegenüber
der kleinen Festung
Der Prozentsatz
der jüdischen Intellektuellen unter
den Kommunisten war relativ hoch.
Daher wurden viele mit hohen Posten
belohnt, nachdem die KP die Macht im
Februar 1948 übernommen hatte. In
der Regierung gab es im gleichen
Jahr drei jüdische Staatssekretäre.
Den Tod von Egon
Erwin Kisch am 31. März 1948, also
vor rund 60 Jahren, bezeichnete der
tschechische Germanist Eduard
Goldstücker als "Glück". Der Grund
dafür: Zurückkehrende Schriftsteller
wie Franz Carl Weiskopf, Louis
Fürnberg oder eben Kisch mussten die
Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass
die deutsche Sprache den Menschen
nun als Sprache eines Goebbels oder
Heydrich in den Ohren klang und
nicht mehr mit einem positiven
Kulturbegriff assoziiert wurde.
"Man
muss die Dinge sehen, wie sie sind,"
schrieb Weiskopf bekümmert an Egon
Erwin Kisch. "Die Möglichkeit, als
deutscher Schriftsteller in der
Tschechoslowakei zu wirken, ist
vorbei."
Abb.: Das Grab des "Rasenden Reporters" Egon Erwin Kisch auf
dem Friedhof in Prag-Strasnice. Die
Büste auf dem Grab ist begehrtes
Diebesgut. Bereits 1992 war das
erste Exemplar des Kisch-Kopfes
gestohlen worden. Mit Hilfe
internationaler Spender wurde die
Büste des berühmten Autors wenige
Monate später - mit dem bereits 2001
wieder verschwundenen Entwurf des
tschechischen Bildhauers Zdenek
Hosek - ersetzt. Der neue Abguss der
Büste, Kostenpunkt rd. € 8.000, soll
demnächst wieder "aufgesetzt"
werden.
Das Interesse der
stark von der UdSSR kontrollierten
Partei ging nun dahin, sich
diejenigen vom Hals zu schaffen, die
in westlichen Ländern exiliert
gewesen waren, die sich in mehreren
Sprachen Informationen beschaffen
konnten, die gelernt hatten,
differenziert zu diskutieren. Bald
gerieten die sogenannten
"Kosmopoliten" ins Visier von Partei
und politischer Polizei.
Schauprozess Slánsky als
Trauma
Und wie immer in der Geschichte des
nationalen Kommunismus waren mit dem
Wort Kosmopoliten auch, wenn nicht
sogar in erster Linie, die Juden
gemeint. Das bezeichnet Goldstücker
mit "Glück", als er sich auf den
frühen Tod des bereits damals
weltberühmten Schriftstellers und
Journalisten Egon Erwin Kisch bezog.
"Denn wenn jemand wirklich ein
'Globetrotter' war", schrieb er über
ihn, "so der Egon Erwin aus der
Prager Melantrichgasse". Als
Altkommunist, Deutschböhme, Jude und
Weltenbummler typisch westlichen
Zuschnitts verkörperte er alle nur
möglichen Verdachtsmomente, ebenso
wie Goldstücker selbst. Jener Mann,
der zwischen 1948 und 1951 der erste
Botschafter der Tschechoslowakei in
Israel gewesen war, wurde im
Zusammenhang mit dem sogenannten
Slänsky-Prozess im Jahr 1952 zu
einer lebenslänglichen
Gefängnisstrafe verurteilt; erst
1955 konnte er das Gefängnis wieder
verlassen.
- Egon Erwin
Kisch:
Der rasende Reporter
Am 31.
März 1948, starb in Prag eine
der schillerndsten
Persönlichkeiten aus der Welt
des Journalismus: Egon Erwin
Kisch...
-
Prager Geschichten:
Ein bunter Vogel
Egon Kisch wurde 1885 als
zweiter von fünf Söhnen einer
Prager jüdischen
Patrizierfamilie geboren. Den
Zwischennamen "Erwin" hat er
sich selber gegeben. An der
Universität hielt es ihn nur
zwei Semester...
Paul Lendvai
schreibt in seinem Standardwerk zu
der Nachkriegssituation der Juden in
Osteuropa "Antisemitismus ohne
Juden" (Europa Verlag Wien, 1972)
ausführlich über "Das Gespenst
Slánskys". Am 31. Juli 1951
gratulierte das tschechoslowakische
Parteiorgan 'Rúde Právo' im Namen
des ZK der Kommunistischen Partei
ihrem Generalsekretär Rudolf Slánsky
zum 50. Geburtstag und lobte ihn als
"einen unermüdlichen Kämpfer und
hervorragenden Führer" sowie "als
den engsten und treuesten
Mitarbeiter Präsident Klement
Gottwalds." Nicht ganz vier Monate
später berichtete das gleiche Blatt
über die Verhaftung Slánskys, weil
er sich angeblich "staatsfeindliche
Tätigkeiten zuschulden kommen ließ".
"Fast genau ein Jahr später",
schreibt Lendvai, "standen Rudolf
Slänsky, stellvertretender
Ministerpräsident und
zweitmächtigster Mann im Staat,
sowie dreizehn Mitangeklagte vor
Gericht: Beschuldigt als
'trotzkistisch-titoistisch-zionistische,
bürgerlich-nationalistische Verräter
und Feinde des tschechoslowakischen
Volkes'". Slánsky und seine
Mitangeklagten bekannten sich in
allen Punkten schuldig. Elf von den
vierzehn waren Juden und bis auf
drei wurden alle zum Tode verurteilt
und im Morgengrauen des 2. Dezember
1952 gehängt.
"Fast elf Jahre danach, am 14. Mai
1963," dokumentiert Lendvai, "gab
der Oberste Gerichtshof der
Tschechoslowakei bekannt, dass es
diese Verschwörung nie gegeben hatte
und, dass die Geständnisse durch
Anwendung physischer Gewalt und
psychologischem Druck erpresst
worden waren." Alle sogenannten
"Dokumente" für den Schauprozess
wurden vom Innenministerium
fabriziert. Die
"Slánsky-Verschwörung" und sieben
weitere Schauprozesse, in denen mehr
als sechzig prominente Politiker und
Funktionäre angeklagt waren, wurden
als Fälschungen bezeichnet.
"Die Slánsky-Affäre war von
massenhafter Entlassung, wenn auch
nicht immer Verhaftung, jüdischer
Beamter, Journalisten und
Angesteller in allen Lebensbereichen
begleitet. Doch sollte man keinen
Augenblick vergessen, dass das
auffallende jüdische Übergewicht im
Slánsky-Prozeß absichtlich von den
sowjetischen Beratern manipuliert
worden war". Laut Lendvai handelte
es sich bei der Mehrzahl der
verhafteten Funktionäre um
Nichtjuden, zum Beispiel auch der
gesamten slowakischen Parteiführung
mit Gustav Husák, dem Chef der
slowakischen Landesregierung, an der
Spitze.
Waffen für Israel und
Antizionismus
Während gleich
nach der Staatsgründung Israels, am
14. Mai 1948, mehrere tausend Juden
dorthin auswanderten, waren die
Grenzen in den frühen 50er Jahren
bereits dicht geschlossen.
Nach dem Krieg und der
kommunistischen Machtübernahme wurde
zunächst eine freundliche Politik
gegenüber Israel eingeschlagen. Die
Tschechoslowakei war der wichtigste
Waffenlieferant für den neuen
jüdischen Staat, der gegen fünf
arabische Armeen kämpfte. Auch
zahlreiche Piloten der israelischen
Luftwaffe wurden in der CSSR
ausgebildet. Diese guten Beziehungen
wurden nach einer sowjetischen
Kampagne abgebrochen und unter dem
Druck des großen Bruders vom
Antisemitismus zum Antizionismus
umfunktioniert.
- Hilfe bei
der Staatsgründung:
Tschechische Gründer Israels
Junge
Israelis wissen gar nicht, dass
ihr Staat ohne die Lieferung
tschechischer Waffen vor 60
Jahren nicht überlebt hätte.
"Wenn die Waffen nicht an
Frankos Spanien gehen, könnt ihr
verkaufen, an wen ihr wollt" –
das hat angeblich Moskau an die
Anfrage aus Prag wegen einer
Lieferung an Israel geantwortet…
Wie auch in
anderen kommunistischen
Ostblockstaaten wurden schon 1967 -
nach dem Sechstagekrieg - die
Beziehungen zu Israel abgebrochen
und die Hetzkampagnen gegen Juden
auch noch 1973 anlässlich des Jom
Kippur-Krieges wieder verschärft.
Der
Prager Frühling 1968
Verlinkungen
haGalil.com
Abb. aus der "Gemeinde" (Nr. 623,
Siwan 5768) bzw. haGalil.com.
|