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Nicht nur in
Rokycany tanzen die Menschen zur Zeit auf den Strassen. Der
kleine Ort liegt etwa 80 Kilometer südwestlich von Prag, kurz vor den
Toren der Industrie- und Bierstadt Pilsen.
Außer Vera Bila, der "Queen of Romany", gibt es dort nur
wenig Aufregendes, aber Vera begeistert die Menschen dafür um so mehr.
Am vergangenen Freitagabend trat die tschechische Roma
Sängerin mit ihrer Band Kale sogar in New York auf. Und wie zuhause,
begeisterte sie auch bei diesem Konzert der Roma Musik, das vom
Weltmusikinstitut veranstaltet wurde, das Publikum. Vorgestellt wurde sie
als die Ella Fitzgerald der Roma Musik.
Trotz aller Erfolge lebt Vera immer noch in bescheidenen
Verhältnissen. Die Sängerin fühlt sich in ihren alten Kleidern am
wohlsten, schätzt aber Schmuck und singt am liebsten barfuss.
Ihr Leben ist die Geschichte einer Außenseiterin, eines
wundersamen Charakters, der durch Schmerzen und Trauer gehen musste, um
die schönere Seite der Melancholie zelebrieren zu können: Bereits als
Kind, das Mitte der 50er Jahre nahe des tschechischen Pilsen geboren
wurde, musste Vera Bila damit fertig werden, dass ihr Volk der Roma keinen
Platz hatte im System der damaligen CSSR.
Vera fand Trost in der Musik, hörte nachts heimlich die Beatles, Bee Gees
und Beach Boys auf Radio Free Europe, bis ihr Vater hinter das Geheimnis
kam, das Radio zertrümmerte und Vera verprügelte. Denn er wollte, dass das
Kind die musikalische Tradition der Roma pflegte. Vera wurde so etwas wie
ein Teenie-Star in ihrer Community, nahm mit elf Jahren die erste Platte
auf und verschwand danach für dreißig Jahre aus dem Musikgeschäft.
Erst Mitte der 90er Jahre stellte sie wieder eine Gruppe zusammen, mit der
sie ihre beiden musikalischen Seelen verbinden wollte. Und so vereint
Queen Of Romany die tanzbaren, auf dem Rhythmus einer Akustik-Gitarre und
einer wunderbar wehmütigen Melodie beruhenden Volkslieder der Roma mit
unterschiedlichsten Spielweisen der Popmusik.
Lateinamerikanische Rhythmen und beatle-eske Satzgesänge, schmachtende
Balladen und Refrains, die zwischen der Schwermut des portugiesischen Fado
und der Leichtigkeit des brasilianischen Samba tänzeln -- dies sind die
emotionalen Pole, zwischen denen sich die Queen Of Romany bewegt: Ihre
Texte handeln stets von Leid, Verlust, Tod, Arbeitslosigkeit und dem
Schicksal einer Frau, deren Mann im Gefängnis sitzt -- aber Vera Bila
besingt ihre Trauer mit all der Leichtigkeit, zu der eine melancholische
Kinderseele fähig ist.
Björn Döring /
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