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[Tschechische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau]
Von Zuzana Mosnáková

Zur Diskussion im Forum:
[
Nationalsozialistische Konzentrationslager]

3.4 Kunst und Kultur im Lager

3.4.4 Musik

Ähnlich wie bei den gerade geschilderten kulturellen Aktivitäten erscheint die Vorstellung, dass im KZ Dachau musiziert und gesungen wurde, zunächst vollkommen abwegig. Doch im Unterschied zu den kreativen Abenden, deren Bestandteil sie nicht selten bildete, besaß die Musik im Konzentrationslager mehrere Gesichter.

Im tristen Lageralltag wurde sie zunächst von der SS-Führung zwangsweise verordnet und damit "automatisch als Repressions-, Folter- und Propagandainstrument"[177] missbraucht. Alle Häftlinge mussten mehrmals am Tag bei den Appellen, beim Marschieren zum Arbeits-kommando oder auf dem Rückweg ins Lager lauthals deutsche Lieder, wie etwa "Schwarz-braun ist die Haselnuss" oder "In dem Schatten grüner Bäume lasst uns sing’n und fröhlich sein" anstimmen. Angesichts des Todes, des Hungers und der Erschöpfung bedeutete solcher Gesang für die Häftlinge blanken Hohn und Zynismus, durch den sie tagtäglich gedemütigt wurden. Besonders für ausländische Häftlinge wurde der verordnete Gesang zu einer schreck-lichen Schikane, da die meisten weder die Lieder kannten noch der deutschen Sprache mächtig waren, so dass sie in der Menge leicht auffielen und somit Opfer weiterer Misshandlungen wurden. In ihrer Freizeit konnten sich daher viele von ihnen nicht ausruhen, sondern mussten oft unter dem Kommando eines sadistischen SS-Mannes oder Funktions-häftlings die verhassten Lieder einüben. Der kollektive Gesang wurde auf diese Weise "zu einem Mittel regelmäßiger psychischer und physischer Gewaltanwendung umfunktioniert."[178]

Eine ähnliche Rolle spielte Musik, die im Lager im Vorfeld einer Hinrichtung oder als Geräuschkulisse bei Folterungen und Erschießungen gespielt wurde. Zu diesen Zwecken wurden in vielen Konzentrationslagern eigene Orchester gegründet, die solche grausamen Vorstellungen musikalisch untermalen sollten. Zum Beispiel musste nach einem gescheiterten Fluchtversuch der betreffende Häftling beim abendlichen Zählappell in Begleitung der Lagerkapelle mit einer Tafel marschieren auf der stand: "Ich bin schon wieder da!". Der Zug brachte ihn "dann direkt ins Bad zur ,Auszahlung’. Vor dem Bad warteten wir, bis man ihn wieder halbtot und blutüberströmt herausführt. Von dort musste er wieder in Begleitung der Musik um alle Häftlinge herumgehen - in den Bunker.[179] Diese Inszenierung war eine grausame Demonstration der Macht der SS und bedeutete für die Häftlinge eine ungeheuere Demütigung.

Die Dachauer Lagerkapelle, die von Schutzhaftlagerführer Egon Zill ins Leben gerufen wurde, setzte sich nach Angaben des stellvertretenden tschechischen Dirigenten Josef Ulc aus vierzehn tschechischen, zehn polnischen, zwei österreichischen und zwei deutschen Häftlingen zusammen.[180] Die Tschechen spielten demnach in diesem eigenständigen und privilegierten Arbeitskommando eine sehr wichtige Rolle. Nach J. Ulc waren sie eine einge-schworene Gruppe.[181] Die Musikanten wurden lagerintern überwiegend mit leichter Arbeit beschäftigt und erhielten nach einem Auftritt mehrmals Lebensmittelzulagen sowie andere Vergünstigungen. Die Instrumente sowie einige Noten durften sich die Musiker von zu Hause schicken lassen. So entstand in Dachau allmählich ein richtiges Salonorchester, welches aus sechs Geigen, einem Akkordeon, einer Klarinette, einer C-Trompete, einem Kontrabass sowie einigen Gitarren bestand.[182] Später kamen noch Klavier und Saxophon hinzu. Zum Dirigenten dieser ungewöhnlichen Zusammensetzung wurde der polnische Musiker Kulawik bestimmt, und um die Notenarrangements kümmerte sich Josef Ulc, dem es trotz der extrem schwierigen Situation gelang, einige sehr populäre Stücke zusammenzustellen oder zu komponieren.[183] Zum Repertoire des Orchesters gehörten unter anderem "Liszts zweite Ungarische Rhapsodie, die Ouvertüren zu Offenbachs Orpheus in der Unterwelt, zu Rossinis Diebischer Elster und zu Suppés Dichter und Bauer sowie Walzer von Strauß."[184] Die begehrten öffentlichen Konzerte für das Häftlingspublikum wurden an Sonntagen in der "Holzschusterei" oder im sogenannten Bad veranstaltet[185], dem Ort, an dem auch zahlreiche Strafen und Exekutionen stattfanden. Im Herbst 1941 befahl nach Angaben von J. Ulc der Lagerführer Egon Zill, zusätzlich eine Blaskapelle zu gründen. Die dafür notwendigen Instrumente wurden von angeordneten "öffentlichen Spenden"[186] der Häftlinge finanziert. Zill ließ außerdem für die Mitglieder eigene Uniformen der alten belgischen Königsgarde schneidern, die für sie eine tiefe Demütigung bedeuteten. Als sich die Musiker in voller Montur Zill "gezeigt haben, lachte er so sehr, dass ihm aus den Augen Tränen herausschossen. Es war tatsächlich eine beneidenswerte Uniform. [...] Wir lachten selbst über uns aber wir waren bemitleidenswert. [...] Die Uniform saß bei niemandem."[187] Die Konzerte der Blaskapelle fanden in erster Linie vor den zahlreichen Besuchern statt, um das Konzentrationslager in einem positiven Licht erscheinen zu lassen. Einige Häftlinge nutzten dies aus und spielten bei dieser Gelegenheit selbst komponierte Stücke, welche die SS öffentlich und doch unauffällig verspotteten. Damit bereiteten sie den eingeweihten Häftlingen Genugtuung und richteten nicht wenige gebrochene Persönlichkeiten wieder auf, so dass einige prägende Stücke bis heute von vielen Überlebenden detailliert erinnert werden.[188] Mit Zills Versetzung nach Natzweiler, wo er Kommandant wurde, hörte die Lagerkapelle für eine längere Zeit auf zu existieren.[189]

Doch im Lager wurde nicht nur gezwungenermaßen, sondern auch aus freien Stücken musiziert, da die Melodie eines Liedes oder eines Instrumentalstückes die Häftlinge über das Elend des KZs erhob und ihre Gedanken in eine glücklichere Zeit lenkte. Edgar Kupfer-Koberwitz schildert in seinen Aufzeichnungen eine solche bewegende Szene: "Es tat wohl, hier in Dachau Musik zu hören. Aber die Gesichter, die Gesichter! Alle blickten in die gleiche Richtung zur Musik hin. Sie vergaßen sich für eine Weile, sie gehörten wieder sich, ihren Gedanken, ihren Erinnerungen."[190] Die tschechischen Mitglieder der Lagerkappelle ergänzten mit ihren Instrumenten regelmäßig die kulturellen Abende auf dem Block Nr. 10 und J. Ulc gelang es, nach eigenen Angaben mit einigen Tschechen eine kleine Combo zusammenzustellen, die ausschließlich tschechische Volkslieder anstimmte.[191] Viele Aufführungen wurden von der SS sowie von den Funktionshäftlingen geduldet, andere konnten dagegen nur im Verborgenen stattfinden. Von der SS-Führung wurde ein weiteres Streichorchester unterstützt, welches von dem Holländer Van Hurk geleitet wurde und insgesamt 32 Musiker umfasste. Nach Kuna stammte die Hälfte von ihnen aus der Tschechoslowakei.[192] Gespielt wurden Werke von Mozart, Händel, Beethoven und Grieg, wobei die "unvergleichlichen Leistungen dieses Ensembles [...] auf dem Können einiger wirklich bedeutender Künstler"[193] beruhten. Die Aufführungen waren jedoch lediglich auf einen kleinen Kreis begrenzt, so dass für die wenigen Zuhörer Eintrittskarten ausgegeben werden mussten.[194] Dem tschechischen Journalisten und Musikliebhaber Ludvík Henych gelang es außerdem im Lager, eine international besetzte Quartett- und Kammermusikkapelle zusammenzustellen. Als inoffizieller Verwalter der SS-Bibliothek erhielt er Zugang zu Notenmaterial, welches er geheim und unter hohem persönlichen Risiko ins Schutzhaftlager schmuggeln und dort bearbeiten konnte.[195] Das Repertoire des kleinen heimlichen Orchesters reichte von Mozart über Beethoven, Schubert und Borodin bis Dvořák. Die Musiker spielten für kranke Häftlinge vor dem Krankenrevier, bei Geburtstagen oder bei Trauerfeiern, wobei sie im Gegensatz zu den Mitgliedern der Lagerkapelle kein leichteres Kommando oder größere Essensrationen erhielten.

Im KZ Dachau wurde auch gesungen. Während der Quarantänezeit der ersten Typhus-epidemie im Winter 1942/43 entstanden im Lager tschechische, jugoslawische und polnische Chöre mit zahlreichen Mitgliedern.[196] Der tschechische Chor umfasste etwa vierzig Häftlinge und wurde von dem Amateursänger František Süss geleitet.[197] Gesungen wurden hochgradig anspruchsvolle Stücke nationaler Komponisten, wie Smetana, Foerster oder Janáček. Doch der Chor löste sich bereits wenige Monate nach seiner Entstehung auf, da die SS-Führung im Herbst 1943 den Tschechen verbot, in der eigenen Muttersprache zu singen.[198] Im Lager fand außerdem auch religiöser Gesang statt, der wiederum sehr eng mit den Gottesdiensten der Geistlichen verbunden war. Nach Kuna erlebte der Chor der tschechischen Priester bei den großen Andachten zur Feier der Heiligen Kyrill und Methodius oder des heiligen Wenzel im Jahr 1944 seinen Höhepunkt.[199] Der tschechische Pfarrer B. Hoffmann beschreibt in seinen Erinnerungen einen solchen Gottesdienst, der in der Kapelle im Block Nr. 26 stattfand: "Die Kapelle war voll. Es waren Polen aus dem Block 26 und aus dem Priesterblock 28 gekommen, es beteiligten sich auch slowenische Priester und deutsche aus dem Sudetenland; anwesend waren Pfarrer der Kirche der böhmischen Brüder und der tschechoslowakischen hussitischen Kirche, schließlich auch ein griechischer orthodoxer Archimandrite und der orthodoxe Erzbischof von Prag [...]. Vom tschechischen Block 20 hatte sich eine Reihe von Laien eingefunden. Sie haben fröhlich tschechische Lieder gesungen und der tschechischen Predigt gelauscht."[200] Bei den Feiern zu Ehren der tschechischen Nationalheiligen suchten die Priester nicht nur ihre menschliche Würde zu bewahren, sondern sie demonstrierten auf diese Weise auch ihre innere Auflehnung gegen das Terrorsystem der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Darin sind auch solche religiöse Veranstaltungen mit der großen Protestwelle der Tschechen während der Besatzungszeit vergleichbar, die sich neben politischen Kundgebungen auch in großen Wallfahrten niederschlug.

Die Musik stärkte im Lager den Durchhaltewillen und wurde dadurch zu einer Waffe gegen die Resignation sowie zu einem Mittel der mentalen Selbstbehauptung. Neben der Solidarität, der Subversion der totalen Durchherrschung sowie anderem kulturellen Schaffen, war auch sie eine unentbehrliche Überlebensstrategie an diesem unmenschlichen Ort.

  • [177] Focht, Josef: Musik im Konzentrationslager Dachau, in: Focht, Josef/Nauderer, Urula K. (Hrsg.): Musik in Dachau. Katalog zur Ausstellung "Musik in Dachau" im Bezirksmuseum und der Gemäldegalerie Dachau vom 22. November 2002 bis 4. Mai 2003, Dachau 2002, S. 180.

  • [178] Ebenda, S. 181. Zugleich erfüllte der Häftlingsgesang eine Propagandafunktion, indem er den Einwohnern der unmittelbaren Nachbarschaft des KZ oder gelegentlichen Besuchern vorgab, dass es den Gefangenen gut ginge.

  • [179] Ulc, Josef: Dachauská táborová hudba. [Dachauer Lagermusik], in: Almanach Dachau. Kytice událostí a vzpomínek. [Almanach Dachau. Ein Strauß von Ereignissen und Erinnerungen], S. 76.

  • [180] Ebenda, S. 71.

  • [181] Sehr viele von ihnen waren noch sehr jung. Mehr als die Hälfte war kaum 25 Jahre alt. Ulc, a. a. O., S. 70.

  • [182] Ulc, a. a. O., S. 69.

  • [183] Ulc, a. a. O., S. 69 – 72; Kuna, a. a. O., S. 92 – 93.

  • [184] Kuna, Milan: Musik an der Grenze des Lebens. Musikerinnen uns Musiker aus böhmischen Ländern in nationalsozialistischen Konzentrationslagern und Gefängnissen, Frankfurt/Main 21998, S. 93.

  • [185] Ebenda, S. 92; Focht, a. a. O., S. 184.

  • [186] Kuna, a. a. O., S. 75.

  • [187] Ebenda, S. 75.

  • [188] So etwa eine Polka, die nach dem berühmten Motiv "Leckt uns am Arsch" komponiert und bei einem Besuch von Heinrich Himmler unerkannt uraufgeführt wurde. Da das Stück diesem besonders gefiel, erhielt nach Angaben von J. Ulc jeder Musiker ein Stück Brot mit Marmelade als Belohnung. Der Komponist war entweder Ulc selbst oder wie M. Kuna behauptet, der tschechische Künstler E. F. Burián. Ulc berichtet zudem, dass nach zwei oder drei Aufführungen die Noten aus Vorsicht vernichtet wurden. Ulc, a. a. O., S. 71, sowie Kuna, a. a. O., S. 306 – 309.

  • [189] Zills Nachfolger Hoffman löste die Kapelle auf und unterwarf die Musiker vielen demütigenden Schikanen. Einige Monate später wurden alle ehemaligen Mitglieder der Lagerkapelle auf Zills Wunsch ebenfalls nach Natzweiler überführt.

  • [190] Kupfer-Koberwitz, Die Mächtigen, Bd. 1, S. 152.

  • [191] Ulc, a. a. O., S. 76.

  • [192] Kuna, a. a. O., S. 95.

  • [193] Ebenda, S. 95.

  • [194] Ebenda, S. 95.

  • [195] Henych, Ludvík: Několik světlých vzpomínek na Dachau. [Einige heitere Erinnerungen an Dachau], in: Almanach Dachau. Kytice událostí a vzpomínek. [Almanach Dachau. Ein Strauß von Ereignissen und Erinnerungen], S. 129; Kuna, a. a. O., S. 261 – 262.

  • [196] Zámečník, Dachau, S. 259.

  • [197] Henych, Několik světlých vzpomínek, S. 129; Kuna, a. a. O., S. 135.

  • [198] Kuna, a. a. O.,  S. 135.

  • [199] Ebenda, S. 136 – 137.

  • [200] Hoffmann, a. a. O., S. 295.

5. ANHANG
5.1.1 Quellenverzeichnis
5.1.2 Literaturverzeichnis
5.2.0 Abkürzungen

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