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[Tschechische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau]
Von Zuzana Mosnáková

Zur Diskussion im Forum:
[
Nationalsozialistische Konzentrationslager]

3.4 Kunst und Kultur im Lager

3.4.2 Kulturelle Veranstaltungen

Unmittelbar nach dem Kriegsbeginn waren die Lebensbedingungen der tschechischen Häftlinge im KZ Dachau derart schwer, dass sich ihre Handlungen und ihre Gedanken stets um ihr eigenes Überleben drehten. In der minimalen Freizeit, die ihnen von der SS zugestan-den wurde, waren sie kaum in der Lage, sich in irgendeiner Weise kreativ zu betätigen. Doch es gab im Lager Augenblicke der Sehnsucht und der Melancholie, die auch in dieser tristen Situation an den Häftlingen nicht regungslos vorbeigingen. Edgar Kupfer-Koberwitz erinnert sich an die anfänglich stumpfe Stimmung an Weihnachten 1940 in der Stube der "Strafkompanie": "Da begannen die Tschechen in ihrer Ecke zu singen. Es war ein Weihnachtslied in ihrer Muttersprache. Das klang beruhigend, daraus ergoß sich etwas wie Frieden in die Gemüter. [...] Es war, als ließe sich jetzt ein wenig freier atmen."[155] Dieser spontane Akt verdeutlicht das Bedürfnis vieler Häftlinge, gerade an solchen Tagen in ihren Gedanken zu ihren Familien in die Heimat zu entfliehen. Die gemeinsame nationale Identität, welche die Tschechen unter anderem aus dem nationalen Kulturgut schöpften, ermöglichte es ihnen, in diesen besonders drückenden Momenten, in denen der Schmerz über die Trennung von den Liebsten am stärksten war, einen größeren Zusammenhalt zu schaffen und damit wenigstens für eine kurze Zeit die gefährliche Hoffnungslosigkeit zu überbrücken.

Erste Ansätze organisierter kultureller Aktivität kamen jedoch erst kurz vor Weihnachten 1941 auf und fielen mit der Gründung des "Klubs der Kameraden" zusammen. Aus spontanen Gesprächen und Ideen entwickelten sich mit der Zeit konkrete Pläne, ein kulturelles Programm zusammenzustellen, welches im "tschechischen Block" aufgeführt werden sollte, um die traurige Weihnachtszeit geschlossen zu überwinden. Dem "Pessimismus, der sich unter den Tschechen wie das Gift"[156] verbreitete, sollte auf diese Weise Einhalt geboten werden. Im Laufe der KZ-Haft ergaben sich dann viele unter-schiedliche Anlässe, doch die Weihnachtsfeiertage stellten stets den Hauptrahmen für die kulturellen Abende, die mit sehr viel Hingabe buchstäblich aus dem Nichts entstanden. "Wir hatten keine tschechische Literatur und einfach nichts, wonach man sich richten konnte. Also haben wir in unserem Gedächtnis gefischt. Es ist mir gelungen, mit Hilfe einer Geige, die es da gab, einige Lieder niederzuschreiben, an die ich mich aus dem Zivilleben erinnern konnte."[157] Die Vorbereitung der kulturellen Abende, die angesichts der Umgebung, in der sie stattfanden, stets einen improvisatorischen Charakter aufwiesen, bedeutete für die Häftlinge nicht nur die Ablenkung vom gewalttätigen KZ-Alltag, sondern galt auch "als Aufputschmittel und zugleich als gewaltlose, innere Rebellion gegen die Täter."[158] Nach Angaben von Emanuel Faltus, der die kulturellen Programme auf der dritten Stube des zehnten Blocks leitete, waren sehr viele Stubenbewohner mit großem, bis dahin ungekanntem Enthusiasmus an der Planung beteiligt. Einige bereiteten Parodien, Witze, Erzählungen, Gedichte sowie Lieder vor, andere schmückten wiederum den Raum, bauten Requisiten auf oder "organisierten" einen Weihnachtsbaum. Die verschiedenen Veranstaltungen bezogen sich dabei stets nur auf eine einzige Stube des "tschechischen" Blocks und waren lediglich möglich, weil sich die SS an den Abenden kaum mehr im Bereich des Schutzhaftlagers aufhielt. Der Blockälteste musste zudem sein Einverständnis geben. František Kadlec erinnert sich, dass zwar nicht alle Tschechen am Programm interessiert, dass aber mehr als zwei Drittel der Stubenbewohner ganz und gar begeistert waren. An einem solchen Abend habe sich kaum jemand als Häftling gefühlt. Die Veranstaltungen hinterließen bei allen einen sehr starken Eindruck und bleiben daher in kaum einem Erinnerungsbericht unerwähnt.

Im Jahr 1942 erlebte das tschechische kulturelle Schaffen im KZ Dachau seine absolute Blütezeit. Bereits in den ersten Wochen des neuen Jahres fanden nach Kadlec und Faltus innerhalb des "Klubs" Besprechungen statt, um neue Veranstaltungen ins Leben zu rufen. Unter der Bedingung, dass die Beiträge ausschließlich aus dem KZ Dachau stammen mussten, entstanden auf dem "tschechischen" Block zahlreiche neue Musikstücke, Zeichnungen[159], Lieder oder Gedichte, darunter "Im Schatten der sieben Wachtürme" von Fratišek Jan Kadlec, welches im Lager eine enorme Popularität erreichte.[160] Viele dieser Werke drücken eine ergreifende Sehnsucht nach der Heimat und die tiefe Verzweiflung über die Gefangen-schaft aus. Doch die Veranstaltungen beinhalteten auch humoristische Beiträge. Nahezu alle Überlebende erwähnen an dieser Stelle den tschechischen Komiker Tonda Bartůnek, der mit seinen Witzen und Parodien die ganze Stubenbelegschaft wunderbar aus dem KZ-Alltag herausreißen konnte. Radovan Dražan erinnert sich, dass das Lachen an diesem Ort das schönste Geschenk war, das sich die Häftlinge nur wünschen konnten. "Wir vergaßen das ganze Elend, wir waren wieder Menschen, die lachen und singen konnten – auch wenn zur gleichen Zeit viele Kameraden starben. So ist das Leben."[161] Das Lachen brachte die Erleichterung, und die Erleichterung brachte wiederum neue Hoffnung. Das Ergebnis der Abende war, "was die Moral betrifft [...], umwerfend. Am meisten waren die Leute darüber erstaunt, dass es unseren Jungs gelungen war, sich mit dem eigenen Willen über alles Leid zu erheben und unter unmenschlichen Bedingungen und bei unglaublichen Erschwernissen ein Werk zu schaffen, welches ein gewisses Niveau hatte."[162]

Da es die erschöpfende Arbeit und die wenige Freizeit nicht anders erlaubten, fanden die großangelegten Veranstaltungen nur sehr selten statt, im Jahr 1942 lediglich vier Mal. Die erfolgreichste von ihnen war nach Faltus die Willkommensfeier für den Frühling, die am 1. Mai 1942 stattfand, und in der die ganzen Sehnsüchte, die nach dem durchlittenen Winter aufkeimten, zum Ausdruck kamen. "Nicht nur, dass das Programm erstklassig durchgeführt wurde, sondern es war auch, was die seelische Seite der Zuhörer betrifft, vollkommen spontan. Wir waren alle gerührt, sowohl die Zuhörer, die Autoren, als auch die Protagonisten."[163] Die außerordentlich hohe Motivation, mit dem kulturellen Schaffen fortzu-fahren, unterbrach jedoch für mehrere Monate der Sommer 1942, der für alle Häftlinge in Dachau bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit ging. Nicht nur, dass die Arbeitszeit in dieser Jahreszeit viel länger und die Arbeit erschöpfender waren. Es kam noch hinzu, dass sich die Essensversorgung derart katastrophal verschlechterte, dass man in den Memoiren sogar über den "Hungersommer" spricht. Die nächste Veranstaltung, mit dem Titel "Abend des tschechischen Volksliedes"[164], fand daher erst am symbolischen 28. Oktober statt, dem Gründungstag der ersten ČSR. Bei dieser Feier ging es um die Demonstration des tiefen tschechischen Patriotismus und des nationalen Bewusstseins, wobei die Akteure ähnlich wie die tschechische Bevölkerung nach der Besetzung erneut auf ihre kulturellen Wurzeln zurück-griffen, um auf diese subtile Art und Weise ihre mentale Selbstbehauptung auszudrücken. Dabei ist sehr interessant, dass der Rahmen des kulturellen Abends allmählich erweitert wurde. An der herbstlichen Vorstellung nahmen nämlich nicht nur tschechische Häftlinge aus anderen Stuben, sondern auch nationale "Delegationen aus dem ganzen Lager"[165] als Zuschauer teil. "Diesmal spielte sich alles nicht mehr im Schlafsaal, sondern in der Stube ab, wo viel mehr Platz war. Die Besucher saßen dort wie im Theater. Der Raum war brechend voll [...]."[166] Nach Faltus war an diesem Abend auch der österreichische Häftling Viktor Matejka anwesend, welcher nur wenige Monate später kulturelle Veranstaltungen für das ganze Lager organisierte.[167]

Weihnachten des Jahres 1942 bedeutete, darin stimmen alle Memoirenautoren sowie Interviewpartner überein, den großen Höhepunkt der tschechischen kulturellen Aktivität. Da es die SS-Führung seit Oktober 1942 den Häftlingen gestattete, Lebensmittelpakete zu empfangen, verfügten die Tschechen im Dezember bereits über genügend materiellen Besitz, um ihre Lebensbedingungen in Dachau deutlich aufbessern zu können. Sie hatten nun die Möglichkeit, ein für die Lagerverhältnisse besonders festliches Essen zu veranstalten und konnten zudem die erhaltenen Lebensmittel in andere Güter eintauschen. In den Paketen befanden sich außerdem etliche Bücher, so dass die Tschechen nun auch über wertvolle nationale Literatur verfügten, aus der sie ausgiebig schöpfen konnten. Emanuel Faltus erinnert sich, dass sich an diesem Heiligen Abend auf den Tischen Sachen befanden, "von den wir schon seit langer Zeit nicht einmal mehr zu träumen gewagt hatten. Weihnachtszopf, verschiedenes Gebäck und Süßigkeiten, Fleisch usw. [...] Weihnachten 1942 war schon irgendwie im Zeichen guter Hoffnung."[168] Als Krönung des Abends führten einige Häftlinge im Block ein Hörspiel mit dem Namen "Sylvio Pelico" auf, welches von einem Mithäftling verfasst wurde. Verschiedene Rollen wurden verteilt, und das Stück "professionell" hinter der Kulisse eines überdimensionalen Radiogeräts inszeniert, welches František Kadlec in seinem Kommando "organisiert" und gebastelt hatte. An dieser besonders aufwendigen Veranstaltung kann man deutlich ablesen, dass sich die allgemeinen Lebensbedingungen für viele Häftlinge zu diesem Zeitpunkt bereits fühlbar verbessert haben, denn nur wenige Monate zuvor wäre ein derartiger Energieaufwand vollkommen unmöglich gewesen. Das Konzentrationslager Dachau wurde somit mit dem Beginn der Kommandantur von Martin Weiß zu einem ganz und gar widersprüchlichen Ort.[169]

Als gegen Ende des Jahres 1942 die erste Typhusepidemie ausbrach, verhängte die SS-Führung über das Lager eine mehrwöchige Quarantäne. Häftlinge, die außerhalb des Schutz-haftlagers arbeiteten, durften nun tagsüber nicht mehr zur Arbeit ausrücken und hatten daher mehr Zeit, sich physisch und psychisch von den Strapazen zu erholen. Die SS selbst mied zudem, aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr das Lager die meiste Zeit. Die Tschechen hatten nun etwas mehr Muße, sich mit der Kultur zu befassen, so dass die Geselligkeiten in dieser Zeit nach Kadlec nahezu wöchentlich stattfanden. Doch die Epidemie raffte täglich zahlreiche Tschechen oder auch vertraute Häftlinge anderer Nationalitäten dahin, so dass die Zusammenkünfte oft keinen fröhlichen Anlass mehr hatten. Um sich von den Verstorbenen auch an diesem grauenhaften Ort, in dem der Tod allgegenwärtig und anonym war, würdevoll zu verabschieden, veranstalteten die Tschechen bewegende Trauerfeiern. "Damals war es im Schlafsaal traurig, zum Ersticken traurig."[170] Auch diese Akte sind ein deutliches Zeichen der mentalen Selbstbehauptung sowie der inneren, stillen Auflehnung gegen das System der unmenschlichen Barbarei.

Im Frühjahr 1943 wurden die tschechischen Häftlinge in anderer Stubenzusammensetzung in den Block Nr. 20 verlegt, wodurch die kulturelle Aktivität für längere Zeit ins Stocken geriet. Hinzu kam, dass im Zuge der Veränderungen durch den "Totaleinsatz" viele Häftlinge nicht mehr nach der Nationalität, sondern nach ihrem Arbeitskommando untergebracht wurden. Dadurch zerbrach der "Klub der Kameraden" und seine Mitglieder zerstreuten sich über das ganze Lager. Aus diesem Grund kam es immer seltener zu gemeinsamen Treffen, so dass das kulturelle Schaffen auf nationaler Ebene langsam abflaute.

  • [155] Kupfer-Koberwitz, Die Mächtigen, Bd. 1, S. 239.

  • [156] Faltus, a. a. O., S. 37.

  • [157] Ebenda, S. 37.

  • [158] Daxelmüller, Kulturelle Formen, S. 989.

  • [159] Nach dem bisherigen Recherchestand haben etwa zehn Tschechen in Dachau gemalt oder gezeichnet. Viele Zeichnungen befinden sich heute im Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau.

  • [160] Vgl. Zámečník, Dachau, S.259. Einige Lieder und Gedichte wurden auch im Almanach Dachau veröffentlicht.

  • [161] Laštůvka, a. a. O., S. 82.

  • [162] Faltus, a. a. O., S. 41.

  • [163] Ebenda, S. 44 – 45.

  • [164] Ebenda, S. 46.

  • [165] Ebenda, S. 49.

  • [166] Ebenda, S. 49.

  • [167] Diese Veranstaltungen waren allerdings bereits legal, wobei sie oft auch von der SS gerne besucht wurden. Vgl. dazu: Zámečník, Dachau, S. 260.

  • [168] Faltus, a. a. O., S. 53 – 54.

  • [169] Zámečník, Dachau, S. 261.

  • [170] Laštůvka, a. a. O., S. 82.

5. ANHANG
5.1.1 Quellenverzeichnis
5.1.2 Literaturverzeichnis
5.2.0 Abkürzungen

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