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[Tschechische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau]
Von Zuzana Mosnáková

Zur Diskussion im Forum:
[
Nationalsozialistische Konzentrationslager]

3.4 Kunst und Kultur im Lager

3.4.1 Bedeutung des kulturellen Lebens für die tschechischen Häftlinge

Die geschichtswissenschaftliche Forschung ließ die Kunst und Kultur im Zusammenhang mit den Konzentrationslagern angesichts der unzähligen Gräuel mindestens dreißig Jahre nach Kriegsende völlig unerwähnt. Im Gegensatz dazu nimmt dieses Thema in vielen Memoiren und Aussagen von Überlebenden einen beeindruckend hohen Stellenwert ein. Gerade weil Kultur und KZ einander auszuschließen scheinen, ist die Erforschung der Bedingungen und der Bedeutung des kulturellen Schaffens im Lager von großer Wichtigkeit. Denn diese krassen Gegensätze verkörpern die Komplexität des KZ-Systems, und helfen dem unbeteiligten Forscher, die Mehrdimensionalität dieses Ortes zu erfassen. Zudem erlauben die kreativen Schöpfungen einen tiefen und authentischen Blick in das Innenleben eines Häftlings und geben so Auskunft über die Empfindungen und die Eindrücke eines Menschen in dieser Extremsituation.

Wie bereits dargelegt beabsichtigte das nationalsozialistische Regime nicht nur die physische, sondern auch die psychische Vernichtung all seiner Gegner sowie aller mit der Ideologie unvereinbaren und damit entbehrlichen Individuen. Durch permanente Demütigungen, Hunger, Gewalt und die unentrinnbare und immerwährende Konfrontation mit dem Tod sollten die Häftlinge bald nach ihrer Einlieferung ins KZ nur noch eine Negativabbildung ihrer Selbst darstellen. Am deutlichsten spiegelt sich diese Intention an den "Muselmännern" wider, deren Seele sich nach und nach selbst zerstörte, um, wie von einem tierischen Instinkt geleitet, den Körper noch eine Weile "durchzuretten".[149] W. Sofsky bezeichnet die "Muselmänner" daher zurecht als "den vollkommenen Triumph (der absoluten Macht) über den Menschen."[150] Angesichts der unmenschlichen Umgebung, die von extremer moralischer Verrohung geprägt war, muss der Begriff der Kultur im Konzentrationslager sehr weit gefasst werden. Das hauptsächliche Ziel der kulturellen Betätigung war stets die Bewahrung der eigenen, menschlichen Würde sowie des persönlichen Selbstverständnisses. Nach C. Daxelmüller umfasst der Kulturbegriff "die Gesamtheit des kulturgeprägten Verhaltens", welches sich "aus der Sozialisation (ergibt) und [...] zugleich ein verbindliches Kommunikations- und Wertesystem (formuliert), das sich in alltäglichen Kulturtechniken äußert."[151] Daher schloss die Kultur im Lager nicht nur die künstlerische Aktivität als Maler, Dichter oder Musiker mit ein, sondern auch tiefgehende Gespräche und Debatten, Vorträge zu verschiedenen Themen, humoristische Kabaretts, Zauberstücke, sportliche Betätigungen, Theater- und Gesangsaufführungen aber auch das leise vor sich hingesummte Lied aus der Vergangenheit. Jede einzelne dieser Tätigkeiten ermöglichte es dem Häftling für einen winzigen Moment zumindest in Gedanken dem Lager zu entfliehen, und sich vor seinem inneren Auge wieder als Mensch zu begreifen. Der tschechische Journalist und Überlebende des KZ Dachau, Ludvík Henych, verdeutlicht in seinen Erinnerungen die Funktion der Kultur als Überlebensstrategie, indem er äußert: "Wir Häftlinge hätten niemals die Tage und Jahre in der Hölle der Gefängnisse und Konzentrationslager überleben können, wenn wir unsere Gedanken von den ganzen Grausamkeiten die um uns waren, nicht hätten abwenden können, Grausamkeiten, die jeden Moment das Leben eines jeden von uns hätten beenden können – und wenn wir es nicht geschafft hätten, unsere Seelen wenigsten für einen kleinen Moment an etwas Wunderschönes, Großes oder Edles anzulehnen, was wir in Musik, Literatur und Kunst fanden oder an Dinge, durch welche die Natur mit ihren Schönheiten zu uns sprach."[152] Viele tschechische Überlebende schildern die künstlerischen und kulturellen Betätigungen als Waffen gegen die tödliche Depression, Resignation und Abstumpfung. Da sich diese nationale Gruppe, wie vermutlich viele andere auch, über die gemeinsame Muttersprache und das nationale Kulturbewusstsein identifizierte, fungierte das kulturelle Schaffen auch im KZ Dachau als ein Bindeglied zwischen den unterschiedlichsten Charakteren und schuf eine weitgehend übergreifende nationale Identität. Besondere Feste, wie Weihnachten und Nationalfeiertage, spielten in der tschechischen Häftlingsgruppe daher stets eine sehr wichtige Rolle. Die tägliche Erschöpfung, der Mangel an Freizeit, an geeignetem Material und sogar der Hunger wurden überwunden, um die anstehende kulturelle Veranstaltung vorzubereiten. Unzählige Gegenstände wurden "organisiert", um Theateraufführungen oder Hörspiele zu inszenieren. Gedichte wurden geschrieben und Lieder aus dem Nichts komponiert, um sich selbst und den Mithäftlingen einen Hauch von Hoffnung einzuflößen. Die Auswirkungen waren nach Angaben der Überlebenden enorm. Emanuel Faltus erinnert sich, dass sogar Personen, die sich selbst schon längst aufgegeben hatten, auf diese Weise zu neuem Lebensmut fanden.[153] Die kulturellen und musikalischen Veranstaltungen gaben nicht nur den Autoren und den Akteuren, sondern auch den Zuschauern einen festen Orientierungspunkt, nach dem sie sich eine ganze Weile richten konnten und der sie das Grauen eine weitere Zeit lang ertragen ließ. Nach dem Ende einer bestimmten Veranstaltung konnten alle interessierten Häftlinge aus der kulturellen Erfahrung noch lange Zeit Kraft schöpfen. Nach Daxelmüller verhalf das kulturelle Verhalten den Häftlingen "neben der therapeutischen, identitäts-findenden und lebensrettenden Funktion zu dem Bewußtsein, sich als kultiviertes Wesen von den Tätern zu unterscheiden."[154] Daher war die Kultur eine wichtige Quelle der mentalen Selbstbehauptung und ein bestimmender Teil der Überlebensstrategie.

  • [149] Sofsky, Die Ordnung des Terrors, S. 232.

  • [150] Ebenda, S. 230.

  • [151] Daxelmüller, Christoph: Kulturelle Formen und Aktivitäten als Teil der Überlebens- und Vernichtungsstrategie in den Konzentrationslagern, in: Herbert, Ulrich/Orth, Karin/Dieckmann, Christoph (Hrsg.): Die Nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur, Bd. 2, Göttingen 1998, S. 993.

  • [152] Henych, Ludvík: "Hvězdy zpívají...". ["Die Sterne singen..."], in: Almanach Dachau. Kytice událostí a vzpomínek. [Almanach Dachau. Ein Strauß von Ereignissen und Erinnerungen], S. 147.

  • [153] Faltus, a. a. O., S. 53.

  • [154] Daxelmüller, Kulturelle Formen, S. 999.

5. ANHANG
5.1.1 Quellenverzeichnis
5.1.2 Literaturverzeichnis
5.2.0 Abkürzungen

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