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[Tschechische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau]
Von Zuzana Mosnáková

Zur Diskussion im Forum:
[
Nationalsozialistische Konzentrationslager]

2. Verhältnisse:
Einlieferung nach Dachau und Lebensbedingungen im Lager


2.1 Verfolgung der Tschechen im Protektorat Böhmen und Mähren

Die deutsche Besatzung der sogenannten Rest-Tschechei erfolgte am 15. März 1939. Die Voraussetzung dafür bildete indirekt das Münchner Abkommen, welches am 30. September 1938 von Hitler, Mussolini, Chamberlain und Daladier unterzeichnet wurde. Aufgrund dieses Abkommens, an dem der damalige tschechoslowakische Präsident Edvard Beneš nicht beteiligt war, musste die Tschechoslowakei das gesamte Sudetendeutsche Gebiet mit allen Grenzbefestigungen an das Deutsche Reich abtreten, wodurch sie ihre Verteidigungsfähigkeit gegenüber ihrem potenziellen Angreifer endgültig verlor.

Unter diesen Umständen verlief die Besatzung im März völlig reibungslos und erfolgte quasi über Nacht. Sie kam sowohl für die tschechische als auch für die deutsche Bevölkerung des neu besetzten Landes gänzlich überraschend. Die Tschechen reagierten auf sie mit einer unheimlichen Niedergeschlagenheit, "Tränen [...] und ohnmächtiger Zorn beherrschten die Gemüter."[38] Noch heute wird die Besatzung im tschechischen Geschichtsbewusstsein als eine nationale Tragödie empfunden. Nur einen Tag später, am 16. März, verkündete Hitler das "Reichsprotektorat Böhmen und Mähren", welches sich vorläufig autonom verwalten konnte, jedoch "im Einklang mit den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Belangen des Reiches"[39] agieren musste. Damit wurde das Protektorat praktisch "gleichgeschaltet".

Am 18. März ernannte Hitler den als gemäßigt geltenden, früheren deutschen Außenminister Konstantin Freiherr von Neurath zum Reichsprotektor. Er fungierte "als Vertreter des Führers und Reichskanzlers sowie als Beauftragter der Reichsregierung"[40] und wurde mit umfangreichen legislativen und exekutiven Kompetenzen ausgestattet. Diese Machtfülle auf der Seite der Besatzer ließ schnell vermuten, dass mit der Zeit die Autonomie des Protektorats zur reinen Formsache werden, und die neu eingesetzte Regierung unter dem Präsidenten Emil Hácha lediglich eine reine Marionettenfunktion behalten sollte. Der damalige tschechische Politiker und Agrarminister Ladislav Feierabend deutete die Veränderungen sehr treffend, indem er später schrieb, dass die neue Situation "kaum einen Zweifel darüber offen (ließ), daß wir zu Menschen zweiter Klasse degradiert würden und daß die Deutschen mit uns nach Belieben verfahren könnten."[41] An die Seite des Reichsprotektors wurde als Staatssekretär der als radikal bekannte, frühere stellvertretende Führer der Sudetendeutschen Partei, Karl Hermann Frank gestellt. Zwischen beiden entwickelte sich während ihres zweieinhalbjährigen Zusammenwirkens ein regelrechter Dualismus, bei dem es Frank mit der Zeit gelang, immer mehr entscheidende Kompetenzen an sich zu reißen. Im September 1941 wurde Freiherr von Neurath durch den stellvertretenden Reichsprotektor und gleichzeitig Chef der Sicherheits-polizei und des SD, Reinhard Heydrich, abgelöst. Nach dem Attentat, welches auf Heydrich am 27. Mai 1942 verübt wurde, und an dessen Folgen er wenige Tage später starb, wurde der Leiter der Ordnungspolizei Kurt Daluege dessen Nachfolger. Nur ein Jahr darauf setzte sich Frank mit seiner radikalen Auffassung endgültig durch, indem er selbst von Hitler zum Deutschen Staatsminister für Böhmen und Mähren ernannt und der scheidende Innenminister Wilhelm Frick zum mittlerweile völlig in seiner Machtkompetenz beschnittenen Reichs-protektor berufen wurde.

2.1.1 Gründe der Verfolgung

Im Laufe seines sechsjährigen Bestehens kam es im Protektorat Böhmen und Mähren zu mehreren grausamen Terrorwellen, bei denen tausende Menschen von der Gestapo hingerichtet sowie Zehntausende verhaftet und in die Konzentrationslager verschleppt wurden. Trotzdem muss man konstatieren, dass die deutsche Politik gegenüber dem Protektorat im Vergleich zu anderen slawischen Ländern, wie etwa Polen oder der Sowjetunion, relativ gemäßigt war und eine bestimmte Grenze nicht überschritt.

Der Generalgouverneur Hans Frank beschrieb die Unterschiede in einem Interview für den "Völkischen Beobachter": "In Prag waren z. B. große rote Plakate angeschlagen, auf denen zu lesen war, daß heute 7 Tschechen erschossen worden sind. Da fragte ich mich: Wenn ich für je sieben erschossene Polen ein Plakat aushängen lassen wolle, dann würden die Wälder Polens nicht ausreichen, das Papier herzustellen für solche Plakate."[42] Für eine derart ungleiche Behandlung gab es verschiedene Gründe, die alle gemeinsam einen sehr pragma-tischen Charakter aufweisen. Vor dem Kriegsausbruch war das gemäßigte Verhalten der deutschen Besatzer von außenpolitischen Rücksichten geprägt. Die Okkupation Böhmens und Mährens rief in der Weltöffentlichkeit bereits massive Proteste hervor, die durch zusätzlichen Terror nicht weiter herausgefordert werden sollten. Als der Krieg im September 1939 ausbrach, versprachen sich die Besatzer von einer ruhigeren Lage im Protektorat wiederum einen höheren Beitrag für die deutsche Kriegsproduktion. Das Protektorat stellte mit seinen Rüstungswerken sowie den 7,5 Millionen unverzichtbaren Arbeitern ein großes kriegs-wirtschaftliches Potential dar und wurde daher rücksichtslos ausgebeutet. Die übrigen Ursachen hängen mit der "Germanisierungspolitik" der Nationalsozialisten zusammen. Die Tschechen galten nämlich weitgehend als "assimilierungswürdig", so dass eine rassische Verfolgung der gesamten Bevölkerung zumindest während des Krieges nicht angestrebt wurde. Lediglich die "rassisch unverdaulichen Tschechen" sollten ausgesiedelt, bzw. zusammen mit der "reichsfeindlichen Intelligenzschicht" einer "Sonderbehandlung" unterzogen werden.[43] Aus diesen Gründen bemühten sich die Besatzer im Protektorat zunächst um "Ruhe im Raum"[44] Politik, wobei sie unnötige Terrorakte gegen die tschechische Bevölkerung weitgehend zu vermeiden suchten. Ein Jahr später wurde diese politische Linie von dem stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich weitgehend übernommen[45], wobei dieser mit seiner radikalen Politik die Grundzüge für die "Endlösung der tschechischen Frage" im Protektorat festsetzte.

Auf der anderen Seite sollte jedoch jeglicher Widerstand im Protektorat bereits im Keim erstickt werden, so dass schon kurz nach dem Einmarsch der deutschen Truppen eine rigorose Verfolgung von tschechischen Widerständlern und Regimegegnern entfesselt wurde. Der tschechische Widerstand wird nach der Meinung des einheimischen Historikers Václav Kural "im Ausland, auch in der deutschen Literatur, oft unterschätzt."[46] Die Auflehnung zeichnete sich nämlich nicht gerade durch viele offenkundige und aktive Widerstandsakte aus, sondern vielmehr durch einen ausgedehnten passiven Widerstand breiter Bevölkerungsschichten, auf den sich dann die umfassende Illegalität anlehnen konnte. Abgesehen davon dauerte er im Vergleich zu allen anderen besetzten Ländern, wenn man hierbei Österreich ausklammert, am längsten, nämlich von März 1939 bis zum Ende des Prager Aufstands am 10. Mai 1945. Die Tschechen konnten sich mit der deutschen Besatzung vom ersten Tag an nicht abfinden. Wie Brandes feststellt, übernahm die Bevölkerung zunächst "Widerstandformen aus der Zeit des nationalen Erwachens im 19. Jahrhundert"[47], um damit ihre Ablehnung auszudrücken. Die kulturellen Wurzeln des tschechischen Volkes als Spiegelbild des eigenen nationalen Bewusstseins wurden vor allem im ersten Jahr der Okkupation demonstrativ gepflegt und verteidigt. Theater- und Musikveranstaltungen erhielten nun den "Charakter nationaler Kundgebungen. [...] Gedenktage, Geburts- und Todestage großer Tschechen wurden von den tschechischen Zeitungen zu Rückblicken benutzt, die geeignet waren, das tschechische Nationalbewußtsein wachzuhalten."[48] Bezeichnend für diese passive Widerstandsform waren aber auch der Kleinkrieg zwischen Tschechen und "Volksdeutschen", die verbreitete Solidarität mit den Juden sowie zahlreiche antideutsche Flugblätter und Flüsterpropaganda.[49] Als geeignetstes Mittel der Auflehnung betrachteten die Tschechen im ersten Jahr der Besatzung allerdings die Demonstrationen, welche die Aufmerksamkeit des Auslandes auf sich ziehen und gleichzeitig die "Ruhe im Raum" Politik nachhaltig stören sollten. Da jedoch im November 1939 eine große nationale Studentenkundgebung von der Gestapo und dem SD blutig niedergeschlagen worden war, wurde diese offene Form des Protestes bald eingestellt. Doch im Protektorat entwickelte sich sehr schnell auch ein breiter organisierter Widerstand, welcher sowohl national als auch kommunistisch geführt wurde. Seine Schwerpunkte lagen im Nachrichtendienst, in der Sabotage, in der antideutschen Propaganda sowie in der Fluchtvorbereitung und Fluchthilfe ins Ausland, wo viele Tschechen in den Einheiten der tschechoslowakischen Armee, die im Exil aufgestellt worden waren, gegen deutsche Truppen kämpfen sollten.[50] Der Nachrichtendienst war wiederum einerseits für den Nachrichten-austausch mit der Exilregierung in London bestimmt, welche von Edvard Beneš geführt wurde, der nach der Konferenz von München zurückgetreten war. Andererseits hielten die illegalen Widerstandsorganisationen dadurch Kontakt mit der Führung der kommunistischen Partei, die unter Klement Gottwald im Moskauer Exil weiter existierte.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die überwiegende Mehrheit der Tschechen, die in die Konzentrationslager deportiert wurden, in erster Linie aus politischen und nicht aus rassischen oder anderen Gründen verfolgt und verhaftet worden war. Sehr hart trafen die Terror-maßnahmen vor allem die tschechische Intelligenz, da die deutschen Besatzer befürchteten, dass durch ihre Verbindung mit den Arbeitern die Widerstandsbewegung im Protektorat eine feste Plattform bekäme.[51]

2.1.2 Terrorwellen

Am Tag der Besetzung des Landes kamen mit den deutschen Truppen auch die Gestapo und der SD in das neu errichtete Protektorat und nahmen sogleich ihre Arbeit mit ernsthaftem Eifer auf. Als entscheidende Helfer standen ihnen dabei die sudetendeutschen Nationalsozialisten zur Seite, die in der Sudetendeutschen Partei um Konrad Hennlein versammelt waren.[52]

Unter dem Tarnnamen "Aktion Gitter" kam es zur ersten Terrorwelle, die mehrere tausend Persönlichkeiten des tschechischen öffentlichen Lebens, darunter besonders kommu-nistische und sozialdemokratische Politiker, Juden sowie deutsche Emigranten betraf.[53] Wegen der bereits beschriebenen außenpolitischen Rücksichten blieb diese Verhaftungswelle zunächst einmalig und zog auch im Gegensatz zu ähnlichen Maßnahmen in Österreich keine Massendeportationen in Konzentrationslager nach sich. Ende April 1939 wurde Karl Hermann Frank von Heinrich Himmler zum Höheren SS- und Polizeiführer berufen. Dies war der erste Triumph der Radikalen in der deutschen Besatzungspolitik, da Frank nun auf dem Gebiet der polizeilichen Verfolgung von Neurath völlig unabhängig gemacht wurde.

Am 8. Juni 1939 wurde in Kladno, einer Stadt westlich von Prag, der deutsche Polizist Wilhelm Kniest erschossen. Der Vorfall bot den deutschen Besatzern die Möglichkeit zu demonstrieren, dass sie keine Übergriffe gegen ihre Männer dulden würden, und dass sie bereit waren, die ganze Bevölkerung kollektiv in Verantwortung zu ziehen. Da die Attentäter nicht ausfindig gemacht werden konnten, nahm die Gestapo in den darauf folgenden Tagen 109 Vertreter der Kladnoer Intelligenz- und Führungsschicht als Geiseln fest und deportierte sie über das Brünner Gestapogefängnis Spielberg in das Konzentrationslager Mauthausen, wo diese Gruppe drei Tage lang festgehalten wurde.[54] Unter ihnen befand sich auch der Journalist Karel Kašák, der spätere Verfasser eines illegalen Tagebuchs.[55] Am 16. Juni wurden die Kladnoer Geiseln nach Dachau eingeliefert. Sie waren die ersten tschechischen Häftlinge, die in einer größeren Anzahl nach Dachau gekommen sind.

Die zweite große Verhaftungswelle fand am 1. September 1939, dem Tag des Kriegsaus-bruchs statt, als die Gestapo unter dem Tarnnamen "Aktion Albrecht I." etwa 2.000 tschechische prominente Persönlichkeiten als Geiseln festnahm. Es handelte sich dabei um die tschechischen "nationalen Führungsschichten"[56], die nun als potentielle Widerstandsgefahr präventiv mundtot gemacht werden sollten. Darunter waren zahlreiche Vertreter der Intelligenz, Funktionäre des mitgliederstarken und im aktiven Widerstand tätigen Turnvereins "Sokol", Legionäre des Ersten Weltkriegs, linksgerichtete und regimefeindliche Politiker sowie politisch aktive Geistliche.[57] Da die Nationalsozialisten nun keine Rücksicht mehr auf Reaktionen aus dem Ausland nehmen mussten, wurde ein Teil der Verhafteten gleich in den folgenden Tagen in Konzentrationslager deportiert, in denen sehr viele bis zur Befreiung ausharren mussten. Das Ziel dieser Terroraktion war die Einschüchterung und Abschreckung der Protektoratsbevölkerung gleich zu Kriegsbeginn, damit während der Kampfhandlungen an der "inneren Front" Ruhe herrschte.

Der gewaltige Widerstandswille im Protektorat wurde dadurch allerdings kaum beeinträchtigt. Bereits am 28. Oktober 1939 kam es anlässlich einer Gedenkfeier zum elften Gründungstag der ersten ČSR zu zahlreichen Massendemonstrationen, bei denen die Tschechen "durch das Tragen festlicher Kleidung und nationaler Abzeichen ihre Ablehnung des Besatzungsregimes kundtaten."[58] Die Spannung, die sich zwischen Besatzern und Besetzten schon seit Wochen aufgebaut hatte, entlud sich, als es in Brünn und Prag zu großen Studentenunruhen im Zuge der Beerdigung eines erschossenen Studenten kam. Der Widerstand wurde am 17. November blutig niedergeschlagen. Die Gestapo ging dabei besonders gewaltsam vor, ließ neun Studentenfunktionäre sofort hinrichten und insgesamt etwa 1.200 Studenten festnehmen. Alle wurden in das KZ Sachsenhausen eingeliefert, wo sie von der SS zumindest in der ersten Zeit eine besonders brutale Behandlung erfuhren.[59] Mit ihnen hatten die Besatzer erneut wertvolle Geiseln in der Hand, die sie bei innenpolitischen Krisen und Konflikten mit der Protektoratsregierung benutzten, um wichtige Zugeständnisse zu erzwingen.[60] Als Gegenleistung wurden immer wieder einige Studenten aus dem Konzentrationslager entlassen. Die Hochschulen als Brutstätten des Widerstandes blieben von diesem Tag an bis auf Weiteres geschlossen. Die Verfolgung der Studenten rief in der tschechischen Bevölkerung einen regelrechten Schock hervor, so dass es bis zum Ende der Besatzungszeit zu keinen größeren offenen Protestkundgebungen mehr kam.

Obwohl im Jahr 1940 keine bedeutende Terrorwelle stattfand, wurden die Verhaftungen fortgesetzt. Es war vor allem der organisierte Widerstand beider Richtungen, der in diesem Jahr harte Schläge einstecken musste. Auch in den Kreisen etlicher höherer oder niedrigerer Parteifunktionäre, sorgten die Besatzer mit zahlreichen Festnahmen zunächst für Ruhe. Diese hielt allerdings nicht lange an. Denn mit dem Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion, festigte sich der Widerstand im Protektorat in allen Bereichen. Der Reichsprotektor Freiherr von Neurath schrieb in seinem Monatsbericht an den Chef der Reichskanzlei Lammers, dass "unter der Oberfläche [...] überall das Ansteigen des passiven Widerstandes und der Feindseligkeit gegen alles Deutsche zu beobachten (sei); einzelne Deutsche werden schikaniert, boykotiert und bedroht, deutschfeindliche Tschechen terrorisiert."[61] Er hob weiter die Beobachtung hervor, dass "die deutschfeindliche Haltung mehr und mehr auch auf die tschechische Arbeiterschaft übergreift."[62] Auch die Kriegsproduktion sank deutlich, während Streiks und Sabotageakte zunahmen. In dieser Situation sandte Hitler am 27. September 1941 den Experten für radikale Lösungen, Reinhard Heydrich, nach Prag und ernannte ihn zum stellvertretenden Reichsprotektor. Heydrich rief sogleich den Ausnahmezustand aus und entfesselte eine neue Terrorwelle, die sich in ihrer Qualität von den vorangegangenen fühlbar unterschied. Es kam zu 4.000 bis 5.000 Festnahmen und Hunderten von Hinrichtungen. Heydrich wies sogar den Chef der Gestapo, Heinrich Müller, an die verurteilten Tschechen "ausschließlich an das Konzentrationslager Mauthausen"[63], eines der wenigen KZs der Stufe III[64], zu überführen. Der Terror richtete sich diesmal nicht nur gegen die Intelligenz, sondern gegen alle Schichten der tschechischen Gesellschaft. Darunter auch gegen zahlreiche Arbeiter, die durch ihre Abwesenheit in den Fabriken, ihre geringe Arbeitsleistung oder durch Streiks die Kriegsproduktion beeinträchtigt hatten.[65] Die ländliche Bevölkerung wurde nun ebenfalls verfolgt, da sie durch Gewalt und Einschüch-terung zu Zwangsabgaben ihrer landwirtschaftlichen Produkte gebracht werden sollte. Nach Král war nahezu jedes Dorf betroffen.[66] Der Widerstand sollte auf diese Weise endgültig seiner Massenbasis beraubt werden.[67] Nach dem Ende des Ausnahmezustandes, der seine Wirkung bei der tschechischen Bevölkerung nicht verfehlte, ging der Terror auch im neuen Jahr 1942 im Verborgenen weiter.

Am 27. Mai 1942 wurde in einer Haarnadelkurve auf dem Prager Ring von einer Gruppe von tschechischen Fallschirmagenten, die aus London entsandt worden waren, ein Attentat auf Heydrich verübt, an dessen Folgen er nach wenigen Tagen starb. Dieser Vorfall traf die deutsche Reichsregierung ziemlich unvorbereitet und ihre Reaktion war entsprechend heftig. Frank, der nur zwei Stunden nach dem Attentat mit Hitler telefonierte, notierte in seinem Protokoll unter anderem folgende Befehle: "Für die Ergreifung der Täter ist eine Belohnung von 1 Million Reichsmark auszusetzen. [...] Wer den Tätern irgendwie Hilfe leistet oder von ihrem Aufenthalt Kenntnis hat und keine Anzeige erstattet, wird mit seiner gesamten Familie erschossen. [...] Als Sühnemaßnahme sind 10.000 verdächtige Tschechen oder solche, die politisch etwas auf dem Kerbholz haben, zu ergreifen bezw. soweit sie bereits in Haft sind, in den Konzentrationslagern zu erschießen."[68] Auch wenn Frank am nächsten Tag persönlich im Führerhauptquartier die Rücknahme des letzten Befehls erreichte, folgte die bis dahin größte und blutigste Terrorwelle in der Geschichte des Protektorats. Sie erhielt in der tschechischen Historiografie mit der Bezeichnung "Heydrichiade" sogar einen eigenen Namen, der ihren besonders grausamen Charakter unterstreichen soll. Wieder wurde der zivile Ausnahme-zustand ausgerufen, durch welchen erneut Tschechen aus allen Gesellschaftsschichten unmittelbar bedroht waren. Aufgrund des Grundsatzes der kollektiven Verantwortung kam es zu tausenden Festnahmen und Verurteilungen. Die Dörfer Lidice und Ležáky wurden buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht, ihre Bewohner erschossen oder in Konzen-trationslager verschleppt. Die Besatzer begannen auch mit der Inhaftierung von Angehörigen zahlreicher tschechischer Emigranten, um die Exilregierung in London besonders stark unter Druck zu setzen. Insgesamt wurden bis zum 1. September 1942 1.357 Personen zum Tode verurteilt und hingerichtet, darunter 477 "wegen Gutheißung des Attentats".[69] Der Terror verbreitete in der ganzen tschechischen Bevölkerung eine Atmosphäre von Angst und Schrecken. Die endlosen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen betrafen beinahe jede Familie. Frank selbst machte in einer Rede deutlich, wie stark die Bevölkerung durch die Verfolgungen unter Druck gesetzt wurde: "Es ist eine unumstößliche Tatsache, daß das tschechische Volk vom 4. Juni 1942, dem Todestag Heydrichs, bis zum 18. Juni 1942, dem Tag der Erfassung der Attentäter, die schwerste Krise seit Protektoratserrichtung erlebte."[70]

Nachdem im Herbst 1942 der Ausnahmezustand aufgehoben wurde, kam es bis zum Ende des Krieges zu keinen großen Massenverhaftungswellen mehr. Der stille Terror gegen die aktiven oder passiven Regimegegner wurde allerdings weiterhin fortgesetzt.

Insgesamt fielen zwischen 337.000 und 343.000 Tschechen und Slowaken dem national-sozialistischen Terror zum Opfer[71], wobei über 20.000[72] von ihnen in Konzentrations- oder anderen Lagern, auf Todesmärschen oder in den Gestapogefängnissen starben. Viele Opfer der hier beschriebenen Verhaftungswellen gingen auch durch das KZ Dachau. Von ihnen und ihrem Leben und Sterben hinter dem elektrischen Stacheldraht handeln die nächsten Kapitel.

>>> weiter:
Einlieferungsschübe tschechischer Häftlinge ins KZ Dachau

Zur Diskussion im Forum:
[
Nationalsozialistische Konzentrationslager]

  • [38] Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands von 1939, zitiert nach: Gebel, Ralf: Die tschechische Gesellschaft unter deutscher Besatzungsherrschaft im Protektorat Böhmen und Mähren, in: Maier, Robert (Hrsg.): Tschechen, Deutsche und der Zweite Weltkrieg. Von der Schwere geschichtlicher Erfahrung und der Schwierigkeit ihrer Aufarbeitung. (= Studien zur internationalen Schulbuchforschung; 94), Hannover 1997, S. 23 – 37; vgl. auch: Brandes, Detlef: Die Tschechen unter deutschem Protektorat, Teil 1: Besatzungspolitik, Kollaboration und Widerstand im Protektorat Böhmen und Mähren bis Heydrichs Tod (1939 – 1942), München 1969, S. 20.
  • [39] Zit. nach: Kárný, Miroslav: Protektorat Böhmen und Mähren, in: Benz, Wolfgang/Graml, Hermann/Weiß, Hermann (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 31998, S. 656 – 657.
  • [40] Ebenda, S. 656.
  • [41] Feierabend, Ladislav: Prag-London vice versa, Bd. 1, Bonn, Bruxelles, New York 1971, S. 107.
  • [42] Völkischer Beobachter vom 6.2.1940, zitiert nach: Zámečník, Dachau, S. 117, Anm. 39.
  • [43] "Denkschrift über die Behandlung des Tschechenproblems und die zukünftige Gestaltung des böhmisch-mährischen Raumes" vom 28.8.1940, abgedruckt bei: Die Deutschen in der Tschechoslowakei 1933 – 1947. Dokumentensammlung, zusammengestellt, mit Vorwort und Anmerkungen versehen v. Václav Král, Prag 1964, Dok. Nr. 315, S. 419.
  • [44] Siehe dazu Brandes, Die Tschechen, Teil 1, S. 124 – 136.
  • [45] Ersichtlich aus der geheimen Rede Heydrichs am 2.10.1941 in Prag: "Ich brauche also Ruhe im Raum, damit der Arbeiter, der tschechische Arbeiter für die deutsche Kriegsleistung hier vollgültig seine Arbeitskraft einsetzt.[...]." Rede abgedruckt bei: Die Vergangenheit warnt. Dokumente über die Germanisierungs- und Austilgungspolitik der Naziokkupanten in der Tschechoslowakei. Zusammengestellt, mit einem Vorwort und Anmerkungen versehen von Dr. Václav Král, Prag 21962, S. 128.
  • [46] Kural, Václav: Kollaboration und der tschechische Widerstand im Protektorat, in: Maier, Robert (Hrsg.): Tschechen, Deutsche und der Zweite Weltkrieg. Von der Schwere geschichtlicher Erfahrung und der Schwierigkeit ihrer Aufarbeitung. (= Studien zur internationalen Schulbuchforschung; 94), Hannover 1997, S. 60.
  • [47] Brandes, Die Tschechen, Teil 1, S. 78.
  • [48] Ebenda, S. 78 – 79.
  • [49] Ebenda, S. 78 – 80.
  • [50] Ebenda, S. 53 – 96, S. 171 – 206, S. 242 – 250 sowie Brandes, Detlef: Die Tschechen unter deutschem Protektorat. Teil 2: Besatzungspolitik, Kollaboration und Widerstand im Protektorat Böhmen und Mähren von Heydrichs Tod bis zum Prager Aufstand (1942 – 1945), München, Wien 1975, S. 61 – 112.
  • [51] Král, Václav: Zločiny proti Evropě. [Verbrechen gegen Europa], Praha 1964, S. 380. Die Intelligenz sei außerdem "stimmungsmäßig kaum zu gewinnen", und da sie immer wieder "Führungsansprüche gegenüber den anderen tschechischen Volksteilen" anmelde, müsse sie "zusammen mit den rassisch-mongoloiden" Bevölkerungsteilen "scharf angefaßt und ausgeschaltet werden." IMT, Bd. 3, S. 662.
  • [52] Die Rolle der sudetendeutschen Nationalsozialisten ist in der bisherigen Forschung entweder gar nicht oder in den meisten Fällen völlig ungenügend untersucht worden. Dabei spielten sie gerade bei den Massenverhaftungen eine besonders wichtige Rolle. Vgl.: Kárný, Miroslav: Der Holocaust und die Juden in Böhmen und Mähren, in: Maier, Robert (Hrsg.): Tschechen, Deutsche und der Zweite Weltkrieg. Von der Schwere geschichtlicher Erfahrung und der Schwierigkeit ihrer Aufarbeitung. (= Studien zur internationalen Schulbuchforschung; 94), Hannover 1997, S. 47.
  • [53] Bericht Befehlshaber der Sipo und des SD vom 13.5.1939, in: Milotová/Kárny: Anatomie okupační politiky, S. 83 - 84; vgl. auch Brandes, Detlef: Nationalsozialistische Tschechenpolitik im Protektorat Böhmen und Mähren, in: Brandes, Detlef/Kural, Václav (Hrsg.): Der Weg in die Katastrophe. Deutsch-tschechoslowakische Beziehungen 1938 – 1947 (= Veröffentlichungen des Instituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; 3), Essen 1994, S. 42.
  • [54] Vgl. Brief Himmlers an den Reichsprotektor Konstantin Freiherr von Neurath vom 8.6.1939: "Der Führer hat weiterhin folgendes angeordnet: sämtliche Verhafteten sollen sofort in ein Konzentrationslager überführt werden (vom Reichsführer SS ist dafür Mauthausen bestimmt). Es ist auf die Benennung der Täter eine hohe Prämie auszusetzen. Der Stadt ist eine sehr hohen Busse im Verhältnis zu der Größe der Stadt aufzuerlegen, z. B. von einer Million." DaA 33.903/2.
  • [55] "Drei schreckliche Tage von Schlägen, Folter, Regen und abscheulicher Arbeit [...]. Ekelhaft stinkendes Essen. Gleich nach der nächtlichen Ankunft in Mauthausen mussten wir auf den Boden in den Dreck fallen und auf diesem, aus menschlichen Körpern gebildeten Gehweg, liefen die SS Männer in hohen Stiefeln wie von Sinnen." Kašák, Karel: Češi v koncentračním táboře Dachau. [Tschechen im Konzentrationslager Dachau], in: Almanach Dachau. Kytice událostí a vzpomínek. [Ein Strauss von Ereignissen und Erinnerungen], Prag 1946, S. 15. In dieser kurzen Darstellung dokumentiert Kašák die Geschichte der Tschechen im KZ Dachau von Juni 1939 bis Juni 1943. Sie entstand direkt nach der Befreiung als ein Bericht für das tschechoslowakische Ministerium der Sozialfürsorge in Prag. Die meisten Angaben decken sich ziemlich genau mit anderen Quellen, wie etwa mit der Häftlingsdatenbank oder zahlreichen Erinnerungsberichten.
  • [56] Zámečník, Dachau, S. 116.
  • [57] Brandes, Nationalsozialistische Tschechenpolitik, S. 40.
  • [58] Ebenda, S. 41.
  • [59] "Aus den Baracken, in denen die tschechischen Studenten untergebracht waren, hörte man ständig erschütternde Schreie und das Wehklagen der gequälten Menschen. Überall begegnete man blutig geprügelten Männern." Zitat des ehemaligen Häftlings aus Sachsenhausen Dr. Bohdan Rossa aus Prag. Zitiert nach: Naujoks, Harry: Mein Leben im KZ Sachsenhausen 1936 – 1942. Erinnerungen eines ehemaligen Lagerältesten, Köln 1987, S. 153.
  • [60] Brandes, Nationalsozialistische Tschechenpolitik, S. 42.
  • [61] Monatsbericht für den August und die erste Septemberhälfte 1940. Abgedruckt in: Milotová, Jaroslava/Kárny, Miroslav/Kárna, Margita (Hrsg.): Deutsche Politik im "Protektorat Böhmen und Mähren" unter Reinhard Heydrich 1941 – 1942. Eine Dokumentation (= Nationalsozialistische Besatzungspolitik in Europa 1939 – 1945; 2), Berlin 1997, S. 77.
  • [62] Ebenda, S. 78.
  • [63] Schreiben vom 30.9.1941, abgedruckt bei: Milotová/Kárny/Kárna: Deutsche Politik im Protektorat, Dok. 19, S. 102.
  • [64] Seit dem Jahr 1940 wurden die Konzentrationslager in verschiedene Kategorien eingestuft. Stufe III galt für "schwerbelastete, insbesondere auch gleichzeitig kriminell vorbestrafte, ausgesprochen asoziale und daher kaum noch erziehbare Schutzhäftlinge". Kategorisierung als Faksimile abgedruckt bei: Tuchel, Die Inspektion, S. 67. Neben Mauthausen galten auch das Nebenlager Mauthausen-Gusen und das KZ Groß-Rosen als Lager der Stufe III. Nur wenige dieser Tschechen kamen aus Mauthausen zurück, da viele von ihnen zur tödlichen Arbeit im Steinbruch verurteilt wurden.
  • [65] Král, Zločiny, S. 373.
  • [66] Ebenda, S. 373 – 374.
  • [67] Brandes, Die Tschechen, Teil 1, S. 211.
  • [68] Milotová/Kárny/Kárna: Deutsche Politik im Protektorat, Dok. 105, S. 281.
  • [69] Zit. nach: Brandes, Nationalsozialistische Tschechenpolitik, S. 47.
  • [70] Franks Rede vom 27. – 31.3.1944 in Bad Karlsbrunn abgedruckt bei: Die Vergangenheit warnt, S. 523.
  • [71] Darunter ca. 265.000 Juden und 7.000 Roma, die die rassische Verfolgung im Zuge der "Endlösung der Judenfrage" nicht überlebt haben. Weiter etwa 3.000 Personen, die während des Zwangsarbeitseinsatzes starben sowie ca. 6.800 Soldaten der Auslandsarmee, die an der Ostfront oder in Afrika fielen. Zusätzlich starben über 4.000 Menschen bei Luftangriffen und rund 8.000 bei "bewaffneten Zusammenstößen" im Protektorat. Schließlich wurden etwa 8.500 Tschechen und Slowaken von den Nationalsozialisten hingerichtet. Zu näherer Aufschlüsselung der Zahlenangaben siehe bei: Škropil, Pavel: Probleme bei der Berechnung der Zahl der tschechoslowakischen Todesopfer des nationalsozialistischen Deutschlands, in: Brandes, Detlef/Kural, Václav (Hrsg.): Der Weg in die Katastrophe. Deutsch-tschechoslowakische Beziehungen 1938 – 1947 (= Veröffentlichungen des Instituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; 3), Essen 1994., S. 163 – 164.
  • [72] In dieser Zahl sind die Opfer der rassischen Verfolgung, wie Juden und Roma nicht enthalten. Ebenda, S. 163.

5. ANHANG
5.1.1 Quellenverzeichnis
5.1.2 Literaturverzeichnis
5.2.0
Abkürzungen

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Nationalsozialistische Konzentrationslager]
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