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Jüdische Weisheit
 
 


Andrea Ehrlich

Antisemitismus, Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit
in der Tschechischen Republik


2) Historischer Rueckblick zum Antisemitismus

11. Jahrhundert
15. Jahrhundert
Die Habsburger Monarchie
Aufklaerung und Haskalah
19. Jahrhundert und Nationalismus
Die erste tschechoslowakische Republik
Die zweite tschechoslowakische Republik (CSSR)

Es ist anzunehmen, dass es bereits in der Antike juedische Siedlungen in den boehmischen Laendern gab, wofuer es aber, ebenso wie bei den uebrigen juedischen Siedlungsgebieten in Osteuropa, kein ausreichendes Quellenmaterial gibt. Erste Belege finden sich fuer das 11. Jahrhundert, beispielsweise in den Chroniken des Cosmas von Prag . Allerdings kam es erst im 13. Jahrhundert zu einer kulturellen Bluete, was die hohe Anzahl der wichtigen Gelehrten aus dieser Zeit bestaetigt. Die freie Entfaltung der Juden in Boehmen und Maehren ist vor allem durch die Sonderrechte zu erklaeren, die ihnen 1267 von Premysl Ottokar II. bestaetigt wurden. Sie wurden dadurch zu Kammerknechten bestimmt, was sie sowohl der Gerichtsbarkeit und der Steuerhoheit des Koenigs und nicht der lokalen Obrigkeiten unterzog. Dadurch konnten die juedischen Gemeinden voellig autonom in Verwaltung, Steuerwesen und Erziehung handeln. In Boehmen waren die Gemeinden auf dem Lande mit Prag durch das Oberrabbinat verbunden, erst im Laufe des 18. Jahrhunderts bildeten sich auf der Provinz zwei unabhaengige Rabbinate. Die Verwaltung Maehrens glich der in Polen, so wurde auch hier ein Wa´ad gebildet, der als Rat der verschiedenen Gemeinden tagte.

Mit dem Widerstand der Hussiten gegen die katholische Kirche wurde nicht nur die koenigliche Zentralgewalt, sondern auch die Stellung der juedischen Gemeinden geschwaecht. Immer oefter wurden religioeser Aufhetzungen von Pogromen gefolgt. 1454 kam es zur Vertreibung aus fuenf maehrischen Koenigsstaedten, Brno, Olomouc, Znojmo, Jihlava und Nove Mesto, die sechste Stadt Uherske Hradiste, schloss sich 1514 an . Die Juden erhielten hier bis ins 19. Jahrhundert kein neues Niederlassungsrecht.

1526 wurden die Koenigreiche Boehmen und Ungarn in die Habsburger Monarchie eingebunden. Fuer die juedischen Gemeinden in den tschechischen Laendern bedeutete das einen neuerlichen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. Erst die sogenannten Familiantengesetze aus den Jahren 1726/27, die Karl VI. unter dem Druck der Staende erlassen hatte, sorgten fuer eine empfindliche Einschraenkung, die bis zur Revolution von 1848 bestehen blieb. Die Zahl der juedischen Familien in Boehmen wurde auf 8.541 und in Maehren auf 5.106 begrenzt. Nur jeweils ein Sohn erhielt das Recht, selbst eine eigene Familie zu gruenden. Die Durchsetzung der Verordnungen erwies sich allerdings als schwierig, viele konnten die Gesetze umgehen, so dass die juedische Bevoelkerung trotz dieser Massnahmen betraechtlich anstieg . Eine Folge der Gesetze war eine Steigerung der Polarisierung innerhalb des tschechischen Judentums zwischen den assimilierten Wohlhabenden und der grossen Masse der aermeren Juden, die das Geld fuer Bestechung nicht aufbringen konnten. So bezeichnet auch Ruth Kestenberg-Gladstein ''zwiespaeltige innere Verhaeltnisse''als den Preis, ''den die juedische Gesellschaft in den boehmischen Laendern fuer Toleranzpatente und Aufklaerung zahlen musste.''

Eine neue Ära begann fuer die Juden mit den josephinischen Reformen, die nicht nur von den Ideen des aufgeklaerten Absolutismus, sondern auch von juedischen Aufklaerern, Anhaengern der Haskala, gepraegt waren. Darunter war vor allem das Toleranzpatent fuer das boehmische Judentum von 1781 von Bedeutung. Den Juden wurde jede Form des Handwerks und des Handels gestattet, sie sollten zu nuetzlichen Buergern geformt werden. Einen bedeutenden Einschnitt hatte allerdings die Einfuehrung der allgemeinen Schulpflicht zufolge. Den Juden wurde zwar der Zugang zu Universitaeten erlaubt, aber durch die weltliche Erziehung in den staatlichen Schulen kam es zu einem Verfall der juedischen Tradition, der einen groesseren Willen zur Assimilation nach sich zog .

Das Aufkommen der nationalen Bewegungen am Anfang des 19. Jahrhunderts brachte grosse Konflikte mit sich. Die Gegensaetze zwischen Tschechen und Deutschen verschaerften sich zunehmend, die Juden mussten sich fuer die Zugehoerigkeit einer dieser Kulturen entscheiden. Bei den Tschechen war eine solche Annaeherung allerdings keineswegs erwuenscht, jegliche Akkulturationstendenzen, wie beispielsweise Versuche juedischer Literaten, in tschechischer Sprache zu schreiben, wurde mit Verachtung quittiert. Der Assimilationswille wurde dann vor allem mit dem Scheitern der Revolution von 1848 gedaempft. So kam es weiterhin zu einer verstaerkten Germanisierung der tschechischen Juden, was schon durch die josephinischen Reformen, die ein Netz von deutsch-juedischen Schulen begruendet hatten, veranlagt war. Erst ab den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts und mit der staerker einsetzenden Industrialisierung kam es zu einer erneuten Hinwendung zur tschechischen Kultur. Noch 1890 gaben 74% der Prager Juden Deutsch als ihre Umgangssprache an, 1900 waren es nur noch 45% .

Die Juden in Boehmen und Maehren assimilierten sich trotz allem viel schneller als ihre osteuropaeischen Nachbarn. 1867 war hier die volle Gleichberechtigung gesetzlich garantiert worden. Damit waren aber erneute soziale Spannungen gegeben, denn die Tschechen identifizierten die Juden nicht nur mit Deutschtum, sondern auch mit der kapitalistischen Ausbeutung. Ende des 19. Jahrhunderts eskalierte schliesslich die Lage. Nach dem Ruecktritt der Wiener Regierung, deren Versuch, sowohl deutsch als auch tschechisch zur Amtssprache zu erheben, gescheitert war, kam es in ganz Boehmen und Maehren, vor allem aber sehr massiv in Prag, zu einem Sturm auf deutsche Institutionen und wenig darauf zu grossen antisemitischen Ausschreitungen. In diese emotionsgeladene Zeit fiel auch die sogenannte Hilsner-Affaere. Am 1. April 1899 fand man in Nordboehmen ein ermordetes Maedchen, das eine grosse Schnittwunde am Hals hatte. Sehr bald wurde der Verdacht auf den juedischen Schustergesellen Leopold Hilsner gelenkt. Man warf ihm vor, er habe das Maedchen aus rituellen Gruenden ermordet, um ihr Blut beim Pessah- Fest zu benutzen. Die zweite Instanz unterstellte ihm sexuelle Motive, Hilsner wurde erneut zum Tode verurteilt, was aber in eine lebenslange Haft umgewandelt wurde. Erst 1916 konnte seine Begnadigung durchgesetzt werden. Der Bruder des ermordeten Maedchens gab schliesslich 1961 zu, die Tat begangen zu haben .
Die Ereignisse fuehrten schliesslich bei Teilen des tschechischen Judentums zu der Erkenntnis, dass eine Assimilation weder an die deutsche oder die tschechische Kultur gluecken wuerde, dass man vielmehr ein eigenes nationales Bewusstsein, den Zionismus entwickeln muesse. 1899 wurde die Jugendbewegung Bar Kochba gegruendet. So entstanden zwei Pole im tschechischen Judentum, die zionistische Bewegung und diejenigen, die an einer deutschen oder tschechischen Assimilation festhielten. Letztere stuerzten oft in eine tiefe Identitaetskrise, als sie erkannten das auch die Assimilation keine wirkliche Anerkennung brachte.

Nach dem ersten Weltkrieg wurde die erste tschechoslowakische Republik gegruendet. Ihr erster Praesident Tomas Masaryk, der durch sein Eingreifen in die Hilsner-Affaere oft als Judenfreund beschimpft wurde , wollte einen Staat auf den Prinzipien der Gerechtigkeit und Toleranz aufbauen. In dieser ersten Republik war Antisemitismus offiziell nicht akzeptiert, die Juden waren voll gleichberechtigt, auch wenn der Hass unterschwellig weiterlebte und schliesslich im Faschismus wieder hervorbrach. Die humane Tradition von Masaryks Politik wurde zwar von Eduard Benes fortgesetzt, doch nach der Muenchner Konferenz, trat offene antisemitische Propaganda zutage.
Als schliesslich am 15. Maerz 1939 Hitlers Truppen einmarschierten, war die humane Republik am Ende. Von den 118.310 Juden aus den tschechischen Laendern konnten 26.100 emigrieren, 78.000 fielen dem Holocaust zum Opfer .

Nach dem Krieg und der kommunistischen Machtuebernahme wurde zunaechst eine freundliche Politik gegenueber Israel eingeschlagen. Die Tschechoslowakei war der wichtigste Waffenlieferant fuer den neuen juedischen Staat, der gegen fuenf arabische Armeen kaempfte. Ausserdem wurden die Piloten der israelischen Luftwaffe hier ausgebildet . Diese Beziehungen wurden nach einer sowjetischen Kampagne abgebrochen, unter dem Druck des grossen Bruders bekam der Antisemitismus eine neue Auspraegung, man sollte daher eher von ''Antizionismus'' sprechen.
Den Hoehepunkt dieser Propagandakampagne bildete der sogenannten Slansky-Prozess 1952. Dieser groesste Schauprozess der tschechischen Nachkriegszeit fuehrte zur Hinrichtung zahlreicher Juden, die hohe Stellungen innehatte. Die sowjetische Fuehrung benutzte den Vorwand einer zionistischen Verschwoerung, um die unbequemen Genossen auszuschalten. Der Prozess zog noch zahlreiche Verurteilungen in den folgenden Jahren nach sich.

Der Prager Fruehling brachte fuer die Juden eine kurze Reprise der Masaryk-Zeit, nach dessen Niederschlagung flohen weitere 6.000 Juden aus dem Land. In den folgenden Jahrzehnten wurden die juedischen Gemeinden streng ueberwacht. Bei den Versammlungen war immer ein Staatsangestellter anwesend. Der Gottesdienst war zwar erlaubt, doch Prag hatte 20 Jahre keinen Rabbi und man musste damit rechnen, im Job stark diskriminiert zu werden, wurde man in der Synagoge gesehen. So kam es, dass sich hauptsaechlich alte Menschen zu ihrem Judentum bekannten, waehrend sich die juengeren Generationen oft scheuten bei der Gemeinde zu registrieren, auch um ihren Kindern das Leben zu erleichtern .
Das kommunistische Regime leugnete ebenfalls, dass der ueberragende Grossteil der Holocaust-Opfer Juden waren. So wurde auch die Pinkas-Synagoge in Prag, an deren Wand die Namen von annaehernd 80.000 boehmischen und maehrischen Juden, die im Holocaust umkamen, eingemeisselt wurden, 1968 zu einer angeblichen Restaurierung geschlossen. Tatsaechlich wurde erst 1992 mit den Arbeiten begonnen, die Synagoge wurde anlaesslich des Jom haShoah am 16. April diesen Jahres wiedereroeffnet .

In der kommunistischen Ära wurden auch sehr viele antisemitische bzw. antizionistische Texte publiziert. Da sie ohne Zensur gedruckt werden konnten, ist anzunehmen, dass die hetzerischen Texte voll im staatlichen Interesse lagen. Die Juden in den tschechischen Laendern waren also von Anfang an grossem Hass und Verfolgungen ausgesetzt, sei es aus religioesen oder oekonomischen Gruenden. Ihre wirtschaftlichen Verdienste fuer das Koenigreich Boehmen im Mittelalter, ihr wichtiger Beitrag zur Industrialisierung und ihre verzweifelten Assimilationsbestrebungen wurden ignoriert. Die wenigen, die den Holocaust ueberlebten und in ihre Heimat zurueckkehrten, wurden aufgrund der unklaren Eigentumsverhaeltnisse mit Ablehnung und neuer Diskriminierung empfangen. Die freie Religionsausuebung wurde gestoert, ihr Leiden im Holocaust nicht anerkannt, Theresienstadt wurde zu Propagandazwecken missbraucht. Viele der Juden wurden gezwungen, ihre Identitaet zu verleugnen.

Naechster Teil (Kap. 3: ''Antisemitismus heute'')

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Inhalt

  1. Einleitung

  2. Historischer Rückblick zum Antisemitismus

  3. Antisemitismus heute

  4. Historischer Rückblick zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit

  5. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit heute

  6. Meinungsumfragen

  7. Schlußgedanke

  8. Verwendete Literatur

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