Egon
Erwin Kisch:
Der rasende Reporter
Am 31. März 1948, starb in Prag eine der schillerndsten Persönlichkeiten
aus der Welt des Journalismus: Egon Erwin Kisch.
Leben und Werk
- Jugend in Prag 1. Weltkrieg
- Weimarer Republik
- Exil: Paris Australien Spanien USA
- Exil in Mexiko
- Heimkehr Tod 1948
1. Jugend in Prag - 1. Weltkrieg
Egon Kisch wurde 1885 als zweiter von fünf Söhnen einer Prager
jüdischen Patrizierfamilie geboren. Den Zwischennamen "Erwin" hat er
sich selber gegeben. An der Universität hielt es ihn nur zwei
Semester, der Militärdienst als "Einjährig-Freiwilliger" verhieß
größere Abenteuer. Das journalistische Handwerk erlernte er in
Berlin und beim "Prager Tagblatt", 1906 engagierte ihn die
bürgerlichnationalistische "Bohemia" als Lokalreporter. Schnell
avancierte der begabte Newcomer zum Autor der FeuilletonReihe
"Prager Streifzüge", wo er das Prager Arbeits und Nachtleben
thematisierte. Zwar erschienen diese Feuilletons bald auch in
Buchform, doch erst nach seinem Mitwirken an der Aufdeckung der
Spionageaffäre Redl wagte Kisch den Sprung als Schriftsteller nach
Berlin. Die Bohème im Café des Westens um Erich Mühsam und Else
LaskerSchüler fand schnell Gefallen am Prager Wirbelwind, doch die
Schüsse von Sarajevo bereiteten dieser Karriere ein schnelles Ende.
Als loyaler Untertan zog er mit seinem Prager Hausregiment
an die Front gegen Serbien. Obwohl Kisch den Krieg anfangs noch als
Abenteuer auffaßte, verfiel er keine Sekunde dem HurraPatriotismus von 1914.
Mit den täglichen Leiden als Frontsoldat und dem Tod seines Bruders Wolfgang
in Rußland verschwanden die letzten Illusionen. Nach einer schweren
Granatenverletzung im März 1915 erfolgte eine zweijährige Versetzung in die
Etappe. Auf eigenes Verlangen wurde Kisch im Mai 1917 ins k. u. k.
Kriegspressequartier nach Wien abkommandiert, hier traf er u.a. auf Robert
Musil, Franz Werfel, Franz Blei, Albert Paris Gütersloh, Albert Ehrenstein,
Leo Perutz und den SchriftstellerKreis um die Zeitschriften "Der Friede" und
"Summa". Abends traf man sich im Café Central. Im Kreis um Joseph Roth
lernte er seine spätere Frau, die gebürtige Wienerin Gisela Lyner, kennen.
Am 12. November 1918 war Kisch als Offizier der Roten
Garde bei der Gründung der Ersten Republik vor dem Parlament in Wien dabei.
Mit dem Herausreißen des weißen Streifens aus der neuen österreichischen
Flagge und dem Sturm auf die Redaktion der "Neuen Freien Presse" hatte er
nachweislich nichts zu tun, auch wenn gegenteilige Legenden im Umlauf sind.
Dennoch wurde Kisch wegen seiner Popularität das Opfer einer
antikommunistischantisemitischen Pressekampagne. 1919 trat er der
Kommunistischen Partei DeutschÖsterreichs bei, doch aus der aktiven Politik
zog er sich zurück. Im Juni 1920 war Kisch bereits von Wien nach Prag
übersiedelt, wo er für die Bühne von Emil Artur Longen etliche Burlesken
verfaßte, die auf Tourneen in deutscher und tschechischer Sprache aufgeführt
wurden.
2. Weimarer Republik
Auch Egon Erwin Kisch zog es in die neue Metropole
moderner Kunst, nach Berlin. Als "rasender Reporter" sollte er von
hier aus weltberühmt werden, jährlich kam mindestens ein neues Buch
mit reißerischem Titel auf den Markt. Doch dahinter verbarg sich
weder ein Sensationsreporter noch ein Kaffeehausliterat. Vielmehr
suchte Kisch in seinen Werken ökonomische Prozesse und dahinter
stehende menschliche Schicksale in ihrer historischen Bedingtheit
literarisch zu gestalten.
Seine Reportagen erschienen in der bürgerlichen und kommunistischen
Presse, im "Berliner Börsen Courier" sowie in der "Roten Fahne", in
der "Frankfurter Zeitung", in der "Welt am Abend". Zum Star wurde
Kisch in der "ArbeiterIllustriertenZeitung", dem medialen
Flaggschiff des charismatischen kommunistischen Funktionärs Willi
Münzenberg. Dieser stand im Begriff, ein Medienimperium aufzubauen,
das Tageszeitungen, Illustrierte, Filmverleih und Verlage umfaßte,
darunter die "UniversumBücherei". In seinem Umfeld bewegten sich
Erwin Piscator, John Heartfield und Wieland Herzfelde. Nach dem
Erfolg des Buches "Der rasende Reporter" wechselte Kisch 1925 zur
KPD, mit deren Kulturdirektiven er sich jedoch nicht identifizieren
konnte. Weder huldigte er ihren wechselnden Führern, noch verwendete
er die Phrasen ihrer jeweiligen Propaganda. Er war niemals das, was
man einen Parteischriftsteller nennt, denn seine neue kulturelle
Sozialisation erhielt er anderswo: Kisch fand Anschluß an den
"Schutzverband deutscher Schriftsteller", wo er sich mit Arnold
Zweig hitzige Debatten lieferte, und an die "Gruppe 1925" um Alfred
Döblin, an die Zeitschrift "Das Tagebuch" um Stefan Großmann und an
die "Weltbühne" um Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky. Hier fand
Kisch Gleichgesinnte für eine "Litterature engagée". Er war überall
dabei, wo sich Künstler, Gelehrte und andere Intellektuelle
vereinigten, um publizistisch und bei Versammlungen gegen den
Militarismus sowie gegen die Willkür von Polizei, Justiz und
Verwaltung aufzutreten. 1928 wurde er Gründungsmitglied im "Bund
proletarischrevolutionärer Schriftsteller" und versuchte, in den
Statuten auch für Autoren bürgerlicher Herkunft ein Mitgliedsrecht
zu verankern, was aber am Widerstand der Gruppe um Johannes R.
Becher scheiterte. In Berlin und Prag führte er ein international
offenes Haus und bildete eine zentrale Schaltstelle der
linksbürgerlichen Intelligenz. Er fungierte vom deutschen und
tschechischen Sprachraum ausgehend als Multplikator, kultureller
Vernetzer und Werber seiner Weltanschauung in aller Welt.
Ausgedehnte Reisen führten ihn durch ganz Europa, Teile Nordafrikas,
in die europäische Sowjetunion, die USA, schließlich Anfang der
dreißiger Jahre nach Usbekistan, Tadschikistan, Afghanistan, China
und Japan. Nach Europa zurückgekehrt, wurde ihm als "gefährlicher
Ausländer" im November 1932 die Einreise nach Österreich verweigert.
Seine Anwesenheit in Berlin nach der Machtergreifung Adolf Hitlers
beweist seinen Mut.
3. Exil: Paris Australien Spanien USA
Zu lange hatte Kisch den Nationalsozialismus und
dessen Hetzartikel gegen ihn persönlich unterschätzt. Am Morgen nach
dem Reichstagsbrand wurde er aus dem Bett heraus verhaftet, nur sein
tschechischer Paß rettete ihn vor dem Schicksal Erich Mühsams, zu
Tode geprügelt zu werden. Nach Prag abgeschoben, engagierte er sich
vom deutschen Geheimdienst argwöhnisch beobachtet unermüdlich in
verschiedenen Komitees der Flüchtlings und Gefangenenhilfe, in Paris
war er im Kreis um Willi Münzenberg um die Schaffung einer breiten
Front aller HitlerGegner bemüht. Per Schiff ging es im Rahmen seiner
AntiNaziAgitation Ende 1934 nach Australien. Trotz eines gültigen
Visums verweigerte ihm die dortige Regierung die Einreise, daraufhin
sprang er kurzerhand (mit inzwischen fast 50 Jahren!) vom Schiff auf
den Kai und brach sich ein Bein. Zahlreiche Prozesse und großes
Medienecho waren die Folge, sogar das australische Parlament war mit
der Causa befaßt. Letztendlich mußte die Regierung nachgeben und
Kisch verließ Australien als freier Mann.
Den Höhepunkt seiner ExilTätigkeit brachte der "1. Kongreß zur
Verteidigung der Kultur" im Juni 1935 in der Pariser Mutualité, wo
er durch seine Funktion als stellvertretender Vorsitzender des
Schutzverbandes deutscher Schriftsteller im Präsidium vertreten war.
Doch die stalinistische Politik beendete die Zusammenarbeit zwischen
bürgerlichen und sozialdemokratischen mit den kommunistischen
HitlerGegnern, auch wenn Kisch das nicht wahrhaben wollte. Die
später von den Kommunisten als "Renegaten" verfemten Manès Sperber
und Arthur Koestler beschreiben in ihren Autobiographien, wie Kisch
ihnen Vaterfigur und nicht zuletzt durch seine ideologische
Undiszipliniertheit Bereiter rarer heiterer Stunden wurde. An den
Fronten des Spanischen Bürgerkriegs leitete Kisch für mehr als ein
halbes Jahr die Kulturarbeit in Benicasim, einer Ferienkolonie am
Mittelmeer, die zu einem Lazarett für die Soldaten der Spanischen
Republik umgewandelt worden war.
Die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Wehrmacht erlebte er
völlig gebrochen in Frankreich, doch seine Antwort war die Leitung
der deutschen Delegation bei einem Kongreß exilierter Tschechen und
Slowaken Ende April 1939 in Paris. Der HitlerStalinPakt, der den
Angriff Hitlers auf Frankreich ermöglichte, brachte Kisch an den
Rand eines Bruches mit der Partei, doch es soll Ernst Bloch gewesen
sein, der ihn davon abhielt. Nach dem Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs wurden deutsche Exilanten in Frankreich unter
menschenunwürdigen Zuständen interniert und teilweise an die Gestapo
ausgeliefert. Wieder rettete Kisch sein tschechischer Paß, mit Hilfe
zahlreicher Freunde gelang die Flucht nach New York. Dort
angekommen, wurde er für einige Tage in Ellis Island interniert,
bald interessierte sich auch das FBI für ihn. In den USA war er
einmal mehr in der Fluchthilfe tätig, doch sein Aufenthaltsvisum
wurde nicht verlängert.
4. Exil in Mexiko
Die
USA suchten die kommunistischen Exilanten abzuschieben, viele fanden
in Mexiko Asyl. Mexikos Präsident Lázaro Cárdenas hatte von 1934 bis
1940 eine unabhängige Außenpolitik im Zeichen internationaler
Solidarität verwirklicht, so am 19. März 1938 in Form des Protestes
gegen den "Anschluß" Österreichs. Er gewährte zahlreichen
Flüchtlingen politisches Asyl, darunter Egon Erwin Kisch und Anna
Seghers.
Auch sein Nachfolger Avila Camacho förderte die zahlreichen
kulturellen und politischen Aktivitäten der internationalen
ExilantenSzene. Nach dem Angriff Hitlers auf die Sowjetunion im Juni
1941 wurden aus den geächteten Kommunisten wieder Alliierte. Unter
der verklärenden Sonne Mexikos kam es sogar zu einer Annäherung
zwischen deutschen Kommunisten jüdischer Herkunft und jüdischen
ExilOrgansationen, wofür Kisch erneut die Vermittlerrolle übernahm.
Es entstanden der ExilVerlag "El Libro Libre" und als gemeinsames
kulturelles Forum der "Heinrich HeineKlub". In der Zeitschrift
"Freies Deutschland" wurde offen über Wiedergutmachung und
Restitution des jüdischen Eigentums diskutiert. Fast alle
involvierten Genossen fielen nach ihrer Rückkehr in der DDR in
Ungnade. Kischs Freund André Simone, der 1952 im Zuge des
antisemitischen SlánskýProzesses in Prag hingerichtet wurde,
fungierte 1945 als anonymer Chefredakteur der "Tribuna Israelita",
in der neben Kisch vor allem der österreichische Schriftsteller Leo
Katz publizierte.
Auf den Reisen durch das Land voll exotischer Reize "interviewte"
Kisch die Pyramiden in Teotihuacan und Chichen Itza, besuchte den
geheimnisvollen Monte Alban, wurde Zeuge der Geburt eines Vulkans
und identifizierte das Gift, welches Carlotta, die Witwe Maximilians
von Habsburg, in den schleichenden Wahnsinn getrieben hatte. Nahe
der Hauptstadt entdeckte er ein "Indiodorf unter dem Davidstern". Zu
seinem 60. Geburtstag im Jahr 1945 wurden etliche Feiern
organisiert.
5. Heimkehr Tod 1948
Im Frühling 1946 in Prag angekommen, wurde Kisch noch
überschwenglich begrüßt. Doch ein Großteil seiner Familie und fast
alle seiner Freunde waren verschleppt und ermordet worden. Die
vielfach besungene und heiß ersehnte Heimatstadt Prag war nicht mehr
Metropole, auf ihren Straßen war jedes deutsche Wort verpönt. Zum
Nationalismus gesellte sich der Antisemitismus, doch Kisch übernahm
den Ehrenvorsitz einer jüdischen Organisation. Ein geplanter Besuch
bei Leo Perutz in Palästina zerschlug sich. Eine letzte Reise führte
ihn nach Skopje und Belgrad, wo er von Josip Broz Tito empfangen
wurde. Neben der Tschechoslowakei war das Judentum das letzte große
Thema seines Schaffens. Sein letztes BuchProjekt war die erweiterte
Neuausgabe von "Geschichten aus sieben Ghettos", das posthum aber
nur in englischer Übersetzung erscheinen konnte, ein
deutschsprachiger Verleger hatte sich nicht gefunden. Einleitend
entstand hierfür mit "Mörder bauten dem zu Ermordenden ein
Mausoleum" eines überzeugten Atheisten Huldigung der Bibel. Zwei
Jahre nach der Heimkehr erlag Egon Erwin Kisch seinem zweiten
Schlaganfall, die neue kommunistische Regierung bereitete ihm ein
feierliches Begräbnis.
Egon
Erwin Kisch ist der Paradefall einer Generation von kommunistischen
Intellektuellen jüdischer Herkunft, die in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts den allzu engen Ghettomauern ihrer Väter in die Weiten
des Internationalismus entfliehen wollten, die aber fatalerweise
ihre persönlichen, humanistischen Ziele auch für die Ziele Moskaus
hielten. Sie brachen nicht mit ihrer Organisation, in der Hoffnung,
daß nach der Periode der Generäle wieder ihre Stunde schlagen würde.
Kischs politischer Irrtum war es, die Weltgeschichte mit den Augen
eines Dichters zu sehen. Auch wenn seine sozialistische Utopie zu
einem "Sozialistischen Surrealismus" pervertiert und 1989 von der
Geschichte verschluckt wurde, so hat sich an den realen Konflikten
der westlichen Welt nicht viel geändert, und genau diese sind bei
Egon Erwin Kisch meisterhaft erzählt nachzulesen, sind sie doch
allzumenschlichallgegenwärtiggemeinsam.
[Biographische Tabelle] [Ausstellung
in Wien]
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