Die jüdische
Gemeinde in Prag im 20. Jahrhundert
[09-04-2005] Autor: Katrin Bock
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Das 20.
Jahrhundert ist das Jahrhundert des
Holocaust, von dem auch die
tschechischen Juden nicht verschont
blieben - nur ca. 15 Prozent der
jüdischen Bevölkerung in den
Böhmischen Ländern überlebte den
Zweiten Weltkrieg. Dies hatte
natürlich auch Auswirkungen auf das
Leben der jüdischen Gemeinden, denen
im 20. Jahrhundert nur wenige
Jahrzehnte der ruhigen Entwicklung
gegönnt waren.
Laut der ersten
Volkszählung in der Tschechoslowakei
von 1921 lebten 127.000 Juden in den
Böhmischen Ländern, diese Zahl sank
bis 1930 auf 117.000. Ein Grund für
diese Abnahme war neben der
schwachen Geburtenrate die
zunehmende Assimilierung der Juden,
die in Volkszählungen ihren Glauben
nicht mehr angaben. Die Zeit der
ersten Republik war eine Zeit, in
der es zu vielen Kirchenaustritten
kam - bei Christen ebenso wie bei
Juden. Die jüdische Bevölkerung
integrierte sich und bildete einen
unteilbaren Bestandteil der
Gesellschaft. Juden gehörten wie
selbstverständlich zu den Eliten in
Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und
Politik. Dabei bildeten sie keine
homogene Masse, es gab Liberale und
Konservative, Deutsch- und
Tschechischsprechende, Kommunisten
und Nationalisten unter ihnen.
1939-1945
Nach der Errichtung des Protektorats
im März 1939 begannen auch die Juden
in den Böhmischen Ländern die Folgen
der Nürnberger Gesetze zu spüren.
Bereits im Oktober 1939 verließ ein
erster Transport das mährische
Ostrava- Ostrau Richtung Osten. Im
November 1941 traf der erste
Transport aus Prag in Theresienstadt
ein, das zum Ghetto wurde. Bis Mai
1945 wurden hier 75.000 Juden aus
den Böhmischen Ländern interniert,
die wenigsten von ihnen überlebten.
Vor Beginn der Deportationen aus
Prag im November 1941 lebten hier
39.400 Juden - 7540 von ihnen
überlebten den Krieg. Viele
Hoffnungen der Zurückgekehrten
erfüllten sich nach Kriegsende
nicht. Wiedersehen mit überlebenden
Familienangehörigen und Freunden
waren äußerst selten, hinzu kam,
dass von den Nazis konfisziertes
Eigentum nun im Besitz des Staates
oder tschechischer Privatpersonen
war. Die Hoffnung auf eine Rückgabe
dieses Eigentums starb mit der
Machtergreifung der Kommunisten im
Februar 1948 endgültig.
Die Überlebenden fanden 1945 in der
Tschechoslowakei eine veränderte
Heimat vor - die Deutschen waren
vertrieben, die Tschechoslowakei
wurde ein Nationalstaat ohne
Minderheiten. Dr. Blanka Soukupova
von der Prager Karlsuniversität
beschreibt die Situation wie folgt:
"Den Juden in den Böhmischen Ländern
wurde als einzige Alternative des
weiteren Schicksals angeboten, sich
mit dem tschechischen Volk zu
identifizieren. Die so genannte
Aussiedlung der Deutschen, die
Bemühung um eine ethnische
Homogenität des Raumes fanden bei
den nachkriegerischen jüdischen
Repräsentation eine eindeutige
Zustimmung."
Die jüdische Gemeinde in Prag nahm
gleich nach Kriegsende wieder ihre
Tätigkeit auf, doch viele der
Überlebenden traten nicht mehr ein
und zogen eine völlige Assimilierung
vor. Die Anfänge der jüdischen
Gemeinde schildert Dr. Blanka
Soukupova:
"Schon vom Mai 1945 erfüllte die
Gemeinde ausgedehnte
Sozialfunktionen. Sie zahlte den
Rückkehrern einmalige
Unterstützungen, den Bedürftigen
Sozialunterstützungen. Sie verteilte
Lebensmittel und Kleidergeschenke
aus dem Ausland. Weiter errichtete
sie eine Databasis der
Zurückgekehrten und eine
Rechtsberatungsstelle. Die
Kultabteilung erneuerte
Hochzeitsabhandlungen, die
Distribution der Ritualgegenstände."
1948-1968
Die
kurze Zeit der Konsolidierung wurde
durch die Machtergreifung der
Kommunisten im Februar 1948
unterbrochen. Die damalige Leitung
der jüdischen Gemeinde sah keinen
Grund, gegen den Regierungswechsel
zu protestieren, wie Dr. Soukupova
anführt:
"Den Februar Umsturz 1948 begrüßte
die personal abgeänderte
Judenrepräsentation loyal. Den
kommunistischen Präsidenten Gottwald
nahm sie positiv an. Auch die
Beziehung zu Juden in Palästina und
die Tatsache, dass Gottwald 1948 den
ersten Gesandten des Staates Israel
annahm, wurde geschätzt. Faktisch
natürlich kam es schon in den
Nachfebruartagen zur Liquidation der
Judenkorporationen."
1948 war die Tschechoslowakei eines
der ersten Länder, das Israel
anerkannte. Den Kampf um die
Errichtung des Landes hatte Prag
unterstützt, man lieferte Waffen,
bildete Piloten in der
Tschechoslowakei aus, gründete sogar
eine Freiwilligeneinheit, die für
ein unabhängiges Israel kämpfte. Die
guten Beziehungen trugen ihre
Früchte. Von 1948 bis 1951 wanderten
tausende Juden aus der
Tschechoslowakei nach Israel aus.
Die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts
stellen jedoch ein dunkles Kapitel
in den tschechisch-jüdischen
Beziehungen dar. Unter dem Einfluss
der Sowjetunion erlebte das Land
eine antisemitische Welle, Juden
wurden aus kulturellen und
politischen Leben ausgeschlossen -
Höhepunkt waren politische
Schauprozesse gegen ehemals führende
Kommunisten jüdischen Ursprungs.
Stellvertretend für alle sei an den
ehemaligen Generalsekretär der
Kommunistischen Partei, Rudolf
Slansky, erinnert, der 1952
hingerichtet wurde. Die jüdische
Gemeinde selbst verhielt sich zu
jener Zeit loyal, dazu Dr. Blanka
Soukupova:
"Die
50er Jahre des 20. Jahrhunderts
waren der Zeitabschnitt, wann die
Judenrepräsentation durch den Tausch
für eine unbedingte Loyalität zum
Regime kleine Zugeständnisse im
Gebiet des Religions- und
Gesellschaftslebens gewann. Z.B. in
Prag fungierte Mikwe,
Fleischversorgung aus den
Ritualschlachtung, Ritualrestaurant,
ein Judenaltersheim;
Religionsunterricht wurde geduldet."
Zu einer Belebung des jüdischen
Lebens kam es während des Prager
Frühlings Mitte der 60er Jahre. Man
wagte, sogar Forderungen zu stellen
und die Gesellschaft zu kritisieren,
wie Dr. Blanka Soukupova erläutert:
"Erstmals erklang öffentlich die
Beschuldigung der
Majoritätsgesellschaft und der
Regierung wegen ihrer
Gleichgültigkeit gegenüber den
Opfern der Shoah, des Mangel an
Pietät zu Opfern von Hitlers
Rassenpersekution. Erstmals
öffentlich schrieb man vom
Antisemitismus der 50er Jahre. Die
Juden forderten eine öffentliche
Verurteilung des Antisemitismus in
den politische Prozessen Ende der 40
er und der ersten Hälfte der 50er
Jahre des 20. Jahrhunderts."
1968 bis heute
Gustav
Husak
Doch auch diese Hoffnungen wurden
wie so viele andere jener Zeit am
21. August 1968 von sowjetischen
Panzern zerstört. Es setzte eine
Emigrationswelle ein, von der auch
die jüdischen Gemeinden betroffen
waren:
"Aus der Tschechoslowakei
emigrierten 4.000 Juden, vorwiegend
nach Israel. Im Frühling 1969 führte
Gustav Husak einen harten
normalisierenden Druck mit der
notwendigen antisemitischen und
gegenisraelitischen Stimmung ein."
Während jener Normalisierung wurde
der Holocaust offiziell
angezweifelt, den Juden wurde sogar
eine Zusammenarbeit mit den Nazis
vorgeworfen. Jüdische
Kulturdenkmäler, Friedhöfe und
Synagogen verfielen. Der Staat
kümmerte sich nicht um das
Vermächtnis dieser Kultur und des
Holocaust. Die Samtene Revolution
von 1989 kam für die jüdische
Gemeinde in Prag kurz vor 12. Damals
hatte sie nur 700 Mitglieder, das
Durchschnittsalter lag dabei bei 80
Jahren.
"Das Jahr 1989 traf die
nichtzahlreiche Judenminorität
meinungsvereinigt. Im Verlauf der
ersten drei Jahre nach dem Umsturz
verankerte sich die Minorität in der
gesellschaftlichen Realität. Es
begann aber ihre
Meinungsdifferentiation, die bis
heute fortsetzt. Wichtig wurde der
Widerspruch zwischen der
rechtgläubigen und der liberalen
Auffassung bei der Aufnahme in die
Gemeinde."
Heute hat die jüdische Gemeinde in
Prag rund 1.600 Mitglieder, das
Durchschnittsalter sank auf 57
Jahre. Die erwähnten
Meinungsverschiedenheiten führten in
den letzten Monaten zu einer
erbitterten Auseinandersetzung in
der Gemeinde, die durch Neuwahlen
des Vorstands dieser Tage beigelegt
werden soll.
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