antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil


Newsletter abonnieren
Bücher / Morascha
Koscher leben...
Jüdische Weisheit
 
 

Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Erinnerungskultur:
Tschechen und Deutsche

Drei Beispiele für einen neuen Ansatz

Von Helmut Köser

In seiner Rede zum "Tag der Heimat" hat der deutsche Bundespräsident am 3. September 2006 die Hoffnung geäußert, dass es trotz unterschiedlicher Erinnerungskulturen im zusammenwachsenden Europa gelingen wird, Erinnerung und Versöhnung miteinander zu verbinden.

Unterschiedliche Erinnerungskulturen beeinflussen auch heute noch unsere Beziehungen: 60 Jahre nach dem Kriegsende werden Okkupation und Vertreibung immer noch aus der Perspektive der Opfer gesehen. Es gab und gibt jedoch andere Optionen für die kulturelle Erinnerung. Dies möchte ich am Beispiel von drei Persönlichkeiten aus dem deutsch-tschechischen Kulturleben verdeutlichen.

Die Freundin Kafkas

Milena Jesenskä - sie war mehr als die Brieffreundin von Franz Kafka Sie war eine kluge, mutige und hochsensible Beobachterin ihrer Zeit. Sie hat 1938 in einer Reportage die angespannte Situation im damaligen Nordböhmen beschrieben. Sie beklagt, dass sie - die Tschechen - die Lage der Deutschen im nordböhmischen Grenzgebiet nicht verstanden haben. Und sie stellt die Frage, warum die Mehrheit der Deutschen auf politische Demagogen und Verführer hereinfällt, anstatt sich zur demokratischen Republik der CSR zu bekennen.

Milena Jesenskas Frage ist hochaktuell: es ist die Frage nach den Ursachen misslungener Integration und deren Folgen in Parallelgesellschaften, die vernachlässigt werden. 1939, kurz nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht, hat Milena geschrieben: "Werden wir wahrhaftig einmal nebeneinander leben, Deutsche und Tschechen..., ohne uns etwas zu leide zu tun, ohne uns gegenseitig zu hassen, ohne Unrecht zu begehen? Kommt es zu einem wahrhaftigen Verständnis zwischen uns? Wie herrlich wäre es, dieses zu erleben!"

Sie hat es nicht mehr erlebt, sie starb im KZ Ravensbrück. Sie hat sich nie als Opfer gefühlt, obwohl sie es war. Auch in der größten Erniedrigung hat sie sich ihre innere Freiheit bewahrt. Und ihre Frage, wie wir zu einem neuen Miteinander finden können, hat nach wie vor Gültigkeit.

Von Beruf Zeitzeugin

Ein zweites Beispiel: Lenka Reinerova gilt als letzte noch lebende Autorin der deutschsprachigen Literatur in Prag. "Traumcafe" einer Pragerin", "Zuhause in Prag - manchmal auch anderswo", ihre Werke sind Erinnerungen einer kosmopolitischen Frau auf der Flucht vor den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, zugleich Erinnerungen an die deutsch-tschechisch-jüdische Symbiose, die ein überaus reiches kulturelles Erbe hinterlassen hat.

"Zeitzeugin ist mein Beruf", hat sie kürzlich gesagt. Gemeinsam mit Frantisek Cerny (ehemaliger tschechischer Botschafter in Deutschland - Anm. Red. der Prager Zeitung) errichtet Lenka Reinerova in Prag eine Bibliothek der deutschsprachigen Literatur in Böhmen. Wir (die Brücke/Most-Stiftung) freuen uns, dass wir zusammen mit der Robert-Bosch-Stiftung dieses Projekt unterstützen können und damit das kulturelle Erbe einer untergegangenen Zeit bewahren helfen. Erinnerung als Verpflichtung und Auftrag, das ist ihre Botschaft.

Zweite Heimat gefunden

Ein drittes Beispiel aus der deutschtschechischen Erinnerungskultur, auch eine Frau: Jana Renee Friesovä. Wir entdeckten ihre tschechische Autobiographie in einer Prager Buchhandlung und haben Frau Friesovä nach Dresden eingeladen. Die erste Begegnung war höflich distanziert, man kann sagen verkrampft. Wir wussten. dass ihre Familie in Auschwitz umgekommen war. Nie zuvor hatte sie deutschen Boden betreten, die deutsche Sprache hatte sie aus ihrem Gedächtnis verbannt.

Zwei Jahre lang haben wir mit ihr - mal in Dresden, mal in Prag - an der deutschen Ausgabe ihres Buches gearbeitet. Es ist die Erinnerung an eine glückliche Kindheit südlich des Isergebirges, an die Verfolgung in der Zeit der NS-Okkupation und an die Gefangenschaft in Theresienstadt. Durch die gemeinsame Arbeit am Manuskript ist eine tiefe Freundschaft entstanden.

Inzwischen hat die Autorin mehrmals im Rahmen der Kulturtage Lesungen gehalten und bemüht sich um den Wiedergewinn der deutschen Sprache. Nach ihrem letzten Aufenthalt in Dresden sagte sie zum Abschied: "Eigentlich wollte ich niemals nach Deutschland kommen. Jetzt ist Euer Haus in Dresden meine zweite Heimat geworden". Es ist die gemeinsame Erinnerungsarbeit, die diese Verwandlung herbeigeführt hat. Ihr Buch ist ein Appell gegen das Vergessen, die Erinnerung wach zu halten, damit sich das schreckliche Geschehen niemals wiederholt.

Po Cesko-nemeckych stopach

Wie finden wir heute den Weg zu einer gemeinsamen Erinnerungskultur von Tschechen und Deutschen? In den letzten Jahren hat es insbesondere in der jungen Generation wegweisende Initiativen gegeben. Das Schülerprojekt "Deutsch-tschechische Spurensuche (Po Cesko-nemeckych stopach) war auf der Suche nach vergessenen Bevölkerungsgruppen im sächsischböhmischen Grenzraum. Schüler der Gymnasien in Wilthen und Ceska Kamenice haben nach untergegangenen Dörfern gesucht, Gegenstände gesammelt, in Archiven nachgeforscht und Zeitzeugen befragt, um die gemeinsame jüngste Vergangenheit besser zu verstehen.

Im Projekt "Zeitzeugendialog" haben ehemalige tschechische Zwangsarbeiten an deutschen Schulen über ihr Schicksal berichtet. Hierüber ist eine Dokumentation entstanden, die als CD-Rom im Unterricht verwendet werden kann. In Fortbildungskursen wurden Lehrer für den deutsch-tschechischen Unterricht in Geschichte und in der politischen Bildung geschult.

Beispielhaft ist auch die Wanderausstellung "Das verschwundene Sudetenland" (Zmizelé Sudety) der Studentengruppe "Antikomplex". Sie verdeutlicht in historischen und aktuellen Fotos die Folgen der Veitreibung in den Grenzregionen. In Ruinen entsteht neues Leben. Die jungen Künstler von "Proudeni" (Strömungen) haben in den verfallenen Gebäuden eines Meierhofes in Rehlovice ein Kulturzentrum gegründet. Im Rahmen dieser Kulturtage erarbeiten sie in einem Künstlersymposium neue Werke unter deutschtschechischen und europäischen Gesichtspunkten.

Rede zur Eröffnung der 8. Tschechisch-Deutschen Kulturtage in Dresden/Usti nad Labem am 27. Oktober 2006, in der Dreikönigskirche Dresden-Neustadt, gekürzte Wiedergabe.

Der Autor, Prof. Dr. Helmut Köser, ist Gründer und Vorstandsvorsitzender der Brücke/Most-Stiftung zur Förderung der deutsch-tschechischen Verständigung und Zusammenarbeit Dresden. Prof. Köser ist APL-Professor für Politikwissenschaft an der AJbert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau. Er erhielt für sein Engagement im deutsch-tschechischen Bereich bisher zahlreiche Auszeichnungen.

Tschechische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau
on Zuzana Mosnáková

haGalil.com 10-01-2007
sign.gif (1639 Byte)

 


Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!
 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved