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Vergangenheit - Gegenwart

Der Rand ist die Mitte. 
Lesbischer Eigensinn und 
jüdische Gemeinschaft

Jessica E. Jacoby, Lara Dämmig

Das folgende Gespräch fand im Rahmen des Workshops von Elizabeth Tikvah Sarah "On being a Lesbian Rabbi" statt. Sie erzählte uns zunächst, wie sie im Laufe ihrer beruflichen Entwicklung ihre Identität als Frau, Jüdin, Lesbe und Rabbinerin miteinander verbunden hat. Dann forderte sie uns auf, in einem Dialog uns über die verschiedenen Seiten unserer Identität auszutauschen, darüber nachzudenken, inwieweit sie sich ergänzen oder sich aneinander reiben und wie wir diese komplexe Identität in die jüdische Gemeinschaft einbringen.

Lara: Wir sind beide in einem jüdischen Kontext aufgewachsen, Du in West-Berlin, ich im Ostteil der Stadt. Das Jüdischsein hat unsere Kindheit und Jugend geprägt. Feministische und lesbische Orientierung haben sich später entwickelt.

Jessica: Ja, zum Lesbischsein sind wir alle nicht "erzogen" worden, daß war ein eigener Weg. Ich habe mich ja eine ganz Weile aus der jüdischen "Szene" zurückgezogen, weil mich mein Engagement für jüdische Frauen erschöpft und auch ein bißchen frustriert hatte. Aber ich sehe, daß Du und andere Frauen den Faden wieder aufgenommen und weitergesponnen haben und mittlerweile gibt es eine spannende Vielfalt, die mich neugierig macht.

Lara: Ich habe auch den Eindruck, daß in Berlin ungeheuer viel in Bewegung geraten ist. Interessant finde ich, daß dies vor allem der Initiave von Frauen und auch Männern zu verdanken ist, die eher am Rande der jüdischen Gemeinschaft stehen, die aber dennoch Verantwortung übernehmen, jüdisches Leben zu gestalten.

Jessica: Und die Bedingungen hierfür sind jetzt sicherlich besser als vor zehn Jahren. In den 80er Jahren hatte ich eher als jüdische Frau in der nichtjüdischen Frauenbewegung eine Platz eingeklagt. In der Gemeinde als lesbische Frau akzeptiert zu werden, war undenkbar. Heute, habe ich das Gefühl, gibt es bei einigen eine größere Offenheit. Mittlerweile hat "oben" ein Generationswechsel stattgefunden, die Gemeinde hat sich der nichtjüdischen Umwelt stärker geöffnet und Themen aufgegriffen, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Ich denke da beispielsweise an die Gleichstellung von Frauen oder von lesbischen und schwulen Lebensgemeinschaften.

Lara: Vorurteile gibt es trotzdem. Ich erinnere mich, daß der egalitäre Minjan, in dem ich jahrelang aktiv war, in der Gemeinde als "lesbisch" verschrien war. Dabei gehörten dieser Gruppe sowohl Frauen als auch Männer an, von denen einige lesbisch oder schwul waren. Uns ging es nicht um Opposition, sondern vor allem darum, ein jüdisches Umfeld zu schaffen, in dem wir uns wohl fühlen. Wir waren am Rande, haben aber, so denke ich jedenfalls, wichtige Impulse gegeben. Inzwischen gibt es eine von der Gemeinde unterhaltene Synagoge, wo Frauen und Männer gleichberechtigt an den Gottesdiensten teilnehmen können.

Jessica: Was ich so ein bißchen vermisse, ist, daß der Beitrag lesbischer Frauen zu dieser Entwicklung sichtbar bleibt. Die jüdische Frauenbewegung in Deutschland vor 1933 hat auch sehr viel in den Gemeinden verändert, und ihre Protagonistinnen haben sich immer wieder darüber beklagt, daß ihr Beitrag nicht wahrgenommen wurde. Aber sie haben sich damit abfinden müssen, teilweise wegen des Desinteresses und Widerstandes der Männer, aber auch wegen der politischen Entwicklung ab 1933. Und nach 1945 waren diese Frauen praktisch vergessen. Übrigens finde ich es erstaunlich, wie selbstlos sie ihrer Sache gedient haben. Ich kann und will mich eigentlich nur da engagieren, wo es mir auch Spaß macht.

Lara: Und wo ich mit interessanten Leute etwas zusammen machen kann. Denn jüdisches Leben bedarf der Gemeinschaft, um so mehr für uns, die wir allein leben. So etwas wie eine selbstgewählte Familie, in der wir mit allem, was wir sind, einen Platz haben.

Jessica Ellen Jacoby, geb. 1954 in Frankfurt/M., aufgewachsen in (West-) Berlin, gründete 1985 den lesbisch-feministischen Schabbeskreis, 1993 Mitherausgeberin des Buches "Nach der Shoa geboren. Jüdische Frauen in Deutschland.

Lara Dämmig, geboren 1964, studierte Bibliothekswissenschaft und gab eine bibliothekarische Fachzeitschrift heraus. Schon zu DDR-Zeiten war sie engagiertes Mitglied der Jüdischen Gemeinde Ostberlins. Nach der politischen Wende trug sie wesentlich zum Aufbau einer Rosch-Chodesch-Gruppe und eines egalitären Minjans bei. Sie arbeitet am Lauder Jüdisches Lehrhaus, forscht über jüdisches Frauenleben in Berlin und ist Mitinitiatorin von "Bet Debora". Veröffentlichungen u.a.: "Bertha Falkenberg – Eine Spurensuche" (in: "Leben mit der Erinnerung", Berlin 1996)

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