"Debora ist gut!" Sie war Richterin, sie
war Prophetin, sie war eine militärische Führerin. Aber sehen wir uns als
ihre "Töchter" oder als ihre "Schwestern"? Eben hatte Rachel vorgeschlagen,
unserer Tagung den Namen "Deboras Töchter" zu geben. Aber warum bezeichnen
sich Frauen so oft in biologischen Linien? Ist unser Thema nicht viel größer
– geht es nicht um den Geist – um Schülerinnen – um eine Schule – um einen
Ort, den wir schaffen wollen? So wie die Schule von Hillel? - "Bet Debora!",
rief Rachel. – Ja! Ein "Bet" – ein Haus, ein Ort der Begegnung und des
Lernens. Ein geistiges Zentrum, das neue Ideen in die Welt trägt.
Wir drei Frauen saßen an einem großen Tisch,
auf dem sich inzwischen viel Papier stapelte, und überlegten, welche Gestalt
ein Forum für "rabbinisch gelehrte und interessierte" jüdische Frauen in
Europa haben sollte. Als wir sagten, wir beschränken uns auf Europa, meinten
viele: "Na, da werdet ihr kaum Rabbinerinnen finden, vielleicht ein paar in
England, und noch Bea Wyler in Oldenburg. Ihr solltet Referentinnen aus
Amerika und Israel einladen." Aber genau das wollten wir nicht. Wir wollten
uns nicht wieder am Ausland orientieren, uns von Juden aus den USA oder
Israel belehren lassen, was unser Judentum sein soll. Hatten wir nicht schon
längst etwas Eigenes aufgebaut? Und nicht nur wir, sondern viele Jüdinnen
und Juden in anderen Ländern Europas auch?
Wir sind drei Frauen in Deutschland, dem Land,
von dem viele sagten, daß es niemals mehr ein authentisches jüdisches Leben
hervorbringen würde. In diesem Bewußtsein sind wir aufgewachsen. Bei all den
unterschiedlichen Erfahrungen, die wir drei einbrachten, waren wir uns in
einem zutiefst einig: Wir waren es leid, immer wieder zu hören, was wir hier
nicht haben, was angeblich hier nicht möglich sei, weil wir das Wissen um
unsere Tradition verloren hätten. Wir hatten genug davon, uns selbst zu
bemitleiden! Wir wollten etwas machen. Jede von uns hatte gelernt, sich
jüdisches Wissen angeeignet, sich mit ihrer jeweils brüchigen jüdischen
Familiengeschichte auseinandergesetzt – schmerzvoll – jedoch mit einem
Ergebnis: Wir sind hier und bleiben hier. Und wir leben hier als
feministisch engagierte Frauen.
Was waren unsere Vorstellungen von Bet Debora?
- Keine Hierarchie, keine Konkurrenz, keine Mehrheitsentscheidungen! Alle
haben etwas einzubringen. So erlebten wir schon unsere Zusammenarbeit bei
der Vorbereitung: Jede von uns konnte ihren Stil, ihr Wissen und ihre
Wünsche einfließen lassen. Wir sind aneinander gewachsen und haben viel
voneinander gelernt. Das wünschten wir uns auch für "Bet Debora". Aus ganz
Europa luden wir zu einer ersten Tagung europäische Rabbinerinnen,
Kantorinnen und rabbinisch gelehrte und interessierte Jüdinnen und Juden
nach Berlin ein. Für vier Tage im Mai 1999 sollte das historische Gebäude
der ehemaligen Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße im Zeichen eines
Aufbruchs stehen.
Die Beiträge in diesem Journal zeugen von der
Vielfalt und Lebendigkeit unserer Tagung, zu der 200 Frauen und Männer aus
16 Ländern gekommen sind. Das Journal erscheint in drei Sprachen – Deutsch,
Englisch und Russisch. Es geht über eine reine Tagungsdokumentation hinaus.
Neben Auszügen aus den gehaltenen Vorträgen und Workshop-Beschreibungen
enthält es Essays, Reflexionen und Gespräche. Uns war es wichtig, auch die
Teilnehmerinnen selbst zu Worte kommen zu lassen. Wir waren überwältigt von
den vielen Texten, die uns erreicht haben. Leider ist der Platz begrenzt.
Fast alle Artikel mußten wir kürzen, damit sie auch erscheinen konnten. Die
vollständigen Versionen und alles, was uns noch erreichen wird, stellen wir
in unsere Bet Debora Homepage ins Internet
(http://www.hagalil.com/bet-debora).
Bet Debora geht also weiter! Neben unserer
Homepage und diesem ersten Journal unternehmen wir Schritte zur Errichtung
einer eigenen Bibliothek mit angeschlossenem Archiv. Wir sammeln Gedrucktes
und Handgeschriebenes, um das Leben und Wirken jüdischer Frauen zu
dokumentieren. Wir träumen von einem eigenen Lehrhaus mit Verlag. In jedem
Fall möchten wir zum Aufbau eines europäisch-jüdischen Frauennetzwerks
beitragen.
Für das Frühjahr 2001 planen wir ein zweites
großes Treffen, auf dem wir aus Frauensicht Fragen zum Thema "Familie"
aufwerfen wollen: Ist die Familie immer noch die Basis jüdischen Lebens, und
wer gehört überhaupt dazu? Wie sieht es aus mit Singles, lesbischen Paaren,
Kindern jüdischer Väter oder Alleinerziehenden? Wie verändert die bestehende
Vielfalt von Lebensformen das Judentum und seine Weiterentwicklung? Wir
freuen uns über alle Anregungen – via Post, Telefon, Net oder Fax.
Auch Reaktionen auf dieses Journal sind
willkommen und mögen zu weiteren Diskussionen führen. Wir danken dem
Bundesfrauenministerium, insbesondere Anna-Gertraude Schmidt und Gudrun
Dölling, für die Finanzierung dieses Journals. Wir danken Gabi Burde und
Judith Kessler für ihren unermüdlichen Einsatz bei der graphischen
Gestaltung. Wir danken allen Autorinnen für ihre Beiträge und allen
Übersetzerinnen für die große Leistung, die sie innerhalb kürzester Zeit
vollbrachten. Nicht zuletzt danken wir unseren Freundinnen und Freunden für
ihren Ansporn und ihre geistige Unterstützung.