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Jüdische Weisheit
 
 

Zur Erinnerung an Schalom Ben-Chorin:
Das letzte Interview

Von Tobias Raschke

Zur Erinnerung

 

 

"Das muß ein Münchner sein", meinte der 85jährige Religionsphilosoph und Schriftsteller gleich, nachdem ich ihn mit "Grüß Gott" begrüßt hatte. Nach langer Zeit des Leidens und Abschiednehmens starb Schalom Ben-Chorin am 7.Mai 1999 in Jerusalem.

Als jemand, der ihn noch kennenlernen durfte, verspüre ich tiefes Glück, diesem Urmünchner begegnet zu sein, der es geschafft hat mit seinen Büchern, vor allem "Bruder Jesus" aus der Triologie "Die Heimkehr", die Verbindungen von Judentum und Christentum klarzustellen und damit aufzuzeigen, daß sich diese beiden Religionen näher stehen, als den meisten bewußt ist.

In den letzten Monaten hatte ich mehrmals die Gelegenheit mit diesem "Baumeister des christlich-jüdischen Dialogs" - wie es der Probst der evangelischen Erlösergemeinde bei der Beerdigung ausdrückte - bei Besuchen zu sprechen. Meistens verspürte der lebenserfahrene "Sohn der Freiheit" (Ben Chorin) aber eine tiefe Müdigkeit, kein Wunder angesichts der vielen Bücher die er schrieb und der bis vor drei Jahren gehaltenen Vorträge. Sein "ich möchte die Augen schließen," vor dem üblichen Mittagsschlaf klingt mir noch in den Ohren.

Zu Beginn des jüdischen Lichterfestes Chanukkah hörte ich ihn noch singen, eine wunderschöne Stimme eines ungewöhnlichen Mannes, dessen Reformversuche des Judentums im orthodoxen Jerusalem auf Widerstand stießen.Ob seine Hoffnung, daß sich die Religionen näher rücken, je Realität wird, bleibt angesichts der derzeitigen politschen Entwicklungen in Richtung Fundamentalismus fraglich.

Tobias Raschke: Herr Ben-Chorin, Sie sind gemeinsam mit ihrer Frau seit 30 Jahren mit der "Aktion Sühnezeichen Friedensdienste" freundschaftlich verbunden. Wie schätzen Sie den Einsatz der Jugendlichen in Israel ein?

SCHALOM BEN-CHORIN: Die Ratgeber, die von der Realität keine Ahnung haben, sind in unserem Fall besonders häufig. Deshalb ist es sehr erfreulich, daß junge Menschen aus Deutschland und der ganzen Welt als Freiwillige hier eine längere Zeit, nämlich eineinhalb Jahre, leben und den Alltag kennenlernen.

TR: Sie sagten einmal, es sei eine alte Erfahrung, daß das Einzige, was man aus Geschichte lernen könne, die Tatsache sei, daß man nichts aus ihr lernt. Sind Sie davon noch immer überzeugt?

SCHALOM BEN-CHORIN: Nein, nicht mehr ganz. Es hat sich im Lauf der Geschichte doch vieles positiv verändert, angefangen von der deutsch-französischen Freundschaft bis zum Aufbruch des Ost-West-Gegensatzes.

TR: Sie haben sich sehr stark für den christlich-jüdischen Dialog eingesetzt. Wie soll er im neuen Jahrtausend weitergehen?

SCHALOM BEN-CHORIN: Meine Hoffnung ist, daß sich die Religionen näher kommen, indem sie ihre Wurzeln erkennen. Judentum und Christentum haben denselben Ursprung und haben dies noch nicht erkannt. Jetzt kommt man sich langsam näher. In der Hauptstadt der Religionen, Jerusalem – so hoffe ich – könnte ein Zentrum des christlich-jüdischen Dialogs entstehen. 

TR: Wie stehen die Chancen für eine Einbindung des Islam in einen Dialog der drei monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam?

SCHALOM BEN-CHORIN: Der Islam ist noch nicht soweit. Man darf in diesen Fragen nicht ungeduldig sein. Eine Einbeziehung des Islams wäre verfrüht.

TR: Ihr Sohn ist Rabbiner geworden.

SCHALOM BEN-CHORIN: Er ist jetzt in Zürich tätig. Das er Rabbi geworden ist, hat mich sehr gefreut. Aber noch mehr hätte ich mich gefreut, wenn er hier hätte bleiben können. Natürlich ist er ein Reform-Rabbi, ganz in meinen Fußstapfen. Hier hätte er große Schwierigkeiten, die er dort nicht hat.

TR: Vor einiger Zeit wurde Edith Stein heilig gesprochen. Haben Sie sich mit dieser christlich-jüdischen 
"Märtyrerin" einmal beschäftigt?

SCHALOM BEN-CHORIN: Edith Stein ist eine jüdische Märtyrerin. Nicht in ihrer Eigenschaft als Nonne, sondern als Jüdin wurde sie umgebracht. Die Heiligsprechung ist dennoch nicht unerfreulich, da dies eine Annäherung zwischen Judentum und Christentum bedeutet. In der Begründung der Heiligsprechung heißt es, daß sie "treu ihrem jüdischen Ursprung und eine gläubige ihrer Kirche" war. Diese Begründung kam vorher noch nie vor. 

TR: Zwei bedeutende Städte sind Ihnen im Lauf der Zeit Heimat geworden. Welche Unterschiede zwischen Ihrer Geburtsstadt München und Jerusalem, Ihrem Lebensmittelpunkt seit über 63 Jahren, sind am auffälligsten? 

SCHALOM BEN-CHORIN: Es gibt sehr große Unterschiede in der Mentalität. In München war der Antisemitismus sehr latent. Nach dem Krieg hab ich das zwar nicht mehr so empfunden, dennoch ist der Antisemitismus aus der Geschichte dieser Stadt nicht wegzudenken. Von Jerusalem hab ich in meiner Jugend geträumt, daß ich es tatsächlich hierher geschafft habe, ist den bösen Umständen zu verdanken, denn ganz freiwillig bin ich ja nicht gegangen. Doch zwischen Traum und Wirklichkeit besteht eine Differenz. 

TR: "Gehören sie nicht zusammen, Frieden und Freiheit ...und sind Ziel unserer Existenz?" fragten Sie einmal. Der Frieden in Israel ist noch nicht verwirklicht. 

SCHALOM BEN-CHORIN: Friede ist immer eine Sache von mindestens zwei Partnern. Solange man miteinander redet und nicht schießt, ist das schon ein Fortschritt. 

TR: Sehen Sie in diesem Konflikt eine Lösung? 

SCHALOM BEN-CHORIN: Ich besitze keine prophetischen Kompetenzen. Wir dürfen aber nicht ermüden, den Weg des Friedens und der Versöhnung zu gehen. Die Gesellschaft in Israel ist ziemlich gespalten. Der innere Konflikt ist noch viel schwerer wie der äußere mit den Arabern. 

TR: Ausgehend von Ihrer journalistischen Tätigkeit in München haben Sie auch später in Israel geschrieben. In welcher Sprache und für wen haben Sie geschrieben? 

SCHALOM BEN-CHORIN: Hauptsächlich auf Deutsch und für deutschsprachige Medien. Seltener hab ich ein Interview in Iwrith geführt. Mein publizistisches Leben spielte sich deutsch ab. In der deutschen Sprache fühle ich mich zu Hause. 

TR: In der Betrachtung Ihrer Jugendzeit beschreiben Sie die "Schule als Gefängnis des Künstlers." Sie haben die von Heinrich Mann beschriebene "Untertanenmentalität" in München live erlebt. Wie hat sich - im Verhältnis zu damals – die Jugend, ihren Erfahrungen von Begegnungen mit jungen Menschen nach, verändert? 

SCHALOM BEN-CHORIN: Die Jugend heute ist viel offener und traut sich auch Fragen zu stellen. Sie fühlt sich mündiger. Auch wenn es natürlich Unterschiede gibt zwischen den Mentalitäten hier und in Deutschland. Die deutsche Jugend war untertänig. Durch den Abstand der Generationen herrscht heute viel stärker eine europäische Mentalität vor. Ganz im Gegenteil zu früher ist beispielsweise die deutsch-französische Erbfeindschaft ganz aus der Mode gekommen. 

TR: Herr Ben-Chorin, wir danken für das Gespräch.

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haGalil onLine 15-11-2000

 


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