Wiener Filmfestival VIENNALE 2002:
Jüdische Themen, wohldosiert
Von Erika Wantoch
Welche Wohltat! Welche Annehmlichkeit! Die Viennale, das 40. Festival
des internationalen Films in Wien, führte uns vor, daß es außer
der jüdischen noch eine Welt
gibt, um nicht zu sagen: Welten. Zwölf Tage lang erlebten wir in
beinahe 200 Spiel-, Dokumentar-, Kurzfilmen sowie in sechs
Spezialprogrammen, wie vielfältig das Leben und die Kunst ist.
"Nikita Kino"
Daß nicht nur in Nahost gelitten und gestorben wird. Daß in den
Elendsquartieren von Peking der Antisemitismus weder Thema ist noch
Gefahr. Daß, als kalkuliertes Resultat amerikanischer
Einwanderungspolitik, im Niemandsland zwischen Mexiko und Arizona
hunderte illegale mexikanische Grenzgänger jährlich zugrundegehen, ganz
ohne daß sie Juden, Araber und Nazis auch nur wahrgenommen hätten. Daß
die kasachischen Nomaden in Westchina ihr Glück nicht im Judenhass
finden, sondern im Überleben ihrer Tierherden. Und daß die Gefährdung
Israels nicht das Ende der Welt ankündigt, weil dieses nämlich immer
schon da war: In der menschenleeren kalifornischen Wildnis, zum
Beispiel.
"Vaters Land"
Dieser beruhigende Befund macht es leichter, sich unserem
Lieblingsthema, also uns selbst, zuzuwenden. Die Viennale bediente uns
mit zwei mittellangen Filmen des 46jährigen Israelis Avi Mograbi, je
einem Film des 42jährigen Palästinensers Elia Suleiman und der
31jährigen Palästinenserin Azza El-Hassan sowie drei Kurzfilmen von
Vivian Ostrovsky (geboren in New York), Nurith Aviv (geboren in Tel
Aviv)
und Tamara Tracz (geboren in
London). Die New Yorkerin projizierte bravourös sowjetisches Propaganda-
und anderes Material auf Bilder ihres familiären Backgrounds in Moskau
("Nikita Kino").
"Riva"
Die Tel Aviverin unterlegte Statements deutscher Freunde zum Thema
Trauer, Verlust, Nationalsozialmus
mit einer Fahrt in der S-Bahn
durch Berlin ("Vaters Land"). Für die Londonerin
sind die Hände der aus
Weißrußland stammenden, greisen Großmutter die Land- und Fahrkarte durch
die eigene Geschichte ("Riva").
Und die
arabisch-israelischen Feinde? El-Hassan
beginnt mit "Zaman Lal-Akbar" ("News Time") eine schlichte
Beziehungsgeschichte über das seit 30 Jahren
miteinander verheiratete Vermieter-Ehepaar in Ramallah, doch
dieses kommt ihr bald abhanden: Es flüchtet während eines israelischen
Bombardements. Einige Buben werden zum nächsten gefilmten Objekt - sie
lungern in der Straßen herum; sie spielen Krieg selbst dort, wo Krieg
herrscht. Und dann trifft einen ein Dum-Dum-Geschoß. Sein Leben ist um;
mahnend erhebt der Film den Finger und ist zuende.
"Zaman Lal-Akbar"
Ganz anders artikulieren sich Avi Mograbi und Elia
Suleiman. Sie haben beide die Gabe zur Selbstironie.
Ironisch bespiegeln sie sich und ihre eigenen Leute.
"Yadon Ilaheyya" ("Divine Intervention"), für den Suleiman den
Großen Preis der Jury beim Festival in Cannes 2002 erhielt, stellt einen
surrealen Checkpoint in Nazareth vor und sich selbst als eine Art
sprachlosen Clown. Der foppt brutale israelische Soldaten mit einem
roten Luftballon, darauf der aufgeblasene Arafat gen Jerusalem fliegt.
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Szenen aus "August - A Moment before the
Eruption"
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Arafats Gegenspieler Ariel Sharon ist in Mograbis "Eich
hifsakti lefached velamedeti le'ehov et Arik Sharon" ("How I learned to
Overcome my Fear and love Arik Sharon") gleichsam Mograbis Fixstern.
Nicht viel anders als in "August - A Moment before the Eruption", sitzt
Mograbi seiner Kamera gegenüber, führt Selbstgespräche, verspottet sich
und die Gesellschaft, in der er lebt, und die ihn leiden macht. Und
verzieht keine Miene.
Sie könnten gut gemeinsam Filme machen, Mograbi und
Suleiman. Sie sind Brüder im Geiste. Sie könnten Cousins sein.
Ach nein, sie sind es ja!
hagalil.com
17-11-02 |