Samson Munn, M.D.
Munn@csi.com
- Facsimile: 617-327-8259 / Boston Massachusetts U.S.A.
Die österreichische Begegnungsgruppe:
The Austrian Encounter
Ich bin an Dialog an sich und an der Kraft von
Dialogen, Gutes zu tun, interessiert. Ich bin weder ein Psychiater noch ein
Psychologe. Obwohl ich Arzt bin, ist mein Spezialgebiet (Radiologie) beruflich
ungefähr so weit wie möglich von Dialog entfernt, wie man nur irgend sein kann
in der Medizin. Ich hatte keine fortgeschrittene Ausbildung in der Führung von
Dialogen, in Psychologie, in Gruppendynamiken oder in Therapie1.
Ich habe jedoch ausgiebige Erfahrungen mit einer besonderen Art oder Anwendung
von post-Genozid Dialogen gemacht, von denen ich hier ein Beispiel beschreiben
werde.
Bevor ich The Austrian Encounter im Detail betrachten
möchte, ist es wichtig zu wissen, daß in Bezug auf den Holocaust eine Anzahl
von innovativen Dialoggruppen existieren. Die Variationen sind theoretisch
wahrscheinlich grenzenlos, in der Tat existieren zahlreiche Ausführungen. Sie
mögen entweder eine klare oder ausdrücklich keine therapeutische Zielsetzung
haben, können klein oder groß sein, durch Gespräch oder auf andere Weise (zum
Beispiel Musik, Bilder, Drama, usw.) vermittelt werden, können lokal oder
international sein, auf Aussöhnung oder Vergebung gerichtet sein oder beide
nicht anerkennen. Die Begegnungen können intensiv und tiefgründig oder nicht
so tiefsinnig, aber dafür von anderer Wichtigkeit sein. Sie können einige
Wochen oder nur einige Stunden andauern, sind einfach aus Juden und/oder
Deutschen oder ausdrücklich aus Nachkommen der Opfer oder Täter des Holocausts
zusammengesetzt, schließen nur Studenten ein oder nicht, treffen sich
wiederholt, sporadisch oder nur einmalig. Die Teilnehmer werden nicht
willkürlich einbezogen und ihre Treffen sind nicht bloße akademischen
Experimente (wenn sie überhaupt eine akademische Verbindung haben). Vielmehr
als gekünstelte, überfröhlich oder darstellungsbedürftig, sind diese Treffen
echte persönliche und zwischenmenschliche Erkundungen, vermittelt auf die eine
oder andere Weise. Es ist interessant, daß diese Dialoggruppen kürzlich
begannen, Verbindungen untereinander herzustellen.2
Nur einige Beispiele dieser vorzüglichen Arbeit seien hier
genannt: Die amerikanischen und deutschen Universitätsstudentengruppen3
von Björn Krondorfer und Christian Staffa; einige, örtliche, abendliche,
monatliche jüdisch-deutsche Dialoggruppen in Boston; die großen
internationalen, von Kathrine Klinger (in London) und Christian Staffa (in
Berlin) gegründeten Versammlungen und Seminare; eine internationale Gruppe,
die sich selbst gegründet hat und "One by One" nennt; und eine Vielzahl von
interessanten und wertvollen Gruppen in Holland (wie die durch Vergewaltigung
gezeugten Töchter und Söhne von holländischen Müttern und Nazi-Vätern).
Unter dieser Vielzahl befindet sich The Austrian
Encounter, eine kleine, internationale Gruppe von ernsthaften, motivierten
Menschen, die persönlich mit dem Holocaust durch die Schikanierung, Verbrechen
oder damit verbundenen Verwicklungen ihrer Eltern oder Großeltern in
Verbindung stehen. The Austrian Encounter hat sich bislang dreimal zu
intensiven Treffen von jeweils mehreren Tagen in Wien getroffen. Das vierte
Treffen ist für fünf Tage im Sommer 1999 geplant und wird wiederrum in Wien
stattfinden.
Die Hintergrund von The Austrian Encounter beginnt
mit einer anderen Gruppe. Im Juni 1992 traf sich zum ersten Mal eine echte
Begegnungsgruppe in Deutschland, die sich aus Söhnen und Töchtern von
deutschen Nazis (meistens hohen Ranges oder Verantwortungsgrades)4
und Töchtern und Söhnen von Überlebenden des Holocaust zusammensetzte. Mit
anwesend war die Tochter eines SS-Generals, der für die Ermordung von
schätzungsweise 750.000 Menschen verantwortlich war (er wurde infolge eines
Nachkriegsprozesses in Rußland erhängt) und der Sohn des wohl zweitmächtigsten
und strafbarsten Nazis im gesamten Dritten Reich (er ist nach Südamerika
entkommen und daher dem Prozess entgangen)5. Diese Encountergruppe
wurde von Dan Bar-On, Ph.D., Professor für Verhaltensforschung6 an
der Negev Universität in Israel gegründet und organisiert. Ich bin ein
Mitglied dieser Gruppe, die sich To Reflect and Trust ( Reflektieren
und Vertrauen) oder TRT nennt. Meine Eltern sind beide Überlebende von
Konzentrationslagern (aus Deutschland und Polen).
TRT wurde in erster Linie und
vorsätzlich nicht als therapeutische Gruppe gebildet worden, eher
jedoch als einfach echte Begegnungsmöglichkeit. Die Erfahrung wurde
von allen auf verschiedene Weisen als wertvoll und/oder nützlich
empfunden (auch wenn nicht ausschließlich therapeutisch) und wir
beschlossen, unsere Treffen fortzusetzen.
TRT’s Dialoge sind intensiv und dauern ungefähr vier Tage lang
an. Die Gruppe traf sich im Zeitraum der letzten sieben Jahre
insgesamt sieben mal in drei verschiedenen Ländern. TRT war
Gegenstand eines Dokumentationsfilmes des B.B.C.7, drei
von uns (mich selbst einbezogen) wurden Gegenstand eines weiteren
B.B.C. Filmes8 und zwei von uns (mich selbst ebenfalls
einbezogen) einer jüngeren deutschen Dokumentation9.
Zusätzlich erhielt TRT ein auschließlich positives Echo in
der Presse, einschließlich in Le Monde10, der
Süddeutschen Zeitung11und in anderen Zeitungen. Die
Gruppe hat begonnen, als Modell für konstruktiven Dialog im Bereich
von Streitgesprächen oder Genozid mit dem Ziel zu arbeiten,
gegenwärtige Probleme und vergangene Feindseligkeiten und Vorurteile
anzusprechen und hoffentlich zukünftigen Handlungen von Haß oder
vielleicht Genozid vorzubeugen12 .
Mitten im zweiten TRT-Treffen bemerkte ich für mich
selbst und auch vor anderen, daß ich meine Beiträge als ungenügende
ethische Kompensation für das starke positive Gefühl, so priviligiert
mit den anderen diese besondere Erfahrung zu machen, empfand. Es schien mir,
als würden ähnliche Treffen zwischen Kindern von Überlebenden und Tätern
allgemein lohnend sein (z.Bsp. in Südafrika hinsichtlich der Apartheid) und
ich hatte dies auch schon während öffentlicher Präsentationen von TRT
bemerkt. Von einem unbewußten Ort sickerte die Idee, eine andere Gruppe zu
kreieren ins Bewußtsein, sie verband sich gleichzeitig mit der langen Kenntnis
von Österreichs Verwicklung in den Holocaust.
Im Gegensatz zu Ländern wie Polen, der Tchecheslowakai und
Ungarn, die überfallen, erobert und okkupiert wurden, so wurde Österreich von
Deutschland annektiert. Österreicher waren in der Regel erfreut oder
ausgelassen über den Anschluß an das Reich13. Weiterhin waren
Österreicher erstaunlich erfolgreich, innerhalb des Reiches schnell und
effektiv zu Positionen aufzusteigen, die mit schändlichen Kriegsverbrechen und
Verbrechen gegen die Menschheit14
verbunden sind und vielleicht mit einem durchdringenderem Antisetismus in
Österreich als in Deutschland zu tun haben15. Und schließlich haben
Österreich und die Österreicher seit dem Krieg ihre Nazivergangenheit im
eigenen Land und international besonders wirksam bestreiten– sich selbst und
den Rest der Welt von ihrer Unschuld und gar ihrem Status als Opfer zu
überzeugen! Das Konzept einer ähnlichen Gruppe in Österreich, einem Land
beladen mit schwerer Schuld und großer Verleugnung schien mit besonders
passend und treffend zu sein.
Ich begann meine Arbeit an dem, was später The Austrian
Encounter heißen sollte, in den Tagen nach meiner Rückkehr von unserem
Treffen von To Reflect and Trust im April 1993 in Boston. Der Prozess
der Bildung der Gruppe begann mit Überlegungen zur Struktur der Gruppe. Mein
Ziel war, ernsthafte, intellektuell ehrliche und motivierte Teilnehmer
einzubeziehen, die sowohl zuhören als auch reden konnten. Ich plante, Töchter
und Söhne österreichischer Nazis und österreichischer Opfer des Holocaust in
der etwa gleichen Anzahl von Frauen und Männern einzubeziehen. Schließlich
hoffte ich, zwei Facilitatoren16 zu finden, die möglichst weiblich
und männlich und auf irgendeine Weise mit beiden "Seiten"des Holocaust
verbunden sein sollten. Es war mir wichtig, daß die Facilitatoren den Dialog
erleichtern und nicht führen, den Fluß des Diskurses wenn nötig fördern, aber
nicht kontrollieren und genug wissen, um nicht anzunehmen, daß den Teilnehmern
psychopathologische Kenntnisse eigen sind. Es dauerte einige Zeit (ungefähr
anderthalb Jahre), bis sich herausstellte, daß die Umstände mit sich brachten,
daß ich allein Facilitator sein werden würde.
Ich erwartete, daß es weitaus schwieriger sein würde, Kinder
von österreichischen Nazis als Kinder österreichischer Juden, Sinti und Roma
zu kontaktieren. Am Ende war jedoch das Gegenteil der Fall. Während es
verständlicherweise schwierig war, Teilnehmer zu finden, die Kinder
österreichischer Nazis waren, bewies es sich als viel schwieriger, Kinder
österreichischer Flüchtlinge oder Überlebender zu finden, seien es Juden, Roma
oder Sinti17.
Wie stellt man es an, interessierte, passende Kinder von
österreichischen Nazis zu finden? Schade, daß man nicht einfach die
"Post-Nazi-Sektion" der Gelben Seiten aufschlagen kann! Ich gab in den
wöchentlichen Ausgaben der drei größten österreichischen Zeitungen eine
Anzeige auf. Diese Anzeige, auf Englisch veröffentlicht, fragte direkt nach
sich ehrlich selbst beobachtenden Kindern österreichischen Nazis, die daran
interessiert waren, an einer offenen und wertfreien Begegnung mit Kindern
österreichischer Überlebender teilzunehmen. Am Ende führte diese Anzeige zu
zwei Teilnehmern und verschiedenen anderen Kontakten. Ein weiterer Kontakt zu
einem Kind eines österreichischen Nazis wurde für mich durch ein Mitglied von
TRT gefunden, wofür ich sehr dankbar bin. Es war der einzige Kontakt, der
in dem zweijährigen Prozess der Findung und Interviews von Teilnehmern leicht
entstanden war.
Ich schrieb ebenfalls zwei Dutzend Briefe an Therapeuten,
die an einer europäischen Konferenz zu psychologischen Traumata durch den
Holocaust teilgenommen hatten. Dr. Bar-On und andere gaben mir Namen und
versuchten auch, Israelis zu finden, die vielleicht an der Gruppe teilnehmen
könnten. Alle diese Wege führten zu mehr und mehr Menschen, meistens jedoch
unproduktiv. Der Erfolg setzte schließlich durch hunderte von Briefen und
Faxen, Dutzende von Telefonanrufen, verschiedenen Anzeigen auf Internet
Bullitin Boards und sogar einem Interview beim Wiener Blue Danube Radio
ein!18
Alle Teilnehmer wurden von mir interviewt, manchmal einige
Stunden lang. Drei Besuche in Wien waren vor der ersten Begegnung nötig, um
die Teilnehmer zu organisieren, die Gruppe vorzubereiten und sich gewissenhaft
mit jedem Teilnehmer zu treffen. Alle stimmen mit Ansichten über einfache
historische Wahrheiten überein: daß der Holocaust in der Tat stattgefunden
hatte, daß er vornehmlich durch deutsche und österreichische Nazi verübt wurde
(sowie durch ihre Kollaborateure in vielen anderen Ländern), daß die Opfer
vornehmlich und besonders Juden waren (aber auch Homosexuelle oder andere
Zielgruppen, besonders Roma), daß Millionen von Juden (und ebenfalls anderen
Opfern) auf abscheuliche Weise ermordet und viele verletzt worden, und daß der
Holocaust ethisch und sozial gänzlich nicht zu verteidigen sei.
Unter den Teilnehmern der ersten Begegnung befanden sich
keine Kinder von Überlebenden von Konzentrationslagern, keine Roma oder Sinti,
keine Israelis oder zeitgenössischen österreichische Juden. Trotz wiederholter
Versuche, auf verschiedenen Wegen im Zeitraum von zwei Jahren solche
Teilnehmer zu gewinnen, nahm niemand teil. (Diese waren anerkannte Mängel des
ersten Treffens.)
Die ersten jüdischen Mitglieder dieser Gruppe waren Kinder
von Österreichern, die dem verbleibenden Zeitraum des Holocausts entkommen
konnten, indem sie gezwungen worden waren, zu fliehen oder erfolgreich fliehen
konnten. Leider war die organisierte Wiener Jüdische Gemeinde hinsichtlich des
Austrian Encounter in keiner Weise hilfreich.
Drei Roma und ein Sinti stimmten einem ersten Treffen in
zwei Paaren zu verschiedenen Zeiten in der Tat zu, zogen ihre Bereitschaft am
Ende jedoch zurück, da mindestens zwei von ihnen Angst vor Bombenanschlägen
von Neo-Nazis o.ä. hatten. Obwohl wir soweit gegangen waren und den Ort
unseres Treffens sogar vor den Teilnehmern bis eine Stunde vor Beginn der
Begegnung geheimgehalten hatten, war diese Maßnahme gewiß keine Garantie für
Sicherheit. Ihre Angst war verständlich, denn 1995 waren einige Zeit zuvor
vier Roma in eine einzigen Bombenanschlag getötet worden. (Zwischen diesem
Anschlag und unserem Treffen fanden verschiedene andere rassistische Anschläge
in Österreich statt, zwei von ihnen waren gegen Roma gerichtet.)
The Austrian Encounter traf
sich zu einer ersten Begegnung vom 1. bis 4. Juli 1995. Es nahmen
zehn Teilnehmer, zwei Übersetzer und ich selbst an diesem Treffen
teil. Die Teilnehmer bestanden aus fünf Frauen und fünf Männern,
sechs Kindern von österreichischen Nazis und vier von
österreichischen Juden. Die Altersgruppe der Teilnehmer reichte von
31-61; das Durchschnittsalter (46) war auf beiden "Seiten" gleich,
obwohl die Spanne auf der "Seite" der Kinder der Täter etwas weiter
war; ich selbst bin 43 Jahre alt. Die Kinder der Täter waren fünf
männliche Teilnehmer und eine weibliche Teilnehmerin (einer waren
aus Deutschland, drei aus Wien und zwei aus anderen Orten in
Österreich); ihre Väter waren meistens in mittleren Rängen oder
Verantwortlickeiten tätig. Die Nachkommen der Opfer waren alle
weiblich (eine Teilnehmerin kam aus Kanada, zwei aus den U.S.A. und
eine Teilnehmerin, aber zu diesem Zeitpunkt bereits 14 Jahre in
Österreich lebend, aus England). Zusätzlich dazu gab es in der
Gruppe auch ein Paar, das sich aus Teilnehmern beider "Seiten"
zusammensetzte19.
Wir saßen im Kreis. In unserer Mitte stand lediglich ein
flacher Tisch, auf dem ein kleiner Kassettenrekorder und ein winziges
Mikrophon standen. Die Teilnehmer waren ein 36 jähriger Kinderarzt und sich in
der Ausbildung befindender Psychiater, Sohn eines illegalen Mitglieds der
Nazipartei in den zwanziger Jahren; ein 59 Jahre alter, hochrangiger Richter,
Sohn eines prominenten österreichischen Journalisten und Propagandisten; eine
39 jährige Englischlehrerin, Tochter Wiener jüdischer Flüchtlinge; eine 31
Jahre alte Frau, die in den Tagen vor unserem Treffen ihre Ausbildung
(Magister20 in Psychologie) abgeschlossen hatte, Tochter eines
SS-Mannes; ein 50 jähriger Händler antiquarischer Bücher, Sohn eines
SS-Mannes; eine 47 Jahre alte Sozialarbeiterin, Tochter von Juden, die im
Dezember 1938 aus Wien flüchteten; ein 46 Jahre alter Psychologe, Sohn eines
deutschen Armeeoffiziers und Mitglied der Nazipartei; ein 61 jähriger Rentner
und früherer Reisebüroangestellter, dessen Vater zuerst ein Manager in einer
Flugzeugfabrik in Österreich war und später Leiter des Reichsfilmarchivs und
Produktionszentrums des gesamten Landes wurde; eine 45 Jahre alte
amerikanische Adoptionslehrerin, Tochter einer Jüdin, die Österreich im
September 1938 entfliehen konnte; und eine 52 jährige Schriftstellerin, die
Tochter Wiener Juden, die im September 1938 und Februar 1939 flohen.
Der erste Tag unseres Treffen verging mit der
gewissenhaften, Stunden andauernden Besprechung von logistischen Details. Da
ich mich dafür einsetzte, daß die begründeten Bedenken eines sehr ernsthaften
Teilnehmers hinsichtlich des Themas Privatsphäre bedacht werden, konnten die
gegenseitigen Vorstellungen nicht beginnen, bis wir viele Aufnahmeprobleme
geklärt hatten. Dies führte zu Diskussionen zu den Übersetzern.
Die Gruppe traf (und trifft noch heute) ihre Entscheidungen
wahrhaftig selbst; ich vermied skrupellos, dem einen oder anderen
Diskussionsresultat der Gruppe Vorrang zu geben. Am Ende wurden Tonaufnahmen
von der gesamten Begegnung gemacht und die Dolmetscher beibehalten.
Gegenseitige Vorstellungen fanden später an diesem Tag statt und wurden zum
größten Teil auch am selben Tag beendet. Im allgemeinen waren diese
Vorstellungen faktisch, logisch, verhältnismäßig ruhig, aber persönlich
historisch. Es gab sogar einige Momente, in welchen unser Treffen am ersten
Tag über die Vorstellung hinausging. Der erste Tag unserer Begegnung blieb
jedoch allgemein gesammelt. Trotzdem endete der Tag mit einem emotionalen und
ärgerlichen Kommentar, der von der Tochter eines österreichischen Opfers
gemacht wurde und sich auf den Grad ihres Vertrauens innerhalb der Gruppe
bezog. Sie fragte direkt, ob wir alle unseren Eltern vertrauten, unsere besten
Interessen im Sinn gehabt zu haben, als sie Entscheidungen trafen, die direkt
oder indirekte Einflüsse auf uns haben konnten.
Am nächsten Morgen antworteten die Kinder der Opfer alle mit
"ja". Die meisten Kinder der Täter anworteten mit "nein". Es war ein wichtiger
Übergang. Die Teilnehmer begannen, sich einander ein wenig zu vertauen und
vielleicht auch zu mögen. Dieser Tag war definitiv weniger faktisch und
gesammelt; er wurde viel lockerer und mehr und mehr emotional. Es gab
erstaunliche Fragen und Kommentare von verschiedenen Teilnehmern; so klagte
der Sohn eines Nazis mit Bedauern, Verzweiflung, Ärger, Schmerz und großer
Kraft in seiner Stimme: "Ich hatte nie die Kraft, meinen Vater am
Abendbrottisch zu fragen: ‚Warst Du ein Mörder, Vati?‘!!"
Der dritte Tag war fast ausschließlich emotional! Er dauerte
ohne Pause zum Abendessen bis 22.30 Uhr an. Er war höchst persönlich und
äußerst erstaunlich! Diskussionen und Gefühle begannen, vieles aufzudecken.
Zum Beispiel hatte eine Person, die wiederholt von ihrem Vater sexuell
mißbraucht wurde und die entschieden hatte, diese Erlebnisse definitiv nicht
mit der Gruppe zu teilen, sich entschlossen, dieses Versprechen zu brechen21.
Diese Person konnte ihr Erlebnis nicht mit Worten ausdrücken und wollte sich
doch mitteilen! Ohne zu erklären, was passierte, zeigte diese Person meist
schweigend auf dem Boden, wie eine solche Szene von sexueller Belästigung
meistens vor sich ging. Der Rest von uns blieb tief beeindruckt und still. Ich
hatte eine solche Reaktion dieser Person während der ersten zwei Tage unseres
Treffens bereits erwartet, aber niemand in der Gruppe wußte von der
Vergangenheit dieses Teilnehmers und konnte daher erahnen, was hier passierte!
Ich sah, daß einige Minuten später das Gesicht einer anderen Person verriet,
daß sie die Bedeutung dieser Art von Kommunikation erahnte. Einige Minuten
später konnte man den gleichen Ausdruck auf einem anderen Gesicht beobachten.
Eine Welle von Anerkennung floß um und durch uns.
Tief bewegt setzen wir uns alle auf den Boden, anstatt oben
(in der Position des Vaters) zu verbleiben. Für die drei nächsten Tage waren
die Konzepte und Reaktionen dieses Teilnehmers, der anderen Mitglieder und die
aufkommenden Erkenntnisse der Begegnung bemerkenswert positiv verändert. Die
betreffende Person fühlte sich energievoller und glücklicher und ist noch
heute (einige Jahre später) froh, die Barriere durchbrochen zu haben und sich
uns mitzuteilen.
In geringer Weise näherten wir uns der Beziehung zwischen
Mißbrauch und der Nazi-Vergangenheit des verstorbenen Vater dieses
Teilnehmers, usw., aber es verblieb viel über Mißbrauch im allgemeinen und
sexuelle Themen im speziellen für die Gruppe zu besprechen. Trotz der
Ernsthaftigkeit und Emotionalität der beschriebenen Szene gab es an diesem Tag
auch andere tiefe und sehr bewegende Momente.
Der letzte Tag beinhaltete einige weitere emotionalen
Sichtweisen, begann sich jedoch dem Ende zu neigen, sich mit der Organisation
eines zukünftigen Treffens und anderen logistischen Dingen zu beschäftigen.
Wir planten uns wiederzusehen, vielleicht in einem Jahr und vielleicht wieder
in Wien. Wir wählten von jedem Kontinent eine Person, die als Verbindung zu
den anderen dienen sollte. Wir entschieden auch, mehr Teilnehmer aufzunehmen.
Ich erinnerte die Gruppe daran, daß die Entscheidungen, wo und wann wir uns
wieder treffen würden, ob wir Dolmetscher bräuchten oder Facilitatoren
benötigten und wer diese sein sollten, alle ihre Entscheidungen waren.
Viele Themen wurden in diesen vier Tagen angesprochen und
sie variierten in emotionaler und intellektueller Tiefe. Alle Themen wurden
von den Teilnehmern selbst angeschnitten und einige wurden von beiden "Seiten"
gleichermaßen aufgenommen: eine gleichzeitige Erkenntnis von Ausgrenzung
während der Kindheit, die Wichtigkeit von Ethik in unserem Leben und in
unserer Arbeit, ein Mangel an Unabhängigkeit vom Holocaust als Erwachsene und
in verändertem Vertrauen in persönlichen und beruflichen Beziehungen.
Es gab jedoch auch viele wichtige und interessante rote
Fäden, die durch beide Untergruppen verliefen, jedoch anders aufgenommen
wuden. Beispiele schließen Schmerz oder verletzte Wurzeln bei einigen Söhnen
und Töchtern von Nazis im Gegensatz zu nicht vorhandenen Wurzeln bei einigen
von beiden "Seiten" ein, Wärme im Gegensatz zu Kälte in den Familien unserer
Kindheit, allgemeine Angst oder Unruhe (in einigen Fällen) während des ganzen
Lebens von Opfern im Gegensatz zum Kindheitsterror des Vaters in den Familien
österreischer Nazis, und die Beziehung zwischen Scham und Geheimnissen bei
Kindern von Nazis im Gegensatz zu Schutz und Geheimnissen bei Kindern von
Opfern.
Zwei Themen, die allein auf die Kinder der Opfer zutrafen
waren, daß sie trotz des Gefühles, "stets auf gepackten Koffern zu sitzen und
leben", trotzdem sehr aktiv und engagiert in ihren Lebensgemeinden waren
(Kampf gegen Rassismus, usw.). Weiterhin betonten sie allgemein mit anderen
Opfern, eingeschlossen die Söhne und Töchter von Nazis, ihre Rolle als Opfer
ihrer eigenen Väter!
Es war verblüffend und wunderbar für diese Leute, in so
kurzer Zeit so viele Dinge so ehrlich angesprochen zu haben.
Selbstverständlich sind sie kluge, scharfsinnige motivierte und phantasievolle
Menschen. Während der nächsten 2-3 Tage trafen wir uns in einige Male in
verschiedenen Zusammensetzungen außerhalb des offiziellen Programmes und gaben
zwei vorsichtig geführte Zeitungsinterviews22. All das verlief gut.
Wärme war aus Vertrauen gewachsen, welches sich hier ähnlich wie in der ersten
Begegnung von To Reflect und Trust mehr und mehr entwicklete.
Trotz des sicheren Gesamterfolges gab es auch schwache
Aspekte der Treffens. Vier Tage waren zu kurz. Wie brauchten einen ganzen
halben Tag oder mehr, nur, um über organisatorische Fragen zu diskutieren, da
wir Vertrauen zwischen uns noch nicht aufgebaut hatten; andererseits war es
genau die vorsichtige detailierte und respektvolle Arbeit an diesen Themen,
die ein solches Vertrauen erst schaffen konnte. Auch gab es nicht genügend
Zeit, sich in viele der angeschnittenen Themen und Fragen zu vertiefen.
Andererseits wiederrum wären diese beschäftigten und erfolgreichen Leute
angesichts aller Anforderungen des Alltags nicht ausreichend motiviert
gewesen, an einem längerem Treffen teilzunehmen.
Wie auch immer, wenn diese Menschen sich etwas früher
nähergekommen wären (wie es der Fall für die Kinder von Tätern und einige
Kinder von Opfern in der Gruppe To Reflect and Trust der Fall war),
dann wäre es möglich gewesen, einige Themen tiefer und in kürzerer Zeit zu
betrachten, da sich die Teilnehmer sich bereits miteinander wohlgefühlt hätten
und einander wahrscheinlich mehr vertrauen. In diesem Sinne diente das erste
Treffen als Grundlage für die folgenden. Wir vertauten einander, daß wir zum
größten Teil gewissenhafte, respektvolle, informierte und besorgte Menschen
waren.
Glücklicherweise hatte niemand der Teilnehmer eine widrige
psychologische Reaktion weder auf die Begegnung, noch während oder nach dem
Treffen. In der Tat beschrieben die meisten Teilnehmer die Zusammenkunft als
psychologisch sehr positiv, Augen-öffnend oder auf andere Art wertvoll oder
nützlich.
Während der Zeit nach unserer Begegnung trafen sich die
Teilnehmer die in Österreich lebten mehrmals am Abend, normalerweise in einer
Kneipe oder einem Restaurant. Während dieser Treffen sprachen sie über Themen,
die in der Begegnungsgruppe angeschnitten wurden, stellte diesen andere Themen
gegenüber, weiteten sie aus und sprachen über das nächste Treffen. Die Gruppe
entschied, daß nächste Treffen nach einem Abstand von zwei Jahren (nicht
einem) zu veranstalten, daß die beiden Dolmetscher als Teilnehmer eingeladen
werden (nicht als Übersetzer), daß ich als ebenfalls als Teilnehmer eingeladen
werden würde (nicht als Facilitator) und daß es beim nächsten Treffen keinen
Facilitator geben sollte, trotz einiger Angebote und verschiedener
Möglichkeiten.
Die meisten, in Nordamerika lebenden Teilnehmer, trafen sich
ebenfalls mehrmals zwischen den Treffen, meistens auf privater Grundlage. Wir
stimmten den herausgearbeiteten Wünschen und Entscheidungen der
österriechischen Teilnehmer größtenteils zu, zögerten jedoch auch manchmal,
stimmten nicht überein oder waren pessimistisch.
Zwischen dem ersten und zweiten Treffen veröffentlichte23
eine Teilnehmerin eine Sammlung von Interviews, die sie mit
österreichisch-jüdischen Flüchtlingspaaren gemacht hatte, die sich in Los
Angeles niedergelassen hatten und von denen ein Paar ihre Eltern waren. Der
zweiten Begegnung unserer Wiener Gruppe ging am Abend zuvor eine Autorenlesung
an der Urania, einem großen und bekannten Zentrum für
Erwachsenenbildung und Film in Wien voraus. Treffender Weise war Urania
für eine sehr lange Zeit ein kulturelles Zentrum gewesen und wurde vom Vater
des Auors oft besucht und in guter Erinnerung behalten.
Das zweite Treffen fand vom 13. Bis 15. Juni 1997 statt.
Insgesamt gab es zwölf Teilnehmer. Acht der Teilnehmer waren Frauen, vier
waren Männer. Die Hälfte der Teilnehmer in jeder Geschlechtsgruppe waren neu.
Keiner der beiden Dolmetscher konnte teilnehmen.
Ich nahm an dieser Begegnung teil, begann daß Treffen jeoch
mit den neutralen Worten, daß ich diesmal nicht als Facilitator, sondern
Teilnehmer anwesend sei. In der Mitte des Morgens war jedoch klar, daß ich
noch immer logistische Entscheidungen treffen sollte und Kommentare als
Facilitator machen sollte. Gegen Mittag dann stellte sich heraus, daß ich
durch einen deutliche Übereinstimmungen der Meinungen in der Tat noch immer
Facilitator war und das dem Willen der Gruppe entsprach.
Wie zuvor saßen wir spontan und ohne Sitzordnung im Kreis.
Wir trafen uns am ersten Tag in einem separaten Raum eines alten Wiener Cafés.
An den anderen beiden Tagen kamen wir im Literaturhaus 24
zusammen. Wie zu unserem ersten Treffen, nahmen wir die Begegnung mit einem
Kassettenrekorder auf.
Die sechs Teilnehmer, die bereits beim ersten Treffen
anwesend waren, waren der Kinderarzt/Psychloge, der hochrangige Richter, die
33 jährige, die ihren Magister erhalten hatte, die Sozialarbeiterin,
die Schriftstellerin und ich, damals 45 Jahre alt.
Die sechs neuen Teilnehmer waren eine 28 Jahre alte,
jüdische Studentin, deren polnischer jüdischer Vater Mauthausen25
überlebte und danach eine österreichische Christin heiratete (die zum
Judaismus konvertierte); eine 26 jährige, österreichische Historikerin und
Studentin, deren Großeltern mütterlicherseits in der unmittelbaren Nähe von
Mauthausen lebten, deren Großvater in der Wehrmacht war und deren Onkel ein
"fanatischer" Nazi in der S.S. in Polen war; eine 52 Jahre alte, amerikanische
Universitätsprofessorin für Kunstgeschichte, deren Eltern 1938 aus Österreich
nach Shanghai flohen, die in Shanghai geboren wurde, vom zweiten bis zum
sechsten Lebensjahr (nach dem Krieg) jedoch in Wien wohnte, deren vier
Großeltern durch das Reich getötet wurden; eine 41 jährige Lehrerin and
Designerin von interaktiven Ausstellungen, deren Vater ein Mitglied der
Nazipartei und industrieller Opportunist war; ein 50 Jahre alter israelischer,
weltbekannter Musiker (dessen Eltern den Holocaust nicht überlebt hatten), der
damals ungefähr sieben Jahre lang in Wien lebte, der zuvor 27 Jahre lang in
Deutschland gelebt hatte, eine deutsche, nicht jüdische Frau geheiratet hatte
und zusammen mit ihr ihre Tochter atheistisch in Wien aufzog; und eine
österreichische Frau Mitte Dreißig, aus einer Familie mit strafbaren Nazismus
und Antisemitismus26.
Das Treffen wurde zu zwei Dritteln (oder mehr) auf Deutsch
gehalten. In der schrecklichen Hitze unseres ersten Tages trafen wir uns mit
Pausen von 9.00 Uhr bis 22.00 Uhr. Der Tag war vorrangig mit langen und sehr
persönlichen Vorstellungen gefüllt. Ein Gefühl von Vertrauen war spürbar in
der Luft, wahrscheinlich weil sich die Hälfte der Teilnehmer bereits vom
ersten Treffen kannten. Basierend auf den mitgeteilten Gedanken des ersten
Tages, die durch unsere Seelen und Träume geströmt waren, war bei der Ankunft
am zweiten Tag ein deutlich stärkeres Vertauensgefühl zu spüren. Dieser
Anstieg im gegenseitigen Vertrauen verstärkte sich während des mittleren Teils
unseres zweiten Tages und verblieb auf der gleichen Stufe. Während des zweiten
und dritten Tages diskutierten wir Themen, die uns interessierten freier,
tiefer und unterschiedlicher. Einige Themen, die angesprochen wurden, waren
die des sozialen Dazugehörens im Gegensatz zu Dingen, die einem gehörten27
(Dinge wie Verlust, Wert, Eigentumsbesitz, usw.), die Ethik, soziale
"Verbindungen" während des Holocausts und in der Gegenwart zu nutzen, Ärger,
was Freundschaft wirklich bedeutet und beinhaltet (z. Bsp. die Frage "Gibt ein
guter Freund antisemitische Bemerkungen eines gemeinsamen Bekannten an den
jüdischen Freund weiter?"), die gegenwärtige Engstirnigkeit und Intoleranz der
organisierten Wiener Jüdischen Gemeinde gegenüber orthodoxen oder nicht
praktizierenden Juden, dass sekuläre Juden eine Bedrohung für die "Sicherheit"
der offiziellen (und vorgeblich praktizierenden) Jüdischen Gemeinde in Wien
seien, wo "Zuhause" wirklich ist und wo man sich "zuhause" fühlen kann, die
Angst vor der Teilnahme von Neo-Nazis an den Treffen von
The Austrian Encounter oder anderen Eindringlingen, mehr allgemeine
Ängste und die Loslösung von unseren Eltern (d.h. einen wirklich unabhängigen
Lebensweg zu finden). Am zweiten Tag unseres Treffens begannen wir, die dritte
Begegnung der Gruppe The Austrian Encounter zu besprechen. Es wurde
entschieden, daß sie sich in Wien oder in den Vereinigten Satten treffen
könnte (man stimmte mehr für Wien als die Vereinigten Staaten) daß wir als
Höchstzahl vierzehn Teilnehmer in unserer Gruppe erlauben würden (um durch die
Anzahl die Gruppendynamik nicht ändern würde) , daß wir als neue Teilnehmer
die bevorzugt aufnehmen würden, die an der ersten Versammlung teilgenommen
hatten und beim zweiten Treffen nicht anwesend waren, daß wir uns beim
nächsten Mal definitiv fünf Tage lang treffen sollten, daß das nächste Treffen
nach nicht länger als einem Jahr stattfinden sollte, daß wir beibehalten
sollten, uns ohne formalen Dolmetscher zu treffen und daß ich Facilitator
bleiben sollte. Die Zusammenkünfte an diesen beiden Tagen dauerten nicht bis
spät in die Nacht, obwohl sich viele später außerhalb der Versammlung trafen.
Während der ungefähr zweistündigen Zusammenfassung unseres
Treffens betonten alle zwölf Teilnehmer, daß die gemachten Erfahrungen
wunderbar und bemerkenswert waren. Andere Beschreibungen der Wirkung unserer
Begegnung waren "fabelhaft", "unwiderstehlich", "einmalig" und "Energie
verleihend". Es wurde von mehreren Teilnehmern beeindruckt geäußert, daß nicht
jüdische Österreicher und Juden länger als dreißig Jahre lang in demselben
Wiener Café, sogar am gleichen Tisch sitzen können, ohne die Erfahrung des
gegenseitigen Dialogs unserer nur dreitägigen Begegnung gemacht zu haben!
Einer der Teilnehmer schrieb später, "An meinem letzten
Abend (vier Tage nachdem das Treffen beendet war), gingen neun von zwölf zum
Essen aus." Bernd28 "bemerkte, daß wir uns an diesem Abend alle wie
eine große, glückliche Familie fühlten. Wir genossen, uns gegenseitig unsere
Schwierigkeiten mitzuteilen und auch, daß wir miteinander lachten, Witze
machten und uns gegenseitig als Individuen mochten."
Basierend auf wachsendem Vertrauen und dem gegenseitigen
Mitteilen von persönlichen Geschichten, fühlten sich die Teilnehmer voll von
Energie, noch mehr zu erzählen, einander in geselliger Runde zu treffen und in
Gruppen oder individuell an einer Anzahl von Projekten zu arbeiten, etc.
Beispiele beinhalten die Schaffung eines formellen Ortes, an dem eine Sammlung
ehemaligen jüdischen Besitzes aus den Händen nicht jüdischer, österreichischer
Familien gezeigt wurden, die Stiftung der Sammlung propagandistischer
Veröffentlichungen des Vaters und anderer Schriften an das Wiener Archiv29
durch einen Teilnehmer und die Aufführung eines öffentlichen Konzertes (durch
ein Trio, zusammengesetzt aus dem Berufsmusiker und jüdischen Teilnehmer
unserer Gruppe; einem Amateurmusiker und nicht jüdischen Mitglied; und dem
Vater eines dritten Teilnehmers, der Opfer des Holocaust war).
Betrachtet man das Treffen von The Austrian Encounter,
so fallen Parallelen zur ersten Begegnung von TRT auf. Es dauerte bis
zum zweiten Treffen der österreichischen Begegnungsgruppe, daß die eine Hälfte
der Teilnehmer sich bereits kannte, die andere Hälfte jedoch völlig neu war.
(Diese Mischung trat in der ersten Begegnung von To Reflect and Trust
auf.) Vertrauen wuchs auf ähnliche Weise und schließlich auch die Kreation
scheinbarer Energie.
Andererseits stellte der Fakt, daß unser zweites Treffen im
Gegensatz zu unserer Erfahrung in TRT und unserem ersten Treffen des
Austrian Encounter meistens auf Deutsch gehalten wurde, einen großen
Unterschied dar. Ich vermute, daß es die Anspannung einiger österreichischen
Teilnehmer senkte; es könnte sein, daß diese Teilnehmer besonders im Hinblick
auf ihre Gefühle und Meinungen zum Holocaust in der österreichischen
Gesellschaft hinsichtlich des Holocausts täglich einem gewissen Stress
ausgesetzt sind. Ich vermute auch, daß es die Streßempfindungen einiger
Teilnehmer aus Amerika erhöhte; allein als Juden in Österreich zu sein, mag
sie etwas mehr angespannt haben und natürlich der Fakt, Deutsch zu verstehen
und sich auf Deutsch verständlich zu machen, war ähnlich anstrengend.
Schlußendlich und am wichtigsten ist der Fakt, daß der Holocaust in erster
Linie auf Deutsch und von Deutschen und Österreichern in gesprochener und
geschriebener Sprache ausgeführt wurde und bei unseren Gesprächen weite
historische, persönlich-familiengeschichtliche und gegenwärtige psychologische
Verbindungen ein Rolle spielten. Aus all diesen Gründen, denke ich, hat das
Treffen in Österreich und auf Deutsch beeindruckend unser aller Bewußtsein und
unsere Psychen stimuliert und wahrscheinlich auch die Anspannung auf beiden
"Seiten" etwas ausbalanciert.
Am Tag nach Ende des Treffens wurden mit zwei freiwilligen,
weiblichen Teilnehmerinnen von beiden "Seiten"und mir Interviews gegeben und
auf Audiokassette aufgenommen. Die Interviews wurden von einer deutsche
Journalistin, Silvia Pfeifer, für ein englisches Radioprogramm der
Deutschen Welle vorgenommen und nur wenige Tage später ausgestrahlt.
Auch wurde noch ein anderes Radio-Interview von den beiden Teilnehmerinnen
gegeben, diesmal für ein östereeichisches Programm und auf Deutsch.
Ein oder zwei Tage nach dem offiziellen Ende unserer
Begegnung traf ich mich auf ihren Wunsch mit zwei Wiener Therapeutinnen (eine
war jüdisch und die andere nicht). Sie hatten sich sechs Wochen zuvor
interessanterweise entschlossen, eine Therapiegruppe zu gründen, die sich aus
österreichischen Töchtern und Söhnen beider "Seiten" des Holocaust
zusammensetzen sollte. Leider waren ihre Hoffnungen zerstört worden, als sie
auf die von ihnen aufgegebne Anzeige in der Zeitung nur die Antwort eines
möglichen Teilnehmers erhalten hatten. Die Diskussion an diesem Abend
beschäftigte sich mit dem Thema, wie schwierig es ist, ein solche Gruppe in
Österreich ins Leben zu rufen.
The Austrian Encounter traf
sich vom 18. bis 22. Juni 1998 zu seiner dritten Begegnung in Wien.
Alle zwölf Teilnehmer, die sich zuvor entschieden hatten zu kommen,
nahmen tatsächlich teil, hinzu kam das Kind eines Nazis, das am
ersten, aber nicht am zweiten Treffen teilgenommen hatte. Kurz nach
Beginn des Treffen jedoch verließen zwei Frauen aus Gründen
fehlenden Vertrauens innerhalb der Gruppe die Versammlung: Eine Frau
(Tochter eines Opfers) beschuldigte den Sohn eines Nazis, sie einige
Wochen zuvor mit sexuell beleidigenden Telefonanrufen belästigt zu
haben. Nach einer kurzen Diskussion verließen sie (nach eigener Wahl
und im Gegensatz zur allgemeinen Reaktion der Gruppe) und die ihr
gegenüber loyale Tochter eines Nazis das Treffen. (Eine andere
Teilnehmerin, ebenfalls Tochter eines Nazis unterstützte sie
ebenfalls und ging, kehrte jedoch nach einiger Zeit wieder zurück.)
Aus diesem Grund wurde das Treffen zum größten Teil von nur elf
Teilnehmern besucht, sechs Frauen (drei von jeder "Seite") und fünf
Männer (drei von ihnen waren Söhne von Opfern).
Dieses Trauma innerhalb der Gruppe führte sofort zur
Diskussion von zwei anderen Themen, die zwischen zwei männlichen Teilnehmern
(von beiden "Seiten") aufgekommen waren, jedoch nach einiger Zeit innerhalb
der Gruppe erfolgreich gelöst werden konnten. Alle diese Vorkommnisse zogen
Diskussionen über Vertrauen innerhalb der Gruppe (zwischen Menschen allgemein,
zwischen Menschen und Gerichten, etc.), über Schweigen (empfundenes und
wirkliches) und Kommunikation nach sich, über weiterführenden Dialog, wenn er
besonders schwerfällt und eine empfundene Verbesserung im österreichischen
Bewußtsein hinsichtlich seiner schrecklichen Verwicklungen30 mit
dem Holocaust. Andererseits hat die Gruppe bisher vermieden, über die
Wichtigkeit und die Varianten von sexuellem Mißbrauch im Reich zu sprechen.
The Austrian Encounter war
tief und existenziell durch das Thema des sexuell belästigenden
Anrufes herausgefordert worden. Obwohl das Thema selbst bisher
ungelöst ist, überlebte die Gruppe ihr erstes, wirklich großes
Trauma. Auch wenn am Ende das Vertrauen zwischen den drei Frauen und
dem Mann bedauerlicherweise verloren ging, so hat sich das Vertrauen
innerhalb der Gruppe durch den Schreck und die folgende
Auseinandersetzung allgemein verbessert. Alle elf Teilnehmer
(eingeschlossen die Frau, die am ersten, aber nicht am zweiten
Treffen teilgenommen hatte) versicherten, beim vierten Treffen im
Sommer 1999 in Wien dabeizusein.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß The Austrian
Encounter ein großer Erfolg war und ist; erstaunlich, daß sich eine Gruppe
zusammengesetzt aus Söhnen und Töchtern von österreichischen Nazis und
Töchtern und Söhnen von Opfern des österreichischen Holocausts getroffen hat,
und noch dazu in Österreich! Der Fakt, daß sich diese Menschen einfach
zusammengesetzt haben, daß sie aufrichtig und ehrlich miteinander diskutierten
und dies zum wiederholten Male intensiv getan haben, war und bleibt
bemerkenswert und einzigartig in Österreich!
Obwohl Österreich eine schrecklich Feindseligkeit gegen
Juden in sich birgt, eine Geschichte und Legende von abscheulicher
Verantwortlichkeit während des Reiches existiert und es geschafft wurde, diese
Straftaten nach dem Krieg zu ignorieren, sehen wir weiterhin, daß tiefe
Ehrlichkeit zu Wärme, Vertrauen und vielen anderen Dingen zwischen
wunderbaren, verschiedenen und motivierten Menschen führt, trotz persönlicher
Unterschiede und ihrer Herkunft von gegensätzlichen Seiten eines der
Haupttraumata der Welt (und des größten Traumas in der jüdischen und
europäischen Geschichte).
Robert S. Winstrich, Neuberger Professor moderner
europäischer und jüdischer Geschichte an der Hebräischen Universität
(Jerusalem) schrieb in einem kürzlich veröffentlichen Bericht: "Es gibt jetzt,
zum ersten Mal im Nachkriegs-Österreich, ein ernstes Engagement, gegen
Rassismus und Antisemitismus zu kämpfen" und " es gibt sogar eine Bewegung,
den Holocaust offen und kritisch zu diskutieren … und zu versuchen, Lehren aus
ihm zu ziehen."31 Die Frage, wie nützlich intensive
post-traumatische Dialoge für andere, historische Holocausts oder für das
Verhindern zukünftiger und wiederholter Völkermorde sein mögen, ist ein Thema,
dessen Erforschung erst beginnt und eine Frage, die, wie ich hoffe,
gründlicher und auf verschiedene Weisen untersucht werden wird.
Übersetzung: Anja Langbein -
anja_langbein@post.harvard.edu
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