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12.03.1938: Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Österreich, Anschluß an das Deutsche Reich

"Wir weichen der Gewalt"
Österreichs Weg zum Anschluß im März 1938

Als Bundeskanzler Kurt Schuschnigg am 11. März 1938 um 19.47 Uhr über den Rundfunk seine historische Abschiedsrede hielt, die er mit den Worten "Gott schütze Österreich" schloß, war dies der Schlußpunkt im Ringen um die österreichische Unabhängigkeit, das mit dem Besuch Schuschniggs bei Hitler in Berchtesgaden am 12. Februar, dem vierten Jahrestag des Bürgerkrieges 1934, in sein dramatisches Finale getreten war.

Schuschnigg bezeichnete in seiner Rede am Abend des 11. März 1938 die vom Deutschen Reich lancierten Berichte über Arbeiterunruhen als "von A bis Z erfunden", berichtete über das Ultimatum aus Berlin und stellte klar: "Der Herr Bundespräsident beauftragt mich, dem österreichischen Volk mitzuteilen, daß wir der Gewalt weichen".

An jener Stelle auf Seite 1 der "Wiener Zeitung", auf der der Bericht über diese Rede stehen sollte, klaffte am 12. März 1938 ein weißes Loch und selbst in einem kurzen Vierzeiler auf Seite 2, in dem die Verschiebung der für den 13. März geplanten Volksbefragung angekündigt wurde, durfte der Name Schuschniggs nicht mehr erscheinen: "Der Bundeskanzler und Frontführer hat sich nach Berichterstattung an den Bundespräsidenten entschlossen, die für den 13.d.M. angesetzte Volksbefragung zu verschieben", hieß es da lakonisch.

Wie sehr man in Wien bereit oder gezwungen war, den Drohungen und Wünschen aus Berlin nachzugeben, war Insidern schon Mitte Jänner 1938 klar. Damals wurde dem Chef des Generalstabs des Österreichischen Bundesheeres, Alfred Jansa, vom zuständigen Staatssekretär mit Hinweis auf Jansas Dienstalter das Ausscheiden aus dem Aktivdienst nahegelegt. Nachfolger wurde der gleichaltrige General Beyer, der als "betont Nationaler" galt. Jansa hatte - was ihn in Berlin besonders verhaßt machte - ein Szenario für die Abwehr eines deutschen Angriffs gegen Österreich entwickelt. In seinen Erinnerungen beschreibt Jansa ein Treffen mit Bundespräsident Wilhelm Miklas am 16. Februar 1938 - vier Tage nach dem Treffen Schuschniggs mit Hitler, bei dem letzterer Jansas Ablöse gefordert hatte. "Ich habe Schuschnigg gesagt, er möge sich vors Mikrofon stellen und die Weltöffentlichkeit von dem Geschehenen orientieren", sagte Miklas, aber "Schuschnigg will nicht und ich habe nach der Verfassung keine Handlungsfreiheit".

Einen Tag zuvor, am 15. Februar 1938 hatte Schuschnigg sein Kabinett umgebildet und die Nazis Artur Seyß-Inquart und Edmund Glaise-Horstenau als Sicherheitsminister, bzw. als Minister ohne Portefeuille in seine Regierung aufgenommen. Das war neben der Freilassung der verhafteten Nazis eine der Hauptforderungen Hitlers in Berchtesgaden gewesen.

Am 17. Februar hatte Otto Habsburg schriftlich an Schuschnigg appelliert, ihm die Regierung in Österreich zu übergeben und gefordert, daß "alles geschehen müsse, um eine Befriedung mit der Linken herbeizuführen, die in der letzten Zeit gezeigt habe, daß sie patriotisch und die sicherste Stütze Österreichs sei." Schuschnigg hatte Habsburgs Ansinnen zurückgewiesen.

Mit einer Rede vor dem Bundestag versuchte Schuschnigg am 24. Februar das Ruder noch einmal herumzureißen. "Wir bekennen uns feierlich vor aller Welt zu unserem Vaterland" hatte der Kanzler gesagt und die Rede mit den Worten "Bis in den Tod rot-weiß-rot! Österreich!" geschlossen.

Eine Welle patriotischer Begeisterung war die Folge dieser Rede und es zeichnete sich auch der Versuch einer Aussöhnung mit der Linken ab, die erstmals seit dem 12. Februar 1934 wieder legal auftreten konnte. Die Kommunisten stellten sich kompromißlos hinter Schuschnigg, die Revolutionären Sozialisten wollten für ihre Unterstützung aber noch einige Zusicherungen von Regierungsseite. Am 4. März empfing Schuschnigg eine Delegation unter Führung des Gewerkschafters Friedrich Hillegeist im Bundeskanzleramt, am 7. März tagte eine große Vertrauensleutekonferenz mit 400 Delegierten im Floridsdorfer Arbeiterheim. "Wir haben unsere Abzeichen getragen, wir haben uns mit ,Freundschaft' begrüßt" erinnerte sich Rosa Jochmann, eine Teilnehmerin, Jahrzehnte später an dieses Ereignis.

Am 4. März fand in Wien auch eine große Konferenz der Frauenschaft der Vaterländischen Front statt. Vor mehr als 10.000 Versammelten betonte der Kanzler unter großem Jubel: "Ich werde niemals die Nerven verlieren."

Von dieser Welle der Zustimmung getragen, bereitete Bundeskanzler Schuschnigg seinen nächsten Coup vor. Für 9. März war in Innsbruck eine Rede vor den Amtswaltern der Vaterländischen Front angesagt. Nur Schuschniggs engste Mitarbeiter, waren darüber informiert, was er dort sagen würde. Doch noch bevor der Kanzler in Innsbruck bekanntgab, daß man am 13. März eine Volksbefragung über die Unabhängigkeit Österreichs durchführen werde, wußte man in Berlin schon davon. Wie man in den nächsten Tagen noch mehrmals feststellen sollte, saßen die Nazis schon in der engsten Umgebung der Männer des Ständestaatregimes.

"Mander, 's ischt Zeit" rief der Kanzler mit den Worten des Tiroler Freiheitshelden Andreas Hofer seinen Zuhörern entgegen. Da wußte er bereits, daß sich sein bis dahin engster ausländischer Verbündeter Mussolini gegen die Befragung ausgesprochen hatte.

Bundespräsident Miklas, der die Rede in seiner Wohnung im Kreis der Familie am Radio mitgehört hatte, meinte: "Ob Deutschland das so einfach hinnehmen wird? Wenn das gelingt, dann können wir dem Herrgott dankbar sein."

Und Hitler wie auch die österreichischen Nazis waren nicht bereit, die Volksbefragung so einfach hinzunehmen.

Während der Führer der Revolutionären Sozialisten, Josef Buttinger, seinen Aufruf an die "Arbeiter und Genossen" verfaßte, in dem er davor warnte, bei der Volksbefragung mit dem österreichischen Faschismus abzurechnen und dazu aufrief mit "Ja" zu stimmen und auch Kardinal Innitzer und die evangelische Kirche zum "Ja" aufriefen, machten die Nazis in Österreich auf den Straßen mobil und Hitler ließ den Einmarsch vorbereiten. Der Chef der Abteilung Landesverteidigung im deutschen Generalstab, Alfred Jodl, riet seinen Kollegen von der Organisationsabteilung."Lassen sie alle Kraftfahrer unbedingt Brillen aufsetzen, sonst werden ihnen durch die Blumen die Augen ausgeschossen."

In Wien instruierte NS-Landesleiter Hubert Klausner, der mit seinen Parteifreunden Odilo Globocnik und Friedrich Rainer im Hotel Regina residierte, die Gauleiter für die möglichen Fälle der nächsten Tage. Für den Fall der Rückziehung der Volksbefragung wurde angeordnet, Demonstrationen größten Stils zu veranstalten. Für den Fall des Schuschnigg-Rücktritts war die Machtergreifung durch die Nazis vorgesehen und für den Fall, daß sich der Kanzler dem Kampf stellte, wurde allen Parteiführern befohlen, alle Mittel zur Gewinnung der Macht einzusetzen.

Der Nazi-Innenminister Seyß-Inquart, der Schuschnigg für wenige Tage im Amt des Bundeskanzlers folgen sollte, war von seinen radikalen Parteifreunden schon an den Rand des Geschehens gedrängt worden. Einen Tag später, als sich die Ereignisse überstürzten meinte er im Gespräch mit dem Generalsekretär der Vaterländischen Front, Guido Zernatto: "Ich bin nichts als ein historisches Telefonfräulein. Ich habe nur die Nachricht zu überbringen und keinen Einfluß".

Seyß-Inquart und der aus Berlin zurückgekehrte Glaise-Horstenau überbrachten Schuschnigg in den Vormittagsstunden ein mit 12 Uhr befristetes Ultimatum Hitlers, die Volksabstimmung abzusagen. Das Ultimatum war dann um zwei Stunden verlängert worden, aber bereits um 13 Uhr am 11. März 1938 setzte Hitler in Berlin seine Unterschrift unter ein Dokument, das bereits in der Nacht an die Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile und SS-Chef Heinrich Himmler ergangen war: "Ich beabsichtige, wenn andere Mittel nicht zum Ziel führen, mit bewaffneten Kräften in Österreich einzurücken."

11. März 1938, 14.30 Uhr:

Schuschnigg teilt Bundespräsident Miklas mit, daß er bereit ist, die Volksabstimmung abzusagen, eine Viertelstunde später benachichtigt er auch Seyß-Inquart davon, doch die Herren in Berlin sind damit nicht mehr zufriedenzustellen. In einem Telefonat - ihm werden bis zum Abend noch mehrere folgen - deutet Hermann Göring weitere Forderungen an. Um 15.05 Uhr stellt er dann das zweite Ultimatum des Tages: Schuschnigg muß zurücktreten, der Bundespräsident Seyß-Inquart mit der Regierungsbildung beauftragen. Seyß soll auch ein von den Deutschen vorbereitetes Telegramm mit der Bitte um den Einmarsch deutscher Truppen absenden.

Schuschnigg ist zum Rücktritt bereit, sagt dies dem Bundespräsidenten beim zweiten Treffen an diesem Tag um 15.30 Uhr. Miklas sondiert in einem Gespräch mit dem Rechnungshofpräsidenten Otto Ender, der schon einmal, von Dezember 1930 bis Juni 1931, Regierungschef war, dessen Bereitschaft zur Übernahme des Kanzleramtes. Knapp vor 16 Uhr trägt Miklas auch dem Sicherheitsstaatssekretär Michael Skubl die Kanzlerschaft an. Doch dieser lehnt wie schon zuvor in einem Gespräch mit Schuschnigg ab.

Zur gleichen Zeit stellt Innenminister Seyß-Inquart im Säulensaal des Bundeskanzleramtes schon eine Ministerliste zusammen, in der sich neben Nazis auch Deutsch-Nationale und Katholiken befinden.

In einem Telefonat um 17 Uhr verlangt Göring, daß die neue Regierung bis 19.30 stehen muß. Globocnik übermittelt dem Reichsmarschall die - falsche - Nachricht, daß Seyß bereits mit der Regierungsbildung beauftragt worden sei. Es sollte nicht die einzige Falschmeldung dieses Tages sein. Bundespräsident Miklas weigerte sich noch immer, den Nazis die Kanzlerschaft zu übergeben. Um 18 Uhr ruft er ein zweitesmal an diesem Tag den ehemaligen Bundeskanzler Ender zu sich. Als dieser wieder ablehnt will Miklas den Generalinspekteur des Bundesheeres, Sigismund Schilhawsky betrauen, aber auch der sagt nein.

Der deutsche Militärattaché in Wien, Generalleutnant Wolfgang Muff, überbringt dem Bundespräsidenten das deutsche Ultimatum, daß es bis 19.30 ein Kabinett Seyß-Inquart geben muß oder die Deutschen marschieren ein. Seyß weigerte sich bei der Überbringung dieses Ultimatums dabeizusein.

Inzwischen war auch der deutsche Außenamtsstaatssekretär Wilhelm Keppler in Wien eingetroffen. Er teilte Göring telefonisch mit, daß Miklas das Ultimatum zurückgewiesen hatte. "Dann soll ihn der Seyß-Inquart absetzen!" tobt Göring.

Im Haus der Vaterländischen Front Am Hof verbrannten Funktionäre in der Zwischenzeit Dokumente, die man nicht den Nazis in die Hände fallen lassen wollte, die immer mehr das Straßenbild Wiens beherrschen. VF-Generalsekretär Guido Zernatto machte sich mit seiner Frau fertig zur Flucht nach Preßburg. Viele weitere Nazi-Gegner sollten es ihm an diesem Abend gleichtun, nicht allen sollte es gelingen.

Als das deutsche Ultimatum um 19.30 ablief, kam Staatssekretär Skubl mit der falschen Meldung zum Bundespräsidenten, daß deutsche Truppen die Grenzen überschreiten. Auch Schuschnigg bedrängte nun den Präsidenten, Seyß mit der Regierungsbildung zu beauftragen, aber der blieb weiter bei seiner Ablehnung.

Miklas wußte auch nicht, daß Schuschnigg um 19.47 Uhr über den Rundfunk eine Rede angesetzt hatte, in der er seinen Rücktritt bekanntgab. Danach bedrängte Schuschnigg den Bundespräsidenten, zur Lösung der Regierungskrise Seyß-Inquart mit der Kanzlerschaft zu beauftragen. Doch Miklas weigerte sich weiter.

Während die Nazis immer mehr das Straßenbild in Wien beherrschten und die Menschenmenge vor dem Verkehrsbüro der Deutschen Reichsbahn in der Nähe der Oper immer größer wurde, trat Seyß um 20.18 Uhr vor das Mikrophon und stellte klar, daß er sich als Innenminister noch immer im Amt befinde. Kurz danach, um 20.45 Uhr gab Hitler den schriftlichen Einmarschbefehl und Göring verlangte in einem weiteren Telefonat, diesmal mit Militärattaché Muff, daß auch Bundespräsident Miklas zurücktreten solle. Im nächsten Telefongespräch mit Staatssekretär Keppler verlangte der Reichsmarschall wieder, daß Seyß-Inquart das vorbereitete Telegramm mit der Bitte um die Entsendung deutscher Truppen abschickt. Seyß weigerte sich aber. Um 21.54 Uhr ließ Göring erneut nachfragen, wo denn das Telegramm bliebe. Und weil Seyß noch immer zögerte, fälschte man sich in Berlin eben dieses Telegramm, dessen Eintreffen laut NS-Akten schon um 21.40 erfolgte.

Zur gleichen Zeit, als sich in Wien das dramatische Ende der österreichischen Unabhängigkeit abzeichnete, wurde Hitlers Abgesandter, Prinz Philipp von Hessen, der Ehemann der italienischen Königstochter Mafalda, vom italienischen Außenminister, Graf Galeazzo Ciano empfangen. Als Hessen Hitler telefonisch mitteilte, daß Italien nichts gegen den deutschen Einmarsch in Österreich unternehmen werde, meinte der Führer gerührt: "Dann sagen sie Mussolini bitte, ich werde ihm das nie vergessen". Ein paar Jahre später wurde Ciano auf Betreiben Hitlers nach einem Schauprozeß in Verona erschossen und Hessens Frau Mafalda ging im KZ Buchenwald zugrunde.

Kurz nach 23 Uhr hatte Seyß auch den Bundespräsidenten weichgeklopft. Unter dem Druck der bereits vollzogenen Machtübernahme in ganz Österreich durch die NSDAP habe ihn Miklas mit der Fortführung der Geschäfte der Bundesführung betraut, verkündete Seyß-Inquart seinen Anhängern. Im Bundeskanzleramt spielte Odilo Globocnik bereits den Beauftragten der Regierung - ohne Wissen Seyß-Inquarts. "Wissen Sie, ich habe für Sie die Macht ergriffen, aber ich habe ihnen nichts gesagt, denn Sie wären dagegen gewesen" wird Globocnik später dem Kurzzeitkanzler melden.

Über dem Polizeipräsidium am Schottenring wehte bereits seit 22.31 Uhr die Hakenkreuzfahne. Die Rathauswache gab um 23.30 Uhr den Widerstand gegen die Nazis auf, die den christlichsozialen Bürgermeister Richard Schmitz verhafteten. Der Nazi-Vizebürgermeister Fritz Lahr übernahm die Macht. Und knapp vor Mitternacht gab auch Bundespräsident Miklas endgültig auf: Er war angesichts der sich überstürzenden Ereignisse bereit, Seyß zum Bundeskanzler zu ernennen.

Noch bevor der deutsche Einmarsch in den Morgenstunden des 12. März 1938 begann, landeten auf dem Asperner Flughafen SS-Chef Heinrich Himmler und seine Truppe, die sofort mit der Verhaftung der politischen Gegner begann. Richard Schmitz, Leopold Figl, Friedrich Hillegeist und Franz Olah zählten zu den ersten, die den SSlern in die Hände fielen. SA durchsuchte die nach Osten abgehenden Züge auf freier Strecke nach Flüchtlingen.

Die erste Welle der - schlecht vorbereiteten - 8. Armee überschritt die Grenze nach Österreich um 8 Uhr. Und bald gab es auch den ersten Toten: In Salzburg traf den Nazi Heinrich Kurz von Goldenstein vor lauter Freude der Schlag.

Um 15.50 Uhr rollte der Wagen mit Adolf Hitler bei Braunau auf österreichisches Gebiet. Um 19.30 Uhr traf er im Linzer Rathaus ein, wo er mit stürmischen "Sieg Heil!"-Rufen empfangen wurde.

"Also in Österreich ist unglaublicher Jubel. Wir haben ja selber nicht geglaubt, daß die Anteilnahme so groß sein würde", vermeldete Göring seinem Telefonpartner Philipp von Hessen, der von einer zweiten Unterredung mit Mussolini am Abend des 12. März nach Berlin berichtete.

In Wien trieben an diesem Tag die neuen Machthaber Juden und politische Gegner zu den berüchtigten "Reibpartien". Mit Bürsten und ätzender Lauge mußten sie die Schuschnigg-Parolen vom Straßenpflaster reiben. Der "Daily-Telegraph"-Korrespondent G.E.R. Gedye beschrieb in seinem Buch "Die Bastionen fielen. Wie der Faschismus Wien und Prag überrannte" die Demütigungen: "Die erste Reibpartie sah ich auf dem Parterstern. Sie mußte das Bild Schuschniggs entfernen, das mit einer Schablone auf den Sockel eines Monuments gemalt worden war. SA-Leute schleppten einen bejahrten jüdischen Arbeiter und seine Frau durch die beifallklatschende Menge. Tränen rollten der alten Frau über die Wangen, und während sie starr vor sich hinsah und förmlich durch ihre Peiniger hindurchblickte, konnte ich sehen, wie der alte Mann, dessen Arm sie hielt, versuchte, ihre Hand zu streicheln. ,Arbeit für die Juden, endlich Arbeit für die Juden!' heulte die Menge. ,Wir danken unserem Führer, er hat Arbeit für die Juden beschafft!'".

Am Sonntag, dem 13. März, an dem die von Schuschnigg geplante Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs hätte stattfinden sollen, verabschiedete der Ministerrat unter Kanzler Seyß-Inquart das Anschlußgesetz. Bundespräsident Miklas verweigerte seine Unterschrift - nicht nur aus politischen, sondern auch aus verfassungsmäßigen Gründen. Aber dann gab er doch nach und trat zurück.

Die abgesagte Volksbefragung soll in einigen abgelegenen Orten in Niederösterreich und Tirol, nämlich in Fritzelsdorf, Kleinpertenschlag, Pehendorf, Groß-Gerungs, Reitzenschlag und Innervillgraten durchgeführt worden sein, doch finden sich aus verständlichen Gründen darüber keine Aufzeichnungen. In Innervillgraten sollen 95 Prozent für die Unabhängigkeit Österreichs gestimmt haben. Noch 1988 hat der Bürgermeister dieser Gemeinde jedoch die Richtigkeit einer Eintragung in der Gemeindechronik über die Durchführung der Volksabstimmung bestritten.

Die heimischen Nazis blieben aber nicht lange auf den von ihnen am 11. März eroberten Machtpositionen. Der Wiener Bürgermeister Lahr mußte sein Amt noch vor der Ankunft Hitlers in der Bundeshauptstadt an Hermann Neubacher abgeben. Kanzler Seyß-Inquart, nach dem Anschlußgesetz ohnehin nur mehr Reichsstatthalter, mußte später auch diese Position an Josef Bürckel abtreten.

Doch vorerst wurde noch einmal anständig gefeiert. "Enthusiastischer Empfang des Führers in Wien" berichtete die gleichgeschaltete "Wiener Zeitung" am 15. März 1938 über die Ereignisse des Vortages. Am gleichen Tag fand die große Parade über die Ringstraße statt, bei der die siegreichen Nazis in Anspielung auf den Schuschnigg-Rücktritt in nicht ganz lupenreinen Reimen "Der Kurt ist furt, jetzt geht's uns guet" skandierten. Der auf den neuen Regierungschef Seyß-Inquart gemünzte Reim der NS-Gegner wurde sicher nicht so laut gerufen, war aber nicht nur fantasievoller, sondern traf auch die Realität haargenau: "Sei's in Quarten, sei's in Quinten, b'schissen samma, vorn und hinten".

Und während Hitler auf dem Heldenplatz vor einer unübersehbaren Menschenmenge die "größte Vollzugsmeldung" seines Lebens abstattete: "Als der Führer und Kanzler der deutschen Nation und des Reichs melde ich vor der Geschichte nunmehr den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich", überboten sich nicht nur obskure Organisationen wie "Österreichs Nationalsozialisten der Ortsgruppe Tirana" und die "Österreichischen Nationalsozialisten in Spanien" mit Ergebenheitsadressen.

Kardinal Innitzer rief schon am 12. März die Katholiken der Erzdiözese Wien auf, "Sonntag, 13. d., zu beten, um Gott dem Herrn zu danken für den unblutigen Verlauf der großen politischen Umwälzung und um eine glückliche Zukunft für Österreich zu bitten. Selbstverständlich möge allen Anordnungen der Behörden gerne und willig Folge geleistet werden".

Der neue Präsident des evangelischen Oberkirchenrates, Robert Kauer begrüßte Hitler am 13. März 1938 "im Namen der mehr als 350.000 evangelischen Deutschen in Österreich als Retter aus fünfjähriger schwerster Not". Und der Bischof und der Synodalrat der Altkatholischen Kirche "Deutschösterreichs" erließen am 15. März die Verfügung, "im Kanon des heiligen Amtes von nun an die Fürbitte für unseren Führer Adolf Hitler einzufügen".

Und auch die Künstler konnten bei soviel Jubel nicht nachstehen. Karl Heinrich Waggerl dichtete: "Mögen alle Sünden verziehen sein, nur die eine nicht: Jetzt noch zu zweifeln oder zu verneinen". Noch gefühlsvoller fiel die Huldigung von Maria Grengg aus: "Als Adolf Hitler kam und uns nur mit seinem großen Herzen nahm, wußte ich beglückt, daß jetzt alles gut sei und daß dieser seit je geliebte, größte Sohn meiner Heimat sie mir jetzt wiederschenkt!" "Wer dieser Tat unseres Führers nicht mit einem hundertprozentigen Ja zustimmt, verdient nicht, den Ehrennamen Deutscher zu tragen!", meinte Generalmusikdirektor Karl Böhm. Die Schauspielerin Paula Wessely freute sich, "am 10. April das Bekenntnis zum großen Volksdeutschen Reich mit Ja ablegen zu können und so die von mir immer betonte Kulturverbundenheit der österreichischen Heimat mit den anderen deutschen Gauen zu bekräftigen". Und ihr Mann Attila Hörbiger meinte: "Wir Künstler sind froh und stolz, am neuen großdeutschen Werke mitarbeiten zu können." Hörbigers Kollege Ewald Balser: "Wer, wie ich, das neue Deutschland kennt, weiß auch, Österreich geht nun einer besseren Zukunft entgegen."

Und die Erklärung der Bischöfe und des Sozialdemokraten Karl Renner, in denen diese zum "Ja" für den Anschluß aufriefen, sind ohnehin zu trauriger Berühmtheit gelangt.

Als am 16. März 1938 im amtlichen Teil der "Wiener Zeitung" die Verordnung der Bundesregierung über die Durchführung der Volksabstimmung am 10. April 1938 veröffentlicht wurde, hieß es dort schon im Paragraph 2: "Ausgenommen vom Stimmrecht ist, wer Jude ist oder als Jude gilt". Das lag ganz auf der Linie jenes Telefonats, das Göring mit Philipp von Hessen am Abend des 12. März geführt hatte. Hessen hatte darin berichtet, daß ihm sein Schwiegervater, der italienische König, von einem Gespräch mit dem polnischen Außenminister Beck erzählt habe, daß nach dem Berchtesgadner Treffen Schuschnigg-Hitler in Wien an einem Tag 25.000 Juden um Pässe angesucht hätten. Hessen: "Man meint, es wäre ganz gut, wenn man die Grenzen ein Weilchen aufmachte, sodaß das ganze Geschmeiße 'rauskönne". Göring darauf: "Aber nicht mit den Devisen, sonst rutschen die uns ins Ausland. Die Juden können gehen, aber das Geld lassen sie uns gefälligst da, das haben sie doch nur gestohlen."

Die wilden Arisierungen und die Denunzierungen der ersten Tage nach dem Anschluß wurden aber selbst den Obernazis in Berlin zuviel. Am 21. März 1938 schickte der deutsche Innenminister dem Reichsbeauftragten für Österreich, Staatssekretär Wilhelm Keppler, ein Telegramm, in denen er auf die wilden Arisierungen einging und klarstellte: "Der Herr Reichswirtschaftsminister hat mich daher gebeten, Sie zu ersuchen, gegen dieses unbefugte Vorgehen einzuschreiten und dafür Sorge zu tragen, daß derartige Arisierungsmaßnahmen unterbleiben. Die erforderlichen Maßnahmen gegen die Überfremdung des Wirtschaftslebens werden nach der Volksabstimmung durch den Herrn Reichswirtschaftsminister auf gesetzlicher Grundlage getroffen werden." Und das Büro des Gauleiters Josef Bürckel ließ Aufrufe gegen Denunziationen vorbereiten, in denen stand: "Wer die Umbesetzung einer Stelle verlangt, kann niemals Anwärter auf dieselbe Stelle sein."

Noch bevor am 10. April 1938 die Hitlerische Volksabstimmung begann, die in Österreich ein Ergebnis von 99,7 Prozent für den Anschluß erbrachte - nur 11.929 Wahlberechtigte sagten laut den offiziellen Ergebnissen "Nein", 4.453.772 "Ja", fuhren die ersten Züge in die Konzentrationslager. Am 1. April 1938 ging der erste Prominententransport mit 151 Personen nach Dachau: Friedrich Bock, der spätere VP-Vizekanzler, der SP-Stadtrat Robert Danneberg, Wiens Bürgermeister Richard Schmitz, Niederösterreichs Landeshauptmann Josef Reither, die späteren Bundeskanzler Leopold Figl und Alfons Gorbach, der spätere ÖGB-Präsident und Innenminister Franz Olah, Viktor Matejka, Ludwig Soswinski, der Richter Alois Osio, die Künstler Fritz Beda Löhner und Heinrich Sussmann standen neben zahlreichen anderen auf der Transportliste.

Der glücklose Kanzler Kurt Schuschnigg versuchte in einer Erklärung vom 11. Juni 1938 seine Politik im nachhinein zu rechtfertigen. Er schloß diese Erklärung mit den Worten: "Persönlich erkläre ich meinen festen und freien Willen, in bedingungs- und vorbehaltloser Loyalität zu Führer, Reich und Volk zu stehen, und wäre froh, der deutschen Sache dienlich sein zu können".

Diese Ergebenheitsadresse bewahrte ihn aber nicht vor schmählicher Behandlung durch die Nazis. Wie aus den Wachvorschriften der Gestapo Wien vom 8. September 1938 hervorgeht, stand Schuschnigg rund um die Uhr unter Beobachtung. Darin hieß es u. a.: "Dem Sch. ist das Betreten des WC auf Verlangen zu gestatten. Vor dem Betreten muß jedoch das Fenster des WC geschlossen werden. Der diensthabende Wachtmeister hat den Sch. auch während des Aufenthaltes im WC in taktvoller Weise zu überwachen. Die Tür zum WC ist während des Aufenthaltes des Sch. in diesem Raum nicht ganz zu verschließen, sodaß eine Überwachungsmöglichkeit besteht . . .

Außerdem ist es dem Sch. gestattet, sich Obst und Zigaretten besorgen zu lassen . . . der Wachhabende hat darauf zu achten, daß kein übermäßiger Verbrauch von Alkohol und Zigaretten erfolgt. Falls Sch. an einem Tag mehr als 30 Zigaretten verlangt, ist auf Zimmer 316 Meldung zu erstatten."

WIENER ZEITUNG, Rainer Mayerhofer


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